„Steine des Anstoßes“ – Aufsatz zur Geschichte eines umstrittenen Gedenkensembles

Noch bis zum 21. Juli ist im Museum Neukölln auf dem Gutshof Britz die Ausstellung „Buried Memories“ (r.) zu sehen. Sie rückt ein schwieriges und lange verdrängtes Thema ins öffentliche Bewusstsein: Es geht um die koloniale Vergangenheit Deutschlands im Kaiserreich, insbesondere um den zehntausendfachen Mord an den Völkern der Ovaherero und Nama in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Die Ausstellung veranlasste Bärbel Ruben, stellvertretende Leiterin des Fachbereichs Museum, Stadtgeschichte, Erinnerungskultur im Bezirksamt Neukölln, sich auch privat mit diesem tabuisierten und konfliktbeladenen Thema zu beschäftigen. Die ausgebildete Diplom-Historikerin nahm den Gefallenenstein auf dem Neuköllner Friedhof am Columbiadamm -samt wechselndem Gedenkensemble- zum Ausgangspunkt für ein 16-seitiges Manuskript, das sie in ihrer Freizeit verfasste. Der Text handelt zum einen von den beiden gefallenen Kriegsfreiwilligen Leutnant Richard von Rosenberg und Leutnant Bodo von Ditfurth, denn zur Auseinandersetzung mit den Kolonialverbrechen gehöre -so schreibt Ruben- auch solides Wissen über die personifizierte deutsche Täterschaft. Da beide Offiziere aus bekannten Familien stammten, gibt es für sie, im Gegensatz zu den anderen auf dem Stein genannten einfachen Soldaten, biografische Überlieferungen.

Zum anderen zeichnete Ruben im ersten Teil ihres Aufsatzes minutiös nach, wie der Kolonialstein (l.) im Juni 1973 vom Bezirksamt Kreuzberg an die Afrika-Kameradschaft Berlin überging und am 17. September von der Kameradschaft zum Städtischen Friedhof am Columbiadamm in Neukölln transportiert wurde. Eine Überführung des Steines nach Göttingen zum Jäger-Bataillon 41 der Bundeswehr war zuvor aus Kostengründen gescheitert. „Mit dem Ziel, das Gedenken auch auf die deutschen Soldaten auszudehnen, die in den beiden Weltkriegen in Afrika gefallen sind, nahmen die Traditionalisten symbolträchtige Ergänzungen am Stein vor“, so Ruben. An der oberen rechten Seite wurde ein Schutztruppen-Hut platziert. Auf der linken Seite wurde der Findling zusätzlich mit dem abgewandelten Abzeichen des Verbandes des deutschen Afrika- Korps (r.) versehen – einer Palme auf rotem Grund plus Eisernem Kreuz und den seitlich platzierten Jahreszahlen 1941 – 1943. In der Mitte des Steins wurde schließlich das Regimentszeichen des Kaiser Franz Garde-Grenadier-Regiments Nr. 2 aufgebracht. Außerdem wurde vor dem jetzt sogenannten „Afrikastein“ ein kleinerer Stein platziert, der ein Eisernes Kreuz und die Aufschrift „Den in Afrika gefallenen deutschen Soldaten zum ehrenden Gedenken“ trug.

Zur Einweihung des überarbeiteten Kolonialsteins am 24. Mai 1974 konnte die Afrika-Kameradschaft eine musikalische Begleitung durch das Polizeiorchester Berlin organisieren. Die erste Ansprache hielt Dr. Johannes Stumm, West-Berliner Polizeipräsident von 1948 bis 1962. Es folgten Ansprachen eines hochbetagten ehemaligen Kompaniechefs der sogenannten Schutztruppe von Deutsch-Südwestafrika und eines ehemaligen Generals der Kavallerie. Schließlich wurde der frisch überarbeitete Kolonialstein feierlich an den sozialdemokratischen Bezirksbürgermeister Neuköllns, Dr. Heinz Stücklen übergeben. Dieser ahnte damals wohl nicht, welch schweres Erbe er und der Bezirk Neukölln damit antraten.

Der erste Teil des Textes von Bärbel Ruben ist jetzt auf dem Geschichts-Portal Neuköllner Clio veröffentlicht worden. Er trägt den ausführlichen Titel: „Steine des Anstoßes. Ein umstrittenes Gedenkensemble auf dem Friedhof am Columbiadamm bezeugt den schwierigen Umgang mit dem Erbe des Kolonialismus.“ Direkter Download als PDF https://neukoellner-clio.de/wp-content/uploads/2024/04/B-Ruben-final.pdf

Wie erinnert man in Namibia an die gemeinsame Geschichte?
Bernd Heyl im Gespräch mit Bärbel Ruben

25. Mai 2024, 15 bis 17 Uhr
Festsaal im Schloss Britz
Alt-Britz 73
12359 Berlin

Der Pädagoge und Gewerkschafter Bernd Heyl organisiert seit Jahren dekoloniale Reisen nach Namibia, bei denen die Teilnehmenden an den ehemaligen Stätten deutscher Gewaltherrschaft und des afrikanischen Widerstandes mit den Sichtweisen Schwarzer Akteurinnen und Akteure konfrontiert werden. Sein jüngst erschienenes Buch „Namibische Gedenk- und Erinnerungsorte“ liefert umfassende Einblicke dazu. Für Museum im Dialog spricht Ruben mit dem engagierten Reiseleiter Heyl, über den Umgang mit dem Erinnern in Deutschland und in Namibia. Eine gemeinsame Veranstaltung mit der Volkshochschule Neukölln.

https://schloss-gutshof-britz.de/museum-neukoelln/veranstaltungen/kalender/wie-erinnert

=Christian Kölling=