„Ich glaub, dass sich der Bezirk Neukölln nie wieder mit jemandem namens Kolland belasten wird“

Es fällt schwer, sich den Zustand der imposanten Galerie im Körnerpark anno 1982 vorzustellen. „Rohbau, kein Fußboden, unverputzt, kein Licht, kein gar nichts. Der ganze Raum wurde vom Neuköllner Garten- bauamt als Abstellfläche für Gerätschaften und Pflanzen genutzt“, beschreibt Dorothea Kolland, die junge, unverbrauchte Verrückte von damals. Nein, ein Dienstvergehen von ihr sei es nicht gewesen, die Orangerie zum prächtigen Rahmen für kulturelles Leben zu machen, nur eine Guerilla-Aktion – gemein- sam mit dem damaligen Leiter des Hoch- bauamts. Dass der gesamte Park seinerzeit zum Gartendenkmal umgestaltet und „ordentlich Geld für die Renovierung des Gebäudes“ in die Hand genommen wurde, kam der zugute. „Aber das Entscheidende war“, so Kollands Einschätzung, „dass ich einfach voller Überzeugung mein Ding durchgezogen hab und auch andere Leute damit überzeugen konnte.“ Daraus, dass das leichter war als es heute wäre, macht sie keinen Hehl: „So  massive Neins wie jetzt von Buschkowsky, hab ich früher nie erfahren.“ Obwohl es auch mit den vier anderen Bezirksbürgermeistern oft nicht leicht gewesen sei. Zwischenmenschlich habe es mit Frank Bielka am besten geklappt, der den Bezirk von 1989 bis 1991 lenkte und heute Vorstandsmitglied der Wohnungsbaugesellschaft degewo ist: „Aber das war finanziell durch die Wende und den Wegfall der Berlin-Förderung eine schwierige Zeit.“

Schwierigkeiten anderer Art hatte Dorothea Kolland dagegen in den Anfangsjahren zu bewältigen: Sie musste die Rollen als junge Mutter sowie als Chefin des Kulturamts und Leiterin der neuen Galerie im Körnerpark, die furios mit einer Ausstellung von Markus Lüpertz eröffnet hatte, unter einen Hut bringen. „Weil ich oft bis Mitternacht in der Galerie war, war meine Tochter meistens auch mit dabei. Anders ging es nicht.“ Sehr prägend sei diese Zeit gewesen, sagt sie rückblickend. Natürlich habe es zu ihren Hauptaufgaben gehört, Kunst zu managen und Rahmenbedingungen zu schaffen, dass sich das Publikum Kunst einverleibt und ins Theater, zu Ausstel- lungen oder in Konzerte geht. „Aber wenn ich mich nur mit Administration aufge- halten hätte, wäre ich verrückt geworden. Deshalb wollte ich bis zuletzt auch oft da sein, wo Kunst gemacht wird.“

Doch Dorothea Kolland hat sich in Neu- kölln nicht nur als Entwicklungshelferin in Sachen Kunst und als Kulturmanagerin verdient gemacht. Auch manche ge- schichtsträchtige Immobilie, wie zum Beispiel das so genannte Büdner-Dreieck zwischen Saalbau und Passage, konnte durch ihren Einsatz vor dem Abriss gerettet werden. „Da, wo die ältesten Häuser der Karl-Marx-Straße stehen, sollte Mitte der 1980er-Jahre auf die Schnelle ein Kaufhaus hochgezogen werden“, erzählt sie. „Als ich das erfuhr, haben wir in Windeseile eine Ausstellung fürs Heimatmuseum gemacht, die die Historie des Büdner-Dreiecks dokumentierte und den Landeskon- servator eingeschaltet.“ Das sei auch wieder so eine Guerilla-Aktion gewesen: „Innerhalb von 14 Tagen haben wir jeden- falls so etwas wie Denkmalschutz auf den Häusern gehabt, und der geplante Abriss musste zum Ärger der Grundstückeigen- tümerin abgeblasen werden.“

Wie es nun mit der Karl-Marx-Straße wei- tergeht, das hält die scheidende Kultur-amtsleiterin neben der noch wichtigeren Frage der Mietenentwicklung für einen der entscheidenden Schlüssel für die Zukunft des Bezirks. „Um die festen Kultureinrichtungen mache ich mir keine Sorgen, die sind in gutem Zustand und gut akzeptiert.“ Sie hält kurz inne. „Eigentlich bin ich optimistisch, dass es bei einigen gentrifizierungsgefährdeten Kiezen bleibt und der Norden des Bezirks an sich auch künftig international gemischt sein wird.“ Aber das werde nicht von alleine passieren. Da hätten der Staat, der Senat und natürlich auch der Bezirk durchaus Aufgaben: „Sie müssen Rahmenbedingungen schaffen und das Bleiben attraktiv machen. Aber die Erkenntnis, ist zumindest mein Eindruck, ist noch nicht genügend an den entsprechenden Stellen angekommen. Dazu, dass eine Horde von Künstlern oder Studenten kurz einfällt und dann wieder weg ist, darf es nicht kommen. Und außerdem muss verhindert werden, dass Familien mit Kindern wegziehen, wenn die eingeschult werden.“ Darum müssten sich Senat und Bezirk kümmern, weil in erster Linie davon die Zukunft Neuköllns abhänge.

Für ihre eigene Zukunft hat Dorothea Kolland profanere Wünsche, die jedoch auch nicht ohne Tücken sind: „Viel lesen will ich, alles. Und reisen, viel reisen, was allerdings etwas schwierig ist, weil ich sehr gerne zusammen mit meinem Mann reise, der aber blöderweise als Präsident der Landesmusikrats dauernd ehrenamtliche Termine hat. Und außerdem möchte ich natürlich Zeit für mein Enkelkind haben, das in wenigen Monaten zur Welt kommen wird.“

Es ist zweifellos die 31-jährige Er- folgsgeschichte einer so engagierten wie nonkonformistischen und unbe- quemen Frau, die am letzten Tag die- ses Monats zu Ende geht. Das meiste von dem, was Dorothea Kolland an- packte, hat sie auch geschafft. „Aber leider nicht alles“, gibt sie zu. „Ich hätte zum Beispiel unheimlich gerne ein Ausstellungsprojekt mit Kindern, Medizinern, Pfarrern und Psychologen zum Thema „Kinder und Tod“ gemacht, weil das Thema so wichtig ist, aber nie richtig behandelt wird.“ Und außerdem sei es ihr nicht gelungen, die Politik davon zu überzeugen, dass man die Künstlerförderung finanziell stärker ausgestattet werden muss. „Neukölln“, erklärt sie, „hat in diesem Topf für dezentrale Kulturarbeit genauso viel Geld wie vor fünf Jahren. Bloß war eben damals höchstens die Hälfte der Künstler in Neukölln.“ Darauf müsse man doch reagieren und könne das nicht einfach so treiben lassen. „Und was mir wirklich sehr leid tut, ist, dass dieses Jahr zum ersten Mal kein Kiez International stattgefunden hat, weil es mir nicht gelungen ist, in den letzten 12 Monaten eine neue Konzeption zu entwickeln.“ Das sei letztlich an der mangelnden politischen Unterstützung und den nur sehr beschränkten personellen Möglichkeiten des Kulturamts gescheitert. „Ich hatte oft in der Kulturszene und auch im Kollegenkreis die Rolle ‚Die Kolland wird’s schon richten‘, aber es gibt eben auch Situationen, wo das nicht funktioniert, vor allem nicht alleine.“ Für solche konzeptionellen Arbeiten habe sie lediglich eine Mitarbeiterin gehabt.

Eben die, die derzeit – nach einem Intermezzo von Museumsleiter Udo Gößwald – kommissarisch den Chefinnensessel im Neuköllner Kulturamt übernommen hat: Bettina Busse. „Ich werde die Letzte sein, die erfährt, wer meine Nachfolge antritt“, glaubt Dorothea Kolland. Ebenso, dass sich der Bezirk Neukölln nie wieder mit jemandem namens Kolland belasten wird.  „Was klar ist, ist, dass ich den Posten schon gerne in guten Händen wüss- te. Egal ist es mir also absolut nicht“, versichert sie.

Die FACETTEN-Magazin-Redaktion und die Brennans danken für die spannende Zeitreise durch die Neu- köllner Kulturgeschichte, wünschen Dorothea Kolland einen wunderbaren Ruhestand und ihrem/r Nachfolger/in viel Erfolg.

Erstes Leben in der Kulturwüste Neukölln

Die Nachmittagssonne zeichnet scharfe Schattenrisse auf den Dielenboden des LadenAteliers von William Francis Brennan. Dorothea Kolland rührt in ihrem Kaffeebecher. „Ach, ich hätte jetzt doch gerne ein Stück Kuchen“, be- schließt sie und kommt damit auf das Angebot zurück, das sie kurz vorher abgelehnt hatte. Etwas Süßes als Proviant für die Reise in die Vergan- genheit des Neuköllner Kul- turlebens, für die es keine bessere Begleitung als Do- rothea Kolland geben kann.

1981. Der Christdemokrat Arnulf Kriedner hatte gerade den SPD-Mann Heinz Stücklen als Bezirksbürgermeister von Neukölln abgelöst. „Kulturell war der Bezirk wirklich eine einzige Wüste“, erinnert sich Kolland. Am Stadtbad habe es das nicht eben fachkundig geführte Emil-Fischer-Heimatmuseum gegeben: „Da wurden ein paar Knochen, eine aus- gestopfte Trappe, Tonscherben-Funde aus Buckow-Rudow und der Rixdorfer Galgen ausgestellt.“ Außerdem habe der Vorgänger auf dem Posten der Kulturamtsleitung, der Operettenregisseur gewesen war, einmal im Jahr eine Operettenvorführung im Naturtheater in der Hasenheide veranstaltet. Das sei es dann aber auch schon gewesen – fast. Denn da war ja noch die Keimzelle der Institution, die heute als Neuköllner Oper bekannt ist. „Winfried Radeke, damals Kirchenmusiker der Martin-Luther-Gemeinde, hatte mit seinen Konfirmanden schon Mitte der 1970er-Jahre angefangen, Stücke von Brecht, Weill und Hindemith aufzu- führen. Das hat mich interessiert und hab ich mir dann auch mal angeguckt. Ich glaub, das war einer meiner ersten Ausflüge nach Neukölln“, erzählt die Charlottenburgerin. „Die Neu- köllner Oper gab’s also gewissermaßen be- reits, aber das war nur ein winziger Haufen von Amateuren. Mit dem, was da heute ist, lässt sich das überhaupt nicht vergleichen.“

Der neuen Kulturamtsleiterin bot sich folglich ein breites Betätigungsfeld. „Das Problem war nur: Kultur braucht Räume. Man kann noch so viel über Kultur reden, wenn man keinen Raum hat, in dem man etwas machen kann, dann findet sie nicht statt.“ Im Saalbau, der heute vom Heimathafen Neukölln bespielt wird, erkannte Dorothea Kolland sofort Potenzial für die Lösung der Raummisere. „Ich zeig Ihnen jetzt mal was!“, hatte ihr Hausmeister und Verbündeter Dieter Schulz angekündigt und sie in das Gebäude geführt, das seinerzeit zum Vermögen des Kulturamts gehörte: „Alles war baupolizeilich ge- sperrt, nachdem es jahrelang ein bisschen durchs Dach geregnet und sich im beeindruckend konstruierten Dachstuhl ein riesiger Schwamm gebildet hatte, der fast zum Abbruch hätte führen müssen. Weil es keinen Strom gab, hatte Dieter eine Stablaterne dabei, damit wir überhaupt etwas sehen können. Ihm und auch mir war klar: Da ist ein absoluter Schatz, aber der ist unbenutzbar.“ Gleich am nächsten Tag sei sie zum zuständigen Stadtrat gegangen, um ihrem Unmut darüber, dass einerseits Platz benötigt werde und andererseits ein Prunkstück verfalle, Luft zu machen. „Der hörte sich das an – und einen Tag später erhielt ich das Ver- bot, über den Saalbau zu reden“, verrät Dorothea Kolland. Der Bezirk wollte nämlich das Gebäude, das damals noch nicht unter Denkmal- schutz stand, verkaufen und das Geld zur Teilfinanzierung eines Mehrzweck-gebäudes mit Versammlungssaal und Räumen für die Verwaltung der Volkshochschule nutzen. „Das sollte auf dem damals dem Bezirk gehörenden Grundstück entstehen, wo heute die Neukölln Arcaden sind. Deshalb wollten die keinen Wirbel um den verfallenden Saalbau haben.“ 1990 ist der in neuer Pracht als Kulturstätte wiedereröffnet worden.

Doch es war nicht nur Dorothea Kolland, die der kommunalen Verwaltung und Politik beim Verfolgen ihrer Anliegen gehörig zusetzte, auch die bildenden Künstler in Neukölln, von denen es vor 30 Jahren etwa 40 gab, hielten sich kaum zurück. „Uns allen war klar, dass wir dringend einen Raum für Ausstellungen brauchen, und dann gab’s einen kleinen Eklat“, berichtet sie grinsend. „Die haben natürlich gehofft, dass nun kulturell mal etwas im Bezirk geschieht und trugen den Wunsch nach einer freien Neuköllner Kunstausstellung an mich heran.“ Ob- wohl sie manches „von der Qualität her als nicht zumutbar“ empfunden habe, habe sie sich darauf eingelassen und eine Ausstellung im Rathaus-Foyer organisiert. „Zwei der Künstler hatten ihr Atelier am Reuterplatz direkt neben einem noch völlig intakten Gründerzeithaus, das der Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land gehörte und  erst besetzt worden war und dann abgerissen wurde.“ Für die Ausstellung hätten die beiden Künster ein Bild im Rathaus abgegeben, das schließlich von der Hängekom-mission ausgepackt und wie gewünscht aufgehängt worden war. „Auf dem stand: Gegen Verbrecher in Stadt und Land“, entsinnt Kolland sich. „Das war natürlich nichts explizit gegen die Wohnungsbaugesellschaft, aber jeder Neuköllner wusste, dass es zumindest zwei- deutig ist.“ Getobt habe der damalige Baustadtrat, als er das Werk am Tag vor der Vernissage zu sehen bekam. „Daraufhin hat er verfügt, dass das Bild abgehängt wird, woraufhin etwa 80 Prozent der Künstler vor der Ausstellungseröffnung aus Protest ihre Bilder umgedreht haben. Das fand ich als Reaktion ganz toll und hab mich deshalb auch auf die Seite der Künstler gestellt.“ Die Aufregung sei natürlich groß gewesen. Bezirksbürgermeister Kriedner, den Kolland als „sehr kunstsinnig“ be- schreibt, habe es gar nicht behagt, plötzlich mit Zensur in Verbindung gebracht zu werden: „Wenig später gab es dann ein großes Meeting und Güteverhandlungen des Bürgermeisters und des Baustadtrats mit dem Vorsitzenden des Berufsverbands bildender Künstler.“ Das Ergebnis war ein Gentlemen Agreement zwischen Kriedner und dem bbk-Vorsitzenden. „Sie verständigten sich darauf“, so Kolland, „dass sich der Bezirk bemühen werde, Räume zu finden, wo es nur um Kunst geht, das  Kulturamt das Sagen hat und sämtliche Essenzen der Freiheit der Kunst zu gelten haben.“ Mit der Orangerie im Körnerpark war ein erster Raum gefunden. Um ihn zu nutzen brauchte es, wie Dorothea Kolland es rückblickend sieht, den „Mut einer jungen, unverbrauchten Verrückten“.

Letzter Teil: morgen

Fehlstart par excellence

Dorothea Kolland – schon seit Monaten wird der Name in einem Atemzug mit „ehemalige“, „Ex“ oder „frühere“ genannt. Dabei ist 65-Jährige immer noch das, was sie seit 1981 ist: Leiterin des Neuköllner Kulturamts. Seit dem 25. Mai bummelt sie Überstunden und Urlaub ab; erst in 10 Tagen ist ihre Amtszeit rein formal vorbei.

Wie war es damals, als sie begann? Was hatte die Neuköllner Kultur zu bieten? Mit welchen Ambitionen trat die promovierte Musikwissenschaftlerin ihre Stelle an? Was hat sie und was hätte sie gerne noch erreicht? Was wünscht sie sich für ihre eigene Zukunft und was für Neukölln? Darüber, über die Fallstricke im Behördenalltag, Unterstützer und Bremser, einen Eklat bei einer Ausstellung im Neuköllner Rathaus und vieles mehr haben wir uns mit Dorothea Kolland im LadenAtelier von  William Francis Brennan  unterhalten.

Eigentlich war alles etwas anders geplant. Die Be- gegnung mit einem ihr unbekannten Künstler sollte die Kulturamtsleiterin von uns zum Abschied ge- schenkt bekommen. Brennan? „Nein, den kenne ich wirklich noch nicht“, war sie im Vorfeld sicher. Und auch der aus den USA stammende Maler, der seit fast drei Jahren in Neukölln arbeitet, war zuvor überzeugt, Kolland nie begegnet zu sein. Aber dann: „Doch“, stellt sie beim Betreten des LadenAteliers im Schillerkiez fest, „hier war ich schon.“ William Francis Brennan erkennt sie wieder und nickt. Bei einem der Kulturfestivals müsse das gewesen sein, vermutet er. Dass es sich bei der Frau, die sich damals seine Bilder angesehen hat, um den Motor der Neuköllner Kunst- und Kulturszene handelt, er- fährt er erst jetzt.

Dorothea Kolland wirkt entspannter denn je. Der Vorgeschmack aufs Rentnerdasein be- kommt ihr sichtlich gut. Lächelnd beginnt sie von dem zu erzählen, was in den letzten drei Jahrzehnten ihren Alltag bestimmte: „Mich interessiert die Vermittlung von Kunst, das war schon so als ich 16 war. Ich wollte anderen Leuten helfen, was vielleicht ein bisschen naiv war, den Spaß an Kunst zu haben, den ich schon immer hatte und immer noch habe. Ich dachte jedenfalls, dass ein Job wie im Kulturamt dafür das Richtige ist.“

Unter einem guten Einstand stellt man sich jedoch eher das Gegenteil von dem vor, was die damals 34-Jährige erlebte. Sicher sei die Lebensplanung mit ihrem Mann nie auf eine Zukunft als kinderloses Ehepaar hinaus- gelaufen, sagt sie „Aber dass es genau da geklappt hat, das war völlig unbeabsichtigt. Ich bin wirklich gleichzeitig schwanger geworden, als ich die Zusage für die Stelle bekam. Als ich dann im Kulturamt anfing, war ich im 5. Monat.“ Dazu kam, dass die junge Chefin, die zuvor bei einem Dachverband für Jugendkultur- arbeit tätig gewesen war, zwar reichlich Lust auf Neuerungen, aber keinerlei Erfahrungen im Umgang mit dem Amtsschimmel mitbrachte. „Nein, das haben wir immer anders gemacht!“, sei die Standardantwort ihrer beiden Sekretärinnen gewesen. „Erschwerend kam dazu, dass ich diese ganz banale Verwaltung nicht kannte und zum Beispiel nicht gewusst hab, dass man in unterschiedlichen Farben zu schreiben hat. Ich hab dann auch einfach mal, weil der Stift in meiner Nähe lag, mit Grün geschrieben – da brach die Hölle los. Die Farbe für meine Position im Amt war blau und die in der Etage unter mir mussten mit Schwarz schreiben. Grün und rot gingen jedenfalls gar nicht. Wie man Aktenvermerke schreibt, wusste ich natürlich auch nicht, und die meisten hatten einen Heidenspaß dran, dass ich bei solchen Dingen immer wieder reingerasselt bin. Außer Dieter Schulz, dem Hausmeister, war wirklich niemand da, der mir mal etwas gezeigt hat.“ Gewöhnt, gibt Dorothea Kolland zu, habe sie sich an die Verwaltungsabläufe nie: „Aber mit der Zeit hab ich gelernt, sie zu beherrschen, weil man auch sonst nicht voran kommt. Doch den Sinn einiger Vorgänge begreife ich bis heute nicht. Ich hab mich auch nie strikt an Hierarchien gehalten.“ Das sei ihr Erbe aus der 68er- und Hochschulzeit, ist sie überzeugt.

Teil 2: morgen

NACHTUNDNEBEL in Neukölln

Zum 10. Mal heißt es heute ab 18 Uhr in Neukölln NACHTUNDNEBEL: Über 130 Veranstaltungen hat das sechsstündige Kunst- und Kulturfestival zu bieten. Rund 110 Orte im Norden des Bezirks betei- ligen sich diesmal am herbstlichen Pen- dant zu 48 STUNDEN NEUKÖLLN; nach Auskunft der Organisatoren sind  etwa 40 Locations sind barrierefrei oder -arm und somit auch für die Besuche Kör- perbehinderter geeignet. „Das zeigt, wie groß die Bereitschaft ist, sich auf die Bedürfnisse von Menschen mit Handicap einzulassen“, erklärte Neuköllns Behindertenbeauftragte Katharina Smaldino im Vorfeld des Events.

Mobilität lag schon immer im Fokus des Festivals, das den Untertitel „Mit dem Chauffeur durch die Neuköllner Kulturszene“ trägt. Gecharterte Großraumtaxis kut- schieren die Besucher  zum Nulltarif auf zwei Routen von einem Veranstaltungsort zum anderen, von Ausstellung zu Lesung zu Per- formance zu Film zu Konzert zu Party und wieder zurück.

Abweichend von der Abbildung im gedruckten Pro- grammheft wurde der Verlauf der Süd-Route, die den Bereich unterhalb von Selchower-, Boddin- und Erkstraße bedient, leicht nachgebessert: Statt durchgehend die Schillerpromenade abzufahren, macht sie nun einen Schlenker in die Lichtenrader Straße, um die Besucher des Kunstschaufensters el41 und des LadenAteliers Brennan direkt vor der Tür absetzen zu können. Die Nord-Route führt durch den  Flughafen- und Reuterkiez. Der Knotenpunkt der Shuttledienste liegt vor dem Schillerpalais; dort wird das maßgeblich durch die STADT UND LAND Wohnbauten-Gesellschaft mbh gesponserte Festival auch um 18 Uhr offiziell von Franziska Giffey, Neuköllns Kultur-Stadträtin, und Katharina Smaldino eröffnet.

Dass es trotz eines verkehrsplanerischen Kraftakts nicht gelingen konnte, alle Veranstaltungsorte in die beiden NACHTUNDNEBEL-Taxi-Rundkurse zu integrieren, liegt in der Natur der Dinge. Deshalb hier – statt einer Top Ten – gleich 11 Locations, die etwas abseits der Routen liegen: Liesl (Süd17), Atelier Douglas Henderson (Süd22), Wohnzimmeratelier Lorilei (Süd33), Näh & Werk Studio (Süd41), Dritter Raum (Süd42), Agora (Süd50),  Sufi-Zentrum Berlin (Nord08), Atelierhaus Wiss- mannstraße – Werkstube Mo-Skito (Nord09), Bazara (Nord56), Klötze u. Schinken (Nord57) und DruckAtelier (Nord58).

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