„Tausende von Berliner Jugendlichen sind gefährdet“

Wie viele es genau sind, ist unklar. Schätzungen gehen von rund 30 Berlinern und etwa 240 Deutschen insgesamt aus, die bereits nach Syrien gereist sind, um sich im özkaraca_erdogan_danschke_neuköllner leuchtturm_neuköllnDschihad mit ihrem bewaffneten Ein- satz die Eintrittskarte für das Paradies zu sichern. „Tausende von Berliner Jugendlichen sind gefährdet, von der perfiden Propaganda eingefangen zu werden“, ist Kazim Erdogan (M.) über- zeugt. Um die Problematik in die Öf- fentlichkeit zu bringen, lud der Vorsitzende des Aufbruch Neukölln e. V. Ende letzter Woche gemeinsam mit der Vätergruppe des Vereins zur Pressekonferenz in den Neuköllner Leuchtturm ein. Das Wichtigste sei nun, so Erdogan, die Weiterlesen

Schlaraffenland Hasenheide

Eine Besonderheit ist es wahrlich nicht, dass sich in der Neuköllner Hasenheide Menschen ins Gebüsch verdrücken. Den Ruf als Marktplatz für Drogendealer hat der Volkspark längst weg, und wo anders als im Schutz des Dickichts an den Wegesrändern lassen lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllnsich besser relativ ungestört Verhandlungen führen oder Waren gegen Geld tauschen?

Gestern Mittag war das Interesse an den Sträuchern entlang der Nord-Süd-Achse der Grünanlage noch größer als sonst und es beschränkte sich ganz und gar nicht auf die üblichen Verdächtigen: Jogger drosselten ihr Tempo, um sich genauer anzusehen, was sie erspäht hatten. Hundehalter unterbrachen ihre Gassi- runden alle paar Meter, bückten sich nach dem, was kazim erdogan, lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllnandere hinterlas- sen hatten und beäugten es eingehend.  Rad- fahrer fuhren Schrittgeschwindigkeit, um bloß nichts zu übersehen, was in Plastiktüten verpackt in den Sträuchern hing und habenswert gewe- sen wäre.

„Weit  über 3.000 Bücher  haben wir heute hier verteilt“, überschlägt Kazim Erlies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllndogan (r.), der Ini- tiator der Aktion, die aus der Ha- senheide nicht nur eine riesige Open Air-Biblio- thek machte, son- dern zugleich viel Aufmerksamkeit auf die am 1. Sep- lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllntember beginnende Woche der Sprache und des Lesens in Berlin  lenkte. An die 150 Schüler sowie Mitarbeiter sozialer Einrichtungen, sagt Erdogan, hätten lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllndabei geholfen, die Bücher an Bäume und Sträucher zu hängen, in Astgabeln zu klemmen, im lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllnGras auszulegen und auf Bänken zu drappieren. Auch viele Mitglieder der türkischen Vätergruppe, die wie die Sprachwoche ein Projekt des von Erdo- gan geleiteten Vereins lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllnAufbruch Neukölln ist, packten kräftig mit an, um Literarisches unters Volk zu bringen.

Kooperationspartner der Aktion „Lies mich … und gib mich weiter!“, die gestern parallel im Volkspark Friedrichshain stattfand und heute im Humboldthain und im Tiergarten fortgesetzt wird, ist der Berliner Büchertisch. „Wir haben etwa 80 Prozent der ins- lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllngesamt 10.000 Bücher gespendet, die in den vier Parks verschenkt werden. Der Rest kam von Ver- lagen“, sagt Ana Lichtwer, die Geschäftsführerin der Organisation. Bilderbücher, Kinderbücher, Belletris- lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllntisches vom Liebesro- man bis zum Thriller, Sachbücher, Bildbände – das Angebot ließ lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllnkaum Wünsche offen. „Das war uns auch wichtig“, berichtet Lichtwer, „dass keine thematische Vorauswahl getroffen wird.“ Das Hauptkriterium sei gewesen, dass die Bücher in sehr gutem Zustand sind und Lust aufs Mitnehmen und Lesen machen.

lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllnDas allein sei aber nicht das Ziel der Aktion, ergänzt Kemal Hür. Er ist Pressesprecher der Sprachwoche, die  seit 2006 zweijährlich im Bezirk Neukölln  gefei- ert wurde und nun erstmals berlinweit stattfindet. „Je- des Buch“, erklärt Hür, „ist nummeriert, hat einen Beipackzettel, der die Aktion erklärt, und soll nach dem Lesen weiterverschenkt werden.“ Vorher, so die Bitte der Veranstalter, solle man es jedoch im Feedback- formular bei  „Lies mich … und gib mich weiter!“  registrieren:  „Wir hoffen, dass alle dabei mitmachen.“ Beim Abschlussfest am 9. September werde eine erste Bilanz gezogen, inwieweit die Hoffnung sich erfüllt hat.

Für das Prinzip, das auf der Idee des vor 11 Jahren erfundenen Bookcrossings beruht,  interessierten sich gestern erstmal nur wenige derer, die in der Hasenheide lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllnüberraschend auf ein literarisches Schlaraffenland stießen. „Kann man die Bücher wirklich einfach so mitnehmen?“, vergewisserten sich die Zögerlichen. Forschere Naturen sammelten kurzum ein, was auch nur ansatzweise lesenswert erschien. Kinder diverser Kita-Gruppen schwärmten aus, um Neues für die Bücherbestände ihrer Einrichtungen zu suchen und erkundigten sich bei jedem Fundstück, ob das auch tatsächlich ein Buch für Kinder sei. „Ich komme etwa ’ne halbe Stunde später!“, informierte ein  Mann telefonisch  die, mit  denen er  verabredet  war. Das könne man

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sich doch nicht entgehen lassen, sich hier noch ein wenig genauer umzuschauen. Ob sie irgendwo englisch- oder französischsprachige Bücher gesehen hätte, lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllnfragte er eine Frau, die schon reichlich Beute gemacht hatte. „Vereinzelt, auf der anderen Seite des Wegs“, be- richtete sie und wollte im Gegenzug von ihm wissen, ob er irgendwo interessante Bücher über historische Themen gesehen habe. Dass beim Verteilen der Bücher nicht nach Genres sortiert wurde, bemän- gelte sie, sei doch etwas schade. Ganz andere Probleme hatten dagegen etliche Jogger: Mit einem Buch pro Hand könne man ja locker weiterlaufen, bei mehreren würde es allerdings schwierig werden. „Deshalb“, entschied zumindest einer spontan, „brech ich meine Runde jetzt hier ab und guck nur noch nach Büchern.“ Lesen sei ihm fast genauso wichtig wie der tägliche Lauf durch die Hasenheide.

=ensa=

„Im eigenen Zuhause leben Frauen am gefährlichsten“

Zwei auf einen Schlag – mit diesem Slogan begannen die in der letzten Mai-Woche verschickten Presse-Informationen, die die Doppelveranstaltung am 7. Juni vor dem bzw. im 5. infobörse für frauen in neukölln, rathaus neuköllnRathaus Neukölln ankündigten. Sylvia Edler, die Gleichstellungsbeauftragte des Be- zirks, hatte damit zur  5. Infobörse für Frauen auf dem Rathausvorplatz eingeladen, Jugend- stadtrat Falko Liecke zum Projekttag des Lokalen Aktionsplans Nord-Neukölln  im BVV- Saal. Doch dann kam die Nacht vom 3. auf den 4. Juni, in der im Nachbarbezirk Kreuzberg eine 30-Jährige zum Opfer bestialischster häuslicher Gewalt wurde. Das Wort  „Schlag“ 5. infobörse für frauen in neukölln, rathaus neukölln, anti-gewalt-flaggetrifft – mitten ins Zentrum des Deplatzierten. Ließe es sich doch klammheimlich durch „Streich“ oder etwas ähnlich Unbelastetes ersetzen.

Um die 40 frauenpolitische Projekte, Vereine und Institutionen gehören dem Netzwerk Frauen in Neu- kölln an, das von Sylvia Edler initiiert wurde, jährlich die Infobörse veranstaltet und sich dafür einsetzt, „die  Chancengleichheit für Mädchen und Frauen  Realität werden zu lassen“. Wohlwissend, dass es in diesem Bereich „noch viel Handlungsbedarf“ gibt. Doch Themen wie Bildung, berufliche Orientierung und Qualifizierung rückten bei diesem Aktionstag aus aktuellem Anlass in den Hintergrund.

„Wir sind schockiert“, sagt Sylvia Edler. Ihre Stimme kippt immer wieder, als sie über 5. infobörse für frauen in neukölln, rathaus neukölln, gleichstellungsbeauftragte sylvia edler, stadtrat falko lieckedas grausame Verbrechen an Sema- nur S. spricht. „Gewalt ist nicht hin- nehmbar und sie ist unabhängig von Einkommen, Bildung, Alter und Reli- gion.“ Frauen, berichtet die Neuköll- ner Gleichstellungsbeauftragte, wür- den  im eigenen Zuhause am gefähr- lichsten leben. Jede vierte Frau in Deutschland sei dort bereits Opfer seelischer oder körperlicher Gewalt gewesen, 80 Prozent der Taten wür- den von Männern verübt werden. Vor der Rathaustreppe haben sich einige Mitglieder des „Männer gegen Gewalt“-Projekts versammelt, das von der türkischen Väter- initiative männer gegen gewalt, aufbruch neukölln e.v., kazim erdogan, 5. frauen-infobörse neuköllngruppe des Aufbruch Neukölln e. V. angestoßen wurde. Sylvia Edler begrüßt den Initiator Kazim Er- dogan, betont die Wichtigkeit des Anliegens und des Signals, das durch das Projekt von der Community ausgehe. „Die Kapazitäten der Frauenhäuser sind immer ausgelastet, trotz des Gewaltschutzgesetzes, das viele Möglichkeiten geschaffen hat“, so die Gleich-stellungsbeauftragte. Die adäquateste Maßnahme sei der Platzverweis, der auf der Grundlage  „Wer schlägt, der geht“  fußt.

16.108 Fälle häuslicher Gewalt weise die Kriminalstatistik 2011 für Berlin aus. „Das sind  über 40 Einsätze pro Tag!“, mahnt Edler. Um ein Zeichen gegen Gewalt an Frauen zu setzen, habe sie heute extra die Terre des Femmes-Fahne hissen lassen, schweigeminute für semanur s., 5. frauen-infobörse neukölln, rathausturm neuköllndie  sonst eigentlich nur am 25. November  über dem Rathaus-Vorplatz flattert. Um zehn nach 12 bittet Sylvia Edler um ein weiteres Zeichen: eine Schweigeminute für die getötete Kreuzbergerin.

„Die Zahl der Fälle häuslicher Gewalt in der Ber- liner Kriminalstatistik steigt eher, als dass sie sinkt“, sagt später ein Polizist vom Info-Stand der Polizei. Daraus dürfe man aber nicht schließen, dass die Gewalt zugenommen hat. Vielmehr sei es so, dass die massive Auf- klärungsarbeit über das Gewaltschutzgesetz Früchte trage und Vorkommnisse häuslicher Gewalt häufiger gemeldet würden.

=ensa=

Mit T-Shirts und Telefonen gegen Gewalt und Ratlosigkeit

gruppenbild männer gegen gewalt, aufbruch neukölln e.v.Wenn Dutzende Männer stolz ihre neuen T-Shirts mit dem Statement „Männer gegen Gewalt“ auf der Brust präsentieren wollen, wird es selbst im Neuköllner Leuchtturm zu eng. Also legten sie gestern kurzerhand für einen Moment die Emser Straße lahm. Das brachte zwar einem BVG- Bus der Linie 277 sowie einigen Autofahrer eine unerwünschte Zwangspause ein, sorgte aber andererseits auch für das erwünschte Maß an Aufmerksamkeit.

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v. l.: Falko Liecke (Bezirksstadtrat für Jugend und Gesundheit), Elfriede Buben (Philip Morris GmbH), Farhad Dilmaghani (Staatssekretär des Berliner Senats), Kazim Erdogan (Aufbruch Neukölln e. V.)

„Männer gegen Gewalt“ ist eines der neuen Projekte, die die Vätergruppe des Aufbruch Neu- kölln e. V.  gestern bei einer Pressekonferenz vorstellte. Viel zu viel sei in den letzten Jahren im Rahmen von Integrationsprojekten für Mütter/ Frauen und Kinder getan worden, kritisiert Kazim Erdogan: „Aber dadurch sind die  Männer entschieden zu kurz gekommen.“ In diesem Bereich müsse endlich gehandelt werden. Erdogan ist einer, der handelt, und auch die Männer seiner vor fünf Jahren gegründeten türkischen Vätergruppe strotzen vor Aktivismus. Die Erfahrungen, die sie selber mit Gewalt gemacht haben, sind so unterschiedlich wie ihre Lebenswege. Einig sind sie sich jedoch, dass das Thema dringend aus der Tabuzone geholt werden muss. Helfen sollen dabei 2.000 T-Shirts, die in deutscher und türkischer Sprache Stellung beziehen. Dass die das Problem der Gewalt – selbst bei noch so starker öffentlicher Präsenz – nicht lösen, ist allen Beteiligten klar. „Sie sollen auch nur die Menschen für das Thema sensibilisieren und auf Straßen, in Schulen und Kitas Türöffner für Ge- spräche über Gewalt  sein“, sagt Kazim Erdogan und kündigt an, dass das Projekt mit weiteren Modulen fortgeführt wird. Wichtig sei, so Farhad Dilmaghanis Ein- schätzung, dass das Signal direkt von einer Community ausgehe, der das Stereotyp anonyme telefonberatung für männer, aufbruch neukölln e.v., elfriede buben, farhad dilmaghani, kamil duysakder Machokultur anhafte.

Mit dem anderen neuen Männer-Pro- jekt geht der Aufbruch Neukölln e. V. noch einen Schritt weiter. „Das weicht das Klischee vollends auf“, findet der Staatssekretär des Ressorts Arbeit, Frauen und Integration. Ab sofort bie- tet der Verein eine Telefonhotline an, die  Männer in Krisensituationen  rund um die Uhr  erreichen können, um angstfrei und anonym in deut- scher oder türkischer Sprache über ihre Probleme zu reden. Diejenigen, die ihnen zuhören und mit Rat oder auch Tat hilfreich unter die Arme greifen, sind Mitglieder der Vätergruppe. Zu sechst realisieren sie den Service, jeder von ihnen ist täglich vier Stunden lang stand-by. „Das Beruhigen des Anrufers und das Verhindern von Affekttaten steht bei der Beratung im Vordergrund“, erklärt Kazim Erdogan. Bei entsprechendem Bedarf sollen den Ratsuchenden Brücken zu Kriseneinrichtungen team anonyme telefonberatung für männer, aufbruch neukölln e.v.und Beratungsstellen gebaut werden, die sie ohne diese Erste-Hilfe-Maß- nahme nicht kontaktiert hätten.

Kamil Duysak (r.) ist einer dieser Brü- ckenbauer. Er hat sich eine der beiden Nachtschichten ausgesucht. Das mit dem Alltag zu vereinbaren, sei kein Problem, sagt Duysak, zumal seine Familie hinter seinem ehren- amtlichen Engagement stehe und ihn dabei unterstütze. „Sonst“, vermutet er, „ginge das auch gar nicht.“ Von anderer Seite werden die Aktivitäten des Vereins ebenfalls unterstützt. Dem Aufbruch Neukölln e. V. gelang es, die Firma Philip Morris zu gewinnen. „Wir haben in Neukölln ein Werk mit 1.400 Mitarbeitern und fördern solche niedrigschwelligen Projekte an unseren Standorten gerne.“ Bisher, so Unternehmenssprecherin Elfriede Buben, seien es ausschließlich Frauenprojekte gewesen. Trotzdem habe keine große Überzeugungs- arbeit geleistet werden müssen, da schließlich auch Frauen von der Förderung der Männerprojekte profitieren würden.

Ein weiterer Nutznießer der auf Männer ausgerichteten Angebote des Vereins um Kazim Erdogan ist zweifellos das Neuköllner Bezirksamt. „Unsere Angebote sind leider nicht immer passgenau“, räumt Jugend- und Gesundheitsstadtrat Falko Liecke ein. Dazu komme, dass vielen Menschen mit Migrationshintergrund das Vertrauen in bezirkliche Einrichtungen fehle: „Deshalb sind wir sehr dankbar für Projekte, die Tabuthemen aufgreifen und beim Überwinden von Hürden helfen.“ Ob und wie der Bezirk das Engagement der türkischen Männergruppe unterstützen will, die durchaus deutliche Parallelen zu den Stadtteilmüttern aufweist, ließ Liecke offen. Darüber, sagte er, könne man sprechen.

=ensa=