Schnitzeljagd durch den Neuköllner Körnerkiez

owen_körnerschnitzel neuköllnEin bisschen peinlich ist es ihr schon: „Ich weiß zwar, was das ist, aber ich war noch nie da“, sagt die junge Frau, als sie die Fotos von Yigithan entdeckt hat, die für die Ausstellung „Neuköllner Augenblicke“ ent- standen, nun beim Owen e. V. hängen und zu den vergleichsweise leichten Rätseln gehören, die bei der Körnerschnitzel-Jagd zu lösen sind. Seit fast zwei Monaten ist die Studentin Neuköllnerin und stolze Mieterin eines WG-Zimmers, das nur wenige Minuten vom Fotomotiv entfernt liegt. Die beiden alteingesessenen Anwohner, die es sich bei Kaffee und Gebäck am Versammlungstisch in den Vereinsräumen gemütlich gemacht haben, schütteln ungläubig die Köpfe, während die Schnitzeljägerin das Wort Körnerpark in ihr Navigationsbuch schreibt. Wie man seit Wochen in der Gegend leben kann, ohne jemals das Schönste des Kiezes besucht zu haben, ist ihnen ein Rätsel der unlösbaren Art. „Ich mach es gleich morgen“, verspricht die Frau, bevor sie polsterei karsten deutschmann_neuköllnzum nächsten Ziel entlang der Route durch die Westsee aufbricht.

Für das sechste Körnerschnitzel hatten die Veran-stalter den Kiez zwischen Hermann-, Siegfried-, Tho- mas- und Karl-Marx-Straße in vier Meere eingeteilt. In jedem galt es, beim Landgang in Galerien, Läden oder sozialen Einrichtungen Rätsel zu lösen, das Navigationsbuch mit richtigen Antworten zu füllen und so einen der Schätze zu gewinnen, die am Ende des Abends bei einer Party unter den See- reisenden verlost wurden.

Auch die Polsterei Deutschmann Design ist am letz- ten Freitag wieder als Station dabei gewesen. Ortskenntnisse sind hier nicht erfor- 1_polsterei deutschmann_neuköllnderlich, um die Quizfrage zu beantworten. „Im letzten Jahr war’s leichter“, gesteht Kar- sten Deutschmann ein. Damals musste die Epoche erraten werden, für die ein Gründerzeit-Sofa Pate stand. Der Sessel, um den es diesmal geht, verlangt den Kör- nerschnitzel-Jägern mehr ab: „Klare Struk- turen, kurzer Zeitraum, klassische Moder- ne, der Name der Epoche besteht aus zwei 2_polsterei deutschmann_neuköllnWörtern.“ Deutsch- mann, dessen La- bel KarstenmitK traditionelle Stilmöbel mit frischen Impulsen aufpeppt, will ja kein Unmensch sein und hilft mit Fachkenntnissen auf die 3_polsterei deutschmann_neuköllnSprünge. Oder besser gesagt: er versucht es. Erst der Hinweis, dass es auch eine Kosmetikmarke gebe, die wie die gesuchte Epoche heißt, führt zu  Art déco  und damit zur Lösung.

Zu den Neulingen beim alljährlichen Körnerschnitzel gehörte die Thatchers Fashion Manufactory. Erst im Oktober ver- gangenen Jahres hat das seit 1995 bestehende Modelabel produktion_thatchers fashion design_neuköllnseinen Sitz in die Nogatstraße verlegt, um hinter der un- scheinbaren Fassade neue Kollektionen zu entwickeln und erste Serien zu nähen. „Ab Juni werden wir hier auch an jedem ersten Freitagnachmittag im Monat für den Ver- kauf öffnen“, kündigt Labelchef Thomas thatchers-shop_neuköllnMrozek an. Zwei weite- re Shops, wo die schnörkellos-klassischen und zugleich extra-vagant-experimentellen Thatchers-Kreationen aus fei- nen Stoffen zu haben sind, gibt es bereits in Berlin. Mit dem Atelier im Körnerkiez hat sich Thomas Mrozek den Wunsch erfüllt, seinen Arbeitsplatz näher amthatchers_neukölln Wohnort zu haben. Er wohne schon seit Jahren am May- bachufer, erzählt er. Direkt um die Ecke in den hippen Reu- terkiez wollte er jedoch nicht.

Dass hier einer am Werk war, der sich in Neukölln aus- kennt, ist den Fragen, die zur Hebung eines Körnerschnitzel-Schatzes beitragen können, deutlich anzumerken. Der Name eines „Neuköllner Milljöhjetränks“ muss einem u. a. ebenso einfallen wie der Nachname eines „Neuköllner Milljöh-Dich- ters und -Politikers“ und der der in Neukölln geborenen „Mut- ter der Nation“, um zum Lösungswort zu gelangen. Um als siebten Buchstaben ein Z thatchers fashion design_neuköllnzu erhalten, hätte Mrozek auch fragen kön- nen: Was war früher untergebracht, wo jetzt ein Modelabel ist, dessen Name  eine kürzlich verstorbene, britische Premier- ministerin ironisiert? „1919 wurde das Haus erbaut, und dann war hier erstmal lange eine Polizeiwache drin“, erzählt er und führt in die Räume hinter dem Atelier: „Geblieben sind bis heute die Ausnüch- terungszellen.“ Nicht ausgeschlossen, dass Thatchers nach denen beim nächs- ten Körnerschnitzel fragt.

=ensa=

Geschichte(n) im Körnerkiez: Premiere einer neuen Steinle-Tour durch Neukölln

Den Richardkiez kennt er aus dem Effeff, den Reuterkiez ebenfalls, und auch die Quartiere um die Schillerpromenade und die Rollbergsiedlung sind längst keine nogatstraße_steinle-tour körnerkiez_neuköllnunbekannten mehr. Nun hat Reinhold Steinle ein weiteres Viertel beackert, um es in sein Repertoire als Stadtführer aufgzunehmen: den  Körnerkiez.

„Wie groß das Gebiet ist und wie weit die Laufwege dort sind, ist mir auch erst bewusst geworden, seit ich die Tour vorbereite“, gibt er zu. Rund 800 Meter sind es in Ost-West-Richtung zwischen Hermann- und Karl-Marx-Straße, über 400 Meter auf der Nord- Süd-Achse zwischen Thomas- und Siegfriedstraße. Das hat die ursprünglich ins Auge gefasste Route massiv schrumpfen lassen. Schließlich will Reinhold Steinle seine Kiezspaziergänge nicht in stundenlange Wanderungen ausarten lassen. „Am herr steinle_körnerkiez-tour_neuköllnAnfang waren es 16 Punkte, die in die Führung aufgenommen werden sollten“, denkt der gebürtige Schwabe und gefühlte Berliner zurück. Aber was auf dem Stadt- plan machbar erschien, erwies sich schon beim ersten Realitäts-Check als völlig unpraktikabel: „So ist das bisher bei jeder Tour gewesen.“

Im letzten Winter hat Reinhold Steinle be- gonnen, sich in die neue Materie einzu- lesen. Davor hatte die Erkenntnis gestanden, dass es sonst niemanden gibt, der Führungen durch den Körnerkiez anbietet. Unzählige Stunden verbrachte er im Museum Neukölln und mit  der Recherche in anderen stadthistorischen Archiven, um

neuköllner leuchtturm_steinle-tour körnerkiez_neuköllnilsenhof_steinle-tour körnerkiez_neuköllnhinterhof_neukölln

nach Informationen über Gebäude, Menschen und Einrichtungen zu suchen, an de- nen sich die Entwicklung des Kiezes skizzieren ließe. Dem folgte die Kontakt- aufnahme zu Institutionen vor Ort. „Die war zum Beispiel beim Nachbarschaftsheim Neukölln sehr kooperativ und ergiebig, bei anderen dagegen ziemlich mau oder mit schwulen-club trommel_thomasstraße neuköllndem Hinweis erledigt, dass ich doch auf die Homepage gucken soll“, sagt Steinle.

Dass Leute, die an geführten Kiezspazier-gängen teilnehmen, nicht nur an Geschicht- lichem sondern auch an Geschichten und Anekdoten interessiert sind und er diese Mischung in Barkeeper-Manier zusammen- rühren muss, weiß Reinhold Steinle dank langjähriger Stadtführer-Erfahrung nur zu gut. Genauso wichtig sei die Auswahl des richtigen Startpunktes: „Geeignet ist der, wenn man dort  noch etwas essen oder trinken und aufs Klo gehen  kann.“ Wer will schon hungrig, durstig oder mit drückender Blase einen Kiez erkunden?

Durch die Altenbraker Straße geht es zur Emser Straße. Der Wissensdurst ist mit Zahlen zur baulichen Erschließung und Besiedelung des Kiezes, zur Veränderung der Bevölkerungsstruktur und mit Einzelheiten über die Geschichte der abseits der weiteren Route gelegenen Albrecht-Dürer-Oberschule mehr als gestillt. „Etwa 80 Prozent der Zahlen, die ich bei dieser ersten Testtour geliefert hab, sind für künftige walldorf-kindergarten lindenbaum_steinle-tour körnerkiez_neuköllnFührungen gestrichen, ebenso die Details zur ADO“, sagt Reinhold Steinle heute. Der  Grat zwischen Fordern und Überforderung ist schmal und wird oft erst durch ent- sprechende Reaktionen deutlich.

Mit einem Exkurs in das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte gelingt es, die ächzenden grauen Zellen wieder in einen aufnahmebereiten Modus zu bringen: Die Mieter zweier Wohnungen in der Emser Straße 10 und 62, hat Steinle recherchiert, beherbergten in der NS-Zeit verfolgte Juden und verhalfen ihnen so zum Überleben. Um einen, der vom Nazi-Regime peter-petersen-schule_steinle-tour körnerkiez_neuköllnausgelöscht wurde, um Martin Weise, geht es in der Jonasstraße an einer der nächsten Stationen.

Nicht minder spannend, wenn auch ungleich leichter sind die Geschichten, die sich um andere Adressen wie die der ehemaligen Tanzschule im Hof des tanzschule will meisel_steinle-tour körnerkiez_neuköllnHauses mit der Num- mer 22, den Ilsenhof oder die Trommel, Ber- lins älteste Schwulen- Bar, ranken. Kurz vor dem Körnerpark, an der Peter-Petersen-Schule, hat dann auch noch Reinhold Steinle sein persön- liches Aha-Erlebnis. „Klar, das ist ein Wal! Jonas- straße … Jonas … biblische Geschichte. Weshalb bin ich nicht selber darauf gekommen?“, fragt er sich und notiert die neuen Erkenntnisse zum Emblem, das die neuköllner reitergrab_steinle-tour körnerkiez_neuköllnFassade der Schule ziert.

Bei der nächsten, nur einige Schritte entfernten Station gibt es nur wenig zu erzählen und noch weniger zu sehen: Im heute asphaltierten Knick zwischen Jonas- und Selkestraße wurde vor über 100 Jahren das Neuköllner Reitergrab entdeckt. Sehr offensichtlich ist dagegen, was der Unter-körnerpark_steinle-tour körnerkiez_neuköllnnehmer Franz Kör- ner in Neukölln hinterließ: Aus einer seiner Kiesgruben wurde zwischen 1912 und 1916 der mittlerweile denk- malgeschützte Körnerpark. „Den zu zeigen und mehr über den Namensgeber bekannt zu machen, war für mich eigentlich auch ein wesentlicher Anreiz zur Ge- staltung dieser Tour“, erklärt Reinhold Steinle. Welche Bedeutung andere Orte für die Entwicklung des Kiezes hatten, erfuhr auch er erst durch seine Recherchen. „Natürlich“, sagt er, „hätte ich außerdem gern das Albrecht- Dürer-Gymnasium und die  Feuerwache an der Kirchhofstraße  in die Route aufge- franz körner_steinle-tour körnerkiez_neuköllnnommen, aber das hätte den Rahmen deutlich gesprengt.“

Zudem wollte Reinhold Steinle, dass die Tour, in die kurz vor der Premiere mit zahlenden Mitläufern noch der Besuch bei einem Gitarrenbauer aufgenommen wur- de, im Körnerpark endet. Denn wo sonst im Kiez lässt sich adäquater der „Humoris- tischen Kultur-Anweisung für Körners Riesen-Sonnenblumen“ lauschen? Sie ist einer der Schätze, die der Stadtführer im Museum Neukölln fand und nun in einen dicken Aktenordner sortiert wurde. „Einen zweiten Ordner mit Körnerkiez-Material hab ich noch zuhause“, verrät er. Es ist also unwahrscheinlich, dass bei dieser neuen Expedition durch ein Stück Neukölln auch nur eine einzige Frage unbeantwortet bleiben muss.

Die erste „Geschichte(n) im Körnerkiez“-Führung (10 Euro / erm. 7 Euro) mit Reinhold Steinle ist am 18. Mai. Sie startet um 15 Uhr an der Leucht- stoff-Kaffeebar in der Siegfriedstraße 19: Anmeldung unter 030 – 53217401 erwünscht.

=ensa=

Zurück auf Anfang

Das Kapitel Neukölln hört genauso auf, wie es begonnen hat. „Als ich vor 10 Jahren hergezogen bin, hab ich flennend meinen Kram ausgepackt, weil ich kein bisschen Lust  auf Neukölln hatte und niemanden hier  kannte“, sagt sie, den Inhalt des  Trans-

umzug_neukölln

porters taxierend, der vor dem Haus in der Nähe des Körnerparks steht. „Und jetzt heule ich wieder, weil ich viele wunderbare Leute und Neukölln zurücklassen muss.“ Wäre ihr der Traumjob in Berlin angeboten worden, wäre ein Umzug kein Thema gewesen. „Mit dem Gehalt könnte ich mir sogar die Miete locker leisten, die mein Nachmieter zahlen soll“, meint sie. Die sei doppelt so hoch wie das, was sie mit Werkverträgen und Minijobs für die knapp 60 Quadratmeter aufbringen musste.

„Ich glaub, dass sich der Bezirk Neukölln nie wieder mit jemandem namens Kolland belasten wird“

Es fällt schwer, sich den Zustand der imposanten Galerie im Körnerpark anno 1982 vorzustellen. „Rohbau, kein Fußboden, unverputzt, kein Licht, kein gar nichts. Der ganze Raum wurde vom Neuköllner Garten- bauamt als Abstellfläche für Gerätschaften und Pflanzen genutzt“, beschreibt Dorothea Kolland, die junge, unverbrauchte Verrückte von damals. Nein, ein Dienstvergehen von ihr sei es nicht gewesen, die Orangerie zum prächtigen Rahmen für kulturelles Leben zu machen, nur eine Guerilla-Aktion – gemein- sam mit dem damaligen Leiter des Hoch- bauamts. Dass der gesamte Park seinerzeit zum Gartendenkmal umgestaltet und „ordentlich Geld für die Renovierung des Gebäudes“ in die Hand genommen wurde, kam der zugute. „Aber das Entscheidende war“, so Kollands Einschätzung, „dass ich einfach voller Überzeugung mein Ding durchgezogen hab und auch andere Leute damit überzeugen konnte.“ Daraus, dass das leichter war als es heute wäre, macht sie keinen Hehl: „So  massive Neins wie jetzt von Buschkowsky, hab ich früher nie erfahren.“ Obwohl es auch mit den vier anderen Bezirksbürgermeistern oft nicht leicht gewesen sei. Zwischenmenschlich habe es mit Frank Bielka am besten geklappt, der den Bezirk von 1989 bis 1991 lenkte und heute Vorstandsmitglied der Wohnungsbaugesellschaft degewo ist: „Aber das war finanziell durch die Wende und den Wegfall der Berlin-Förderung eine schwierige Zeit.“

Schwierigkeiten anderer Art hatte Dorothea Kolland dagegen in den Anfangsjahren zu bewältigen: Sie musste die Rollen als junge Mutter sowie als Chefin des Kulturamts und Leiterin der neuen Galerie im Körnerpark, die furios mit einer Ausstellung von Markus Lüpertz eröffnet hatte, unter einen Hut bringen. „Weil ich oft bis Mitternacht in der Galerie war, war meine Tochter meistens auch mit dabei. Anders ging es nicht.“ Sehr prägend sei diese Zeit gewesen, sagt sie rückblickend. Natürlich habe es zu ihren Hauptaufgaben gehört, Kunst zu managen und Rahmenbedingungen zu schaffen, dass sich das Publikum Kunst einverleibt und ins Theater, zu Ausstel- lungen oder in Konzerte geht. „Aber wenn ich mich nur mit Administration aufge- halten hätte, wäre ich verrückt geworden. Deshalb wollte ich bis zuletzt auch oft da sein, wo Kunst gemacht wird.“

Doch Dorothea Kolland hat sich in Neu- kölln nicht nur als Entwicklungshelferin in Sachen Kunst und als Kulturmanagerin verdient gemacht. Auch manche ge- schichtsträchtige Immobilie, wie zum Beispiel das so genannte Büdner-Dreieck zwischen Saalbau und Passage, konnte durch ihren Einsatz vor dem Abriss gerettet werden. „Da, wo die ältesten Häuser der Karl-Marx-Straße stehen, sollte Mitte der 1980er-Jahre auf die Schnelle ein Kaufhaus hochgezogen werden“, erzählt sie. „Als ich das erfuhr, haben wir in Windeseile eine Ausstellung fürs Heimatmuseum gemacht, die die Historie des Büdner-Dreiecks dokumentierte und den Landeskon- servator eingeschaltet.“ Das sei auch wieder so eine Guerilla-Aktion gewesen: „Innerhalb von 14 Tagen haben wir jeden- falls so etwas wie Denkmalschutz auf den Häusern gehabt, und der geplante Abriss musste zum Ärger der Grundstückeigen- tümerin abgeblasen werden.“

Wie es nun mit der Karl-Marx-Straße wei- tergeht, das hält die scheidende Kultur-amtsleiterin neben der noch wichtigeren Frage der Mietenentwicklung für einen der entscheidenden Schlüssel für die Zukunft des Bezirks. „Um die festen Kultureinrichtungen mache ich mir keine Sorgen, die sind in gutem Zustand und gut akzeptiert.“ Sie hält kurz inne. „Eigentlich bin ich optimistisch, dass es bei einigen gentrifizierungsgefährdeten Kiezen bleibt und der Norden des Bezirks an sich auch künftig international gemischt sein wird.“ Aber das werde nicht von alleine passieren. Da hätten der Staat, der Senat und natürlich auch der Bezirk durchaus Aufgaben: „Sie müssen Rahmenbedingungen schaffen und das Bleiben attraktiv machen. Aber die Erkenntnis, ist zumindest mein Eindruck, ist noch nicht genügend an den entsprechenden Stellen angekommen. Dazu, dass eine Horde von Künstlern oder Studenten kurz einfällt und dann wieder weg ist, darf es nicht kommen. Und außerdem muss verhindert werden, dass Familien mit Kindern wegziehen, wenn die eingeschult werden.“ Darum müssten sich Senat und Bezirk kümmern, weil in erster Linie davon die Zukunft Neuköllns abhänge.

Für ihre eigene Zukunft hat Dorothea Kolland profanere Wünsche, die jedoch auch nicht ohne Tücken sind: „Viel lesen will ich, alles. Und reisen, viel reisen, was allerdings etwas schwierig ist, weil ich sehr gerne zusammen mit meinem Mann reise, der aber blöderweise als Präsident der Landesmusikrats dauernd ehrenamtliche Termine hat. Und außerdem möchte ich natürlich Zeit für mein Enkelkind haben, das in wenigen Monaten zur Welt kommen wird.“

Es ist zweifellos die 31-jährige Er- folgsgeschichte einer so engagierten wie nonkonformistischen und unbe- quemen Frau, die am letzten Tag die- ses Monats zu Ende geht. Das meiste von dem, was Dorothea Kolland an- packte, hat sie auch geschafft. „Aber leider nicht alles“, gibt sie zu. „Ich hätte zum Beispiel unheimlich gerne ein Ausstellungsprojekt mit Kindern, Medizinern, Pfarrern und Psychologen zum Thema „Kinder und Tod“ gemacht, weil das Thema so wichtig ist, aber nie richtig behandelt wird.“ Und außerdem sei es ihr nicht gelungen, die Politik davon zu überzeugen, dass man die Künstlerförderung finanziell stärker ausgestattet werden muss. „Neukölln“, erklärt sie, „hat in diesem Topf für dezentrale Kulturarbeit genauso viel Geld wie vor fünf Jahren. Bloß war eben damals höchstens die Hälfte der Künstler in Neukölln.“ Darauf müsse man doch reagieren und könne das nicht einfach so treiben lassen. „Und was mir wirklich sehr leid tut, ist, dass dieses Jahr zum ersten Mal kein Kiez International stattgefunden hat, weil es mir nicht gelungen ist, in den letzten 12 Monaten eine neue Konzeption zu entwickeln.“ Das sei letztlich an der mangelnden politischen Unterstützung und den nur sehr beschränkten personellen Möglichkeiten des Kulturamts gescheitert. „Ich hatte oft in der Kulturszene und auch im Kollegenkreis die Rolle ‚Die Kolland wird’s schon richten‘, aber es gibt eben auch Situationen, wo das nicht funktioniert, vor allem nicht alleine.“ Für solche konzeptionellen Arbeiten habe sie lediglich eine Mitarbeiterin gehabt.

Eben die, die derzeit – nach einem Intermezzo von Museumsleiter Udo Gößwald – kommissarisch den Chefinnensessel im Neuköllner Kulturamt übernommen hat: Bettina Busse. „Ich werde die Letzte sein, die erfährt, wer meine Nachfolge antritt“, glaubt Dorothea Kolland. Ebenso, dass sich der Bezirk Neukölln nie wieder mit jemandem namens Kolland belasten wird.  „Was klar ist, ist, dass ich den Posten schon gerne in guten Händen wüss- te. Egal ist es mir also absolut nicht“, versichert sie.

Die FACETTEN-Magazin-Redaktion und die Brennans danken für die spannende Zeitreise durch die Neu- köllner Kulturgeschichte, wünschen Dorothea Kolland einen wunderbaren Ruhestand und ihrem/r Nachfolger/in viel Erfolg.

Sehen statt hören: lautlose Sinfonie im Körnerpark

Vom Beginn der Dämmerung bis zum Morgengrauen ist der Neuköllner Körnerpark immer noch eine düstere Ecke. Aber bunter als sonst ist er derzeit: Letzten Samstag wurde in  der  ehemaligen Kiesgrube, die  zu  den schönsten  Gartenanlagen Berlins

lichtinstallation "farb-sinfonie" von günter ries, körnerpark neukölln

zählt, die Installation „Farb-Sinfonie“ des Lichtkünstlers Günter Ries eröffnet. 100 Tage lang sollen nun 30 farblich aufeinander abgestimmte Leuchtstäbe, die in zehn Bäumen hängen, malerische Farbklänge erlebbar machen.

Schön für die Neuköllner, teuer für den Bezirk

Sechs Monate lang lag der Körnerpark im Winterschlaf. Damit ist es nun vorbei. Die Beete der denkmalgeschützten Neuköllner Gartenanlage sind neu bepflanzt, die brunnenanlage körnerpark neuköllnBäume und Sträucher gestutzt, die Grünflächen ohne Herbstlaub und kleine Schönheitsreparaturen erle- digt. Seit gestern Mittag ist auch erneut in Betrieb, was als ultimatives Indiz für den Beginn der Sommer- saison gesehen werden darf: der Brunnen vis-à-vis der Orangerie.

Bis Oktober können sich die Besu- cher des Körnerparks wieder an den Wasserspielen erfreuen, die täglich von 12 bis 20 Uhr geschaltet sind. Im alternierenden Dreier-Rhythmus, wie Stadtrat Thomas Blesing nach seinem „Wasser marsch!“-Kommando erklärte. Eine Stunde wasser marsch, auftakt brunnensaison 2012, stadtrat thomas blesing, körnerpark neuköllnlang seien die Wassersäulen der Hauptfontäne zu sehen, danach sprudeln für jeweils eine Dreiviertelstunde die Kas- kaden in den terrassenartig an- gelegten Becken und die Quelle.

Rund 20.000 Euro investiert der Bezirk Neukölln in das nasse Vergnügen – pro Saison und Brunnen. „Und das sind nur die normalen Betriebskosten“, sagt der Stadtrat für Bauen, Natur und Bürgerdienste. „Bei Reparaturen“, ergänzt Bernd Kanert, Leiter des Neuköllner Natur- und Grünflä- chenamts, „kommt leicht noch mal der gleiche Betrag dazu.“ Die mit normalem Stadtwasser gespeisten Wasserspiele im Körnerpark führen ob ihrer Übernutzung und Zweckentfremdung die Hitliste der unkalkulierbaren Zusatzkosten der bezirks- finanzierten Brunnen konkurrenzlos an. Die filigrane Technik mit Düsen und Pumpen sei vor allem im Hochsommer, wenn der Park von vielen als Freibadersatz genutzt wird, förmlich einem Dauerbelastungstest ausgesetzt, sagt Kanert: „Was meine hauptfontäne körnerpark neuköllnMitarbeiter dann alles aus dem Wasser holen müssen, ist unglaublich.“ Spielzeug, Zeitun- gen, Flaschen, Socken. Es gäbe kaum etwas, was noch nicht die Siebe verstopfte. Verhin- dern ließe sich das nur, indem man die Ordnungsamt-Patrouillen verstärke, meint Tho- mas Blesing, aber „die haben Wichtigeres zu tun als erholungsbedürftige Neuköllner aus Grünanlagen zu verscheuchen.“ Und die rund 60 Mitarbeiter im operativen Bereich des Natur- und Grünflächenamts könnten auch nicht überall sein, da sie bezirksweit für die Pflege der Straßenbäume, Spielplätze und anderer Gartendenkmäler zuständig seien.

Selbstverständlich, sagt Blesing, hätte es auch für Neukölln die Option gegeben, wie andere Bezirke die Betriebskosten für die Wasser- anlagen durch ein Brunnensponsoring der Wall AG einzusparen: „Der Preis dafür wäre aber ein Mehr an Wall-Straßenwerbung gewesen und dagegen gab es einen parteiübergreifenden Konsens.“ In monetärer Hinsicht sei es also durchaus von Vorteil, dass nur noch sechs der ursprünglich neun Brunnen im Bezirk in Betrieb sind: Die im Körnerpark, vor dem Neuköllner Rathaus und im Von-der-Schulen- burg-Park sprudeln zulasten der Bezirkskasse, die im Britzer Garten, vor dem Schloss Britz und auf dem Parkfriedhof auf Kosten anderer.

=ensa=

Der Wassergeist vom Körnerpark

Er macht sich ausge- sprochen rar und ist insofern dem diesjäh- rigen Berliner Sommer verblüffend ähnlich. Nass ist er außerdem – noch eine Gemein- samkeit also.

Doch sonderlich sym- pathisch dürfte die aktuelle Ausgabe der Jahreszeit zwischen Frühling und Herbst dem Wassergeist vom Körnerpark trotzdem nicht sein. Denn um sich überhaupt zeigen zu können, braucht er Sonne, weil der Bezirk Neukölln natürlich kein Geld für Kunstlicht hat. Würde der Wasser- geist samt seines Brunnens nach Britz umziehen, wo in genau sechs Wochen neben dem Museum Neukölln das Kulturzentrum Gutshof Britz eröffnet werden soll, sähe die Sache höchst- wahrscheinlich ganz anders aus.

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Besetzt statt betreten

Da leicht der Eindruck entstehen könnte, der alle überragende Junge würde die Rasenfläche betreten: Er stand auf einer Wolldecke.


Spritzig

Montag ist sie vorbei – die entspannte Zeit für Aquaphobiker und Menschen mit schwacher Blase, die gerne im Kör- nerpark die Seele baumeln lassen.

Pünktlich um 11 Uhr will Neuköllns Bau- stadtrat Thomas Blesing zur Tat schrei- ten: Mit dem obligatorischen „Wasser marsch!“-Ruf nebst technischer Un- terstützung sollen die Brunnenanlage auf der östlichen Seite des lauschigen Gartendenkmals aus dem Winterschlaf geweckt und die Fontänen zum Sprudeln gebracht werden.

Den Wasserstellen am Neuköllner Rat- haus, am Schloss Britz und im Von-der- Schulenburg-Park steht das noch bevor. Rechtzeitig vor Ostern sollen aber auch die wieder zu nasser Hochform auflaufen.

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Das ist doch …

Ja, es ist der Körnerpark, mitten in Neukölln, der im September letzten Jahres zur Kulisse des neuesten Til Schweiger-Machwerks  „Kokowääh“ wurde und nun im derzeit hierzulande erfolgreichsten Kinofilm mitspielt.

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Weiße Schatten

Als Künstler ist Ercan Arslan eigentlich vorrangig daran interessiert, Bleibendes zu schaffen. Gestern machte er an der Westseite des Körnerparks eine Ausnahme: „Poesie der Vergänglichkeit“ hieß  die  Performance, für die Arslan  Passanten  und

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die Sonne als Assistenten einspannte und Sturmböen oder Regen so gar nicht hätte ercan arslan,poesie der vergänglichkeit,neukölln,körnerparkercan arslan,poesie der vergänglichkeit,neukölln,körnerparkgebrauchen kön- nen. Da sich letz- tere in Neukölln nicht blicken lie- ßen, erstere aber umso geduldiger verweilten, entstan- den unter Mitwir- kung imposanter Mehlvorräte anfäl- lige Momentauf- nahmen.

Schon jetzt dürfte der Wind den wei- ßen Schatten, die Ercan Arslan über dunkle streute, erheblich zugesetzt haben. Nach dem nächsten kräftigen Regenschauer wird dann nichts mehr von ihnen übrig sein.

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Vorsorge statt Nachsorge

körnerpark neuköllnWer vier Regenschirme und ein paar warme Klamotten übrig hat, würde sich bei diesem Nackten-Quartett im Körnerpark, das vor ein paar Tagen noch im gleißenden Sonnenlicht stand, bestimmt sehr beliebt machen, wenn er alles dort abliefern würde.

Wäre doch schade, wenn sich die „Vier Jahreszeiten“ verkühlen und von Nies- anfällen dermaßen geschüt- telt würden, dass die Brocken nur so fliegen. Das Geld, das dann für Reha-Maßnahmen fällig wäre, könnte man doch wirklich sinnvoller anlegen.

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Haufenweise

Es ist schon eine extreme Vorliebe zur Haufenbildung, die derzeit den Körnerkiez prägt. Und daran beteiligen sich ganz offensichtlich nicht nur die Hunde des Viertels.

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fontäne, körnerpark, neuköllnSogar das Wasser im idyllischen Körnerpark macht, wie man sieht, diesen Trend mit. Vor allem zur Freude derer, die die Spätsommersonnenstrahlen auf einer der Bänke entlang der sprudelnden Wasserhaufen genießen können.

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