Was brauchen Seniorinnen und Senioren in Rudow – und was sollen sie bekommen?

Darum ging es bei einer Informationsveranstaltung, zu der am vergangenen Dienstag Dr. Franziska Giffey und Bernd Szczepanski ins Haus Harz eingeladen hatten. haus harz_neukoelln-rudowGemeinsam mit einem Mitarbeiter des Hochbau-amts wollten Neuköllns Bezirksbürgermeisterin und der Sozialstadtrat die Pläne der neuen Seniorenfreizeitstätte vorstellen und sich gleich-zeitig über die Wünsche und Bedürfnisse älterer Menschen im Ortsteil Rudow informieren.

„Die Finanzierung Ihrer neuen Freizeitstätte in Alt-Rudow 60 ist gesichert. Der Senat hat 675.000 Euro für das Projekt bewilligt. Wir können heute also beraten, wie das neue Haus aussehen soll“, teilte Bezirksbürgermeisterin Giffey den zahlreich Weiterlesen

Gesichter, die von langen Leben erzählen

kaffeetafel_ausstellungseroeffnung geb 1916_koernerpark neukoellnBernd Szczepanski hat durchaus öfter mit Hundert-jährigen zu tun. So sie oder ihre Angehörigen es wünschen, kommt der Sozialstadtrat von Neukölln mit Blumen und einem kleinen Präsent zum Gratulieren, wenn das Lebensalter vom zwei- in den dreistelligen Bereich rutscht. Doch so etwas wie letzten Freitag war auch für Szczepanski ein Novum: An einer Kaffeetafel konnte er zur Eröffnung einer Ausstellung zum 100-jährigen Bestehen des Körnerparks gleich sechs Neu-köllnerinnen begrüßen, die seit Januar 100 geworden sind oder es in den nächsten Monaten werden.

Als sie 1916 zur Welt kamen, waren Filtertüten, Panzer, der Teddybär, Eis am Stiel, elektrische Verkehrsampeln und Waschmaschinen bereits erfunden. Andere zivilisatorische Errungenschaften, die heute Weiterlesen

Wenn die gewohnte Umgebung fremd geworden ist

the bread station neuköllnWie lebt es sich in einem Kiez, dessen Bewohner-struktur sich binnen weniger Jahre rapide verjüngt hat, während man selber stetig älter wurde? Der Heimat ist, sich aber nicht mehr so anfühlt. In dem Bäckereien hope-seniorenzentrum neukoellneröffnen, die The Bread Station heißen, hippe Läden und Cafés in ehemalige Eckkneipen ziehen, und viel englisch, spanisch und italienisch gesprochen statt ber-linert wird.

Sie habe nie woanders als im Reuterkiez gelebt, erzählt eine Rentnerin. Nun wohnt sie am Maybachufer, vorher in anderen Straßen, die zwar noch heißen, wie sie immer hießen, ansonsten aber ihre Gesichter verändert haben: „Durch die Entwicklung der letzten Jahre hab ich den Eindruck, in einen anderen Kiez umgezogen zu sein.“ Für das seit Oktober 2012 laufende Weiterlesen

Hilfe für die, die keine Lobby haben

seniorenwohnanlage reuterkiez neuköllnGentrifizierung, Szene-Kneipen und -Läden, Hipster, Familien mit kleinen Kindern – das sind Begriffe und Personengruppen, die meist in einem Atemzug mit dem Reuterkiez genannt werden. Was jedoch oft vergessen wird, ist, dass es auch alte Leute gibt, die in dem Viertel zwischen Landwehrkanal und Sonnenallee leben. Selbst das seit über 11 Jahren für den Kiez zuständige Quartiersmanagement (QM) Reuterplatz, das sich in einer Selbstbeschreibung des „intensiven ’sich kümmerns'“ um das Gebiet rühmt, zeigt an dieser Zielgruppe nur wenig Inte- resse. Es gebe eine Angebotslücke an offenen Angeboten für Senioren_innen, teilt das QM-Team lapidar mit. Die Anfrage, wie viele Frauen und Män- ner der Generation 55+ im Quartier leben, beantwor- tet es mit statistischem Material aus dem Jahr 2013, das besagt, dass per 31. Dezember 16 Prozent der 19.633 Einwohner  zur betreffenden Altersgruppe gehör- ten: „Aktuellere Zahlen haben wir leider auch nicht.“ Dazu passt, Weiterlesen

Szenen des Alltags

desiree nick_fotoausstellung altenpflege_bürgerzentrum neukölln„Damit wir uns im Alter treu bleiben können“, fordert die durch eine Maskenbildnerin in die Jahre gekommene Désirée Nick. Unter dem Oberschenkel und der mit Altersflecken über- säten Hand der Entertainerin der Hinweis, dass Altenpflege, weil wir immer älter werden, ein Berufsfeld mit Sinn und Zukunft ist. „In ein paar Jahren gibt es bürgerzentrum neuköllnmehr Menschen über 65 als unter 18″, infor- miert der Schriftzug außerdem. Im Bür- gerzentrum Neukölln, wo die Foto-Ausstellung „Gepflegt in der Gegen- wart“ am letzten Mittwoch eröffnet wurde, kommen unter 18-Jährige schon jetzt nicht mehr vor. Das unter der Leitung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin ste- hende Gebäude, das bis zum November 2013 „Haus des älteren Bürgers“ hieß, hat seitdem zwar einen neuen Namen, aber das Publikum besteht nach wie vor fast 4_altenpflege-fotoausstellung_bürgerzentrum neuköllnausschließlich aus Senioren.

„Schöne Bilder“, meint eine Mitarbeiterin des Hauses, bevor sie in ihrem Büro verschwindet. Das leise hinter ihrer Be- merkung klingende Fragezeichen bleibt draußen. Ja, es sind schöne Bilder, die nun hier im Atrium-Café des Bürger- zentrums bei der vom Paritätischen Wohl- fahrtsverband Berlin und der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales initiierten Ausstellung gezeigt werden, zweifellos. Es sind 17 Schwarz-Weiß- Fotografien, die in ambulanten paritätischen Pflege-Einrichtungen entstanden, Szenen des Mitein- anders von Pflegenden und Gepflegten widerspiegeln und den  „Fokus auf  das  Hier

1_altenpflege-fotoausstellung_bürgerzentrum neukölln 2_altenpflege-fotoausstellung_bürgerzentrum neukölln

und Jetzt der Berliner  Pflegelandschaft“ lenken sollen. „Die ausgestellten Fotos machen deutlich, was die Altenpflegerinnen und –pfleger tagtäglich leisten und zeigen zugleich, wieviel Wärme Pflegende von Menschen, die sie betreuen, zurück- erhalten“, so Mario Czaja, Berlins Senator für Gesundheit und Soziales, bei der Vernissage. Doch das ist nicht das alleinige Ansinnen der in die Kampagne „Gepflegt in die Zukunft“ eingebetteten Ausstellung. „Wir wollen“, so Czaja, „mehr Menschen für den Altenpflegeberuf begeistern.“ Zudem solle die Aufmerksamkeit der Öffent- lichkeit auf die große 3_altenpflege-fotoausstellung_bürgerzentrum neuköllnLeistung Pflegender gelenkt, ihr Ansehen in der Gesellschaft gesteigert und ihnen so gebührende Aner- kennung gezollt werden.

Dass mit dieser Ausstellung jedoch solche hehren und wichtigen Ziele erreicht werden, ist fraglich. Denn die Fotos von Christiane Weidner, Frederic Brueckel, Michael Janda, Rais Khalilov und Martin Thoma, ehren- amtlichen Fotografen des Paritätischen, zeigen nur einen Bruchteil des beruflichen Alltags Pflegender und beschränken sich weitestgehend auf die Darstellung der angenehmen Aspekte der Tätigkeit. Das harte Pflichtprogramm, das gleichermaßen zur ambulanten wie zur stationären Pflege gehört, lassen sie – der schönen Bilder zuliebe – komplett aus.

Die Ausstellung „Gepflegt in der Gegenwart“ ist  noch bis zum 9. Januar im Atrium des Bürgerzentrums Neukölln (Werbellinstr. 42; Öffnungszeiten: Mo. – Fr. 9 – 17 Uhr) zu sehen. Danach, ab 15. Januar, wird die Ausstellung im Gebäude der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales gezeigt.

=ensa=

Bildungsurlaub im eigenen Kiez

Sehr schön seien sie gewesen, die Tage mit der Enkeltochter, erzählt die Frau strah- lend dem Mann hinter dem Käsestand auf dem Wochenmarkt. „Sie glauben ja gar nicht, was man  von so einer  20-Jährigen alles  lernen kann. Das war  wie  Bildungs-

Free WiFi_neukölln

urlaub für mich.“ Ob er zum Beispiel schon die Free WiFi-Schriftzüge an manchen Ca- fés und Kneipen im Kiez bemerkt habe, fragt sie. Er schüttelt den Kopf. „Ich dachte bisher, dass die für einen Film Reklame machen.“ Free Willy, den Weiterlesen

Post für Gesundheitsminister Gröhe

rettungspakete_diakonie-aktionstag altenpflege_rathaus neukoellnGewartet und darauf gehofft, dass sich etwas ändert, haben sie lange genug. Nun ist es mit ihrer Geduld vorbei: Gestern rief die Diakonie bundesweit unter dem Motto „5 vor 12“ zum Aktionstag Altenpflege aktionsstand_diakonie-aktionstag altenpflege_rathaus neuköllnauf – auch in Neukölln. Vor dem Rathaus hatten sich Mitarbeiterinnen von Dia- konie-Einrichtungen ver- sammelt, um Passanten auf das Thema Altenpflege im Allgemeinen und das Rettungspaket im Speziellen aufmerksam zu ma- chen und  Wünsche zu sammeln.

„Pflege ist leider immer noch etwas, womit sich die meisten erst beschäftigen, wenn der Zustand, selbst betroffen zu sein, akut ist“, sagt Beate Wollersheim. Als Spezialistin für den Diakonie-Pflege-Bereich Angehöri- genarbeit kennt sie beide Seiten der Medaille, und sie weiß auch: Weiterlesen

Weshalb ist die Gurke nicht krumm, die Finanzkrise durchaus vorteilhaft und Schäuble nicht da gewesen?

eu-flagge_bvv-saal neuköllnDie Europaflagge hing schlaff in einer Ecke des BVV-Saals im Neuköllner Rathaus ab. Hoch motiviert waren dagegen diejenigen, die in den Sesseln Platz genommen hatten, in denen sonst die Bezirksverordneten sitzen. Auf den Ti- schen vor ihnen, die gemeinhin mit Papier übersät sind, europa-quiz für senioren_rathaus neuköllnstanden Kaffeetassen und Kuchenteller.

Der Neuköllner Sozialstadt- rat Bernd Szczepanski und Cordula Simon, Europabe-auftragte des Bezirks, hat- ten in Kooperation mit dem Bürger Europas e. V. vorges- tern Senioren aus Neukölln zum Europa-Filmquiz einge- laden – und an die 50 waren gekommen. Eine „unterhaltsame Veranstaltung“, bei der sich „viel Interessantes über Europa“ erfahren lässt und man „live oder virtuell“ Fi- nanzminister Wolfgang Schäuble, dem Lindenstraße-Schauspieler Weiterlesen

Nach 30 Jahren: Aus für das Haus des älteren Bürgers

Haus des älteren Bürgers NeuköllnNicht nur Neuköllner kennen das Gebäude in der Werbellinstraße 42. Doch wer am Wochenan- fang das Haus des Älteren Bürgers passierte, der name ist wegwunderte sich: Der Name war weg. Und das in der Woche, in der die Einrichtung ihr 30- jähriges Jubiläum feiert. Doch dann handwerkliche Ak- tivitäten: Die Hausnummer ist schon wieder angebracht. handwerkliche arbeiten_bürgerzentrum neuköllnAha, könnte man denken, die Ziffern und Buchstaben sind zum Fest be- stimmt gereinigt worden. Doch weit gefehlt: Nach 30 Jahren verschwindet der Name dieser Institution. Sie Weiterlesen

Neukölln als Parcours für Perspektivwechsler

v. l.: Festivalleiter Dr. Martin Steffens, Auguste Kuschnerow (Kulturnetzwerk Neukölln), Kulturstadträtin Dr. Franziska Giffey, Francesco Mammone (Reihe "Kunst und Kult"), Festivalleiter Thorsten Schlenger, Andrea Klahold (Neukölln Arcaden)

v. l.: Festivalltg. Dr. Martin Steffens, Auguste Kuschnerow (Kulturnetzwerk Neukölln), Kul- turstadträtin Dr. Franziska Giffey, Francesco Mammone (Reihe „Kunst und Kult“), Festivalltg. Thorsten Schlenger, Andrea Klahold (Neukölln Arcaden)

Gutes Schuhwerk, das ist es, was Neuköllns Kulturstadträtin Dr. Fran- ziska Giffey allen empfiehlt, die sich am Wochenende auf die Spuren der Kunst im Bezirk begeben. Denn heute geht 48 Stunden Neukölln in die 15. Runde – und das bedeutet: bis Sonntagabend etwa 400 Ver- anstaltungen, die das Jahresthe- ma „Perspektivwechsel!“ umset- zen, an 250 Orten. Immerhin seien es gut 30 Prozent weniger als noch im Vorjahr, erinnert Auguste Kusch- nerow vom Kulturnetzwerk Neukölln e. V., das das Festival veranstaltet.

Verschlankt kommt es nun also daher, und das betrifft nicht ausschließlich die Zahl der Veranstaltungen und Orte. Mit „Kultur- und“ hat es den Ballast von drei Silben und einem Bindestrich abgeworfen. martin steffens_auguste kuschnerow_48 stunden neukölln-pkDas Kunstfestival 48 Stunden Neukölln heißt es jetzt nur noch“, betont Dr. Martin Steffens und geht auf weitere Neuerungen ein: Die Beiträge der Künstler sollen stärker als bisher auf das jeweilige Jahresthema konzentriert sein, und Galerien ohne speziell auf das Festival- thema zugeschnittene Ausstellungen oder Events sind künftig keine Teilnehfranziska giffey_francesco mammone_thorsten schlenger_48 stunden neukölln-pkmer mehr, die im Pro- gramm bewor- ben werden, sondern nur noch „assoziierte Orte“. So sei es im letzten Herbst bei einer Zukunftswerkstatt mit diversen Beteiligten be- schlossen worden, sagt der langjährige Festival- leiter, der – auch das ist neu – in diesem Jahr zusammen mit Thorsten Schlenger als Doppel- spitze agiert. Erklärtes Ziel sei, das relativ alte, inzwischen mehrfach kopierte Format des Festivals in eine zeitgemäße Form zu bringen, um gegenüber den Nachahmern die Nase vorne zu behalten. Dazu gehört auch ein neues Corporate Design rund um info-stand neukölln arcaden_48 stunden neuköllndas etablierte 48 Stunden Neukölln-Logo.

„Hier ist Kunst“, allgegenwärtig ist der Schriftzug derzeit im Bezirk. „Da ist Kunst“ heißt es heißt es auf den außerhalb Neu- köllns ausliegenden Orientierungsplänen. Den Effekt, dass wegen des Festivals „Menschen kommen, die sonst nicht den Weg nach Neukölln finden“, schätzt auch Franziska Giffey. Damit sie sich nicht verirren und Einheimische im Event-Overkill ebenfalls den Überblick behalten, hat das junge Neuköllner Unternehmen Quar- terland eine Festival-App entwickelt. „Mit einer Echtzeitkarte“, erklärt Torsten Fischer, „werden den Usern von Smartphones 48 stunden neukölln-pkoder Tab- lets nur Veranstaltungen angezeigt, die gerade in unmittelbarer Nähe stattfinden.“

An die Nicht-ohne-mein-Smartphone-Generation ist also gedacht – und den so genannten Silver- Agern wird in diesem Jahr erstmals eine eigene Festivalreihe gewidmet: Im Labor Urbanes Altern, das in der 1. Etage der Neukölln Arcaden ein- barbara duisberg_labor urbanes altern_neukölln arcaden_48 stunden neukölln-pkgerichtet ist, sol- len die Senioren stärker in den Fo- kus genommen und einbezogen werden. Neben einer Ausstellung der Berliner Künstlerin Barbara Duisberg gibt es Audio-Installationen, ein Medien-Center, Performances und verschiedene Projekte, die auf die Förderung des intergenerativen Dialogs ausgerichtet sind und somit zum Perspektivwechsel einladen. „Dieses Anliegen“, informiert Thorsten Schlenger, der die Reihe betreut, „wird auch bei den nächsten Festivals fortgesetzt.“ Die Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land habe bereits das Sponsoring für 2014 labor urbanes altern_48 stunden neukölln-pkund 2015 zugesagt.

Einen weiteren 48 Stunden Neukölln-Schwer- punkt schafft die Veranstaltungsreihe Kunst und Kult – Stimmen der Religionen, die von Fran- cesco Mammone kuratiert wurde. „Hier liegt der Akzent auf dem Dialog zwischen Künstlern und Gemeinden“, erklärt er. Fünf Gotteshäuser in Neukölln beteiligen sich an der Reihe, ebenso fünf Künstler: „Bei der Zuordnung war es uns wichtig, dass sie nicht der entsprechenden Glaubensgemeinschaft angehören.“ Das Ergeb- nis seien intensive, künstlerisch-religiöse Aus- einandersetzungen einer Buddhistin mit der katholischen Sankt-Clara-Gemeinde, einer Ka- tholikin mit der Sehitlik-Moschee, einer Muslima mit der Herrnhuter Brüdergemeine, eines muslimisch-katholisch sozialisierten Künstlers mit der evangelischen Gene- zareth-Gemeinde und einer Künstlerin, die im griechisch-orthodoxen Umfeld auf- geheimnisvolle tür_48 stunden neukölln-pkwuchs, mit dem Sri-Ganesha-Hindutempel.

Heute um 19 Uhr wird das Kunstfestival, im Kesselhaus der ehemaligen Kindl-Braue- rei an der Werbellinstraße eröffnet. Bis Sonntagabend kann dann, so Auguste Kuschnerow, die Sichtweise auf Fremdes geschärft und das Wechseln von Stand- orten und Perspektiven erlernt werden. Wer das mit dem 28-seitigen Programm als Wegbegleiter tun will, sollte nicht nur an gutes Schuhwerk, sondern – bei nicht mehr ganz so guten Augen – auch an die Lese- brille denken. Sonst bleibt die Sichtweise auf weite Passagen des Heftes ver- schwommen und wird das Wechseln von Standorten und Perspektiven zur echten Herausforderung.

=ensa=

Auf der Sonnenseite

„Das hab ich wirklich noch nie erlebt!“, sagt die rüstige 78-Jährige. Von der östlichen Straßenseite der Sonnenallee habe sie gestern Mittag auf die westliche hinüber gehen wollen, an einer Fußgängerampel. Die warme Herbstsonne strahlte auf die stadteinwärts führenden Fahrspuren und die Mittelinsel, alles westlich davon lag im Schatten. „Es war ein komplett spontaner Entschluss, noch ein wenig auf der Mittelinsel verweilen zu wollen, um dort die Sonnenstrahlen zu genießen“, er- zählt die Rentnerin. Um es beim Sonnenbaden etwas bequemer zu haben, habe sie sich an den Am- pelmast gelehnt: „Das war so herr- lich, dass ich mehrere Grünphasen vergehen lassen hab.“ Der Gipfel der Herrlichkeit sei jedoch gewesen, dass keine einzige Grünphase ver- ging, ohne dass sie nicht von Wild- fremden besorgt gefragt wurde, ob es ihr nicht gut gehe oder sie Hilfe beim Überqueren der Straße brauche. Dass es solche Erlebnisse gibt, müsse man doch auch mal festhalten – bei all der Brutalität, Ignoranz und Gedankenlosigkeit, die in Berlin herrscht, findet sie.

Unüberwindbare Hürden

„Das wird wieder ein teurer Winter“, befürchtet Frau Behnke und meint damit weniger die Heizkosten. „Mit dem Heizen übertreib ich’s nicht“, sagt sie, „aber kalt will ich’s auch nicht haben.“ Wer den 2. Weltkrieg miterlebt hat, dem sei eine tiefe Abneigung gegen das Frieren geblieben. Frau Behnke hat ihn miterlebt und – anders als ihr Mann – überlebt. 83 wird sie nächstes Jahr im Frühling: „Darauf freu ich mich jetzt schon.“ Nicht wegen des dann noch weiter fortgeschrittenen Alters, sondern vielmehr, weil das Frühjahr gemein- hin den Winter vertreibt. Obwohl Frau Behnke auch den mag – eigentlich. Wenn die Begleiterschei- nungen nicht wären.

„Seit vier Wochen lauf ich nur noch um den Pud- ding“, sagt die Neuköll- nerin. Aus der Haustür raus, bis zur Ecke, um die Ecke und um drei weitere Ecken, bis sie wieder vor ihrer Haustür steht. Tag für Tag, weil sie Bewegung braucht, unter Menschen sein will und raus muss, um nicht rammdösig zu werden. Dicke Socken in den Winterstiefeln verhindern, dass die Rentnerin kalte Füße kriegt, Spikes unter den Sohlen reduzieren die Gefahr auszurutschen. Aber die Angst vor einem Sturz ist trotzdem immer dabei. Eine Straße zu überqueren, kommt für die 82-Jährige zurzeit nicht infrage: „Das ist doch lebensgefährlich, und die Schneeberge an den Straßenrändern werden immer höher.“ Eine Freundin von Frau Behnke hat vor einigen Tagen versucht, einen zu überwinden, um zum Discounter zu schleichen. Jetzt liegt sie mit einem Oberschenkelhalsbruch und einer eingegipsten rechten Hand im Krankenhaus. Auch für „einen jungen Hüpfer von 71 Jahren wie sie“ sei das gewiss keine angenehme Sache.

In einen Supermarkt würde Frau Behnke auch gerne mal wieder gehen, doch das verbieten die Straßen, die zwischen dem und ihrer Haustür liegen. „Manchmal lass ich mir Lebensmittel liefern oder von dem netten Pärchen mitbringen, das über mir wohnt. Aber das meiste besorg ich im Spätkauf um die Ecke, auch wenn die Preise da höher sind“, erklärt die Rentnerin. Sie habe zum Glück gut verdient und könne sich die Investitionen in ein Stück Alltagsnormalität leisten. Andere Alte, denen es nicht so geht, tun ihr einfach nur leid. Mit einigen davon ist sie befreundet. „Wir telefonieren häufiger als sonst, wiedersehen werden wir uns aber wohl erst, wenn der Schnee weg ist“, erzählt Frau Behnke. So profitiere außer dem Inhaber des Spätkaufs auch noch die Telekom vom Kapitulieren des Berliner Senats vor dem Winter: „Was haben Wowereit und wie sie alle heißen nach dem letzten getönt, dass sich solche Verhältnisse nicht wiederholen dürfen. Und was ist nun besser? Nüscht! Schämen sollten die sich was!“

=ensa=

Unerwartete (Un-)Möglichkeiten

Normalerweise ist es im Gemeinschaftshaus Gropiusstadt rappelvoll, wenn Fiete Münzner und Uta Carina dort mit ihrer maritimen Advents-Revue auftreten. Wer sich in den letzten Jahren nicht rechtzeitig eine Karte für die Show gesichert hatte, hatte Pech. In diesem Jahr ist das anders, sind plötzlich Karten für Kurzentschlossene erhältlich. Doch das liegt nicht daran, dass die beliebten Entertainer der 70plus-Generation, die nächsten Dienstag wieder im großen Saal des Gemeinschaftshauses gastieren, an Anziehungskraft verloren haben.

Ganz im Gegenteil: Der Kapitän der guten Laune und seine blonde Partnerin stehen bei den Senioren nach wie vor hoch im Kurs. Viele von ihnen hatten sich bereits seit Wochen auf den Termin gefreut, hatten längst Karten reserviert oder sich in ihrer Tagesstätte, ihrem Alten- oder Pflegeheim in die Teilnehmerliste für eine or- ganisierte Gruppenfahrt in die Gropiusstadt eingetragen.

Aber dann brach erneut das Phänomen über Berlin herein, das die Stadt schon vor gefühlten wenigen Monaten heimgesucht hatte: der Winter.  Wochenlang hatte seine 2009/2010-Ausgabe im kongenialen Zusammenspiel mit uneffektiven oder gleich ganz ausgefallenen Winterräumdiensten verhindert, dass sich alte Leute und Gehbehinderte in der frischen Luft bewegen können. Das dürfe sich nicht wiederholen, hörte man damals. Doch genau das ist nun der Fall – und eben deshalb gibt es plötzlich für Kurzentschlossene die Möglichkeit, Fiete Münzner, Uta Carina und den Shanty-Chor Berlin live im Gemeinschaftshaus Gropiusstadt zu erleben.

„Der Preis, sich auf dem Weg dahin die Knochen zu brechen, wäre einfach zu hoch“, sagt eine 78-Jährige traurig, die  gerne wieder dabei gewesen wäre, ihre Reservierung aber storniert hat. „Für unsere Bewohner war die Absage der Fahrt zu der Veranstaltung wirklich ein herber Schlag“, weiß der Ergotherapeut eines Berliner Seniorenpflegeheims, „doch wir wissen wirklich nicht, wie wir sie bei den ver- heerenden Verhältnissen auf den meisten Bürgersteigen sicher hin und wieder zurück bringen könnten.“ Stinksauer seien die alten Leute – auf den Senat.

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Viel für wenig

Aktivieren, durchführen, schaffen, dokumentieren, präsentieren, kooperieren – die Erwartungen an den künftigen Träger des Projekts „Aktive Seniorinnen und Senioren im Reuterkiez“ sind hoch.

Im krassen Gegensatz dazu steht jedoch, was dafür locker gemacht wird: Maximal 3.000 Euro sind als Fördersumme aus dem „Soziale Stadt“-Quartiers- fonds 2-Topf für den Projektzeitraum vom 15.1. bis 31.12.2011 vorgesehen. Eine Summe, die auf eine jüngere Zielgruppe gemünzte Projekte monatlich einstreichen und die so die Zynismus-Hürde lässig überspringt. Wer sich trotzdem bewerben will, hat dafür noch knapp drei Wochen Zeit.

=ensa=