Bedrückend, verstörend und bejubelt: Premiere des Einakters „Human Traffic“ im Heimathafen Neukölln

Eine Flüchtlingsgeschichte, die die Wirklichkeit schrieb, brachte die Regisseurin Nicole Oder vor fast zwei Jahren mit der Live-Graphic-Novel „Ultima Ratio“ im Heimat-hafen heimathafen-neukoelln_humantrafficcverenaeidel_8Neukölln zur Aufführung. Vergangene Woche stellte das Mitglied der künstlerischen Leitung des Neuköllner Theaters eine neue Live-Graphic-Novel vor: „Human Traffic“ heißt das nach dem Roman „Flucht“ von Hakan Günday inszenierte Bühnenstück, für das Bente Theuvsen wieder als Zeichnerin am Overhead-Projektor saß.

„Die Existenz der Hölle ist noch lange kein Beweis für die Existenz des Paradieses“, legt ein von Alexander Ebeert verkörperter Schleuser und Weiterlesen

Den Text hat die Wirklichkeit geschrieben: Premiere von „Ultima Ratio“ im Heimathafen Neukölln

Heimathafen Neukölln_UltimaRatio02(c)VerenaEidelEigentlich hätte die neueste Produktion bereits am vergangenen Freitag uraufgeführt werden sollen. Aber dann entschied man sich im Heimathafen Neukölln drei Tage vor dem geplanten Termin, „wegen kurzfristiger Umbesetzung in der Produktion“ die restlos ausverkaufte Premiere von „Ultima Ratio“ um einen Tag zu verschieben. Das Stück erzählt den Kirchenasyl-Fall des somalischen Ehe- paares Aliyah und Robble in der katholischen St. Christophorus Gemeinde im Neuköllner Reuter- kiez. Nach einer Idee von Lucia Jay von Seldeneck wurde die Leidensgeschichte der beiden Flüchtlinge unter der Regie von Nicole Oder und durch Zeich- nerin Bente Theuvsen zu einer Live Graphic Novel.

Im Studio des Heimathafens steht vorne links ein altertümlicher Overhead-Projektor auf der Bühne. Weiße Lamellen-Vorhänge reichen an allen drei Seiten von der Decke bis zum weiß gestrichenen Weiterlesen

„ArabQueen“ – ein Sprachrohr für die Schweigenden

Mariam war wochenlang in ihrem Zimmer eingesperrt gewesen, bevor sie mit Jamal verheiratet wurde, den sie nie zuvor getroffen hatte, sondern nur vom Hörensagen kannte. Er war ganz anders als der Mann, von dem sie – wie so viele junge muslimische Frauen – immer geträumt hatte, ein Mann, der sie erlösen würde aus dem Gefängnis familiärer Unterdrückung, ein Mann, der mit ihr vielleicht sogar tanzen oder ins Schwimmbad gehen würde, der ihr erlauben würde, sich nach eigenem Geschmack zu kleiden, einer Arbeit nachzugehen und eigenes Geld zu verdienen. Ein Mann eben, mit dem man ein gemeinsames Leben aufbauen konnte, das anders war als das, was sie bei ihren Eltern sah. Aber Jamal wollte von solchen Vorstellungen nichts wissen …

Zur von Hugendubel am Hermannplatz veranstalteten Premiere ihres Buches „Arab- Queen“ gestern Abend ließ  Güner Yasemin Balci lesen. Die Autorin selber nahm neben Neuköllns Bezirksbürgermeister in der ersten Reihe im Zuschauerraum Platz und verfolgte die Lesung der arabqueen,buchpremiere,güner yasemin balci,heimathafen  neukölln,inka löwendorf,sascha ö. soydanbeiden Heimathafen Neukölln-Schauspiele- rinnen Inka Löwendorf (r.) und Sa- scha Ö. Soydan sichtlich angetan. Sie habe es sehr genossen, sagte sie später, als Heimathafen-Regisseu- rin Nicole Oder die Diskussionsrunde mit der gebürtigen Neuköllnerin und Heinz Buschkowsky, dem „Praktiker und Pragmatiker der deutschen Inte- grationspolitik“, eröffnete.

Während ihr Debütroman „ArabBoy“ noch in ihrem Heimatbezirk spielte, siedelte Güner Balci die auf wahren Begebenheiten basierende Geschichte um Mariam im Berliner Wedding an. Doch Frauen wie Mariam gibt es überall und das Buch könne „ebenso gut AlbanQueen oder TürkQueen“ heißen, betonte die Autorin: „In unserem Land leben mitten unter uns etliche Frauen, denen die Menschenrechte genommen werden.“  Es sei diese riesige Gruppe schweigender Frauen, denen sie durch ihre Protagonistin eine Stimme geben wolle.

Wie wichtig das Buch für das interkulturelle Verständnis ist, untermauerte auch Heinz Buschkowsky: „Das Leben in arabqueen,buchpremiere,güner yasemin balci,heimathafen  neukölln,sascha ö. soydan,heinz buschkowskyeinem Geflecht archaischer Familienstruk- turen und -rituale ist Alltag für ganz viele junge Frauen.“ Das Fatale sei, dass sie ein Geheimnis daraus machen, Einblicke in ihre Lebens- wirklichkeit meist unmöglich seien. „Deshalb“, befürchtet Buschkowsky, „wird Güner Balcis Buch auch wieder den Protest vieler Sozialromantiker auf sich ziehen.“ Seit Jahren werde nun schon über Zwangsheirat diskutiert, dabei sei es aber auch bisher geblieben. Wann er sich denn mal aufmachen wolle, Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit zu verdrängen, wollte ein Mann aus dem Publikum prompt vom Neuköllner Bezirksbürgermeister wissen. Der entgegnete, dass er keine Lust auf Veränderungen habe und sich in Neukölln wohl fühle, ergänzte seine Antwort mit der Bitte: „Nun lassen Sie einen alten Mann doch mal mit solchen Forderungen in Ruhe!“

Andere Fragen aus dem Publikum richteten sich an die „ArabQueen“-Autorin. Beispielsweise die, weshalb es mit der Integration der 3. Generation so viel schlechter klappe als bei den vorherigen? „Die Einwanderer der 1. Generation haben viel gearbeitet und deshalb sehr unauffällig gelebt“, griff Güner Balci auf Auto- biografisches zurück. Heutzutage sei, bedingt durch die hohe Arbeitslosigkeit, die soziale Kontrolle durch Nachbarn gleicher Nationalität extremer: „Die haben dafür einfach mehr Zeit und bleiben viel stärker unter sich.“

„Wie lernt man von Mariams Schicksal Betroffene kennen?“, erkundigte sich eine Frau. Durch ehrenamtliches Arbeiten in sozialen Einrichtungen, schlug Balci vor. Eine andere fragte nach, wie die deutsche Mehrheitsgesellschaft auf Menschen wie sie zugehen sollte?  „Erstmal ist wichtig“, so die Autorin, „dass ein Bewusstsein dafür entwickelt wird, dass Mariams genauso zu unserer Gesellschaft gehören wie Intensivtäter und Schulverweigerer.“ Das Buch sei eines gegen die Ignoranz, schaltete sich Heinz Buschkowsky ein. Ganze Klassensätze davon müssten in Schulen landen, um betroffene Mädchen zu erreichen, „ArabQueen“ zur Ge- sprächsgrundlage für Lehrer werden. Güner Balcis Hoffnung ist, dass immer mehr Muslima den Weg ihrer Protagonistin wählen: „Das Ende der Geschichte hab ich so geschrieben, wie ich es mir für Mariam gewünscht hab.“ Die Realität ist oft anders.

„ArabQueen“ (319 S., 14,95 €) von Güner Yasemin Balci ist im S. Fischer Verlag erschienen und kann dort direkt bestellt werden.

Am 12. November hat das auf Balcis Buch basierende Theaterstück „ArabQueen“ im Heimathafen Neukölln Premiere.

_ensa_