„Neukölln ist überall“ und der Vorher-Nachher-Effekt

„Neukölln ist überall“: Wo fängt man an bei einem Buch, über das sich seit seinem Erscheinen schon viel aufgeregt wurde? Ich würde so gern einen einfachen Verriss mit dem Tenor „Buschkowsky ist ein Prollpolitiker, der alle Ausländer für doof und faul hält und den von ihm regierten Bezirk am liebsten auf den Mond schießen will“ schrei- ben. Aber wäre das dem Autor wirklich ge- recht? Nein!, steht für mich nach der Lektüre der 400 Seiten fest, die mich hin und her gerissen und auch überrascht haben, weil sie doch sehr zum Denken anregen, wenn man es denn zulässt.

Vielleicht fange ich der Einfachheit halber mit der Einleitung an, in der der oft als Verbal-Haudrauf bekannte Neuköllner Bezirksbürger-meister Heinz Buschkowsky erstmal alles relativiert, was noch im Buch folgt. Leute, die ihn zitieren oder meinen, Diskussionen in seinem Namen zu führen, relativieren eher selten und stecken gern Menschen in Schubladen. Buschkowsky meint sich aber im Vorwort von diesem Verhalten distanzieren zu können. Verwirrend ist es definitiv, erinnert es doch an den Klassiker der Stammtischdiskussionen „Ich bin ja kein Rassist, aber …“ gefolgt von rassis- tischen Aussagen. Dieser leicht bittere Vorgeschmack mag kurz nachklingen, wird aber im Verlauf der Lektüre zum Glück abgelegt. Man schleppt sich also durch eine Aufzählung diverser Missstände und Milieubeschreibungen, die ich dem Autor als erfahrenem Bürgermeister durchaus abnehme: Es ist nötig, derartige gesamt-gesellschaftliche Probleme angesprochen zu sehen; es ist schade, was in den weiterführenden Diskussionen meist daraus wird. Buschkowskys Gegner unter-stellen ihm regelmäßig Populismus – und ja, die Themen sind definitiv populistisch, jedoch scheint der plakativ in einschlägigen Medien dargestellte Buschkowsky nicht der zu sein, der in diesem Buch durchscheint.

Natürlich wird der aktuelle und vergangene Zustand als gescheitert beschrie- ben, und dies stößt den engagierten Mitbürgern in unserem schönen Neukölln zu Recht auf. Aber es wird auch gesagt, wo und woran es hapert: Nicht an denen, die sich engagieren; ich habe zumindest nicht das Gefühl, dass Buschkowsky deren Arbeit für unsere Gesellschaft geringschätzt. Was für mich regelmäßig im Text zu erkennen war, ist, dass Heinz Buschkowsky vor allem ein besseres Staatsbür- gertum  fordert, und zwar nicht nur von Menschen mit Migrationshintergrund. Er fordert immerfort ein offenes Bekenntnis aller Menschen zu unseren demokratischen Grundregeln und prangert an, was sich an Parallelgesellschaften und gesamtgesell- schaftlicher Ignoranz und Entsolidarisierung entwickelt hat.

„Neukölln ist überall“ ist ein Buch, das vom Leser eigentlich einen gekonnten Umgang mit Medien verlangt. Selbstkritisches Begutachten der vorliegenden Thesen und auch ein Nachjustieren des eigenen Standpunktes sind gefragt. Ist alles, was hier geschrieben ist, wahr? Ist die Interpretation der Zahlen, die hier vorliegt, die einzig mögliche? Dies sind alles Themen, die man sehen kann, wenn man sie sehen will und in der Lage ist, sich in der Metaebene mit dem Buch auseinander zu setzen. Wenn man einen in der Springer-Presse zitierten Buschkowsky mit dem hier im Buch selber zu Worte kommenden vergleicht, kommen einem kurz Überlegungen dazu, ob es wirklich ein und derselbe ist. Ich glaube nach der Lektüre des Bestsellers, dass Heinz Buschkowsky in der Debatte um die Themen, die er anstößt. teilweise unrecht getan wird. Er selbst  sieht vieles differenzierter als es ihm in den Debatten zugetraut wird. Schnell sieht man nur den Haudrauf, eben weil der Hau- drauf heraufgeschworen und zurechtzitiert wird. Er hat eigentlich eine differenzierte Diskussion verdient. Und ja, da gehört es eben auch dazu mal zu überlegen, was man von dieser Gesellschaft will und was man selber in sie hereinbrin- gen will.

Ich erkenne viel in diesem Buch, mit dem ich sympathisieren kann: ein wertkonservatives Heranwachsen, Gesetzestreue und auch den Glauben an Bildung und die demokratische Gesellschaft und die Hoffnung, in dieser Welt könne man mit eigener Hände Arbeit irgendwie ein selbstbestimmtes Leben sichern. Man merkt, wie sehr Buschkowsky von uns allen als Gesellschaft enttäuscht ist, weil wir nicht anders mit den Problemen umgehen können als sie entweder zu ignorieren, auf- zublasen oder kleinzureden. So wirklich machen will kaum jemand etwas, zumindest nicht auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene. Ich erkenne auch, dass hier versucht wird, Lösungansätze abseits des Kleinkleins anzubieten, jedoch bleibt es bei einem relativ kurzen versöhnlichen Teil am Ende. Dies mag einer gewissen Realpolitikverdossenheit bürgermeisterseits geschuldet sein. Jahrelang große Versprechungen und Forderungen von Landes- und Bundes- politik zu hören und nichts geliefert zu bekommen, kann betroffen machen.

Was also rate ich nun? Lesen! Wem die ersten 100 Seiten sauer aufstoßen, dem rate ich zu etwas mehr Durchhaltevermögen. Das Kapitel „Islamophobie und Überfrem- dungsangst“ folgt, mit einem wunderbaren Diskurs über den Umgang der Medien mit dem Islam und den daraus resultie- renden haarsträubenden Vorurteilen in unserer Gesellschaft. Irgendwie hatte ich so etwas in diesem Buch nicht erwartet … Interessanterweise folgt danach eine Auseinanderset- zung u.a. mit Thilo Sarrazin, welche, wenn auch erkennbar eingefärbt, relativ gut die Schwachstellen der Diskussionen und insbesondere der Teilnehmer dieser Diskussionen hervorhebt. Es wird in beiden Lagern viel geredet, wenig gewusst und auch wenig Bereitschaft mitgebracht, einander gedanklich zu befruchten und vielleicht eine Lösung zu finden. Danach folgen politische Reise- berichte, die sich zwar gut lesen, aber insgesamt wenig neue Erkentnisse bringen. Doch wenn Neukölln überall sein soll, dann muss man eben auch in dieses Überall hinein. Ich persönlich will mehr von dem Buschkowsky aus diesem Buch hören, weniger vom zitierten oder in Bild und B.Z. dargestellten. „Neukölln ist überall“ zielt vermutlich im Endeffekt darauf ab, dass die gesellschaftlichen Probleme, die so gern als Einzelfall für „Problembezirke“ wie Neukölln abgeschrieben werden, überall da sind, wo die Menschen mehr oder weniger geballt auftreten. Und diese sollten wir, im Interesse eines besseren Zusammenlebens und einer Zukunft, in die man zuversichtlich sehen kann, anpacken.

Herrje, da setzt man sich an ein Buch und meint vorher eine Meinung zu haben, und dann werden die Vorurteile zu einem gewissen Grad relativiert, irgendwie schön. Ich frage mich dennoch nach der Lektüre von  „Neukölln ist überall“, warum Heinz Buschkowsky es zulässt, dass man ihn boulevardjournalistisch derart darstellt, vieles als O-Ton deklariert und so das Bild des Undifferenzierten weiter verstärkt.

Am 8. November liest Neuköllns Bezirksbürgermeister um 20.30 Uhr in der Buchhandlung SoSch in den Gropius Passagen: Karten für die Veranstal- tung sind nicht mehr erhältlich, sie ist  ausverkauft!

=Ze evil Kohl=

Kopenhagen, Amsterdam – und jetzt auch in Neukölln!

Moghul-Rikschas NeuköllnLastenräder sind eine Sache, die ich, seit ich von ihnen weiß, großartig finde. Kinder, Einkäufe, Hunde, Musikanlagen, Freunde, alles mit eigener Muskel- kraft zu transportieren ist für einen ökologisch denkenden Menschen ein Traum.

Aber wenn man nicht gerade Kopenhagen mit der Freistadt Christiania um die Ecke hat, wo schon seit 30 Jahren Lastenräder hergestellt werden,  und die Niederlande doch etwas weiter weg sind – woher bekommt man dann so ein Gefährt für die großen Einkäufe, die Kinder oder gar den nächsten Umzug? Seit kurzem in Neukölln! Am 25. April wurde in der Elbestraße 1 direkt an der Ecke Sonnenallee die Eröffnung der Geschäftsräume von Moghul-Rikschas NeuköllnMoghul Rikschas gefeiert.

Der Laden wird von Andreas Neumann und Simone Rosenau geführt. Die beiden lernten sich vor drei Jahren als Velotaxifahrer kennen. Zu dieser Zeit gab es keinen Vertrieb für Rikschas in Berlin. Und so wurde aus der Not eine Tugend und der Direktvertrieb zunächst aus einer Garage heraus betrieben, bis sie den Laden (eine ehemalige Videothek) an der Sonnenallee bemerkten und sich offenbar gleich verliebten. Die Liebe, die in den Laden gesteckt wurde, erkennt man beim Betreten sofort. Ein heller und weiter Moghul-Rikschas NeuköllnVerkaufs- und Showroom, die Wände in Hellgrün gehalten und ein einladender Tresen direkt gegenüber der Tür.

Man merkt den beiden Inhabern im Gespräch die Begeisterung für das Fahrrad auf Anhieb an: Hier hat man es mit Überzeugungstätern zu tun und nicht nur mit Verkäufern.

Die angebotenen Modelle überraschen – nicht nur durch die für den Markt unglaublich günstigen Preise, sondern auch mit den Ideen, die dahinter stecken. So sind die längeren Modelle fürs bessere Verstauen faltbar, es gibt Regenplanen für die Kisten und darüber hinaus kann natürlich fast jeder Wunsch – einen entsprechenden Geldbeutel vorausgesetzt – erfüllt werden.

Modelle mit Elektrounterstützung gibt es selbstverständlich ebenfalls. Das macht bei einem Lastenrad auch Sinn, denn die Räder wiegen selbst ohne Insassen gerne 30 Moghul-Rikschas NeuköllnKilogramm oder mehr.  Die Namen der zwei- oder dreirädrigen Modelle wie „Rosinchen“, „Sumo“, „Woody“ oder mein Favorit „Hotte“ machen die Räder umso sympathischer.

Abgesehen von den Lastenrädern ist Moghul Rikschas der offizielle Tern-Point am Platze. Die Marke Tern bietet schicke Falträder für jeden Einsatzzweck, vom Rennflitzer über ein vollwertiges Mountainbike bis hin zum Reiserad. Die Einstiegsmodelle sind schon ab 399 Euro zu haben. An „normalen“ Zweirädern gibt es einige schöne Hollandräder (u. a. der Marke Union mit Frontgepäckträger) im Showroom zu begutachten und ein wunderbares Indienrad, das fabrikneu aus den 1940ern entsprungen zu sein scheint. Für Eltern mit Kindern, die das Radfahren noch lernen müssen, kann das Känguru-Rad den Kindern die Radfahrerperspektive vermitteln, ohne sie mit der selbstständigen Navigation durch den Verkehr zu überfordern. Hierbei sitzt das Kind vor dem Erwachsenen, komplett Moghul-Rikschas Neuköllnmit Sattel und Lenkergriffen.

Wer jetzt neugierig auf die Rikscha- oder Lastenrad-Welt geworden ist, hat Glück: Viele der Modelle kann man auch mieten. Zum Beispiel für Hochzeiten, Familienausflüge oder einfach, um beispielsweise das Tempelhofer Feld mit Kind und Kegel zu erfahren.

Live und in voller Fahrt sind Simone Rosenau und Andreas Neumann mit ihren Moghul Rik- schas bei der ADFC-Sternfahrt am 3. Juni zu erleben: Um 11.45 Uhr starten sie in der Kott- busser Straße 8 vor der Rad-Spannerei.

Also los, kopenhagenize Neukölln!

Moghul Rikschas ist von Mittwoch bis Freitag zwischen 12 und 20 Uhr und samstags von 10 bis 20 Uhr geöffnet.

=Ze evil Kohl=

Alle Jahre wieder …

… ist plötzlich Winter. Wer konnte damit rechnen?

So, dann hatten wir jetzt 2012 in Berlin und somit auch in Neukölln immerhin drei Tage mit Schneefall. Der erste Tag lieferte uns einen knappen Zentimeter lockeren Schnee, der ohne Zutun am nächsten Tag wegsublimiert wäre. Dies war natürlich das  Zeichen für die Winterdienste, die wahrscheinlich vor lauter Langeweile voller Tatendrang waren, die Radwege entlang der Oderstraße und des Columbiadamms zentimeterdick mit Split zu bedecken. Denn klar, Split hilft gerade bei so kleiner Auflagefläche wie einem Fahrradreifen ganz immens!

Das Streuen von Radwegen ist im Straßenreinigungsgesetzt explizit nur bei extremer Glätte zugelassen, das muss ich der BSR oder ihren Sub- unternehmern sicher nicht erklären. Die parallel geführten Gehwege wurden entweder nur vorbildlich freigefegt und waren entsprechend gut – wenn auch illegal – befahrbar. Oder sie wurden gar nicht geräumt, was natürlich dazu führte, dass Fußgänger auf dem für sie gesplitteten (Rad-)Weg liefen.

Nunja, der Schnee war vorerst weg, der Split blieb. Dann kam es zur zweiten Katastrophe: ganze drei Zentimeter Schnee, die auch noch liegen blieben. Hier trat man aber natürlich erst einen Tag später in Aktion. Wer will schon Samstag oder Sonntag vor die Tür? Was wurde getan? Zufällige Wege mit möglichst wenig Aufwand geräumt – nur nicht zweimal die selbe Strecke fahren, um die gesamte Breite zu räumen. Zweispurige Radwege wurden nur irgendwie in der Mitte gefegt und natürlich brav gesplittet. Teilweise wurde auch gar nichts getan, die Radfahrer fuhren sich also an Hauptverkehrsadern wie zum Beispiel am Columbiadamm selber die Spur frei. Denn wozu sollte man auch Radwege räumen? Es blieb also bei Lippenbekenntnissen des letzten Jahres.

Meine Frage ist: Wie faul oder merk- befreit darf man bei einem Winter- dienst sein, der in diesem Winter bisher viel Standby aber nur drei Tage Arbeit hatte? Der gesunde Men- schenverstand sagt doch, dass Kurven besonders gefährlich sind, wenn sie schneebedeckt sind und dass sich ein luftgefüllter Fahrradreifen nicht mit scharf- kantigem Split verträgt. Gibt es keinen Sand mehr zum Abstumpfen der Wege? Oder ist es gar Anweisung, maximal die Hälfte der Wege zu räumen und besonders die Gefahrenzonen zu ignorieren? Wird nur nach GPS-Karte gefahren und das ZNS bleibt derweil aus?

Wenn die Berliner Stadtreinigung oder ihre Subunternehmer Nachhilfe in Sachen „Was macht Sinn beim Radwegräumen?“ brauchen, stelle ich mich gerne zur Verfügung. Ich denke viele der Radpendler, die mit mir die Oderstraße und Umgebung benutzen, haben sicherlich auch noch den ein oder anderen Hinweis abzuliefern. Was uns allerdings neben dem schlechten Beigeschmack des erneuten Winterdienst-Versagens  bleibt, das sind – geschätzt: bis März – die Splitschichten.

=Ze evil Kohl=