Überlegener Sieger: Desinteresse

Mit dem Satz „Gremien wie der Quartiersrat und die Aktionsfondsjury bilden die Vielfalt der Quartiersbewohnerinnen und -bewohner ab und repräsentieren ihre quartiersrat-wahl_grafik qm schillerpromenade neukoellnunterschiedlichen Interessen und Bedürfnis-se“ leitet ein 2012 vom Quartiersmanagement Körnerpark herausgegebenes Heft das Kapitel „Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung“ ein.

Mit einem erstaunten „Ich wusste gar nicht, dass eine Wahl war!“ reagieren indes viele Bewohner der 11 Neuköllner Quartiersmanage-ment-Gebiete auf die Frage, ob sie den Quartiersrat mitgewählt haben. Getrost bezwei-felt werden darf allerdings, dass sie im Falle der Kenntnis ihre Stimme abgegeben hätten. Denn dass beispielsweise von den etwa 10.000 Wahlberechtigten im Quartiersmanagement-Gebiet Richardplatz Süd nur 40 von der Quartiersrat-Wahl Mitte Januar erfahren hatten, mutet unwahrscheinlich an. D.  h. die Wahlbeteiligung lag hier gerade mal bei 0,4 Prozent, obwohl im Vorfeld auf diversen Kanälen eingeladen wurde. „Direkte Ansprache an unterschiedlichen Orten wie Kitas, qm richardplatz-sued neukoellnGewerbe und Elterncafés, Ansprache von Multiplika-tor*innen, Aufrufe in Wandnachrichten, Newsletter, Internetseite, Flyer und Plakate“, zählt Quartiersmanagerin Tanja Schmücker auf. Bei der Ursachenforschung für die geringe Resonanz stößt man schnell auf ein Hindernis, das vom Wahlprozedere selber in den Weg geräumt würde: Wer vom 18. bis 20. Januar tagsüber keine Zeit hatte, sich im QM-Büro an die Urne zu begeben, blieb zeitstrahl wahlverfahren quartiersrat qm schillerpromenade_neukoellnaußen vor.

Der Umkehrschluss, dass ein wählerfreund-licheres Verfahren beim Voting die Zahl der Stimmzettel anschwellen lässt, geht allerdings nicht auf, wie das Beispiel QM Schillerpromenade beweist. Gewählt werden konnte im Kiez zwischen Tempelhofer Feld und Hermannstraße nicht nur zu verschiedenen Zeiten, sondern auch an verschiedenen, im Gebiet verstreuten Orten. Sogar auf dem samstags stattfinden-den Schillermarkt wurde ein Marktstand zum Wahllokal umfunktioniert. quartiersrat-wahlstand qm schillerpromenade_schillermarkt neukoellnZusätzlich, so Quartiersmanager Gunnar Zerowsky, versuchte das QM über seine Facebook- und Webseite, mit A1-Plakaten und Flyern sowie diversen Kiez-Gremien das Interesse der Anwohner zu wecken. Trotzdem sackte die Beteiligung im Vergleich zur vorherigen Wahl um 57 Prozent ab: Gerade einmal 86 der rund 20.000 Wahlberechtigten, d. h. 0,43 Prozent, gaben ihre Stimmen für flyer qr-wahl2016 qm ganghoferstrasse_neukoellndie Kandidaten ab, die am 15. März zu Quartiersrat-Mitgliedern wurden.

Noch schlechter sieht es im Ganghoferkiez aus – aber auch besser. Die Wahlbeteiligung sei zwar immer noch gering, allerdings gestiegen, teilt Quartiersmanagerin Tanja Henrich mit: „Nachdem sich die KandidatInnen kurz vorgestellt haben, haben etwa 22 Personen am Wahltag am 2. März im QM-Büro gewählt.“ Weitere circa 10 Personen hätten der Wahl beigewohnt, jedoch nicht zu den rund 7.200 Wahlberechtigten des Gebiets gehört.

„Wir haben uns dafür entschieden, nur am Wahltag vor Ort eine Wahlmöglichkeit anzubieten, damit man die KandidatInnen ‚live und in Farbe‘ sehen und hören und sich so besser entscheiden kann, wen man wählen möchte“, begründet Henrich. „Außerdem wollten wir möglichen KandidatInnen die Möglichkeit geben, sich auch noch kurzfristig zur Wahl zu stellen, wenn sie vor Ort die anderen Leute sehen und die Atmosphäre spüren. Im Vorfeld ist eine solche Entscheidung oft recht abstrakt.“ Konkret ergab sich daraus, dass „die Hälfte der 15 frisch gewählten Quartiersrat-Mitglieder zum wiederholten Mal dabei, die andere Hälfte neu ist“ und das Gremium von der Altersspanne und Wohndauer wie auch den qm ganghoferstrasse neukoellnberuflichen Hintergründen her „eine große Band-breite der BewohnerInnen“ repräsentiere.

Um eben die an die Wahlurne zu bewegen, hatte das Quartiersmanagement Ganghoferstraße eini-gen Aufwand betrieben: Nicht nur durch das Aushängen und -legen der Info-Flyer zur Wahl wurde die Mobilisierung versucht, sondern „das vierseitige A4-Faltblatt wurde zwei Wochen vor der Wahl in qm-gebiet ganghoferstrasse neukoellnjeden Wohnungsbrief-kasten im Gebiet eingeworfen“. Zusätzlich habe man alle Anwohner durch eine Karte im Briefkasten zum Neujahrsempfang eingeladen, wo u. a. „unser Anima-tionsfilm zur Wahl öffentliche Premiere hatte und zwei bisherige Quartiersrat-Mitglieder von ihrem Engage-ment erzählten“, informiert Tanja Henrich. Zum Fest kamen etwa 80 Gäste – überwiegend aus der Nachbarschaft; der Möglichkeit, den Quartiersrat zu wählen, erteilten 99,69 Prozent der wahlberechtigten Anwohner eine Absage.

Beim Quartiersmanagement Gropiusstadt setzt man gleich die letzte Silbe des Wortes Quartiersrats“wahl“ in Anführungsstriche, obwohl auch dort in geheimer Abstimmung über die Zusammensetzung des Gremiums entschieden wird. Derweil  werden im QM-Gebiet Donaustraße-Nord die Plätze im Quartiersrat unter den Bewerbern verlost – falls ihre Zahl die der Plätze übersteigtsoziale stadt-wimpel_neukoelln. Das fördert zwar nicht gerade den program-matischen Ansatz, dass es sich bei den Mitgliedern um Interessenvertreter der Kiezbewohnerschaft handelt, bedeutet aber weniger Arbeit für alle, die am aus öffentlichen Mitteln finanzierten Wahlprozess beteiligt sind. Und reduzierte Kosten.

Auch wenn sich das Desinteresse an den Wahlen und der Arbeit der Quartiersräte in Neuköllner Kiezen als beson-ders hoch abzeichnet: In anderen Berliner Bezirken liegt die Zahl der abgegebenen Stimmen ebenfalls meist im zweistelligen Bereich – so sie überhaupt in den Neuwahl-Meldungen veröffentlicht wird.

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