Made in Neukölln: „Woche der Sprache und des Lesens“ erstmals deutschlandweit

Noch 121 Tage, 4 Stunden, 55 Minuten und einige Sekunden bis zum Beginn der „Woche der Sprache und des Lesens 2019“ zeigte die Countdown-Uhr auf der Webseite des bundesweiten Lese-Festivals an, als gestern Abend einige Aktive zum Vorberei-tungstreffen zusammengekommen waren. Zufrieden konnte Projektleiter Ralf Tober im Büro des Aufbruch Neukölln e. V. in der Rixdorfer Uthmannstraße die neue Werbepostkarte vorstellen, die frisch aus der Druckerei gekommen war.

Das Vorbild der ersten deutschlandweiten Sprach-woche ist das Veranstaltungsformat „Woche der Sprache und des Lesens“, das der Verein 2006, 2008 sowie 2010 im Bezirk entwickelte und 2012 in ganz Berlin mit einem umfangreichen Weiterlesen

Leben unterm Dach

Der Vorführeffekt. „Ich versteh das nicht.“ Caroline Reichardt steht unter dem weißen Zeltdach, das sich wie eine Zirkuskuppel gen Himmel reckt, und sieht sich verdutzt werkstatt für veränderung weckt den weißen riesen, kulturbunker neubritz, seraphina lenz, neuköllnum: „So wenige Kinder wie heute waren schon lange nicht mehr hier.“ Woran es liegt, ist ihr ein Rätsel. „Gestern“, sagt die Kommunikations-designerin, die zum Team der Werk- statt für Veränderung gehört, „haben sie noch Geschichten geschrieben, um die heute beim Presse-Termin vorlesen zu können.“

Auch Seraphina Lenz, die Erfinderin und Initiatorin der Werkstatt für Ver- änderung, hat keine Erklärung: „Normalerweise kommen nachmittags 25 bis 40 Kinder.“ Viele seien schon seit Jahren dabei, einige sogar schon von Anfang an. Seit 2003 ist die Bildhauerin mit kunstpädagogischen Projekten für Kinder und Jugend- liche im Neuköllner Ortsteil Neubritz aktiv. Bis 2010 fanden sie auf dem Deckel der A 100, im Carl-Weder-Park, statt. Seit dem letzten Sommer ist es die Freifläche auf dem werkstatt für veränderung weckt den weißen riesen, kulturbunker neubritz, seraphina lenz, neukölln, breakdance-workshopKulturbunker in der Rungiusstraße, die bespielt wird und so aus dem Dorn- röschenschlaf gerissen werden soll.

Zwei Mädchen wollen unbedingt noch mit Thomster vom Urban Dance-Team Footwork Orange ein paar Breakdance- Lektionen üben, bevor sie weiter müssen. Von Versuchen, „der wilden Horde tanzen beizubringen“, spricht der Trainer. Und davon, dass die Konzentrationsfähigkeit, die Selbsteinschätzung und die Unverbindlichkeit der Kinder und Jugendlichen den Versuchen Grenzen setzen würden. Aber Spaß hätten sie definitiv am Breakdancen.

Fünf bis sechs Betreuer sind in das Projekt „Werkstatt für Veränderung weckt den weißen Riesen. Oder die Kunst einen Ort zu erfinden“ involviert. In den Workshops, werkstatt für veränderung weckt den weißen riesen, kulturbunker neubritz, seraphina lenz, neuköllndie sie anbieten, geht es um Aufgaben, die für die Gestaltung, Bespielung und Ver- marktung eines Kulturstandorts wichtig sind. Denn als solcher ist die vom Be- zirksamt Neukölln verwaltetete Freifläche eigentlich vorgesehen. „Aber als das wird er nicht wahrgenommen“, weiß Seraphina Lenz. Zwar würden die meisten Anwohner den umzäunten Platz mit dem weißen Zelt- werkstatt für veränderung weckt den weißen riesen, kulturbunker neubritz, seraphina lenz, neukölln, siebdruck-workshopdach ken- nen, dass die Fläche für private Feierlichkeiten oder Nachbarschaftsfeste gemietet werden kann, wisse jedoch kaum jemand. Entsprechend selten werde das Grundstück genutzt und verwaist sei es meist.

Ein regelrechtes Kontrastprogramm erlebt es seit Mitte August und noch bis zum kommenden Wochen- werkstatt für veränderung weckt den weißen riesen, kulturbunker neubritz, seraphina lenz, neuköllnende: Vormittags wird der Platz unter und um den weißen Riesen häufig von Klassen der vier Neuköllner Schulen genutzt, die Kooperationspartner des Projekts sind. Auch die Young Arts NK, Neuköllns Jugend-kunstschule, ist mit im Boot. Und nachmittags sind es nicht nur Kinder aus dem Kiez, die sich hier die Zeit vertreiben, sondern Frauen aus der Nachbarschaft werkstatt für veränderung weckt den weißen riesen, kulturbunker neubritz, seraphina lenz, neuköllnhaben den  Ort als Treffpunkt entdeckt, wo sich sogar bei Regen draußen kaffeesieren lässt.

Inzwischen sind einige Kinder mehr da.  Die Lust der Jungs auf kreative Beschäftigung scheint ebenso abwesend wie die Kinder, die heute vorlesen wollten: Statt etwas zu bauen, zu basteln oder zu schreiben, sitzen sie auf der aus Paletten gestapelten Bühne und futtern frischgebackene Waffeln. Indes sind die Mädchen in hellblaue Malerkittel geschlüpft, um – angeleitet von Caroline Reichardt – Postkarten zu bedrucken. „Die Wörter, die ihr schreibt“, erklärt sie, „sollten etwas mit dem Ort zu tun haben.“ Ob die Buchstaben in Reih‘ und Glied oder nach dem Chaos-Prinzip auf die Pappe ge- werkstatt für veränderung weckt den weißen riesen, kulturbunker neubritz, seraphina lenz, neuköllnstempelt werden, ist egal.

Ob die Postkarten beim Abschlussfest am 8. September verschenkt, verkauft oder ausgestellt werden, ist noch unklar. Sicher ist hingegen, dass es ein großes Bühnen-programm mit allen Beteiligten geben und Footwork Orange tanzen wird. Eine Veran- staltung, die sich vor allem an die Eltern der Kinder sowie Erwachsene aus der Nachbarschaft richtet, findet bereits  am Vortag statt: Ab 16 Uhr liest der Autor  Murat Ham  unter dem weißen Riesen aus seinem Buch „Fremde Heimat Deutsch- land – Leben zwischen Ankommen und Abschied“. Die Lesung sei ein Experiment, sagt Seraphina Lenz: „Nicht nur die Kinder in das Projekt einzubinden, ist uns jedenfalls sehr wichtig.“

Im letzten Jahr habe sich der Platz unter dem Zeltdach als Ort zum Feiern bewährt, in diesem Jahr werde es bei der Erwachsenen-Veranstaltung ruhiger zugehen. Für das Zeltdach über dem Kulturbunker ist es eine gute Gelegenheit, seine ganze Band- breite als kultureller Möglichkeitsraum zu zeigen und der Nachbarschaft so Anstöße für weitere Nutzungsideen zu geben.

=ensa=

Schlaraffenland Hasenheide

Eine Besonderheit ist es wahrlich nicht, dass sich in der Neuköllner Hasenheide Menschen ins Gebüsch verdrücken. Den Ruf als Marktplatz für Drogendealer hat der Volkspark längst weg, und wo anders als im Schutz des Dickichts an den Wegesrändern lassen lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllnsich besser relativ ungestört Verhandlungen führen oder Waren gegen Geld tauschen?

Gestern Mittag war das Interesse an den Sträuchern entlang der Nord-Süd-Achse der Grünanlage noch größer als sonst und es beschränkte sich ganz und gar nicht auf die üblichen Verdächtigen: Jogger drosselten ihr Tempo, um sich genauer anzusehen, was sie erspäht hatten. Hundehalter unterbrachen ihre Gassi- runden alle paar Meter, bückten sich nach dem, was kazim erdogan, lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllnandere hinterlas- sen hatten und beäugten es eingehend.  Rad- fahrer fuhren Schrittgeschwindigkeit, um bloß nichts zu übersehen, was in Plastiktüten verpackt in den Sträuchern hing und habenswert gewe- sen wäre.

„Weit  über 3.000 Bücher  haben wir heute hier verteilt“, überschlägt Kazim Erlies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllndogan (r.), der Ini- tiator der Aktion, die aus der Ha- senheide nicht nur eine riesige Open Air-Biblio- thek machte, son- dern zugleich viel Aufmerksamkeit auf die am 1. Sep- lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllntember beginnende Woche der Sprache und des Lesens in Berlin  lenkte. An die 150 Schüler sowie Mitarbeiter sozialer Einrichtungen, sagt Erdogan, hätten lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllndabei geholfen, die Bücher an Bäume und Sträucher zu hängen, in Astgabeln zu klemmen, im lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllnGras auszulegen und auf Bänken zu drappieren. Auch viele Mitglieder der türkischen Vätergruppe, die wie die Sprachwoche ein Projekt des von Erdo- gan geleiteten Vereins lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllnAufbruch Neukölln ist, packten kräftig mit an, um Literarisches unters Volk zu bringen.

Kooperationspartner der Aktion „Lies mich … und gib mich weiter!“, die gestern parallel im Volkspark Friedrichshain stattfand und heute im Humboldthain und im Tiergarten fortgesetzt wird, ist der Berliner Büchertisch. „Wir haben etwa 80 Prozent der ins- lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllngesamt 10.000 Bücher gespendet, die in den vier Parks verschenkt werden. Der Rest kam von Ver- lagen“, sagt Ana Lichtwer, die Geschäftsführerin der Organisation. Bilderbücher, Kinderbücher, Belletris- lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllntisches vom Liebesro- man bis zum Thriller, Sachbücher, Bildbände – das Angebot ließ lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllnkaum Wünsche offen. „Das war uns auch wichtig“, berichtet Lichtwer, „dass keine thematische Vorauswahl getroffen wird.“ Das Hauptkriterium sei gewesen, dass die Bücher in sehr gutem Zustand sind und Lust aufs Mitnehmen und Lesen machen.

lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllnDas allein sei aber nicht das Ziel der Aktion, ergänzt Kemal Hür. Er ist Pressesprecher der Sprachwoche, die  seit 2006 zweijährlich im Bezirk Neukölln  gefei- ert wurde und nun erstmals berlinweit stattfindet. „Je- des Buch“, erklärt Hür, „ist nummeriert, hat einen Beipackzettel, der die Aktion erklärt, und soll nach dem Lesen weiterverschenkt werden.“ Vorher, so die Bitte der Veranstalter, solle man es jedoch im Feedback- formular bei  „Lies mich … und gib mich weiter!“  registrieren:  „Wir hoffen, dass alle dabei mitmachen.“ Beim Abschlussfest am 9. September werde eine erste Bilanz gezogen, inwieweit die Hoffnung sich erfüllt hat.

Für das Prinzip, das auf der Idee des vor 11 Jahren erfundenen Bookcrossings beruht,  interessierten sich gestern erstmal nur wenige derer, die in der Hasenheide lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllnüberraschend auf ein literarisches Schlaraffenland stießen. „Kann man die Bücher wirklich einfach so mitnehmen?“, vergewisserten sich die Zögerlichen. Forschere Naturen sammelten kurzum ein, was auch nur ansatzweise lesenswert erschien. Kinder diverser Kita-Gruppen schwärmten aus, um Neues für die Bücherbestände ihrer Einrichtungen zu suchen und erkundigten sich bei jedem Fundstück, ob das auch tatsächlich ein Buch für Kinder sei. „Ich komme etwa ’ne halbe Stunde später!“, informierte ein  Mann telefonisch  die, mit  denen er  verabredet  war. Das könne man

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sich doch nicht entgehen lassen, sich hier noch ein wenig genauer umzuschauen. Ob sie irgendwo englisch- oder französischsprachige Bücher gesehen hätte, lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllnfragte er eine Frau, die schon reichlich Beute gemacht hatte. „Vereinzelt, auf der anderen Seite des Wegs“, be- richtete sie und wollte im Gegenzug von ihm wissen, ob er irgendwo interessante Bücher über historische Themen gesehen habe. Dass beim Verteilen der Bücher nicht nach Genres sortiert wurde, bemän- gelte sie, sei doch etwas schade. Ganz andere Probleme hatten dagegen etliche Jogger: Mit einem Buch pro Hand könne man ja locker weiterlaufen, bei mehreren würde es allerdings schwierig werden. „Deshalb“, entschied zumindest einer spontan, „brech ich meine Runde jetzt hier ab und guck nur noch nach Büchern.“ Lesen sei ihm fast genauso wichtig wie der tägliche Lauf durch die Hasenheide.

=ensa=

Auf keinem guten Weg

„So leer war es noch nie bei einem Parkgespräch“, konstatiert Heidi Göbel. Nicht mal die Hälfte der Stühle fürs Publikum ist vor der Pause besetzt, nach der Pause haben sich die Reihen noch wei- ter gelichtet. Göbel, die die Talkreihe im Körnerpark mit Martin Steffens mode- riert, vermutet, dass die Parallelität verschiedener anderer Veranstaltungen im Umkreis weniger Minuten Fußweg Ursache für den bescheidenen Zuspruch ist. Bei der Planung fürs nächste Jahr müssten sie darauf achten Termine zu finden, an denen nichts anderes los ist, sagt Heidi Göbel. Ihr Kollege Tasin Özcan, für die Technik und die Bewirtung des Publikums zuständig, äußerst Bedenken, ob es einen solchen Termin überhaupt geben wird. Außerdem: Vorherige Parkgespräche waren gut besucht, obwohl auch sie nicht bar jeglicher Konkurrenz über die Bühne gingen.

Gut möglich, dass das relative Desinteresse am Thema selbst oder daran lag, wie es auf Plakaten und Flyern angekündigt wurde: „Literatur in Neukölln“. War das doch ein zu nüchterner Titel für eine Materie, die ohnehin entweder interessiert oder eben nicht? Fehlte manchem potenziellen Besucher angesichts der Runde der Disku- parkgespräche neukölln, martin steffens, kazim erdogan, gunnar kunz, hanna baynetanten womöglich die Aussicht auf verbale Kontroversen?

Zweifellos, auf dem Podium saßen – flankiert von Martin Stef- fens (l.) und Heidi Göbel – drei, die sich im Bereich der Literatur, in Neukölln oder bei beidem auskennen: Hanna Bayne (r.) leitet das Sprach- und Lern- zentrum der Neuköllner Stadt- bibliothek, Gunnar Kunz (M.) ist Schriftsteller und wohnte von 1987 bis 1997 in Neukölln und   Kazim Erdogan (2. v. l.) rief das Erfolgsprojekt „Woche der Sprache und des Lesens“ ins Leben, arbeitet im Norden des Bezirks und wohnt im Süden Neuköllns. Die Literaturaffinität kann also durchaus als ihr gemeinsamer Nenner bezeichnet werden, die Werbung für das eigene Tun stellte sich als weiterer heraus.

Bei Hanna Bayne offenbarte es sich in einer so starken Ausprägung, dass sie bereits bei der Einstiegsfrage „Warum ist das Lesen wichtig?“ weitestgehend an der Frage vorbei antwortete. Kunz gab zu, schon als Kind Bücher verschlungen zu haben, und Erdogan erklärte Bücher zum Reichtum der Menschheit und wichtigsten Kommunikationsmittel. Dafür, dass die Runde sich wieder weit vom Thema Literatur entfernte, sorgte das von Karteikarten gegeißelte Moderatoren-Duo mit der Anschlussfrage. „Wie sieht Ihr Schreibtisch aus?“, wollte es erfahren – und mehr noch, ob auf dem auch ein PC stehe.

Danach durfte die Bibliothekarin (dienstlicher Schreibtisch „sehr organisiert“ und mit PC, häuslicher Schreibtisch „anders“) von ihrem Arbeitsalltag berichten, der vor allem aus der Vermittlung von Medien an Schüler der Jahrgangsstufen 7 bis 12 bestehe. Hauptsächlich gehe es dabei um Literatur für die Schule, privat werde von Jugendlichen „eindeutig zunehmend weniger“ gelesen, so Bayne. Die Bibliothek versuche den Trend jedoch auch durch ein belletristisches Angebot mit Büchern für Leseungewohnte zu bremsen, mit Büchern über brisante Themen in Großschrift. parkgespräche - talk im körnerpark, neukölln, kazim erdogan, gunnar kunz, hanna bayneKinder würden bereits ab dem Kita-Alter durch verschiedene Projekte und Aktionen an das Lesen herangeführt.

Um das Schaffen von Mög- lichkeiten zur Begegnung mit Literarischem geht es auch Ka- zim Erdogan (Büro-Schreibtisch „schlimm, obwohl ich eigentlich ein sehr ordentlicher Mensch bin“) mit seiner „Woche der Sprache und des Lesens“. 2006 fand sie erstmals in Neukölln statt und soll im nächsten Jahr auf ganz Berlin ausgeweitet werden. Das Besondere des Events sei, dass es von der Basis organisiert werde und ein Programm biete, das Menschen aller Altersgruppen und Herkunftsländer anspreche: Autoren mit Vorbildpotenzial lesen in Schulen oder auf öffentlichen Plätzen, Vorleser in Bussen, Wartezimmern und an anderen ungewöhnlichen Orten aus Werken verschiedenster literarischer Genres. Um eine Wertschätzung der Sprachenvielfalt in der Stadt gehe es dabei selbstverständlich auch. „Deutsch“, sagt Erdogan, „ist aber definitiv die Erstsprache.“ Wie überaus wichtig eine gemeinsame Sprache ist, das erlebe er ständig: „Und ich selber habe es sehr unmittelbar erfahren, als ich 1974 – ohne ein Wort Deutsch zu können – aus der Türkei nach Deutschland einreiste.“

Einer Frage an Gunnar Kunz (Schreibtisch im Arbeitszimmer „extrem aufgeräumt“) soll die Maschen um das Thema „Literatur in Neukölln“ wieder etwas enger ziehen. Die, wie denn die Vernetzung der Neuköllner Literaturszene in den 1980er- und 1990er-Jahren gewesen sei, taugt dafür nur bedingt. Er habe nicht viel mit der Szene zu tun gehabt, sagt Kunz. Auf die Frage nach seinem Alltag als Literat hat er mehr zu erzählen: Der sei sehr strukturiert und teile sich in die Kreativarbeit in der ersten und Recherchen sowie Organisatorisches in der zweiten Tageshälfte. „Für mich ist die Schriftstellerei der schönste Beruf der Welt“, sagt Gunnar Kunz – auch vor dem Hintergrund zu denen zu gehören, die davon leben kön- nen. Ob es von dem Krimi-Autor auch irgendwann ein lustiges Neukölln-Buch à la Uli Hanne- mann geben wird, will Martin Steffens noch wissen. „Nö“, er- klärt der 50-Jährige, „das inte- ressiert mich nicht.“

„Was wünschen Sie dem Nor- den Neuköllns literarisch?“ lau- tet die Frage, mit der die dritte Ausgabe der Parkgespräche in Richtung Pause trudelt. „Wir sind auf einem guten Weg“, findet Kunz und lobt die „total interessanten“ Fragen, die Jugendliche ihm oft bei Lesungen stellen. Hanna Baynes Wünsche zielen in erster Linie auf den Umgang der Neuköllner mit der Bibliothek: „Mehr Selbst- verständnis, sie zu benutzen, wäre schön.“ Kazim Erdogan wünscht sich Akzeptanz und Anerkennung, aber auch Beschämung, zum Beispiel angesichts der hohen Analphabeten-Quote. Das bringt ihm Applaus ein.

Nach der Pause verrät Erdogan noch, dass er momentan das Wowereit-Buch liest und demnächst selber unter die Autoren gehen wird. Er habe das Angebot eines Verlags angenommen, der ein Buch zum Thema Integration von ihm veröffentlichen möchte. Insofern schließt sich der Kreis um das Thema „Literatur in Neukölln“ dann doch wieder.  Hätten Schriftsteller, die aktuell in Neukölln leben, oder Inhaber kleiner Neuköllner Buchhandlungen auf dem Podium gesessen, hätte das Publikum dieses Erlebnis höchstwahrscheinlich öfter haben können. Moderatoren, die sich statt für das Oder für Fisch oder Fleisch entschieden hätten, wären auch von Vorteil gewesen.

=ensa=