Made in Neukölln: „Woche der Sprache und des Lesens“ erstmals deutschlandweit

Noch 121 Tage, 4 Stunden, 55 Minuten und einige Sekunden bis zum Beginn der „Woche der Sprache und des Lesens 2019“ zeigte die Countdown-Uhr auf der Webseite des bundesweiten Lese-Festivals an, als gestern Abend einige Aktive zum Vorberei-tungstreffen zusammengekommen waren. Zufrieden konnte Projektleiter Ralf Tober im Büro des Aufbruch Neukölln e. V. in der Rixdorfer Uthmannstraße die neue Werbepostkarte vorstellen, die frisch aus der Druckerei gekommen war.

Das Vorbild der ersten deutschlandweiten Sprach-woche ist das Veranstaltungsformat „Woche der Sprache und des Lesens“, das der Verein 2006, 2008 sowie 2010 im Bezirk entwickelte und 2012 in ganz Berlin mit einem umfangreichen Weiterlesen

Schlaraffenland Hasenheide

Eine Besonderheit ist es wahrlich nicht, dass sich in der Neuköllner Hasenheide Menschen ins Gebüsch verdrücken. Den Ruf als Marktplatz für Drogendealer hat der Volkspark längst weg, und wo anders als im Schutz des Dickichts an den Wegesrändern lassen lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllnsich besser relativ ungestört Verhandlungen führen oder Waren gegen Geld tauschen?

Gestern Mittag war das Interesse an den Sträuchern entlang der Nord-Süd-Achse der Grünanlage noch größer als sonst und es beschränkte sich ganz und gar nicht auf die üblichen Verdächtigen: Jogger drosselten ihr Tempo, um sich genauer anzusehen, was sie erspäht hatten. Hundehalter unterbrachen ihre Gassi- runden alle paar Meter, bückten sich nach dem, was kazim erdogan, lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllnandere hinterlas- sen hatten und beäugten es eingehend.  Rad- fahrer fuhren Schrittgeschwindigkeit, um bloß nichts zu übersehen, was in Plastiktüten verpackt in den Sträuchern hing und habenswert gewe- sen wäre.

„Weit  über 3.000 Bücher  haben wir heute hier verteilt“, überschlägt Kazim Erlies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllndogan (r.), der Ini- tiator der Aktion, die aus der Ha- senheide nicht nur eine riesige Open Air-Biblio- thek machte, son- dern zugleich viel Aufmerksamkeit auf die am 1. Sep- lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllntember beginnende Woche der Sprache und des Lesens in Berlin  lenkte. An die 150 Schüler sowie Mitarbeiter sozialer Einrichtungen, sagt Erdogan, hätten lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllndabei geholfen, die Bücher an Bäume und Sträucher zu hängen, in Astgabeln zu klemmen, im lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllnGras auszulegen und auf Bänken zu drappieren. Auch viele Mitglieder der türkischen Vätergruppe, die wie die Sprachwoche ein Projekt des von Erdo- gan geleiteten Vereins lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllnAufbruch Neukölln ist, packten kräftig mit an, um Literarisches unters Volk zu bringen.

Kooperationspartner der Aktion „Lies mich … und gib mich weiter!“, die gestern parallel im Volkspark Friedrichshain stattfand und heute im Humboldthain und im Tiergarten fortgesetzt wird, ist der Berliner Büchertisch. „Wir haben etwa 80 Prozent der ins- lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllngesamt 10.000 Bücher gespendet, die in den vier Parks verschenkt werden. Der Rest kam von Ver- lagen“, sagt Ana Lichtwer, die Geschäftsführerin der Organisation. Bilderbücher, Kinderbücher, Belletris- lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllntisches vom Liebesro- man bis zum Thriller, Sachbücher, Bildbände – das Angebot ließ lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllnkaum Wünsche offen. „Das war uns auch wichtig“, berichtet Lichtwer, „dass keine thematische Vorauswahl getroffen wird.“ Das Hauptkriterium sei gewesen, dass die Bücher in sehr gutem Zustand sind und Lust aufs Mitnehmen und Lesen machen.

lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllnDas allein sei aber nicht das Ziel der Aktion, ergänzt Kemal Hür. Er ist Pressesprecher der Sprachwoche, die  seit 2006 zweijährlich im Bezirk Neukölln  gefei- ert wurde und nun erstmals berlinweit stattfindet. „Je- des Buch“, erklärt Hür, „ist nummeriert, hat einen Beipackzettel, der die Aktion erklärt, und soll nach dem Lesen weiterverschenkt werden.“ Vorher, so die Bitte der Veranstalter, solle man es jedoch im Feedback- formular bei  „Lies mich … und gib mich weiter!“  registrieren:  „Wir hoffen, dass alle dabei mitmachen.“ Beim Abschlussfest am 9. September werde eine erste Bilanz gezogen, inwieweit die Hoffnung sich erfüllt hat.

Für das Prinzip, das auf der Idee des vor 11 Jahren erfundenen Bookcrossings beruht,  interessierten sich gestern erstmal nur wenige derer, die in der Hasenheide lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllnüberraschend auf ein literarisches Schlaraffenland stießen. „Kann man die Bücher wirklich einfach so mitnehmen?“, vergewisserten sich die Zögerlichen. Forschere Naturen sammelten kurzum ein, was auch nur ansatzweise lesenswert erschien. Kinder diverser Kita-Gruppen schwärmten aus, um Neues für die Bücherbestände ihrer Einrichtungen zu suchen und erkundigten sich bei jedem Fundstück, ob das auch tatsächlich ein Buch für Kinder sei. „Ich komme etwa ’ne halbe Stunde später!“, informierte ein  Mann telefonisch  die, mit  denen er  verabredet  war. Das könne man

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sich doch nicht entgehen lassen, sich hier noch ein wenig genauer umzuschauen. Ob sie irgendwo englisch- oder französischsprachige Bücher gesehen hätte, lies mich-aktion, sprachwoche berlin, hasenheide neuköllnfragte er eine Frau, die schon reichlich Beute gemacht hatte. „Vereinzelt, auf der anderen Seite des Wegs“, be- richtete sie und wollte im Gegenzug von ihm wissen, ob er irgendwo interessante Bücher über historische Themen gesehen habe. Dass beim Verteilen der Bücher nicht nach Genres sortiert wurde, bemän- gelte sie, sei doch etwas schade. Ganz andere Probleme hatten dagegen etliche Jogger: Mit einem Buch pro Hand könne man ja locker weiterlaufen, bei mehreren würde es allerdings schwierig werden. „Deshalb“, entschied zumindest einer spontan, „brech ich meine Runde jetzt hier ab und guck nur noch nach Büchern.“ Lesen sei ihm fast genauso wichtig wie der tägliche Lauf durch die Hasenheide.

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Von Neukölln nach Mainhattan

Vor fünf Jahren war die erste, 2008 die zweite und im letzten Jahr die dritte Woche der Sprache und des Lesens in Neukölln. Derzeit sitzt das Organisatoren-Team um woche der sprache und des lesens in neuköllnInitiator Kazim Erdogan daran, die nächste Sprachwoche vorzubereiten, die 2012 in der ersten September-Woche stattfinden soll – und das nicht nur in Neukölln, sondern  in ganz Berlin. Dass Christina Rau die Schirmherrschaft übernehmen wird, steht auch bereits fest: Für die Witwe des ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau ist es – nach dem für den Campus Rütli – der zweite Eh- renvorsitz für ein Neuköllner Projekt.

So weit ist man beim Verein Sprich! in der Banken- metropole Frankfurt noch nicht. Doch Jannis Plastargias und Georgette Carbonilla sind als treibende Kräfte der Idee, dem Neuköllner Original nacheifern zu wollen, wild entschlossen  eine Woche der Sprache und des Lesens in  Frankfurt auf die Beine zu stellen.

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