Sonderbehandlung für den Neuköllner Schillerkiez

Rund 21.000 Menschen leben im Neuköllner Schillerkiez. Damit liegt das Quartier zwischen Hermann- und Oderstraße einwohnermäßig zwischen einer Klein- und einer Großstadt. Für die Discounter-Kette LIDL hat der Kiez jedoch derzeit den Charakter eines Dorfes. Dafür spricht jedenfalls der Bus-Shuttle, der während der Komplettsanierung der Filiale in der Hermannstraße kostenlos für die Kunden bereitgestellt wird. „In Städten ist das schon etwas sehr Seltenes“, sagt Petra Trabert von der Pressestelle des Unternehmens. „Normaler- weise bieten wir so einen Service nur in länd- lichen Gebieten an.“

Noch bis morgen pendelt der komfortable, weiße 25-Sitzer zwischen der Hermannstraße und der einen Kilometer entfernten LIDL-Filiale in der Donaustraße: Vier Jungs sichern sich eilig vier Doppelsitze.  „When The Rain Begins To Fall“ von Jermaine Jackson und Pia Zadora dringt aus dem Lautsprecher des Radios im Bus, draußen scheint gerade mal die Sonne.  Der Fahrer biegt an der Kienitzer Straße in den Schil- lerkiez ein, fährt auf der Weise- bis zur Herrfurthstraße. Die meisten Anwohner scheinen sich mittlerweile an den Anblick des Klein- busses gewöhnt zu haben. Anfangs vermuteten man- che, dass Touristen in ihm unterwegs sind, die eine Stadtrundfahrt machen. Auf der Werbellinstraße geht es hinunter, immer geradeaus, bis der Bus am Stadtbad links in die Donaustraße abbiegt. „Da sind sie!“, schreit einer der Jungs. Am Einkaufen ist das Quartett offenbar nicht interessiert: Der Bus ist für sie eine kostenlose Ferien- attraktion. Ein mobiler Ort, an dem man sich mit Kumpels trifft, die ebenfalls nicht verreist sind. Vorher, sagen sie, seien sie noch nie in dieser Straße gewesen. Sie steigen aus und begrüßen ihre drei Freunde, die an der improvisierten Haltestelle vor der LIDL-Filiale zwischen Sonnenallee und Karl-Marx-Straße gewartet hatten.

Zwei Frauen mit diversen prallvollen Plas- tiktüten und insgesamt sechs Kindern stei- gen ein. Wenn es diesen Bus nicht gäbe, hätten wir wirklich ein Problem, geben sie zu. Ein Paar im Seniorenalter nimmt in der ersten Sitzreihe auf der rechten Seite Platz: „Wir könnten ja auch gratis mit der BVG zum Einkaufen fahren, aber so ist es schon bequemer.“ Der Busfahrer ist an der hin- teren Tür damit beschäftigt, einen Ju- gendlichen im Rollstuhl in den Bus zu schieben. Dessen Mutter wuchtet ihren schweren Einkaufskorb auf einen Sitz. Die Fahrgäste dieser Tour sind repräsentativ für das, was Petra Trabert sagt und letztlich zur Einrichtung des Bus-Shuttles veranlasste: „Das Klientel  von unserer Filiale in der Hermannstraße ist zumeist fußläufig.“

Als der Fahrer sich wieder auf seinen Sitz fallen lassen hat und gerade die Türen schließen will, steigt noch eine Frau zu. Nichts deutet darauf hin, dass sie einen Einkauf hinter sich hat. Sie fahre eine Freundin besuchen, die in der Herrfurthstraße wohne, sagt sie schmun- zelnd. Dicke graue Wol- ken haben sich über dem Zentrum Neuköllns zu- sammengebraut, „Sun- shine Reggae“ von Laid Back schallt durch den Bus. Nach wenigen Minuten ist das Ziel in der Her- mannstraße erreicht. Noch steht ein Bauzaun vor der LIDL-Filiale. Spätestens Montag wird der weg sein, denn um 8 Uhr soll der in neuem Glanz erstrahlende Discounter wiedereröffnet werden.

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