„Is‘ noch nich achte?“, fragt die Frau überrascht, als sie die Wartenden vor dem Eingang zum Som- merbad Neukölln sieht. Drei harren dort bereits seit viertel vor 8 aus; bis es endlich 8 ist, ist die Gruppe auf die Stärke einer Fußballmannschaft ange- wachsen. Die Frühschwimmer seien eine extrem verlässliche Spezies, weiß Matthias Oloew, Presse- sprecher der Berliner Bäderbetriebe. „Manche wür- den wohl auch dann noch kommen“, vermutet er, „wenn’s im Sommer frieren und Eisschollen auf dem Wasser treiben würden.“
An die 100 Leute sind es regelmäßig, die werktags zwischen 8 und 9.15 Uhr im Freibad am Colum- biadamm den Frühtarif für 2 Euro lösen und das Bad
spätestens um 10 Uhr wieder ver- lassen.
Sie würde es dreimal pro Woche tun, sagt eine Frau, die am Neuköllner Maybachufer wohnt und in Steglitz arbeitet: „Dass das Columbiabad quasi auf dem Weg liegt, macht es leicht, den inneren Schweinehund zu überlisten.“ Bei schönem Wetter sei der sehr kooperativ, bei grauem Himmel und wenig sommerlichen Temperaturen allerdings ein ziemliches Biest. „Da gab’s also etliche Kämpfe in letzter Zeit“, gesteht die Mittvierzigerin, „aber die meisten hab ich gewonnen.“ Es würde ihr einfach gut tun, sich morgens vor der Arbeit zu bewegen, und joggen sei nicht ihr Ding. Herrlich sei es dagegen, im gemächlichen
Tempo durchs Wasser zu gleiten und dabei über alles mögliche nachzudenken. Um das exakte Gegenteil geht es einem passionierten Früh- schwimmer aus Tempelhof. Er will sein Pensum möglichst schnell hinter sich bringen und beim Kraulen möglichst an nichts denken. Je menschen-
leerer die rund 3,5 Millionen Liter Was- ser im 50 Meter-Becken sind, desto lieber ist es ihm. Auf die Idee, das Colum- biabad tagsüber zu besuchen, sagt er, käme er nie: „Schon weil ab mittags im Sportbecken der Bereich vor dem Sprungturm abgesperrt ist und man deshalb keine 50 Meter-Bahn mehr hat.“
Der Sprungturm mit seinen Plateaus in 3, 5 und 10 Metern Höhe ist neben der 83 Me- ter langen Wasserrutsche eine der Attraktionen für viele, denen es weniger ums
Schwimmen geht. „Da steht die Performance im Vordergrund„, sagt Matthias Oloew. Einer der Schwimm- meister bestätigt es: Es seien in der Tat immer die dieselben, die mit Sprüngen ins 5,25 tiefe Wasser vor ihren Kumpels oder Mädchen „einen auf dicke Hose“ machen wollen. Für Imponiergehabe taugt die Rutsche am Nichtschwimmerbereich des
Mehrzweckbeckens eher wenig. Sie bedeutet statt- dessen Spaß für Klein und Groß und ist auch für manchen Frühschwimmer der krönende Schlusspunkt hinter dem morgendlichen Sportprogramm.
Dafür, dass im 1952 eröffneten und in den 1980er-Jahren modernisierten Columbiabad, das an Spitzentagen bis zu 8.000 Besucher hat, so wenig wie möglich passiert, sorgen drei bis acht Schwimmmeister. Weil sie ihre Pappenheimer kennen, laufe vieles über das frühzeitige Erkennen möglicher
Gefahrensituationen und die Präven- tion. „Ins Wasser musste ich jeden- falls noch nie“, bilanziert einer. Wes- penstiche behandeln, aufgeschlage- ne Knie verarzten und Pflaster kleben, würden neben der Wachsamkeit den Berufsalltag eines Fachangestellten für Bäderbetriebe ausmachen. Unter- stützt werden sie von zahlenmäßig flexibel einsetzbaren Mitarbeitern eines Sicherheitsdienstes, die die Aufsicht für den weiträumigen Bereich der Liegewiesen übernehmen. Dass es auf denen nach heißen Tagen laut Oloew „wie auf einem Schlachtfeld“ aussieht, können sie nicht verhindern. Dass Badegäste es nicht für nötig halten, ihren Müll in einen nur wenige Schritte entfernten Mülleimer zu werfen, sei allerdings kein Neuköllner Phänomen. Am Bewusstsein, dass ein solches Fehlverhalten zu Lasten der Betriebskosten gehe, mangele es überall. Und ebenfalls daran, dass jede Eintrittskarte für ein Freibad von den Steuerzahlern mit
9 Euro bezuschusst werden muss, um das Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben herstellen zu können.
Würde das Bad schon ab Anfang Mai und bis Ende September geöffnet sein, was angesichts von Wetter- kapriolen immer wieder gefordert wird, lägen die Betriebskosten noch höher. Allein wegen der Heizung, die das Wasser in den Becken auf angenehme Temperaturen bringt. „Aber nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch wäre es schwachsinnig, früher als Ende Mai zu öffnen“, rechnet Matthias Oloew vor, „denn in der Jahreszeit würde eine einen Monat frühere Öffnung einen um 4 Tonnen erhöhten CO2-Ausstoß bedeuten.“ Die Ambitionen der Berliner Bäderbetriebe (BBB) gehen jedoch eher in die Gegen- richtung: „Unser erklärtes Ziel ist eine klimaneutrale Beheizung.“ Fragen ranken sich allerdings noch um das Wie. So komme beispielsweise Solarenergie ob fehlender Dachflächen nicht infrage. Die Möglichkeit, einfach die Heizung abzuschalten,
scheidet ebenfalls aus. „10 bis 18 Grad“, schätzt der BBB- Pressesprecher, „wärmer würde das Wasser nur durch Sonnen- einstrahlung nicht werden“. Das wäre wohl selbst Hartgesot- tenen zu erfrischend.
Wegen der Wassertemperatur von molligen 26 Grad gehe sie viel lieber morgens zum Schwimmen ins Stadtbad, ge- steht eine Neuköllnerin: „Aber das macht ja jetzt leider Sommerpause, obwohl wir doch bisher gar keinen Sommer hatten.“ Deshalb sei sie auch erst zum zweiten oder dritten Mal in dieser Saison hier. Eine Frau aus Schöneberg, die sich selber als „fanatisch begeisterte Schnellschwimmerin“ bezeichnet, setzt da andere Prioritäten: Sie steuert immer andere Bäder mit 50 Meter-Bahnen an. Natürlich gehe es ihr vor allem ums Schwimmen, aber sie habe auch Spaß daran, die von Bad zu Bad unterschiedliche Badekultur zu erleben. Das Wetter ist ihr dabei ziemlich egal. „In Freibädern schwimme ich auch sehr gerne, wenn es regnet“, sagt sie. „Dann ist das Wasser so wunderbar seidenweich.“
Zum Bedauern der Schwimmmeister des Columbiabads gibt es nur wenige Leute mit dieser Vorliebe – gäbe es mehr davon, hätten sie sich in den letzten Wochen weniger gelangweilt. Und jetzt, wo endlich Sommer herrscht, ist Ramadan. Das werde sich durchaus bei den Besucherzahlen bemerkbar machen, meint auch Matthias Oloew. Wer tagsüber nichts essen und trinken darf, halte sich eben auch mit sportlicher Betätigung zurück.
=ensa=
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