Spurensuche in Berlins Kino- und Filmgeschichte

stefan zollhauser_stadtführung_museum neuköllnStefan Zollhauser kam mit seinem Fahrrad, das mit vielen Materialien bepackt war. Da sich zu Neukölln weniger historisches Material als zu Tempelhof mit dem Ufa-Gelände finde, kündigte der Historiker an, werde sich der Rundgang zum Thema „Vom Kintopp zum Lichtspiel-Palast“ schwerpunktmäßig dem Nachbar- bezirk widmen.

Am Treffpunkt auf der Neuköllner Seite des Tempelhofer Feldes gab er aber erst einmal einen sehr informativen Abriss über das Kinogeschehen in Berlin vor 100 Jahren und mehr. „Schon um 1910 hat es hier neben den sogenannten Ladenkinos, also Läden mit Kino- betrieb, auch schon riesige Kinopaläste gegeben“, erzählte er der leider sehr überschaubaren Gruppe Kino- und Film-Interessierter, die an der Führung des Museums Neukölln teilnahmen. „War im Ladenkino der Raum u-förmig“, veranschaulichte er, „wurden manchmal Spiegel aufgestellt, in denen man den Film spiegelverkehrt sehen konnte.“ Dafür sei dann aber auch weniger Eintritt zu filmprojektor_passage-kino neuköllnzahlen gewesen.

Der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II. habe schon früh das Medium Film zur Propaganda genutzt und ge- wusst, so Stefan Zollhauser, sich telegen in Szene zu setzen. Bei Militärparaden auf dem Tempelhofer Feld wurden damals im Beisein des Kaisers Filme ge- dreht. Der Ausdruck „Film drehen“ komme daher, dass der Kameramann die Filmrolle der auf einem Stativ stehenden Kamera mittels einer Kurbel be- wegte.

Schon in diesen frühen Jahren des Kinos gab es einen internationalen Kinomarkt – und was erstaun- lich ist: Die Filme wurden alle handkoloriert, sprich farbig angemalt. Wenn man bedenkt, dass ein Film mit circa 16 Bildern pro Sekunde lief, kann man sich diese Heidenarbeit, die hauptsächlich von Frauen ausgeübt wurde, besser vorstellen. Ebenfalls gab es schon früh Vervielfältigungswerke für die Filme. In Neukölln natürlich zu nennen: die Geyer-Werke in der Harzer Straße, die als älteste Filmfabrik gelten bzw. galten. Denn ihr Nachfolger, die CineMedia Film AG, filmprojektor_passage-kino neuköllnhat im August 2013 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzver-fahrens gestellt.

Filmzensur war, wie Stefan Zollhauser zu berichten wusste, auch bereits früh in Deutschland ein Thema; 1906 wurde sie eingeführt. Als sie nach der Novem- berrevolution 1918 vorübergehend wieder abgeschafft wurde, seien sogenannte Sittenfilme gezeigt worden, die sich formal z. B. den Themen Prostitution und Homosexualität widmeten, jedoch letztlich auch die erotische Unterhaltung bedienten. 1920 sei die Film- zensur dann schnell wieder eingeführt worden. Zu den Filmen, die jahrelang nicht gezeigt werden durften, gehört auch der Billy Wilder-Streifen „A Foreign Affair“, der teilweise – wie auch „Eins, Zwei, Drei“, das wohl bekannteste Werk des Regisseurs – auf dem Tem- pelhofer Feld bzw. im Flughafengebäude gedreht wurde. Die amerikanischen Sol- daten würden in ihrem Verhalten als zu frivol dargestellt, lautete seinerzeit die berliner union-film studio_tempelhofBegründung für die Verbannung des Films aus deut- schen Kinoprogrammen.

Ungleich länger, so der Neuköllner Historiker und Me- dienpädagoge, sei jedoch die Liste berühmter Filme, die in den UFA-Studios in Tempelhof entstanden. Friedrich Wilhelm Murnaus Werk „Der letzte Mann“ gehört dazu und – neben zwei Ernst Lubitsch-Streifen – auch in Zollhausers persönlich Top 3. In „Der letzte Mann“, schwärmte er, sei erstmals mit der „entfes- selten Kamera“ gearbeitet worden: „Dabei stand die Kamera nicht mehr auf einem Stativ, sondern wurde vom Kameramann getragen.“ Der Film kam selbst fast ohne Zwischentitel aus, so gut erzählte sich die Handlung. Und um bei Außen-aufnahmen einer städtischen Straße den Zuschauern die Illusion riesiger Entfer- nungen zu geben, berichtete Stefan Zollhauser, seien im Hintergrund Spielzeugautos stefan zollhauser_kiezführung_museum neuköllnund -figuren installiert worden.

Die Glashäuser der UFA-Studios wurden 1913 er- baut. Man nannte sie Glashäuser, da die Dächer aus riesigen Glasflächen bestanden, durch die das für den Dreh nötige Sonnenlicht in die Stu- dios fallen konnte. Schon Mitte der 1920er Jahre wurden diese Glasdächer durch den Einsatz von künstlichem Scheinwerferlicht überflüssig.

Anschließend ging es dann zum ehemaligen Mer- cedespalast an der Hermannstraße. Dieses Kino, das 1927 nach Plänen des auf Lichtspielhäuser spezialisierten Architekten Fritz Wilms gebaut wurde, wurde nach dem 2. Weltkrieg in Europa-Palast umbenannt; mercedespalast neuköllndurch das Einziehen einer Zwischendecke entstand im oberen Stockwerk zusätzlich das Roxy-Kino. 1994 erfolgte der Abriss, heute steht hier das Einkaufs- und Behördencenter Kindl-Boulevard.

„Im Juni 1931 wurde im Mercedespalast bei einer Privatvorführung für die Deutschen Ka- tholiken der damals schon verbotene Anti- Kriegsfilm ‚Im Westen nichts Neues‘ gezeigt“, ließ Stefan Zollhauser uns abermals an seinem großen Wissensschatz teilhaben. Bernhard Lichtenberg, ein katholischer Priester, auf dessen Initiative der Film dort vorgeführt wurde, habe seinen Einsatz für die Verfolgten des Naziregimes im Jahre 1943 mit dem Leben bezahlen müssen. In der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem zählt er wegen seines Engagements zu rollberg-kino neuköllnden „Gerechten unter den Völkern“.

Stefan Zollhausers Leidenschaft für Film und Kino über- trug sich unmittelbar auf uns, die wir – begeistert von seinem Wissen – an der Exkursion teilnahmen. Meiner Meinung aber würde es der Führung gut tun, einfach um auch etwas ins Laufen zu kommen, wenn noch eine dritte Station zu den beiden angelaufenen hinzu käme. Auch Stefan Zollhauser selber beschäftigt sich bereits mit die- ser Überlegung, wie er zugab, und nannte gleich das geschichtsträchtige „Neues Off“ an der Hermannstraße als naheliegende Option. Leider konnte er noch nicht sagen, wann die Tour durch Berlins Kinohistorie erneut stattfindet. Daher bittet er alle, die an dem Termin interes- siert sind, direkt mit ihm Kontakt (stefan.zollhauser[at]posteo.de) aufzunehmen.

Heute lädt Stefan Zollhauser um 17.30 Uhr zum Stadtspaziergang „Kolo- niales Neukölln“ ein. Bei der etwa zweistündigen Führung der Berliner Spu- rensuche geht es u. a. um Fragen wie „Was passierte bei einer Völker- schau? Wie kam der Kaffee nach Neukölln? Wozu dienten koloniale Geisel- nahmen?“: Der Rundgang thematisiert vor allem die alltagsgeschichtlichen Ausprägungen des deutschen Kolonialismus in der wachsenden Großstadt Rixdorf/Neukölln. Kolonialkrieg und Zwangsmigration, Rassismus und Welt- handel, koloniale Gewalt und ihre Rückwirkungen sind dabei einige The- men, auf deren Spuren wir die Stadt erkunden. Auch die aktuelle Erinne- rungskultur und -politik wird uns beschäftigen. Dabei lernen wir auch einen gewissen Wissmann kennen. Treffpunkt: Ecke Lilienthalstraße/Columbia- damm; Mitmachbeitrag: 5 – 11 Euro (nach eigenem Ermessen); Kontakt- Tel. 0176-36161273

=Reinhold Steinle=

 

2 Antworten

  1. Ist allen Lesern klar, dass es in Neukölln um die 45 Kinos gab?
    Dass das Kinosterben mit dem Mauerbau 61 an den S-Bahnhöfen begann?
    Dass in Britz-Süd vermutlich das letzte ungeteilte Großkino in Neukölln existierte?

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    • Das sind Informationen, die bestimmt nur einem Teil unserer Leser bekannt sein dürften. Vielen Dank!
      Allerdings ging es im hier erschienenen Beitrag auch nicht darum, Neuköllns Kinogeschichte auszubreiten, sondern auf die Themenführung hinzuweisen.

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