Für über 700 Jugendliche von fünf Neuköllner Schulen fiel der Unterricht am letzten Donnerstag aus. Statt Deutsch, Englisch oder Mathe zu büffeln, waren sie im Bezirk unterwegs, um sich in Neuköll- ner Betrieben umzusehen. Bereits zum dritten Mal hatte das Unternehmensnetzwerk Neukölln-Süd- ring e. V. einen Tag des offenen Unternehmens organisiert, an dem diesmal 25 Firmen verschie- denster Branchen teilnahmen.
Wir haben zwei Schülergruppen begleitet: Eine von ihnen besuchte die Tischlerei Thieß, die 1950 als Familienbetrieb gegründet wurde und es bis heute ist; die andere bekam die Gelegenheit, hinter die Kulissen des Mercure Hotels Berlin Tempelhof Air- port zu gucken.
In der Niemetzstraße ist in einem typischen Gewer- behof dieses Industriegebiets auch die Tischlerei Thieß angesiedelt. Drei Mädchen und zwei Jungen einer 9. Klasse der Alfred-Nobel-Schule haben sich überpünktlich vor der Werkstatt eingefunden und werden von Michael Thieß, dem Firmeninhaber, begrüßt. Er hat sich mit seinen Mitar- beitern einfühlsam, fast liebevoll auf den Tag vorbereitet – und dementspre- chend läuft auch das Programm ab.
Zunächst erfahren die Besucher etwas von der Firmengeschichte, die vor 64 Jahren in der Siegfriedstraße mit der Gründung durch den Großvater begann. 1978 wurde der Betrieb in eine GmbH um- gewandelt, 1990 an den jetzigen Standort verlegt, und heute leitet Michael Thieß mit seiner Schwester Anja die Firma mit 11 Mitarbeitern in dritter Generation. „Schwerpunkt des Geschäfts ist die Bautischlerei, insbesondere die Spezial- anfertigung und der Einbau von Kasten- doppelfenstern“, erzählt er und berichtet stolz vom aktuellen Auftrag des Deut- schen Generalkonsulats in Istanbul, 340
Fenster in historischer Form und in Eiche herzu-stellen.
Der nächste Programmpunkt steht unter dem Thema „Ausbildung, wie geht das?“. Obwohl bereits in der Vorstellungsrunde klar wurde, dass keiner der Gäste an einer Tischlerausbildung interessiert ist, hören alle den Ausführungen zum Dualen Ausbildungssystem, der überbetrieblichen Ausbildung mit Maschinen- und Oberflächenkursen und der abschließenden Prüfung vor der Handwerkskammer interessiert zu. Auch René (l.), der derzeitige Auszubildende der Tischlerei Thieß,
steht Rede und Ant- wort und gewährt sogar Einblick in sein gewissen- haft geführtes Berichtsheft.
Beim Zuhören und -schauen soll es für die Ju- gendlichen aber nicht bleiben: Nach einem Rund- gang durch die Werkstatträume dürfen sie sich an einer praktischen Arbeit auszuprobieren. Auch hier machen alle tap- fer mit und führen zu- nächst eine MDF-Platte der CNC-gesteuerten Kombimaschine (r.) zu. Eine solche computer- gesteuerte Maschine könne nur eingerichtet und nutzbar gemacht werden, wenn hinreichendes Wissen um den Werkstoff und seine Bearbeitung vorhanden ist, erläutert Michael Thieß: „Sonst können in wenigen Minuten Tausende Euro Schaden verursacht werden.“ Als das Werkstück die Maschine verlässt, ist eine Nut eingefräst, die deutlich den Umriss
eines Handhobels erkennen lässt. Die nächsten Stationen sind die Kantenleimmaschi- ne (l.) und der Kalibrator, der noch überstehende Kanten beseitigt. Zum Schluss müs- sen die Schülerinnen und Schüler nach all den maschi- nellen Bearbeitungen dann doch noch Hand anlegen: Bevor das fertige Produkt mit
der Firmenplakette komplettiert wird, gilt es, mit einer Feile die Ecken zu runden. Dass das Werkstück mit nach Hause genommen werden darf, versteht sich
von selbst.
Insgesamt waren es zwei Stunden, die – er- lebnisreich gefüllt – wie im Fluge vergingen, aber doch wohl auch nachhaltigen Eindruck hinterließen. Den dokumentierten die Jugendlichen in Erkundungsbö- gen, wobei Chef und Mitarbeiter der Tischlerei Thieß erneut zur Seite standen und sehr geduldig Fragen zum Firmenverständnis, zu Anforderungen oder Zukunfts- aussichten zu beantworten halfen.
Etwa 2 1/2 Kilometer weiter nordwestlich: 15 Neuntklässler, einige ebenfalls überpünktlich, aus drei Neuköllner Schulen haben sich in der Lobby des Mercure Hotels an der Her-
mannstraße versammelt, um zu- nächst in zwei Gruppen geteilt zu werden. „Weil Sie während des Rundgangs auch ein bisschen was machen sollen und die Hän- de frei haben müssen, deponieren wir Ihre Taschen im Kofferraum“, instruiert Verkaufsleiterin Tanja Loerch lächelnd aber bestimmt. „Und die Handys bitte auch!“, ergänzt sie. Ein mimisches Murren macht die Runde … (Fortsetzung am 30. Mai)
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