Der Dämonisierung etwas entgegen gesetzt

Kinder berühmter Eltern oder Elternteile haben es oft schwer, als eigenständige Persönlichkeiten wahrgenommen und nicht nur als „Kind von“ gesehen zu werden. lesung anja röhl_heimathafen neuköllnWas aber, wenn „Die „Frau meines Vaters“, so der Titel des Buches von Anja Röhl, den Namen Ulrike Meinhof trägt und Terroristin ist?

Etwa 60 Leute waren vorgestern ins Studio vom Heimathafen Neukölln gekommen, um an der Lesung und der anschließenden Diskussion teilzunehmen. Nicht überraschend, dass es zumeist Menschen im Alter von 60+ waren; Denn wer von der jüngeren Generation kennt überhaupt noch Ulrike Meinhof und die Rote Armee Fraktion (RAF) oder hat einen Bezug dazu?

Auf der Bühne stand links vom Lesetisch ein braunes Sofa, auf dem Anja Röhl und Eckart Spoo Platz nahmen. Eckart Spoo ist Mitherausgeber der Zeitschrift „Ossietzky“, für die auch Anja Röhl Artikel schreibt. Er kannte sowohl Klaus Rainer Röhl, Anjas Vater, als auch dessen zweite Frau Ulrike Meinhof. Spoo las zunächst einige Stationen aus der Biographie von Anja Röhl vor, die 1955 geboren wurde, seit 1974 in Berlin lebt, drei Kinder hat und als Krankenschwester tätig war. Im Krankenhaus hat sie sich auch in der Betriebs- und Gewerksschaftsarbeit engagiert. Im Hauptberuf ist sie derzeit Dozentin an Fachschulen für Sozialwesen. Seit 2003 schrieb sie zudem, neben ihrer Tätigkeit als Theaterrezensentin, drei größere Romane, darunter auch „Die Frau meines Vaters“.

Ihre Halbgeschwister, die leiblichen Kinder von Ulrike Meinhof, hätten im Vorfeld der Veröffentlichung über ihre Anwälte erwirkt, dass fünf Seiten des Buches gestrichen werden mussten, stellte Anja Röhl der Lesung voran. Dabei habe es sich um bisher unveröffentlichte Schilderungen von Erlebnissen der Geschwister gehandelt. Aus Protest gegen das Veto habe sie einige der beanstandeten Stellen im Buch schwärzen lassen. Auch ihre Motivation, das Buch zu schreiben, erklärte die Autorin noch vor Beginn der Lesung: Es sei ihr darum gegangen, der öffentlichen Beurteilung von Ulrike Meinhof ein anderes Bild entgegen zu stellen. „Die Zuneigung zu ihr, wollte einen Weg nach außen in die Öffentlichkeit finden, deshalb das Buch.“ Da beide Elternteile, ihre leibliche Mutter wie auch ihr Vater Klaus Rainer Röhl noch leben, und in manchen Textpassagen „nicht gut wegkommen“, habe sie lange überlegt, ob sie das Buch zu Lebzeiten der Eltern schreiben solle und könne. Sie sei jedoch jetzt froh, es geschrieben zu haben, hält sie fest. Das Buch umfasst die Zeitspanne von 1958 bis 1976. Es ist nicht in der Ich-Form geschrieben, stattdessen nutzt Röhl drei Altersspannenbezeichnungen: „das Kind“, „das Mädchen“ und die „junge Frau“.

Dann beginnt sie – eine zierliche Person mit klarer Stimme – in etwas schnellem Tempo zu lesen. Überraschend für mich, dass sie gleich mit den ersten Sätzen ins Krankenhaus Neukölln führt, wo sie als Krankenschwester beschäftigt war. Dort erfährt sie im Mai 1976 während der Arbeit, dass Ulrike Meinhof in ihrer Zelle Roehl_Frau meines Vater_edition nautilusSelbstmord begangen hat – und bricht zusammen.

Im Kapitel „das Mädchen“ sind die Kindheits-Erleb- nisse sehr detailliert beschrieben. Um mehrmalige Verschickungen in ein Heim, weil sie „so dünn und schwächlich“ war, geht es. Um die erste Begegnung mit Ulrike Meinhof und deren Interesse und Einfüh-lungsvermögen, aber auch um die von den seinerzeit überall in Deutschland hängenden Fahnungsplakaten ausgelöste Angst des Mädchens, dass Ulrike getötet wird. Der Vater wird als Macho beschrieben, mit sexis-tischer Einstellung; er kommt unangenehm rüber.

Im Kapitel „die junge Frau“ erfährt man, dass diese schon mit 16 Jahren bei ihrem Vater ausgezogen ist und danach mit ihrem älteren Freund zusammen lebte. Einmal in der Woche passte die junge Frau auf ihre beiden Halbschwestern, Meinhofs leibliche Töchter, auf. Auch ihre Besuche bei Ulrike Meinhof im Gefängnis sind sehr detailliert und beklemmend geschildert.

Nach einer Stunde beendet Anja Röhl die Lesung und lädt das Publikum zu Fragen ein. Eine Frau äußert Kritik, dass Ulrike Meinhof in den vorgelesenen Textpassagen ausschließlich als positiv, die leibliche Mutter dagegen distanziert und der Vater negativ beschrieben wird. Die Autorin kann sich dem nicht anschließen. Sie habe auch positive Seiten des Vaters im Buch erwähnt, von denen aber zugegebener- maßen nicht gelesen, entgegnete sie. Das erklärte wenig und lässt mehr offen.

Noch einmal geht sie auf den Beweggrund ein, das Buch zu schreiben. Sie wollte, so Anja Röhl, der Dämonisierung von Ulrike Meinhof etwas entgegen setzen. Aus diesem Grund möchte ich abschließend ein Buch von Ulrike Meinhof selber emp- fehlen: Ihr „Bambule: Fürsorge – Sorge für wen?“ ist auch heute noch lesens- und nachdenkenswert.

„Die Frau meines Vaters“ von Anja Röhl ist in der Edition Nautilus erschie- nen, umfasst 160 Seiten und kostet 18 Euro.

=Reinhold Steinle=