Zwischen Idylle und Katastrophe: Streit um einen ehemaligen Neuköllner Friedhof

tentstation neukölln hermannstraße, neuer st. thomas friedhofMan stelle sich vor: Man besitzt ein über 6 Hektar großes, direkt an der Neuköllner Hermannstraße gelegenes Grundstück, das jahrelang verwilderte, nur Kosten verursachte und nun größtenteils verpachtet werden kann. Wer würde sich da von anderen in die Entscheidung bezüglich des Pächters und der künftigen Nutzung reinreden lassen wollen?

Eben jenes Mitspracherecht erwarten aber diejenigen, die das Areal jahrelang so unrechtmäßig wie geduldet als Abenteuerspielplatz für sich und ihre Hunde nutzten. Dass das Gelände des einstigen St. Thomas Friedhofs nun vom Evangelischen Friedhofsverband Berlin Stadtmitte bis Ende 2016 zu zwei Dritteln an das Tentstation-Team verpachtet wurde, das im Mai nächsten Jahres dort einen Campingplatz eröffnen wird, passt ihnen jedenfalls gar nicht. Menschen auf einem Gräberfeld zelten zu lassen, sei pietätlos, warfen die in der Interessengemeinschaft Bunter Hund vereinigten Hundebesitzer den neuen Pächtern und dem Besitzer dieser Tage bei einer Informationsveranstaltung vor. Außerdem würde eine „in Nordneukölln einzigartige Naturlandschaft“ ebenso verloren gehen, so die Presseinformation der IG, wie der von ihr initiierte „bundesweit einzigartige Hundpark für tentstation neukölln hermannstraße, neuer st. thomas friedhofTier und Mensch“. Sie seien vor Beginn der Planierungs-arbeiten nicht über die Einrichtung eines Campingplatzes informiert worden, mo- nieren die Bunter Hund-Aktivisten und fordern neben einer Gewaltsverzichtserklärung eine „aktive und effektive Beteiligung über die Zukunft des Areals“. Wir wollen es, teilen sie ferner mit, für alle als öffentliches Gelände, nicht als Privatgrundstück! Vor dem Hin- tergrund, dass das Terrain längst privat ist, muten die Forderungen ähnlich kurios an, als würde umgekehrt die evangelische Kirche von den Anrainern eine einheitliche Balkonbepflanzung verlangen oder vorschreiben wollen, dass an ungeraden Tagen nur Hunde mit Schlappohren Zutritt haben.

So war es nicht nur der Widerstand der Hundebesitzer, der Jürgen Quandt überraschte, sondern auch die Forderungen und Argumentationen verdutzten den Geschäftsführer des Friedhofsverbands Berlin Stadtmitte (EVFBS): Seit Ende der 1970er-Jahre habe es auf dem Neuen St. Thomas Kirchhof keine Beisetzung mehr gegeben, seit 2007 sei der Friedhof geschlossen und geräumt worden. „Seitdem hat tentstation neukölln hermannstraße, neuer st. thomas friedhofdie zweckwidrige Inanspruchnahme als Hundeklo und -auslaufgebiet stetig zuge- nommen, auch die Beschwerden von Anwohnern über nächtlichen Lärm und eine Vermüllung.“ Ein vierstelliger Betrag habe vom kirchlichen Träger, der nach wie vor in der Haftung für das Gelände sei, in die Reparatur demolierter Zaunanlagen inves- tiert werden müssen – ein nachhaltiger Effekt blieb jedoch aus. Was bisher ebenfalls ausblieb, ist ein Ankauf des Grundstücks als A100-Ausgleichsfläche durch den Berliner Senat: Der wurde zunächst für 2010 in Aussicht gestellt, dann aber durch die Stagnation bei der Autobahnplanung bis 2017 aufgeschoben.

Dieses Zeitfenster wird jetzt mit einer Zwischennutzung durch die Tentstation ge- schlossen, die sechs Jahre lang im Bezirk Tiergarten ihr Domizil in einem stillgelegten Freibad hatte. Wie die Camper auf das Angebot, ihre Zelte auf einem ehemaligen Friedhof aufzubauen, reagieren werden, ist auch den Pächtern noch nicht klar. „Das Gelände ist einerseits sehr schön, aber andererseits auch sehr sensibel und damit für uns nicht ohne Risiko“, gab Petr Barth vom Tentstation-Team zu. Klar sei, dass weder ein Party-Zeltplatz, noch ein ein Event-Campingareal mit Gruselfaktor entstehen solle. Abendruhe, beruhigte Barth die bei der Info- veranstaltung anwesenden Anwohner, sei um 22 Uhr, Nachtruhe ab Mitternacht. Um die tentstation neukölln hermannstraße, neuer st. thomas friedhofBelastung für die Nachbarschaft so gering wie möglich zu halten, werde man die Rasenfläche für die Zelte und den Meetingpoint weit weg von den Häusern anlegen: „Was wir auf keinen Fall wollen, ist Ärger mit den Anwohnern.“

Deren Meinungen zum Campingplatz direkt nebenan sind noch sehr heterogen. Einig sind sie sich, dass eine frühere Information über das Vorhaben sinnvoll gewesen wäre. Doch hier kamen zuerst die Bagger, die außer dem Erdreich vollendete Tatsachen vor sich her schoben. Konsens scheint allerdings auch darüber zu herrschen, dass die gegenwärtige Nutzung nicht eben das ist, was als „sozialverträglich“ bezeichnet werden kann.  „Ich fühle mich aktuell durch dauerndes Hundegebell, Geschrei und nächtliche Saufgelage belästigt“, machte eine Frau, deren Wecker berufsbedingt regelmäßig um 5 Uhr klingelt, ihrem Unmut Luft. Wildes Campen und Vandalismus seien auch keine Seltenheit, ergänzte ein Anwohner: „Der Status quo ist eine absolute Katastrophe.“ Eigentlich fände er die Idee eines Zeltplatzes sogar wirklich genial.

=ensa=

2 Antworten

  1. Schonmal selbst über den Friedhof gegangen? Ein Häufchen Hundescheiße gefunden? Nein, im Gegensatz, alles rein… und Junkies verirren sich auch nicht mehr auf dieses Gelände – liegt wahrscheinlich daran, dass die Leute, die das Gebiet täglich nutzen, auch für den Erhalt kämpfen und schon mehremals die Polizei wegen Kriminalität gerufen haben. Außerdem sind die Anwohner gegen den Campingplatz, denn allen ist bewusst, Hundegebell ist ein „scheiß“ gegen den Lärm, den saufende Touristen bis spät in die Nacht verursachen werden.
    Ich gehöre zur IG Bunter Hund, mir liegt dieses Biotop am Herzen. Warum sollte ich nicht für den Erhalt kämpfen, soll ich alles abnicken was passiert? Soll ich über meine Interessen entscheiden lassen? Und so utopisch wie unsere Forderungen auch sein sollten, sie liegen im Interesse Neuköllns und allen Bürgern, die keinen Campingplatz sondern lieber dir wild entstandene Natur des alten Friedhofs genießen wollen.
    Genau in Zeiten wie dieser, in der Geld bestimmt was passiert, sollte man für seine Interessen einstehen und kämpfen.
    Ihr macht uns den Vorwurf, dass wir uns nicht mundtot ergeben?
    Wer will das schon…

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    • Ein Biotop? Mir würden viele Worte für diese Fläche einfallen, aber nicht das Wort Biotop.

      Dass sie die Hundehaufen nicht bemerken, scheint eine weitverbreitete Schwäche von Hundebesitzern zu sein – die wenigsten sehen die Hinterlassenschaften ihrer Vierbeiner.

      Viele Initiativen hier im Kiez glauben übrigens im Interesse der Neuköllner zu handeln und bemerken leider selbst nicht, dass dem nicht so ist. Vielleicht ist es nicht in ihrem Interesse, dass die „Auskackfläche“ verschwindet, es gibt aber auch Menschen die das anders sehen. Und der Eigentümer hat da ja wohl auch ein paar Wörtchen mitzureden. Naja, sie werden sicher schon die Sprühdosen schütteln und bald haben wir hier „No more Touries on our Hundewiese“-Schriftzüge an den Wänden. Obwohl – bei der Masse liest das eh kein Mensch mehr.

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