„Nach der Kältehilfe ist vor der Kältehilfe“: Neuköllns Sozialstadtrat fordert langfristiges Notunterkünfte-Konzept

schlafsaal_kubus-obdachlosen-notunterkunft-neukoellnEigentlich ist die Kubus gGmbH, deren Neuköllner Einrichtung in der Teupitzer Straße auf dem Areal eines ehemaligen Obdachlosennachtasyls liegt, für seine an Arbeitslose adressierten Beschäftigungs- und Bildungsprojekte sowie als Träger der freien Jugendhilfe bekannt. Um die Obdachlosenarbeit kümmerten sich auf dem geschichtsträchtigen Gelän-de nahe dem Neuköllner Schiffahrtskanal bislang allein die Wohnungslosen-Erstaufnahme „Die Teupe“  der GeBeWo mit derzeit etwa 200 Bewohnern sowie das Obdachlosenasyl für Frauen und Kinder des Vita e. V. mit augenblicklich circa 80 Personen.

Das ist ab heute anders: „Wir haben auf Wunsch des Bezirksamtes Neukölln eine Notübernachtung der Kältehilfe in Kooperation mit der Bürgerhilfe Kultur des Helfens gGmbH eingerichtet“, verkündete Kubus-Geschäftsführer Siegfried Klaßen klassen_kubus-obdachlosen-notunterkunft-neukoelln(l.) bei einer Pressekonferenz am vergangenen Freitag. „So wie es im Moment aussieht, ist Kubus der einzige Träger, der eine dauerhafte Notübernachtung im Bezirk Neukölln anbietet“, ergänzte Pressesprecher Gernot Zessin. Dagegen sind die Nachtcafés mit provisorischen Übernachtungsmöglichkeiten in drei Neuköllner Kirchengemeinden jeweils nur in einer Nacht der Woche geöffnet. „Ich bin seit 30 Jahren im Geschäft der sozialen Arbeit tätig und werde dabei immer wieder auch mit Wohnungslosigkeit konfrontiert“, berichtete Klaßen. Im November 2015 baute sein Träger deshalb beispielsweise beim Aktionstag „Wohnen ist ein Menschenrecht“ der Bundesarbeitsgemeinschaft Woh-nungslosenhilfe kueche_kubus-obdachlosen-notunterkunft-neukoelln(BAGW) e. V. vor dem Brandenburger Tor demonstrativ eine Wohnstube mit auf.

„Vernünftige Zustände sind uns wichtig“, betonte der Geschäftsführer. Ursprünglich sollten 35 Personen im Nachtasyl untergebracht werden, das zumindest bis 31. März geöffnet sein wird. „Wir hätten Doppelstock-betten aufstellen müssen und es wäre sehr eng in der Unterkunft geworden“, erklärte er weiter und begründete, warum schließlich nur Plätze für 25 Gäste pro Nacht eingerichtet wurden. Den Begriff „Gäste“ wählt Klaßen – wie er duschen_kubus-obdachlosen-notunterkunft-neukoellnsagte – mit Bedacht, weil der Respekt gegenüber den Obdachlosen signalisiere.

Die Notübernachtung mit Eingang in der Teupitzer Straße 39, die ausschließlich Männer aufnimmt, wird täglich um 19 Uhr geöffnet. Wer in der letzten Nacht bereits in der Übernachtung war, kann sein nummeriertes Bett reservieren lassen, so dass es bis 20 Uhr freigehalten wird. Danach wird das Bett neu bezogen und für eine andere Person freigemacht. Es gibt in der Einrichtung Abendbrot und Frühstück, allerdings keine Tagesverpflegung. Außerdem können die Obdachlosen duschen und Wäsche waschen. Die Schlafenszeit ist von 23 bis 6 Uhr, eine Stunde später muss die Notübernachtung geräumt werden. Die Obdachlosen stehen dann wieder auf der aufenthaltsraum_kubus-obdachlosen-notunterkunft-neukoellnStraße und können sich beispielsweise auf den Weg zu einer der tagsüber geöffneten Wärmestuben machen.

„Keine Waffen, kein Alkohol“, seien zwei unver-zichtbare Voraussetzungen für die Aufnahme in der Notübernachtung – Ausweispapiere würden aber nicht zwingend verlangt. „Wer sagt, er heißt Donald Duck, der heißt Donald Duck“, veranschaulichte Siegfried Klaßen die Aufnahmepraxis. Neben der bitteren Kälte treibe auch die Angst vor gewaltätigen Übergriffen die Obdachlosen im Winter in die Notunterkünfte. Deutschlandweit gab es 2016 mindestens 17 Todesfälle durch Gewalt gegen wohnungslose Menschen, wie die obdachlosigkeit neukoelln_foto irenaeus ilnickiBAGW kürzlich mitteilte. In acht Fällen waren die Täterinnen und Täter selber nicht wohnungslos.

Erfahrungsgemäß sei die Gewalttätigkeit unter Obdachlosen in den Notübernachtungen der Kältehilfe allerdings gering. „Die Wohnungslosen, die zu uns kommen werden, sind abends völlig kaputt. Die wollen nur noch schlafen, schlafen, schlafen“, sagte Klaßen. Eher sei Diebstahl ein Problem, das Bedürftige auch bei strengem Frost davon abhalte, eine Notunterkunft aufzusuchen. Deshalb können die Gäste der Kubus-Kältehilfestation ihre wenigen Wertgegenstände am Abend bei der Aufsicht abgegeben. Bis zum nächsten Morgen wertsachen-aufbewahrung_kubus-obdachlosen-notunterkunft-neukoellnwerden sie dann in nummerierten Kisten in einem Schrank verwahrt. Unter den Betten in den beiden Schlafsälen, die 12 bzw. 13 Plätze haben, stehen geräumige, mit Deckeln versehene Boxen, in denen das Gepäck sicher verstaut werden kann, damit nichts gestohlen wird.

Der Bezirksstadtrat für Soziales, Jochen Biedermann, der mit der Amtsleiterin der Abteilung Soziales, Silvia Braun, sowie Axel Haesler, dem Fachbereichsleiter der Allgemeinen Sozialen Dienste, zur Pressekonferenz gekommen war, sprach großen Dank und seine Hochachtung für die binnen kurzer Zeit aufgebaute Notübernachtung aus. „Mich hat besonders beeindruckt, dass auch so viele Kleinigkeiten beachtet wurden“, lobte Biedermann das Konzept der Notübernachtung. Bezirksbürgermeisterin Dr. Giffey habe zuletzt am 17. November 2016 die Kältehilfe als Thema beim Rat der Bürgermeister angemeldet. Erst Ende November habe dann die zuständige Senatsverwaltung in Neukölln angefragt, ob biedermann_kubus-obdachlosen-notunterkunft-neukoellneine Notunterkunft im Bezirk zur Verfügung stünde. „Wir müssen zu einer langfristigen Planung kommen“, kritisierte Jochen Biedermann (l.) die bisherige Praxis im Land Berlin. „Nach der Kältehilfe ist vor der Kältehilfe“, sagte er und forderte, dass spätestens im Frühsommer ein Konzept für die Saison 2017/2018 vorliegen müsse. Verstärkte Anstrengungen bei Kältehilfe und Notunterbringung mahnte auch die BAGW an. Seit 1991 seien mindestens 289 wohnungslose Menschen in Deutschland an Unterkühlung verstorben, teilte die Vereinigung Mitte Dezember mit: „Sie erfroren im Freien, unter Brücken, auf Parkbänken, in Hauseingängen, in Abrisshäusern, in scheinbar sicheren Gartenlauben und in sonstigen Unterständen“ Zudem trage die Kälte auch häufig dazu bei, den Gesundheitszustand von erkrankten oder klassen_zessin_kubus-obdachlosen-notunterkunft-neukoellngeschwächten wohnungslosen Menschen weiter zu verschlechtern, bis hin zum Tod der Betroffenen.

Siegfried Klaßen (l.) und Gernot Zessin (r.) von der Kubus gGmbH hoben auf ihrer Pressekonferenz aber auch immer wieder die enorme Hilfsbereitschaft für notleidende Menschen hervor. Filialen von Rewe, Nahkauf und DM im weiteren Einzugsbereich der Notübernachtung seien großzügige Spender. „Auch bei der Bevölkerung, die hier in Neukölln selbst nicht viel hat, habe ich große Hilfsbereitschaft erlebt, mit der ich so nicht gerechnet hätte“, sagte Klaßen. Pressesprecher Zessin hoffte, dass die Hilfsbereitschaft anhält: „Leider fehlt es uns in ganz wichtigen Bereichen an finanziellen Zuschüssen: Drogerieartikel aller Art und Lebensmittel.“ Neben lange haltbaren Lebensmitteln, Kaffee, Tee, Winterkleidung, Seife und Haarshampoo werde vor allem warme Unterwäsche gebraucht, die so gut wie überhaupt nicht gespendet werde.

Nicht zuletzt ist auch ehrenamtliche Unterstützung immer gerne gesehen. Sozial-stadtrat Jochen Biedermann erklärte sich deshalb spontan bereit, am heutigen Eröffnungstag der Neuköllner Notübernachtung eine Schicht von 18.30 bis 22 Uhr zu übernehmen.

Spenden für die Kubus-Kältehilfestation können in der Teupitzer Straße 39 abgegeben, größere Posten abgeholt werden. Weitere Informationen: Tel. 030 – 81 03 35 0

=Christian Kölling=