Normalerweise ist eine Vernissage ein Grund zum Feiern: Die Einladungen sind verschickt. Was ge- zeigt werden soll, hat seinen Platz gefunden. Ge-
tränke und Snacks stehen bereit. Die Gäste strömen zum Ort des Geschehens, erwartungsvoll von den Künstlern begrüßt. Das war vorgestern Abend bei der Eröffnung der „Wald – Holz – Märchen“-Aus-stellung im Neuköllner Leuchtturm nicht anders, und doch unterschied sich diese von allen, zu denen Karen-Kristina Bloch-Thieß und Bernhard Thieß bisher eingeladen hatten. Denn für sie läutet diese Vernissage nach fast sieben Jahren das Ende ihrer Zeit
als Leuchtturmwärter ein.
Begonnen hatte alles im Jahr 2006, als Neukölln und der Körnerkiez noch eher verrufen und abgerockt als angesagt wa- ren. Im Haus in der Emser Straße, das dem Ehepaar gehört, war neben der Geschäftsstelle der Bürgerstiftung Neu- kölln eine große Ladenwohnung frei ge- worden, für die heute die Interessenten Schlange stehen würden. „Natürlich“, sagt Karen-Kristina Bloch-Thieß, „hätten wir einfach die Jalousien runter lassen und auf bessere Zeiten hoffen können. Aber geschlossene Rollläden sind wie ein Krebs- geschwür.“ Stattdessen beschlossen die kreativen Neuköllner, den Laden selber zu nutzen, um aus ihm ein Creativ-Centrum zu machen: „Wie man
so etwas organisiert und führt, davon hatten wir keine Ahnung, doch wir entschieden, dass wir es mal drei Jahre lang ver- suchen wollen.“
Im Oktober 2006 luden sie in den frisch renovierten Räumen hinter der neuen maritimen Fassade zur ers- ten Vernissage ein: „Seestücke“ hieß die Ausstellung, die Aufnahmen zeigte, die der begeisterte Segler und Fotograf Bernhard Thieß während der Törns mit ihrem Katamaran gemacht hatte. Bereits im Vorjahr, beim NachtundNebel-Festival, hatte seine Frau begonnen,
öffentlich Ergebnisse ihres kreativen Schaf-
fens zu präsentieren: phantasievolle Colla- gen, Öl-auf-Leinwand-Impressionen und Por- traits sowie handge-
nähte Puppen.
Es hätte also eine Weile gedauert, bis dem Paar das Material für eigene Ausstellungen ausgegangen wäre. Doch es ging ihm um mehr als das Zeigen der eigenen Produktivität: um das Nebeneinander von Amateur-Künstlern und renommierten Protagonisten der Kunst- und Kulturszene, um die Etablierung eines Ortes für die ganze Bandbreite des Kreativen. „Das Interesse von Künstlern, die bei uns ausstellen wollten, war von Anfang an ein Selbstläufer“, blickt Bernhard Thieß zurück. Malerei unterschiedlichster Stilrichtungen
und Techniken, Skulpturen aus ver- schiedensten Werkstoffen, Fotogra- fien, dazu eine regelmäßig stattfin- dende Kreativwerkstatt für Erwachse- ne, Ikebana-Kurse, philosophische Zirkel, Lesungen, Konzerte, und Lite- ratur-Gesprächskreise: Ohne jegliche öffentliche Förderung aber mit umso mehr Engagement verwirklichten sie ihre Idee in einem Kiez, der anfangs nur langsam aus dem künstlerisch- kulturellen Dornröschen-Schlaf erwachte, dann aber immer mehr an Fahrt aufnahm. „Und ein kleenet Körnchen haben wir zu dieser Veränderung beigetragen“, sagt Karen-Kristina Bloch-Thieß, woraufhin ihr Mann zustimmend nickt.
Bertil Wewer (l.) tat das bei der Vernissage nicht. Von einem kleinen Körnchen könne kaum die Rede sein, widersprach das Vorstandsmitglied der Bürgerstiftung Neukölln: „Es war ein riesengroßer Fels, den ihr ins
Rollen gebracht habt.“ Dem schloss sich auch Ulli Lautenschläger (r.) vom QM Körnerpark an. „Mit dem Leuchtturm, den Sie zu einer echten Institution entwickelt haben“, bescheinigte der Quartiersmanager, „haben Sie ein großes Zeichen für den Kiez gesetzt. Die Entwicklung des Kiezes ist damit auch Ihnen zu verdanken.“ Im
September wird die Bürgerstiftung den Leuchtturm als Hausherrin übernehmen – zu „sehr günstigen Konditionen“, wie Wewer betonte, und mit der Vision, ihn weiter zu einem Begegnungszentrum auszu- bauen. Der künstlerisch-kreative Schwerpunkt, kün- digte er an, werde auf Foto-Ausstellungen liegen, die offizielle Eröffnungsfeier sei für den 9. November geplant.
Dann werden auch Karen-Kristina Bloch-Thieß und Bernhard Thieß wieder dabei sein – als Gründungs-
stifter, Vermieter und Gäste. Bevor es soweit ist und sie viel Zeit haben, sich ganz ihren Hobbys, der Familie und der Pflege von Freundschaften hingeben zu können, erfüllen sie sich aber noch einen Wunsch: Den, sich mit der gemeinsamen „Holz – Wald – Märchen“-Ausstellung als Leuchtturmwärter zu verabschieden. Der ehemals selbstständige Tischlermeister Bernhard Thieß hatte „schon seit Jahren Holz, Holz und immer wieder Holz fotografiert“, erzählt seine
Frau. Die wiederum hatte durch die vier Enkelkinder begonnen, sich mit den Märchen der Gebrüder Grimm zu beschäftigen. Zunächst als Vorleserin, dann auch als Malerin. Als einen mit einer ebenfalls stark ausgeprägten Affinität zum Werkstoff, den Bäume liefern, wollten sie den Holzbildhauer Klaus Freudenberg dazugewinnen – und auch das gelang.
Sieben märchenhafte Ölbilder von Karen-Kristina Bloch- Thieß zum Ansehen, dazu von der Malerin gelesene Grimm’sche Geschichten zum Anhören. Fünf Skulpturen von Klaus Freudenberg zum Bestaunen oder Berühren. Und ungezählte Aufnahmen von Bernhard Thieß, die Holz in allen Variationen, Formaten, fotokünstlerischen Perspektiven und Spielarten zeigen. Dazu im vorderen Galerieraum statt konventioneller Bilderrahmen die ausgemusterten Fenster einer ehemaligen Neuköllner Tischlerei. All das lädt zu einer multiperspektivischen Spu-

rensuche auf dem Holzweg ein, und auf die begaben sich bei der Vernissage nicht nur reichlich Gäste, sondern auch das Mirkaledo-Quartett und die Märchenerzählerin Cornelia Kurth.
Es fällt schwer, sich den Neuköllner Leuchtturm ohne die Thießens vorzustellen. „Wir bleiben ihm ja auch in gewisser Weise erhalten“, sagen die. Der Unterschied sei eben der, dass sie künftig dort sein können, aber nicht mehr regelmäßig – wie in den letzten Jahren – vor Ort sein müssen. „Jetzt soll das Kind alleine laufen“, finden sie.
Die Ausstellung „Holz – Wald – Märchen“ ist noch bis zum 28. Juni im Neuköllner Leuchtturm zu sehen; Öffnungszeiten: mittwochs bis freitags zwischen 14 und 19 Uhr sowie heute von 14 bis 17 Uhr.
=ensa=
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