„Die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sollte Konflikte bearbeiten und nicht neue schaffen!“

Welchen Bedarf gibt es stadtweit für den Neubau von Wohnungen? Wie müssen neue Quartiere geplant und gebaut werden, wenn man die großen Herausforderungen wie Klimawandel und Verkehrswende meistern will? Welchen Beitrag könnte hierzu das Tempelhofer Feld leisten?“ Das sind drei sicherlich schwerwiegende Fragen, mit denen sich Christian Gaebler, Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, Ende April in einem Brief an 20.000 zufällig aus dem Einwohnermelderegister ausgewählte Berlinerinnen und Berliner gewandt hat. Das Schreiben, das dem Facetten-Magazin vorliegt, war mit der Einladung verbunden, sich bis zum 12. Mai um die Teilnahme an drei Workshops zu bewerben, die im September 2024 sowie im Juli 2025 im Tempelhofer Flughafengebäude stattfinden sollen. Aus dem Kreis der Interessenten, die auf die Einladung antworten, werden rund 250 Menschen aus allen Berliner Bezirken ausgewählt. Sie sollen die diverse Berliner Bevölkerung widerspiegeln, um sich über das Tempelhofer Feld und seine Entwicklungsperspektiven auszutauschen und ihre jeweilige Sichtweise einzubringen. Konkret sollen die Auserkorenen sich unverbindlich Gedanken darüber machen, wie eine „behutsame Randbebauung“ des nördlichen Teils vom Tempelhofer Feld , auf dem sich unter anderem auch Sportflächen (r.) befinden, aussehen könnte. Keine einfache Aufgabe, für die den Teilnehmenden eine steuerfreie Aufwandsentschädigung in Höhe von 35 Euro pro Workshop zugesagt wird. Bei Bedarf werden Übersetzungen, Kinderbetreuung und Assistenz für Menschen mit Behinderung organisiert. Vorwissen ist nicht erforderlich“, heißt es in dem Brief weiter.

Dient das von Senator Gaebler und der schwarz-roten Regierungskoalition initiierte Beteiligungsverfahren, das mit einem internationalen Ideenwettbewerb zur Teilbebauung des Tempelhofer Feldes gekoppelt werden soll, aber tatsächlich dem Wohl der Berlinerinnen und Berliner oder ist es lediglich ein Mittel zur Legitimierung bereits getroffener Entscheidungen des CDU-SPD-Senats? Diese Frage stellte die Grünen-Politikerin Dr. Susanna Kahlefeld (l.) am vergangenen Mittwochabend bei einer Diskussionsrunde in ihrem Kiezbüro Grün vor Ort“. Ihre Fraktionskollegin und Büropartnerin in der Friedelstraße, Dr. Bahar Haghanipour (r.), moderierte das Gespräch. Das ganze Verfahren und die Diskussion um die Randbebaung des Feldes sind irrational“, kritisierte Kahlefeld, die direkt gewählte Abgeordnete des an den ehemaligen Flughafen grenzenden Neuköllner Wahlkreises 2 sowie Sprecherin für Partizipation und Engagement ihrer Fraktion im Abgeordnetenhaus ist. Berlin habe ein Umsetzungsproblem beim Wohnungsbau, aber kein Platzproblem. Das Tempelhofer Feld wird als Bauland überhaupt nicht gebraucht“, so Kahlefeld.

Grundsätzlich seien Dialogforen zwischen Regierung und Gesellschaft auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene zu begrüßen. Als gutes Beispiel nannte die Beteiligungsexpertin den Bürgerrat „Ernährung im Wandel“, der im Februar 2024 seine Empfehlungen an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und die Fraktionen des Bundestages übergab. Die in Berlin geplante Befragung von 250 Personen zur Zukunft des Tempelhofer Feldes sei jedoch in keiner Weise mit der Arbeit des bundesweiten Bürgerrates zu vergleichen, auch wenn Senator Gaebler im Abgeordnetenhaus versuche, das Verfahren als eine Art „Bürgerrat“ zu präsentieren. Kahlefelds Hauptkritik: Es müsse erst ein verbindlicher politischer Beschluss gefasst werden, bevor die Bürgerinnen und Bürger befragt werden. Eine solche Entscheidung liege Gaeblers Beteiligungsverfahren aber nicht zugrunde.

Zur Gesprächsrunde eingeladen waren Jörg Sommer (r.), Gründungsdirektor des Berlin Instituts für Partizipation, und Heike ten Den (l.). Sie war bis Herbst 2022 Mitglied der Tempelhofer Feldkoordination, gehört dem neu gewählten Gremium aber nicht mehr an. Ten Den, die gemeinsam mit der Feldkoordination, Grün Berlin und der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz im Jahr 2020 den zweiten Platz im Wettbewerb Ausgezeichnet!“ des Bundesumweltministeriums für vorbildliche Bürgerbeteiligung gewonnen hat, hob vor allem die hohe Zustimmung zum Volksentscheid für den Erhalt des Tempelhofer hervor, der sich gestern zum zehnten Mal jährte. Die Veranstaltungen des aktuellen Aktionsmonats #Feldliebe würden den hohen ökologischen und sozialen Wert sowie die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten des innerstädtischen Natur- und Erholungsraums veranschaulichen. Durch eine Teilbebauung würde dieser Wert unwiederbringlich zerstört.

Eine herbe Grundsatzkritik an Gaeblers Beteiligungswerkstätten übte Sommer, der auch Vorstandsvorsitzender des Fachverbandes Bürgerbeteiligung ist. Nur zwei oder drei der Qualitätskriterien für gute Beteiligung (s.u.) seien im Verfahren erfüllt worden. Die Beteiligung sei nicht frühzeitig, sondern verfrüht, da es noch keine verbindliche politische Entscheidung über die Randbebauung des Tempelhofer Feldes gebe, kritisierte Sommer. Zweitens sei nicht nachvollziehbar, warum zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger unverbindlich über die Zukunft des Tempelhofer Feldes diskutieren sollten. Für eine sinnvolle Bürgerbeteiligung, die Sommer ausdrücklich empfahl, sei vielmehr die gezielte Einbeziehung aller vorhandenen Interessengruppen angemessen, also von Wohnungsunternehmen, Mieter- und Naturschutzverbänden, Sportvereinen und vielen anderen mehr. Gut gemachte Bürgerbeteiligung stärke das Vertrauen in eine vielfältige Demokratie, zu der die drei Säulen repräsentative, direkte und dialogische Demokratie gehörten. Der schwerwiegendste Einwand Sommers lautete: Die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sollte Konflikte bearbeiten und nicht neue schaffen!“

10 Grundsätze für die Qualität von Beteiligung
Berlin Institut für Partizipation

Die Grundsätze für Gute Beteiligung lauten im Einzelnen:

01. Gute Beteiligung lebt von der Bereitschaft zum Dialog.
02. Gute Beteiligung beachtet die Themen, die Akteur*innen und die Rahmenbedingungen.
03. Gute Beteiligung braucht klare Ziele und Mitgestaltungsmöglichkeiten.
04. Gute Beteiligung beginnt frühzeitig und verpflichtet alle beteiligten Personen.
05. Gute Beteiligung braucht ausreichende Ressourcen.
06. Gute Beteiligung ermöglicht vielfältige Mitwirkung.
07. Gute Beteiligung erfordert die gemeinsame Verständigung auf Verfahrensregeln.
08. Gute Beteiligung braucht eine sorgfältige und kompetente Prozessgestaltung.
09. Gute Beteiligung basiert auf Transparenz und verlässlichem Informationsaustausch.
10. Gute Beteiligung lernt aus Erfahrung.

https://www.bipar.de/evaluation/

=Christian Kölling=

Eine Antwort

  1. Hallo,
    wie wärs wenn die Beilagen zum deutschen Text auch auf deutsch wären :
    wie da wäre – und auch mal war : ‚weiterlesen‘ oder ‚mehr‘ statt:
    continue reading, oder oben im Feld: ‚Read on blog or Reader‘ oder ihr
    schreibt auch den Inhalt gleich in english.

     Jetzt habe ich auch wie angemerkt auch auf deutsch replied – empfehle
    im Zweifelsfalle ein Übersetzungsprogramm englisch deutsch🙂
    beste Grüße und dank für die Infos aus der Neuköllner Region.
    Regina

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