All You Can Eat: Nord-Neukölln macht am Wochenende satt

satt_kunstfestival 48 stunden neukoellnNeukölln gehört zwar mit Kreuzberg-Friedrichshain und Mitte zu den flächenmäßig kleinsten Berliner Bezirken, richtet aber mit 48 STUNDEN NEUKÖLLN das größte freie Kunstfestival der Hauptstadt aus.

Von morgen bis Sonntag mischen sich in den Straßen wieder blau-weiße Fahnen mit dem Logo der Veran-stalter zwischen die Flaggen, die anlässlich der Fußball-Europameisterschaft im Wind flattern. Und es werden wieder mehr als 70.000 Leute im Bezirk unterwegs sein, um wenigstens einen Bruchteil dessen zu erleben, was über 1.200 Künstlerinnen und Künstler für sie vorbe-reitet haben. Wer Kultur satt will, hat in den nördlichen Kiezen rund 400 Events an etwa 250 Orten zur Auswahl – wer Kultur satt hat, sollte sich am Wochenende besser südlich der Silbersteinstraße aufhalten. Weiterlesen

Alles im Blick

Auch William Francis Brennan hat häufig einen Fotoapparat dabei, wenn er auf dem Tempelhofer Feld ist. Ihm geht es aber – anders als vielen – nicht darum, besondere Augenblicke, den spektakulärsten Sonnenuntergang oder kühnsten Kiteboarder-Flug

william francis brennan_tempelhofer feld

einzufangen. Die Fotos sind lediglich Erinnerungsstützen für den äußerst produktiven, stilistisch facettenreichen Neuköllner Maler; das Besondere entsteht beim Arbeiten mit Pinseln und Ölfarben auf Leinwand, wenn das große Ganze und viele Details zum Gesamtkunstwerk werden.

„Ich glaub, dass sich der Bezirk Neukölln nie wieder mit jemandem namens Kolland belasten wird“

Es fällt schwer, sich den Zustand der imposanten Galerie im Körnerpark anno 1982 vorzustellen. „Rohbau, kein Fußboden, unverputzt, kein Licht, kein gar nichts. Der ganze Raum wurde vom Neuköllner Garten- bauamt als Abstellfläche für Gerätschaften und Pflanzen genutzt“, beschreibt Dorothea Kolland, die junge, unverbrauchte Verrückte von damals. Nein, ein Dienstvergehen von ihr sei es nicht gewesen, die Orangerie zum prächtigen Rahmen für kulturelles Leben zu machen, nur eine Guerilla-Aktion – gemein- sam mit dem damaligen Leiter des Hoch- bauamts. Dass der gesamte Park seinerzeit zum Gartendenkmal umgestaltet und „ordentlich Geld für die Renovierung des Gebäudes“ in die Hand genommen wurde, kam der zugute. „Aber das Entscheidende war“, so Kollands Einschätzung, „dass ich einfach voller Überzeugung mein Ding durchgezogen hab und auch andere Leute damit überzeugen konnte.“ Daraus, dass das leichter war als es heute wäre, macht sie keinen Hehl: „So  massive Neins wie jetzt von Buschkowsky, hab ich früher nie erfahren.“ Obwohl es auch mit den vier anderen Bezirksbürgermeistern oft nicht leicht gewesen sei. Zwischenmenschlich habe es mit Frank Bielka am besten geklappt, der den Bezirk von 1989 bis 1991 lenkte und heute Vorstandsmitglied der Wohnungsbaugesellschaft degewo ist: „Aber das war finanziell durch die Wende und den Wegfall der Berlin-Förderung eine schwierige Zeit.“

Schwierigkeiten anderer Art hatte Dorothea Kolland dagegen in den Anfangsjahren zu bewältigen: Sie musste die Rollen als junge Mutter sowie als Chefin des Kulturamts und Leiterin der neuen Galerie im Körnerpark, die furios mit einer Ausstellung von Markus Lüpertz eröffnet hatte, unter einen Hut bringen. „Weil ich oft bis Mitternacht in der Galerie war, war meine Tochter meistens auch mit dabei. Anders ging es nicht.“ Sehr prägend sei diese Zeit gewesen, sagt sie rückblickend. Natürlich habe es zu ihren Hauptaufgaben gehört, Kunst zu managen und Rahmenbedingungen zu schaffen, dass sich das Publikum Kunst einverleibt und ins Theater, zu Ausstel- lungen oder in Konzerte geht. „Aber wenn ich mich nur mit Administration aufge- halten hätte, wäre ich verrückt geworden. Deshalb wollte ich bis zuletzt auch oft da sein, wo Kunst gemacht wird.“

Doch Dorothea Kolland hat sich in Neu- kölln nicht nur als Entwicklungshelferin in Sachen Kunst und als Kulturmanagerin verdient gemacht. Auch manche ge- schichtsträchtige Immobilie, wie zum Beispiel das so genannte Büdner-Dreieck zwischen Saalbau und Passage, konnte durch ihren Einsatz vor dem Abriss gerettet werden. „Da, wo die ältesten Häuser der Karl-Marx-Straße stehen, sollte Mitte der 1980er-Jahre auf die Schnelle ein Kaufhaus hochgezogen werden“, erzählt sie. „Als ich das erfuhr, haben wir in Windeseile eine Ausstellung fürs Heimatmuseum gemacht, die die Historie des Büdner-Dreiecks dokumentierte und den Landeskon- servator eingeschaltet.“ Das sei auch wieder so eine Guerilla-Aktion gewesen: „Innerhalb von 14 Tagen haben wir jeden- falls so etwas wie Denkmalschutz auf den Häusern gehabt, und der geplante Abriss musste zum Ärger der Grundstückeigen- tümerin abgeblasen werden.“

Wie es nun mit der Karl-Marx-Straße wei- tergeht, das hält die scheidende Kultur-amtsleiterin neben der noch wichtigeren Frage der Mietenentwicklung für einen der entscheidenden Schlüssel für die Zukunft des Bezirks. „Um die festen Kultureinrichtungen mache ich mir keine Sorgen, die sind in gutem Zustand und gut akzeptiert.“ Sie hält kurz inne. „Eigentlich bin ich optimistisch, dass es bei einigen gentrifizierungsgefährdeten Kiezen bleibt und der Norden des Bezirks an sich auch künftig international gemischt sein wird.“ Aber das werde nicht von alleine passieren. Da hätten der Staat, der Senat und natürlich auch der Bezirk durchaus Aufgaben: „Sie müssen Rahmenbedingungen schaffen und das Bleiben attraktiv machen. Aber die Erkenntnis, ist zumindest mein Eindruck, ist noch nicht genügend an den entsprechenden Stellen angekommen. Dazu, dass eine Horde von Künstlern oder Studenten kurz einfällt und dann wieder weg ist, darf es nicht kommen. Und außerdem muss verhindert werden, dass Familien mit Kindern wegziehen, wenn die eingeschult werden.“ Darum müssten sich Senat und Bezirk kümmern, weil in erster Linie davon die Zukunft Neuköllns abhänge.

Für ihre eigene Zukunft hat Dorothea Kolland profanere Wünsche, die jedoch auch nicht ohne Tücken sind: „Viel lesen will ich, alles. Und reisen, viel reisen, was allerdings etwas schwierig ist, weil ich sehr gerne zusammen mit meinem Mann reise, der aber blöderweise als Präsident der Landesmusikrats dauernd ehrenamtliche Termine hat. Und außerdem möchte ich natürlich Zeit für mein Enkelkind haben, das in wenigen Monaten zur Welt kommen wird.“

Es ist zweifellos die 31-jährige Er- folgsgeschichte einer so engagierten wie nonkonformistischen und unbe- quemen Frau, die am letzten Tag die- ses Monats zu Ende geht. Das meiste von dem, was Dorothea Kolland an- packte, hat sie auch geschafft. „Aber leider nicht alles“, gibt sie zu. „Ich hätte zum Beispiel unheimlich gerne ein Ausstellungsprojekt mit Kindern, Medizinern, Pfarrern und Psychologen zum Thema „Kinder und Tod“ gemacht, weil das Thema so wichtig ist, aber nie richtig behandelt wird.“ Und außerdem sei es ihr nicht gelungen, die Politik davon zu überzeugen, dass man die Künstlerförderung finanziell stärker ausgestattet werden muss. „Neukölln“, erklärt sie, „hat in diesem Topf für dezentrale Kulturarbeit genauso viel Geld wie vor fünf Jahren. Bloß war eben damals höchstens die Hälfte der Künstler in Neukölln.“ Darauf müsse man doch reagieren und könne das nicht einfach so treiben lassen. „Und was mir wirklich sehr leid tut, ist, dass dieses Jahr zum ersten Mal kein Kiez International stattgefunden hat, weil es mir nicht gelungen ist, in den letzten 12 Monaten eine neue Konzeption zu entwickeln.“ Das sei letztlich an der mangelnden politischen Unterstützung und den nur sehr beschränkten personellen Möglichkeiten des Kulturamts gescheitert. „Ich hatte oft in der Kulturszene und auch im Kollegenkreis die Rolle ‚Die Kolland wird’s schon richten‘, aber es gibt eben auch Situationen, wo das nicht funktioniert, vor allem nicht alleine.“ Für solche konzeptionellen Arbeiten habe sie lediglich eine Mitarbeiterin gehabt.

Eben die, die derzeit – nach einem Intermezzo von Museumsleiter Udo Gößwald – kommissarisch den Chefinnensessel im Neuköllner Kulturamt übernommen hat: Bettina Busse. „Ich werde die Letzte sein, die erfährt, wer meine Nachfolge antritt“, glaubt Dorothea Kolland. Ebenso, dass sich der Bezirk Neukölln nie wieder mit jemandem namens Kolland belasten wird.  „Was klar ist, ist, dass ich den Posten schon gerne in guten Händen wüss- te. Egal ist es mir also absolut nicht“, versichert sie.

Die FACETTEN-Magazin-Redaktion und die Brennans danken für die spannende Zeitreise durch die Neu- köllner Kulturgeschichte, wünschen Dorothea Kolland einen wunderbaren Ruhestand und ihrem/r Nachfolger/in viel Erfolg.

Erstes Leben in der Kulturwüste Neukölln

Die Nachmittagssonne zeichnet scharfe Schattenrisse auf den Dielenboden des LadenAteliers von William Francis Brennan. Dorothea Kolland rührt in ihrem Kaffeebecher. „Ach, ich hätte jetzt doch gerne ein Stück Kuchen“, be- schließt sie und kommt damit auf das Angebot zurück, das sie kurz vorher abgelehnt hatte. Etwas Süßes als Proviant für die Reise in die Vergan- genheit des Neuköllner Kul- turlebens, für die es keine bessere Begleitung als Do- rothea Kolland geben kann.

1981. Der Christdemokrat Arnulf Kriedner hatte gerade den SPD-Mann Heinz Stücklen als Bezirksbürgermeister von Neukölln abgelöst. „Kulturell war der Bezirk wirklich eine einzige Wüste“, erinnert sich Kolland. Am Stadtbad habe es das nicht eben fachkundig geführte Emil-Fischer-Heimatmuseum gegeben: „Da wurden ein paar Knochen, eine aus- gestopfte Trappe, Tonscherben-Funde aus Buckow-Rudow und der Rixdorfer Galgen ausgestellt.“ Außerdem habe der Vorgänger auf dem Posten der Kulturamtsleitung, der Operettenregisseur gewesen war, einmal im Jahr eine Operettenvorführung im Naturtheater in der Hasenheide veranstaltet. Das sei es dann aber auch schon gewesen – fast. Denn da war ja noch die Keimzelle der Institution, die heute als Neuköllner Oper bekannt ist. „Winfried Radeke, damals Kirchenmusiker der Martin-Luther-Gemeinde, hatte mit seinen Konfirmanden schon Mitte der 1970er-Jahre angefangen, Stücke von Brecht, Weill und Hindemith aufzu- führen. Das hat mich interessiert und hab ich mir dann auch mal angeguckt. Ich glaub, das war einer meiner ersten Ausflüge nach Neukölln“, erzählt die Charlottenburgerin. „Die Neu- köllner Oper gab’s also gewissermaßen be- reits, aber das war nur ein winziger Haufen von Amateuren. Mit dem, was da heute ist, lässt sich das überhaupt nicht vergleichen.“

Der neuen Kulturamtsleiterin bot sich folglich ein breites Betätigungsfeld. „Das Problem war nur: Kultur braucht Räume. Man kann noch so viel über Kultur reden, wenn man keinen Raum hat, in dem man etwas machen kann, dann findet sie nicht statt.“ Im Saalbau, der heute vom Heimathafen Neukölln bespielt wird, erkannte Dorothea Kolland sofort Potenzial für die Lösung der Raummisere. „Ich zeig Ihnen jetzt mal was!“, hatte ihr Hausmeister und Verbündeter Dieter Schulz angekündigt und sie in das Gebäude geführt, das seinerzeit zum Vermögen des Kulturamts gehörte: „Alles war baupolizeilich ge- sperrt, nachdem es jahrelang ein bisschen durchs Dach geregnet und sich im beeindruckend konstruierten Dachstuhl ein riesiger Schwamm gebildet hatte, der fast zum Abbruch hätte führen müssen. Weil es keinen Strom gab, hatte Dieter eine Stablaterne dabei, damit wir überhaupt etwas sehen können. Ihm und auch mir war klar: Da ist ein absoluter Schatz, aber der ist unbenutzbar.“ Gleich am nächsten Tag sei sie zum zuständigen Stadtrat gegangen, um ihrem Unmut darüber, dass einerseits Platz benötigt werde und andererseits ein Prunkstück verfalle, Luft zu machen. „Der hörte sich das an – und einen Tag später erhielt ich das Ver- bot, über den Saalbau zu reden“, verrät Dorothea Kolland. Der Bezirk wollte nämlich das Gebäude, das damals noch nicht unter Denkmal- schutz stand, verkaufen und das Geld zur Teilfinanzierung eines Mehrzweck-gebäudes mit Versammlungssaal und Räumen für die Verwaltung der Volkshochschule nutzen. „Das sollte auf dem damals dem Bezirk gehörenden Grundstück entstehen, wo heute die Neukölln Arcaden sind. Deshalb wollten die keinen Wirbel um den verfallenden Saalbau haben.“ 1990 ist der in neuer Pracht als Kulturstätte wiedereröffnet worden.

Doch es war nicht nur Dorothea Kolland, die der kommunalen Verwaltung und Politik beim Verfolgen ihrer Anliegen gehörig zusetzte, auch die bildenden Künstler in Neukölln, von denen es vor 30 Jahren etwa 40 gab, hielten sich kaum zurück. „Uns allen war klar, dass wir dringend einen Raum für Ausstellungen brauchen, und dann gab’s einen kleinen Eklat“, berichtet sie grinsend. „Die haben natürlich gehofft, dass nun kulturell mal etwas im Bezirk geschieht und trugen den Wunsch nach einer freien Neuköllner Kunstausstellung an mich heran.“ Ob- wohl sie manches „von der Qualität her als nicht zumutbar“ empfunden habe, habe sie sich darauf eingelassen und eine Ausstellung im Rathaus-Foyer organisiert. „Zwei der Künstler hatten ihr Atelier am Reuterplatz direkt neben einem noch völlig intakten Gründerzeithaus, das der Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land gehörte und  erst besetzt worden war und dann abgerissen wurde.“ Für die Ausstellung hätten die beiden Künster ein Bild im Rathaus abgegeben, das schließlich von der Hängekom-mission ausgepackt und wie gewünscht aufgehängt worden war. „Auf dem stand: Gegen Verbrecher in Stadt und Land“, entsinnt Kolland sich. „Das war natürlich nichts explizit gegen die Wohnungsbaugesellschaft, aber jeder Neuköllner wusste, dass es zumindest zwei- deutig ist.“ Getobt habe der damalige Baustadtrat, als er das Werk am Tag vor der Vernissage zu sehen bekam. „Daraufhin hat er verfügt, dass das Bild abgehängt wird, woraufhin etwa 80 Prozent der Künstler vor der Ausstellungseröffnung aus Protest ihre Bilder umgedreht haben. Das fand ich als Reaktion ganz toll und hab mich deshalb auch auf die Seite der Künstler gestellt.“ Die Aufregung sei natürlich groß gewesen. Bezirksbürgermeister Kriedner, den Kolland als „sehr kunstsinnig“ be- schreibt, habe es gar nicht behagt, plötzlich mit Zensur in Verbindung gebracht zu werden: „Wenig später gab es dann ein großes Meeting und Güteverhandlungen des Bürgermeisters und des Baustadtrats mit dem Vorsitzenden des Berufsverbands bildender Künstler.“ Das Ergebnis war ein Gentlemen Agreement zwischen Kriedner und dem bbk-Vorsitzenden. „Sie verständigten sich darauf“, so Kolland, „dass sich der Bezirk bemühen werde, Räume zu finden, wo es nur um Kunst geht, das  Kulturamt das Sagen hat und sämtliche Essenzen der Freiheit der Kunst zu gelten haben.“ Mit der Orangerie im Körnerpark war ein erster Raum gefunden. Um ihn zu nutzen brauchte es, wie Dorothea Kolland es rückblickend sieht, den „Mut einer jungen, unverbrauchten Verrückten“.

Letzter Teil: morgen

Fehlstart par excellence

Dorothea Kolland – schon seit Monaten wird der Name in einem Atemzug mit „ehemalige“, „Ex“ oder „frühere“ genannt. Dabei ist 65-Jährige immer noch das, was sie seit 1981 ist: Leiterin des Neuköllner Kulturamts. Seit dem 25. Mai bummelt sie Überstunden und Urlaub ab; erst in 10 Tagen ist ihre Amtszeit rein formal vorbei.

Wie war es damals, als sie begann? Was hatte die Neuköllner Kultur zu bieten? Mit welchen Ambitionen trat die promovierte Musikwissenschaftlerin ihre Stelle an? Was hat sie und was hätte sie gerne noch erreicht? Was wünscht sie sich für ihre eigene Zukunft und was für Neukölln? Darüber, über die Fallstricke im Behördenalltag, Unterstützer und Bremser, einen Eklat bei einer Ausstellung im Neuköllner Rathaus und vieles mehr haben wir uns mit Dorothea Kolland im LadenAtelier von  William Francis Brennan  unterhalten.

Eigentlich war alles etwas anders geplant. Die Be- gegnung mit einem ihr unbekannten Künstler sollte die Kulturamtsleiterin von uns zum Abschied ge- schenkt bekommen. Brennan? „Nein, den kenne ich wirklich noch nicht“, war sie im Vorfeld sicher. Und auch der aus den USA stammende Maler, der seit fast drei Jahren in Neukölln arbeitet, war zuvor überzeugt, Kolland nie begegnet zu sein. Aber dann: „Doch“, stellt sie beim Betreten des LadenAteliers im Schillerkiez fest, „hier war ich schon.“ William Francis Brennan erkennt sie wieder und nickt. Bei einem der Kulturfestivals müsse das gewesen sein, vermutet er. Dass es sich bei der Frau, die sich damals seine Bilder angesehen hat, um den Motor der Neuköllner Kunst- und Kulturszene handelt, er- fährt er erst jetzt.

Dorothea Kolland wirkt entspannter denn je. Der Vorgeschmack aufs Rentnerdasein be- kommt ihr sichtlich gut. Lächelnd beginnt sie von dem zu erzählen, was in den letzten drei Jahrzehnten ihren Alltag bestimmte: „Mich interessiert die Vermittlung von Kunst, das war schon so als ich 16 war. Ich wollte anderen Leuten helfen, was vielleicht ein bisschen naiv war, den Spaß an Kunst zu haben, den ich schon immer hatte und immer noch habe. Ich dachte jedenfalls, dass ein Job wie im Kulturamt dafür das Richtige ist.“

Unter einem guten Einstand stellt man sich jedoch eher das Gegenteil von dem vor, was die damals 34-Jährige erlebte. Sicher sei die Lebensplanung mit ihrem Mann nie auf eine Zukunft als kinderloses Ehepaar hinaus- gelaufen, sagt sie „Aber dass es genau da geklappt hat, das war völlig unbeabsichtigt. Ich bin wirklich gleichzeitig schwanger geworden, als ich die Zusage für die Stelle bekam. Als ich dann im Kulturamt anfing, war ich im 5. Monat.“ Dazu kam, dass die junge Chefin, die zuvor bei einem Dachverband für Jugendkultur- arbeit tätig gewesen war, zwar reichlich Lust auf Neuerungen, aber keinerlei Erfahrungen im Umgang mit dem Amtsschimmel mitbrachte. „Nein, das haben wir immer anders gemacht!“, sei die Standardantwort ihrer beiden Sekretärinnen gewesen. „Erschwerend kam dazu, dass ich diese ganz banale Verwaltung nicht kannte und zum Beispiel nicht gewusst hab, dass man in unterschiedlichen Farben zu schreiben hat. Ich hab dann auch einfach mal, weil der Stift in meiner Nähe lag, mit Grün geschrieben – da brach die Hölle los. Die Farbe für meine Position im Amt war blau und die in der Etage unter mir mussten mit Schwarz schreiben. Grün und rot gingen jedenfalls gar nicht. Wie man Aktenvermerke schreibt, wusste ich natürlich auch nicht, und die meisten hatten einen Heidenspaß dran, dass ich bei solchen Dingen immer wieder reingerasselt bin. Außer Dieter Schulz, dem Hausmeister, war wirklich niemand da, der mir mal etwas gezeigt hat.“ Gewöhnt, gibt Dorothea Kolland zu, habe sie sich an die Verwaltungsabläufe nie: „Aber mit der Zeit hab ich gelernt, sie zu beherrschen, weil man auch sonst nicht voran kommt. Doch den Sinn einiger Vorgänge begreife ich bis heute nicht. Ich hab mich auch nie strikt an Hierarchien gehalten.“ Das sei ihr Erbe aus der 68er- und Hochschulzeit, ist sie überzeugt.

Teil 2: morgen

Das rätselhafte Neuköllner Zwei-Sommer-Loch

Die Vorbereitungen liefen bereits. Richtig groß und dem Anlass angemessen wollten Peter und William Francis Brennan das ein- jährige Jubiläum (!)  des abgesperrten Qua- dratmeters vor ihrem LadenAtelier feiern. Im August wäre es soweit gewesen. An den genauen Tag können sie sich nicht mehr erinnern, wohl aber an die Ereignisse seit dem Sommer 2010 – zumal die Hausmeis- terin alles schriftlich festgehalten hat:

„Irgendwann waren Arbeiter da und es blieb ein Loch auf dem Bürgersteig zurück bzw. ein paar Steine waren eingesunken. Ich rief das Tiefbauamt an und sagte Bescheid, wegen der Sicherheit. Mir wurde dann gesagt, dass es uns ganz egal sein muss, was mit der Straße passiert, Löcher würden uns nichts angehen.“ Ein paar Tage später und nach zwei weiteren Anrufen sei ein Mann vor dem Haus in der Lichtenrader Straße vorgefahren, um sich das Loch anzusehen. Weiter passierte nichts. „Wieder ein paar Tage später kam ein kleiner Lieferwagen mit drei Männern, die wohl von den Wasserbetrieben waren. Sie öffneten die Serviceklappe am Haus und sahen sich alles genau an. Dann gossen sie eine farbige Flüssigkeit nach unten. Wenn diese Flüssigkeit an einer bestimmten Stelle rauskommen würde, sagten sie, wäre es ihre Aufgabe, das Loch wieder zu schließen.“ Die Flüssigkeit sei heraus gekommen und die Zuständigkeit damit geklärt gewesen. Kurz darauf sei eine Absperrung um das Loch gestellt worden, sogar mit Lampe. „Die Lampe wurde inzwischen mehrmals geklaut oder ramponiert, aber immer wieder ersetzt. Nur das Loch blieb.“

Es überdauerte den Herbst, wurde im Winter von Schnee bedeckt, erlebte den Jahreswechsel und war im Frühling immer noch da – samt Absperrung und mit ständig substituierter Beleuchtung.

Anfang April 2011 wandte sich die Hausmeisterin erneut ans Neuköllner Tiefbauamt, diesmal per Brief: „Sehr geehrte Damen und Herren“, schrieb sie, „ich weiß, dass Sie sicher viel zu tun haben, aber wir haben seit nunmehr fast einem Jahr ein tiefes Loch bei uns auf der Straße vor dem Haus im Bürgersteigbereich. Ich meldete das damals dem Tiefbauamt und nach mehreren Telefonaten (…) kamen die Wasser- betriebe und schauten sich die Sache an (…), bauten eine kleine Absperrung und eine Warnbarke auf (…) und das war’s dann. Nichts passiert mehr. Ich bekomme ständig von Mietern die Frage gestellt, was denn nun passiert und ich bin es leid, permanent dieselbe Geschichte erzählen zu müssen.“ Danach, erinnert sich die Hausmeisterin, habe sich erneut jemand zur Besichtigung des Lochs blicken lassen, mehr sei aber nicht geschehen. Vor allem zum Ärger der Brennans.

Es wurde Mai, es wurde Juni. „Als die 48 Stunden Neukölln kamen, an de- nen wir teilgenommen haben, waren das Loch und die Absperrung immer noch direkt an unserem Schau- fenster“, erzählt Peter Brennan. Er dekorierte die Dauerbaustelle kur- zerhand getreu dem Festivalmotto „Luxus“ mit royal anmutenden gol- denen und roten Luftballons. Lästig sei sie dennoch gewesen, weil sie das Aufstellen von Tischen und Bänken ziemlich behinderte.

Einige Wochen später wäre ein gemütliches Sitzen vor dem LadenAtelier jedoch gar nicht mehr möglich gewesen: Denn genau vier Monate nachdem die Hausmeisterin ihren Brief ans Neuköllner Tiefbauamt abgeschickt hatte, bekam die vereinsamte Warnbarke inmitten der Loch-Absperrung plötzlich unangekündigt  Verstärkung. „Kurz

danach waren das kleine Loch und die Absperrung, die wir feiern wollten, weg und wir hatten eine richtig große, tiefe Baugrube vor dem Atelier.“ Erst von den Bauarbeitern erfuhren Peter und William Brennan sowie die Hausmeisterin, dass Verbindungsmuffen und Stücke der Kanalisationsrohre erneuert und repariert wür- den. Nach über einem Jahr Stillstand rund um das mysteriöse Dauer-Loch sei dann alles relativ schnell ge- gangen.

Als die Brennans vor wenigen Tagen von einem Kurzurlaub zurückkamen, bot sich ihnen vor ihrem LadenAtelier in der Lichtenrader Straße ein wahr- lich ungewohnter Anblick: Die Warn- barken und Parkverbotschilder waren verschwunden, ebenso das große Loch, das zwischenzeitlich aus dem einst kleinen erwachsen war. Sogar die auf einem Haufen gesammelten Kopfsteinpflastersteine waren wieder zu einem be- gehbaren Bürgersteig verarbeitet worden. „Keine Baustelle mehr direkt vor der Tür zu haben, daran muss man sich nach über einem Jahr wirklich erstmal wieder ge- wöhnen“, finden beide.

=ensa=