Zu hoch gepokert

In wenigen Tagen jährt es sich zum 27. Mal: das Weihnachtsfest, das Rodger Klingler und Patrick Giersch niemals vergessen werden. Die beiden, die seit dem Teena- geralter beste Freunde sind, wohnten damals zusammen. „An diesem 25. Dezember 1984 hab ich Rodger aus dem Brasilien-Urlaub zurückerwartet, aber er kam nicht am Flughafen an“, erinnert sich der gebürtige Münchener Patrick Giersch, der seit einigen Jahren in Neukölln lebt. Wenig später erfuhr er, was seinen Freund am Heimflug gehindert hatte: Rodger Klingler war am Heiligabend beim Versuch erwischt worden, 1 Kilo Kokain aus Brasilien zu schmuggeln, um in Deutschland die schnelle Mark zu machen.  „Er hat zu hoch gepokert“, sagt Patrick Giersch, „und verloren.“ Der Traum vom Wohlstand durch den Drogenverkauf endete in einem ein kilo paradies, morpheus verlag, rodger klingler, patrick gierschAlbtraum: Der gelernte Koch wurde in Bra- silien zu 4 1/2 Jahren Haft verurteilt.

Bereits vor drei Jahren veröffentlichte Rodger Klingler die Erinnerungen an seine Zeit als Häftling mit dem Titel „Memórias do Sub- mundo“ in Brasilien in Buchform und sorgte damit für reichlich Wirbel. Dermaßen de- taillierte Einblicke in den ganz normalen Alltag und den hinter Gefängnismauern, hätte sich das Land, das sich derzeit auf die Gastgeberrolle für die Fußball-WM 2014 vorbereitet, wohl lieber erspart. Nun hat der heute 47-jährige Klingler nachgelegt: Zusam- men mit Patrick Giersch, der nicht nur sein Freund sondern auch ein erfahrener Dreh- buchautor ist, schrieb er eine deutsche Fassung seines autobiografischen Werks.

„Ein Kilo Paradies – Gefängnishölle an der Copacabana“ ist wahrlich keine leichte Lesekost. Ungeschönt schildert Klingler die Brutalität und Hierarchien in bra- silianischen Knästen, die alltäglichen Gewaltexzesse durch Wärter und unter Ge- fangenen, die auch er erleiden musste, und die Morde, bei denen er Augen- oder Ohrenzeuge wurde. Nicht minder drastisch und atmosphärisch dicht sind die Beschreibungen der sanitären Einrichtungen und medizinischen Versorgung. Wer Brasilien mit Drogen im Gepäck verlassen will, drängt sich als zentrale Aussage auf, der sollte sich nicht erwischen lassen – oder aber noch genug Geld für ge- schäftstüchtige Zöllner dabei haben. Doch daran scheiterte es bei Rodger Klingler. „2000 Dollar und ich lass dich gehen, aber nur, weil heute Weihnachten ist.“ Ich zog den Geldbeutel hervor, öffnete das Scheinfach und entnahm so, dass er es sehen konnte, meine restlichen Dollarscheine. (…) Ich hatte nur noch jämmerliche 300 Dol- lar.  Zu wenig, um sich freizukaufen.

Das Buch gibt zweifellos spannende Einblicke in eine Welt, die den meisten unbekannt ist. Gleichwohl hat es Schwächen, mit denen ein aufmerksameres Lek- torat hätte aufräumen können: Viele Szenen wiederholen sich und verlieren so ihre Eindringlichkeit, Ausrufezeichen wurden großzügigst im Text verteilt – und belassen. Zudem wünscht man sich spätestens im vor wenigen Monaten verfassten Epilog einen reflektierenden, selbstkritischen Rückblick Klinglers auf sein Abrutschen in die Drogenszene, den jäh gebremsten Karrieresprung vom User zum Dealer und die Zeit als Häftling in Brasilien.

„Großartig verändert hat sich Rodger durch die Erlebnisse erstaunlicherweise gar nicht. Aber von kriminellen Dingen und Drogen lässt er seitdem die Finger“, sagt Patrick Giersch, der bereits eine Drehbuch-Version des Stoffs verfasst hat. „Ein Produzent, der an einer Verfilmung der Geschichte interessiert ist, ist auch schon gefunden“, erzählt er und verrät, dass David Kross der Wunschkandidat für die Besetzung der Hauptrolle sei. Nicht nur, weil der ein brillanter Schauspieler ist, sondern auch wegen der optischen Ähnlichkeit mit dem jungen Rodger Klingler.

Rodger Klinglers Autobiographie „Ein Kilo Paradies – Gefängnishölle an der Copacabana“ (238 Seiten, ISBN 978-3-94 1698-01-7) ist im Morpheus Ver- lag erschienen und kostet 12 Euro.

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