Sonntagmittag, Oder-/Ecke Emser Straße, aus dem Eisstadion des Werner-See- lenbinder-Sportparks Neukölln lärmt es fast wie bei einem Eishockeyspiel. Es ist der
23. September, die Eisbahnsaison beginnt traditionsgemäß doch erst im Oktober. Also was ist da los?
Ohne Eintrittsgeld entrichten zu müssen, gelangt man auf die Tribüne, die aber nur recht spärlich besetzt ist. Umso lebhafter geht es in dem noch eislosen Oval zu.
Hier tummeln sich 14 Menschen: 12 von ihnen tragen Helme, Brustpanzer, Arm- schützer und Handschuhe, die anderen beiden, die Schiedsrichter, sind im schwarzweiß gestreiften Outfit. Erstere handhaben einen käscherähnlichen Stock, an
dessen Spitze sich ein Netz befindet, mit dem recht virtuos ein kleiner Ball gefangen, getra- gen und geworfen wird.
Wie zu erfahren ist, stehen sich bei diesem ersten Box Lacrosse Turnier in Berlin im Rahmen der European Lacrosse League gerade die Old Dogs Plzeň (grüne Trikots) und die Wolves Radotín (weiße Trikots), also Mann-
schaften aus Pilsen und Prag, im Spiel um den dritten Platz gegenüber.
Außer den Spielern, den Veranstaltern, der kleinen Fangemeinde und vielleicht noch einigen sehr Bil- dungsnahen weiß wohl niemand um diese Sportart,
die bereits im 17. Jahrhundert von den Indianern der amerikanischen Ostküste erfunden wurde und dort zur spielerischen Wehrertüchtigung heranwachsender Krieger diente. Anfang des 20. Jahrhunderts war La- crosse, das auf dem Feld sowie in Sporthallen bzw. auf enteisten Eisbahnen gespielt wird, sogar olym-
pische Disziplin.
Die Regeln des Spiels erschließen sich wahrlich nicht sogleich, aber von Drittel zu Drittel wird man auch hier klüger. Zur Erläuterung: Eine Mannschaft besteht aus fünf Spielern und einem Torwart, der wesentlich ausladender als seine Team-Kollegen gepolstert ist. Weitere 10 Spieler halten sich bereit zum Aus-
wechseln auf der Bank auf. Sie wechseln je nach eigener Stärke und Spielverlauf. Wird angegriffen, sind die offensivstarken Spieler auf dem Platz, bei der Verteidigung die defensivstarken.
Zu Beginn jeder Periode findet ein Faceoff, also ein Anstoß wie beim Eishockey in der Spielfeldmitte statt.
Dabei müssen sich alle Spieler – abgesehen von den den beiden Faceoff-Spielern – jenseits der Linien, die das Spielfeld dritteln, aufhalten und dort verweilen, bis eine Mann- schaft im Ballbesitz ist oder der Ball eine der Restraininglines überquert hat. Das Team, das den Ball in die Angriffshälfte befördert hat, darf diesen
keinesfalls in die eigene Hälfte zurück passen oder tragen. Ein Vergehen führt zum Ballverlust.
Nach einem erzielten Tor folgt ein kurzer Pfiff des Schiedsrichters. Danach folgt kein Faceoff, sondern der Ball wird sofort wieder ins Spiel gebracht.
Die Spielzeit beim Box Lacrosse beträgt 3 mal 15 Mi-
nuten. Die Zeit wird an- gehalten, wenn ein Team oder die Schiedsrichter eine Auszeit nehmen. Jede Mannschaft kann pro Drittel eine 60-sekündige Auszeit nehmen, aber nur dann, wenn sie sich im Ballbesitz und in der Angriffszone
befindet.
Wer in der eigenen Verteidigungshälfte in Ballbesitz, hat 10 Sekunden Zeit, den Ball in die Angriffszone zu befördern. Wenn die angreifende Mannschaft den Ball verliert, wird die Zeit unterbrochen, erkämpft sich die gegnerische
Mannschaft den Ball, läuft sie weiter. Ähnlich wie beim Basketball, darf beim Lacrosse ein Angriff nicht länger als 30 Sekunden dauern. In dieser Zeit muss ein gültiger Torschuss versucht werden. Gültig, d. h. regelgerecht, ist der aber nur, wenn er von vorne in Richtung Tor geht. Abpraller von der Wand hinter dem Tor oder Schüsse aus dem Raum hinter dem Tor
zählen nicht als gültiger Torschuss. Schafft ein Team es nicht, den Angriff innerhalb einer halben Minute erfolgreich abzuschließen, kommt das gegnerische in Ballbesitz – und zwar genau an der Stelle, wo sich der
Ball in der Sekunde 0 befindet.
Zwischen den Dritteln, die zugleich Seitenwechsel für die Mannschaften bedeuten, gibt es Pausen von jeweils zwei Minuten. Zusätzliche Pausen – dann Zeitstrafen genannt – bekommt, wer einen Gegen- 
spieler unterhalb der Gürtellinie attackiert, ihm ein Bein stellt oder die Spielregeln durch grobes unsportliches Verhalten bricht. Denn auch wenn es zu-
nächst anders aus- sieht: Beim für Laien
brachial anmutenden Box La- crosse ist zwar vieles, aber längst nicht alles erlaubt, und wer im Eifer des Gefechts das Regelwerk vergisst, wird vom Schiedsrichter unmissverständlich an sie erinnert.
Doch auch ohne Kenntnis der Regeln (oder gerade des- wegen), ist man als Zuschauer ganz schnell gefangen-
genommen von der Faszination, die von diesem Spiel ausgeht. Nahezu artistisch gehen die Spieler mit ihrem Schläger um, und das in oft atemberaubender Schnelligkeit. Nicht
nur ein gutes Auge muss mit Fang-, Wurf- und Treffsicherheit gepaart sein, auch ein gerüttelt Maß an Gewaltbereitschaft zum Einsatz von Schläger und Körper sind gefragt – man muss auch einstecken können. Denn der 140 Gramm schwere Hartgummiball fliegt mit einer Geschwindigkeit von bis zu 100 Kilometern pro Stunde über das Spielfeld. Zusätzlich wird
der Schläger genutzt, um anderen Spielern den Ball abzunehmen. Die Ver- teidiger versuchen, dem ballführenden Spieler auf Schläger, Hände oder Oberkörper zu schlagen. Wenn das nicht klappt, dann geht der Spieler schon mal mit vollem Körpereinsatz zur Sache.
Für die beiden Sanitäter der Johanniter Unfallhilfe, die beim ersten Box Lacrosse Turnier auf Berliner Boden im Eisstadion Neukölln Dienst
taten, war es dennoch ein ruhiges Wochen- ende. Das sähe alles viel brutaler und härter aus, als es ist, bilanzierten sie kurz vor dem Finalspiel.
Das Spiel um Platz 3 gewannen die Wölfe aus Radotin letztlich überzeugend mit 12:7. Auch das anschließende Endspiel, das der LC Bison Radotin und die Deutschland Adler bestritten, konnte das Team aus Tschechien für sich entscheiden.
=kiezkieker=
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