Das Mysterium auf dem Richardplatz

frauenschmiede_neuköllnDas Kursprogramm ist nur noch ein Kurzpro-gramm, die Öffnungszeiten sind kräftig einge-dampft worden. Mutter-Kind-Gruppen, Gesund-heits- und Entspannungsseminare,  Kreativ- kurse und Beratungen: Die Angebotspalette, die bisher in einem 20-seitigen Programmheft beworben wurde, ist so überschaubar gewor- den, dass sie auf zwei DIN A4-Blätter passt. Sie frauentreffpunkt schmiede_neuköllnhängen im Schaukasten vor dem Frauentreffpunkt Schmiede auf dem Neu- köllner Richardplatz, gleich neben dem Hinweis auf die – wegen „interner Um- strukturierungen“ – ein- geschränkten Öffnungszeiten. Auf nicht mal die Hälfte ist die Stundenzahl reduziert; wer dienstags oder donnerstags kommt, Weiterlesen

„Er ist schon ein recht arroganter Typ“

flamingo_tilman geiger_rixdorfer schmiede neuköllnAus welcher Richtung der Wind weht, ist ihm ziemlich wumpe. „Er ist schon ein recht arroganter Typ“, findet auch Tilman Geiger. Der Kunstschmied, der zusammen mit Martin Böck in der Schmiede in Rixdorf am Neuköllner Richardplatz arbeitet, hat den silber glänzenden Flamingo gebaut, der sich als Blickfang über dem Zaun des Grundstücks dreht. „In Anlehnung an Wet- terhähne auf Kirchturmspitzen“, ergänzt er, das Wort Anlehnung betonend. Denn dass sich der rund 40 Weiterlesen

Heiße Eisen am Richardplatz

1_rixdorfer schmiede_neukölln„Bezirksamt Neukölln setzt mich und meinen Betrieb nach 8 Jahren Auf- bauarbeit für das kulturelle Bildungs- und Handwerkszentrum vor die Tür der Rixdorfer Schmiede.“ Mit dieser Nachricht schockte Gabriele Sawitzki Ende letzter Woche ihre Facebook-Freunde. Fassungslosigkeit und Ent- setzen schwappten durch die Com- munity, zu Petitionen und Protest- schreiben an das Bezirksamt wurde aufgerufen. Reaktionen, als hätte Sawitzki verkündet, dass in der historischen Schmiede demnächst eine Spielhalle eröffnet oder das Gebäude auf dem Ri- chardplatz gleich ganz abgerissen werde, um dort ein Shoppingcenter zu bauen. 3_rixdorfer schmiede_neuköllnDem ist jedoch nicht so!

Was also genau ist passiert? Im Juni 2004 hatte die Schmiedin einen Vertrag mit fünfjähriger Laufzeit für die Nutzung des Anwesens mit dem Neuköllner Bezirksamt abgeschlossen. Seit 2009 wurde der stets automatisch für ein jeweils weiteres Jahr verlängert, auch weil es keine anderen Interessenten gab. Das änderte sich in diesem Sommer. Ausge- rechnet Martin Böck, der als Kunst- und Messer- schmied bislang Sawitzkis Untermieter in der Rix- dorfer Schmiede war, bewarb sich um den Haupt-mietvertrag. Schon das legte neuen  Zündstoff ins bereits seit gut zwei Jahren kriselnde Miteinander. Dass Böck den Vergabe- kriterien sowie den neuen Konditionen des vom Bezirksamt vorgelegten Pacht- vertrags zustimmte, ihn – im Gegensatz zur Mitbewerberin – unterschrieb und so in einem freihändigen Vergabeverfahren zum neuen Hauptmieter wurde, zündete die Lunte martin böck_rixdorfer schmiede_neuköllnzwischen der Frau fürs metallverarbeiten- de Grobe und dem Mann für die schmiede- rischen Feinheiten.

„Am 21.12.2012 geht bestimmt nicht die Welt unter, aber einer wichtigen Berliner Begegnungs- und Bildungsstätte hat das Bezirksamt Neukölln zum Jahresende den Untergang beschert. (…) Wird Berlin sich auf diese Weise einen weiteren Fauxpas leisten? Wird das Feuer und das Flair vom Richardplatz, so so viele und so vieles begeistert, angezündet und bewegt hat, künftig wieder auf Sparflamme  brennen?“ Schon diese Sätze aus der Einladung, mit der Gabriele Sa- witzki gestern zur Pressekonferenz in die Rix- dorfer Schmiede geladen hatte, ließen nichts Gutes vermuten. Wer sich davon nicht abschrecken lassen hat, landete mitten in einer Gemengelage aus Enttäuschung, Unverständnis, Verletzungen, Wut und prognostizierten Eventualitäten auf der einen Seite. Auf der anderen stand Martin Böck, der wirkte, als wünsche er sich augen- blicklich den vom Maya-Kalender angekündigten Weltuntergang herbei, um diese für alle Beteiligten unwürdige Schlammschlacht  zu beenden.

Sie habe die Schmiede gemeinwesenorientiert ausgerichtet und dem Ort durch Kulturveranstaltungen und soziales Engagement eine Strahlkraft verliehen, die weit über den Bezirk Neukölln hinaus reichte, erinnerte 4_rixdorfer schmiede_neuköllnSawitzki an ihren zweifellos großen sozialen und unternehmerischen Ein- satz, für den sie vor vier Monaten mit der Franz-von Mendelssohn-Medaille ausgezeichnet wurde. Böck hingegen habe einen eher privatwirtschaftlichen Fokus. Nun werde er durch die Ver- gabekriterien des Bezirksamts ge- zwungen, die Schmiede als Museum und Kulturort mit gewerblichem An- teil zu führen. Das könne doch nicht klappen. Auch frage sie sich, wie er das alles finanziell stemmen wolle. Bisher habe die Miete rund 50 Prozent unter der gelegen, die ab Januar fällig wird, und Böcks Kostenbeteiligung habe gerade mal ein Fünftel des gesamten finanziellen Aufwands ausgemacht. Der Löwenanteil von 80 Prozent sei von ihr aufgebracht worden, was nicht zuletzt durch das als berufliches Standbein geführte Metallbau-Unternehmen möglich war.

Das mit der 80/20-Kostenaufteilung stimme definitiv nicht, meldete sich endlich auch Martin Böck zu Wort. Was jedoch richtig sei, ist, dass er keine zweite Werkstatt habe, die den Betrieb der Schmiede notfalls subventionieren könnte. Das unterneh- 2_rixdorfer schmiede_neuköllnmerische Risiko laste folglich kom- plett auf ihm und der Entwicklung des Ortes. Natürlich werde sich die Aus- richtung des gewerblichen Seg- ments ändern, kündigte Böck an: „Ich bin Messerschmied, habe seit 12 Jahren den Meisterbrief und produzie- re alles, was kleiner als ein Kühl- schrank ist, auch als Zuarbeit für an- dere Metallbauer.“ Selbstverständlich werde er auch das von Gabriele Sa- witzki begonnene Anliegen fortführen, in der Schmiede Auszubildende für das Schmiede-Handwerk einzustellen. Schließlich habe er schon bei der Schmiede- ausbildung von Henriette Abitz einen Großteil übernommen.

„Ich hab überhaupt keine Zweifel, dass die Zukunft der Schmiede im gleichen Stil wie bisher weitergeht“, bemerkt ein Anwohner. „Kulturveranstaltungen während des Festivals 48 Stunden Neukölln, beim Alt-Rixdorfer Weihnachtsmarkt, bei der Langen Nacht der Museen und beim Tag des offenen Denkmals wird es auch in Zukunft geben“, versichert Martin Böck. „Und daran, dass die Rixdorfer Schmiede sonntags für Besichtigungen geöffnet ist, wird sich ebenfalls nichts ändern.“ Das klingt weder nach Sparflamme, noch nach einem Untergang zum Jahresende.

=ensa=