Hatun-Sürücü-Preis 2016 für den Mama Afrika e. V., dritter Platz für einen Neuköllner Verein

buttons hatun-sürücü-preis berlinAm 7. Februar 2005 wurde die 23-jährige Hatun Sürücü von einem ihrer Brüder in der Tempelhofer Oberlandstraße an einer Bushaltestelle erschos-sen. Als sogenannter Ehrenmord löste die ent-setzliche Tat an der in Kreuzberg aufgewachsenen Tochter einer kurdisch-sunnitischen Einwanderer-familie aus der ostanatolischen Provinz Erzurum bundesweit eine Debatte über Zwangsehen, türkisch-arabische Parallelgesellschaften und fundamental-muslimische Wertvor-stellungen aus. Die junge Frau, die mit 16 Jahren gegen ihren Willen mit einem Cousin in der Türkei verheiratet worden war, hatte 1999 die Weiterlesen

Rat und Hilfe auf Augenhöhe

wildwasser-frauennachtcafe berlin-neuköllnViele, die noch vor dem Neukölln-Boom in den Richardkiez kamen, kennen den vorderen Teil des Ladens unweit von Sonnenallee und S-Bahn-Ring bereits. Von Juni 1973 bis No- vember 2012 hatte der Schuhmacher Manfred Elter die Räume gemietet und die Adresse Mareschstraße 14 zu einer Institution gemacht. Jahrzehntelang quoll eine Duftwolke aus Leder, Leim und Fußschweiß aus der Ladentür, wenn man über die Schwelle trat. „Zum Schluss war es auch noch eine Institution, aber nicht mehr als Schuhmacher-Werkstatt“, sagt Patrick Hein von der Baugenossenschaft Ideal, der das Gebäudeensemble gehört. Statt um die verbliebenen Kunden und die kompetente Reparatur ihrer Schuhe, kümmerte sich der gesundheitlich angeschlagene Elter letzten Endes vorwiegend um die Stamm- tischrunde mit seinen Kumpanen im Hinterzimmer. Entsprechend Weiterlesen

Ein Bezirksbürgermeister muss es ja wissen

Wut, Frust und Unverständnis liegen in der Luft. Die Emotionen gelten dem Buch „Neukölln ist überall“ und dessen Autor: Heinz Buschkowsky geißelt in seinem Buch das Versagen der Anderen – der Politik und der Migranten in seinem Bezirk. Er stilisiert sich damit zum einsamen Rufer in der Wüste. Engagierte Bürger Neuköllns, Migran- tenorganisationen und Projekte sprechen Neu- köllns Bürgermeister den alleinigen Deutungs-anspruch der „Wahrheit“ in Neukölln ab! Sie sagen: „Wir sind Neukölln! Neukölln ist an- ders“ erklären die acht Initiativen, die sich spontan zu einem Bündnis zusammenge- schlossen und mit einem Pressegespräch im Neuköllner Leuchtturm  zur Gegen- offensive geblasen haben, um wahrgenommen zu werden.

pressegespräch "neukölln ist anders", neuköllner leuchtturm, buschkowsky "neukölln ist überall"

v. l.: Elfi Witten (Paritätischer Wohlfahrtsverband Berlin), Deniz Eroglu, Idil Efe, Duygu Akay (Neuköllner Talente), Ghassan Hajjo (Arabische Eltern-Union e. V.), Yüksel Gök (Aufbruch Neukölln e. V.)

„Wir wollen das Bild von Neukölln, das der Bürgermeister in seinem Buch zeichnet, so nicht stehen lassen„, sagt Elfi Witten vom Pari- tätischen Wohlfahrtsverband Berlin, der das Bündnis unterstützt. Der Vorwurf an jene Medien, die dem Maler bei der Vermarktung seines Debüt-Werkes hilfreich unter die Arme greifen, klingt deutlich mit. Aber vorrangig gilt die Kritik der zwischen zwei Buchdeckeln er- schienenen Arbeit von Buschkows- ky und ihren Signalen. Dass ausgerechnet ein Bürgermeister verbal dermaßen auf seinen Bezirk und große Teile der Bewohner einknüppelt, kann hier niemand verstehen. „Er fordert präventive Arbeit, streicht aber die Mittel dafür und pflegt einen äußerst bedenklichen Umgang mit freien Trägern“, moniert Elfi Witten. „Warum“, fragt sie sich, „lässt er es zu, dass Neukölln in Berlin Schlusslicht bei der Kita-Versor- gungsquote ist? Weshalb schöpft er die Möglichkeiten des eigenen Han- delns nicht aus?“ Als Bürgermeister, findet auch Kornelia Hmielorz vom FIPP e. V., müsse es ihm doch darum gehen, im Bezirk Türen für Migranten zu öffnen. Doch Buschkowsky schlage die Türen nicht nur zu, sondern treibe zusätzlich einen Keil in die Gesell- schaft. „Sein Wir-Begriff schließt Einwanderer aus und verhindert damit Integration“, kritisiert Idil Efe vom Neuköllner Talente-Projekt der Bürgerstiftung Neukölln. Beispiele für eine gelungene Integration, die es reichlich gebe, würden fatalerweise in seinem Buch nicht vorkommen. Stattdessen wimmele es in dem vor Problembenennungen und verheerenden Schlussfolgerungen, vor statistischem Zahlenmaterial ohne Quellenangaben, vor anonymisierten Informanten, Pauschalisierungen und „ge- fühlten Wahrheiten“. Die eigentlich Hilfebedürftigen seien für Heinz Buschkowsky immer die Schuldigen, seine  Rhetorik  die  eines strafenden Vaters.

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r.: Asia Afaneh-Zureiki (JUMA), 3. v. r.: Prof. Barbara John (Paritätischer Wohlfahrtsverband Berlin), l.: Julia Pankratyeva (Integrations-Verein ImPULS e. V.)

Das sieht Asia Afaneh-Zureiki, Spre- cherin von JUMA, einem Empower-mentprojekt für junge Muslime in Berlin, nicht anders: „Die Beispiele für muslimische Jugendliche, die er verallgemeinernd benennt, sind Ein- zelfälle.“ Dem stimmt auch Ghassan Hajjo von der Arabischen Eltern- Union zu. Das Buch komme ihm nicht vor, als habe es jemand mit Hin- tergrundwissen geschrieben. Er ma- che bei seiner Arbeit jedenfalls immer wieder die Erfahrung, dass sich die dritte Generation arabischstämmiger Migranten zu integrieren versuche: „Leider ist aber der Wille oft größer als die Möglichkeiten, es zu schaffen.“ Ein solches Buch, fürchtet Hajjo, verbaue die Aussicht auf positive Zukunftsperspektiven, was wiederum seelische Probleme forciere. „Diese so wichtige psychische Kom- ponente“, wirft Yüksel Gök vom Aufbruch Neukölln e. V. dem Autor vor, „findet sich aber im Buch mit keiner Silbe wieder.“

pressegespräch "neukölln ist anders", neuköllner leuchtturm, buschkowsky "neukölln ist überall"Auch andere Tatsachen blende der Be- zirksbürgermeister in „Neukölln ist überall“ vollkommen aus, ergänzt Julia Pankratyeva, die 2005 in der Gropiusstadt den Integra-tionsverein ImPULS e. V. gründete, dessen Angebote vor allem für Zuwanderer aus den GUS-Ländern ausgerichtet sind: „Wie kann Buschkowsky sagen, dass Migranten faul sind und sich nicht engagieren? Un- ser ganzes Vereinsleben funktioniert vor allem über die ehrenamtliche Mitarbeit von Migranten.“ Beim Aufbruch Neukölln sei es genauso, aber statt mit russischen mit türkischen Migranten, bestätigt Yüksel Gök: „Dass Buschkowsky ein sehr  veraltetes Bild von Arbeit hat, wird auch im Buch klar.“

Lob für das schriftstellerische Erstlingswerk des Neuköllner Bezirksbürgermeisters hat niemand aus der Runde der versammelten Initiativen übrig. Das Niveau eines Groschenromans über Integration habe es, sagt Barbara John, die Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbands: „Das Schlimme an dem Buch ist seine Wirkung. Weil der Bezirksbürgermeister es geschrieben hat, ist der Inhalt nun wie eine Expertise in den Köpfen der Menschen.“ Die Folge sei, so John, dass das Dickicht von Vorurteilen über Neukölln und Migranten immer dichter werde. Schließlich würden Außenstehende per se davon ausgehen, dass so ein Bezirksbürgermeister es ja wissen müsse. Was er den „Neukölln ist überall“-Lesern nicht verrät, ist, dass viele Akteure im Bezirk viele Lösungsansätze anbieten. „Wie ignorante Gutmen- schen dazustehen, ist bestimmt nicht in unserem Interesse“, versichert Neuköllner Talente-Projektleiter Deniz Eroglu, „sondern wir wollen Probleme angehen. Leider ist es aber so, dass das Buch Türen zuschlägt, die wir seit Jahren zu öffnen versuchen.“

=ensa=