Leben unterm Dach

Der Vorführeffekt. „Ich versteh das nicht.“ Caroline Reichardt steht unter dem weißen Zeltdach, das sich wie eine Zirkuskuppel gen Himmel reckt, und sieht sich verdutzt werkstatt für veränderung weckt den weißen riesen, kulturbunker neubritz, seraphina lenz, neuköllnum: „So wenige Kinder wie heute waren schon lange nicht mehr hier.“ Woran es liegt, ist ihr ein Rätsel. „Gestern“, sagt die Kommunikations-designerin, die zum Team der Werk- statt für Veränderung gehört, „haben sie noch Geschichten geschrieben, um die heute beim Presse-Termin vorlesen zu können.“

Auch Seraphina Lenz, die Erfinderin und Initiatorin der Werkstatt für Ver- änderung, hat keine Erklärung: „Normalerweise kommen nachmittags 25 bis 40 Kinder.“ Viele seien schon seit Jahren dabei, einige sogar schon von Anfang an. Seit 2003 ist die Bildhauerin mit kunstpädagogischen Projekten für Kinder und Jugend- liche im Neuköllner Ortsteil Neubritz aktiv. Bis 2010 fanden sie auf dem Deckel der A 100, im Carl-Weder-Park, statt. Seit dem letzten Sommer ist es die Freifläche auf dem werkstatt für veränderung weckt den weißen riesen, kulturbunker neubritz, seraphina lenz, neukölln, breakdance-workshopKulturbunker in der Rungiusstraße, die bespielt wird und so aus dem Dorn- röschenschlaf gerissen werden soll.

Zwei Mädchen wollen unbedingt noch mit Thomster vom Urban Dance-Team Footwork Orange ein paar Breakdance- Lektionen üben, bevor sie weiter müssen. Von Versuchen, „der wilden Horde tanzen beizubringen“, spricht der Trainer. Und davon, dass die Konzentrationsfähigkeit, die Selbsteinschätzung und die Unverbindlichkeit der Kinder und Jugendlichen den Versuchen Grenzen setzen würden. Aber Spaß hätten sie definitiv am Breakdancen.

Fünf bis sechs Betreuer sind in das Projekt „Werkstatt für Veränderung weckt den weißen Riesen. Oder die Kunst einen Ort zu erfinden“ involviert. In den Workshops, werkstatt für veränderung weckt den weißen riesen, kulturbunker neubritz, seraphina lenz, neuköllndie sie anbieten, geht es um Aufgaben, die für die Gestaltung, Bespielung und Ver- marktung eines Kulturstandorts wichtig sind. Denn als solcher ist die vom Be- zirksamt Neukölln verwaltetete Freifläche eigentlich vorgesehen. „Aber als das wird er nicht wahrgenommen“, weiß Seraphina Lenz. Zwar würden die meisten Anwohner den umzäunten Platz mit dem weißen Zelt- werkstatt für veränderung weckt den weißen riesen, kulturbunker neubritz, seraphina lenz, neukölln, siebdruck-workshopdach ken- nen, dass die Fläche für private Feierlichkeiten oder Nachbarschaftsfeste gemietet werden kann, wisse jedoch kaum jemand. Entsprechend selten werde das Grundstück genutzt und verwaist sei es meist.

Ein regelrechtes Kontrastprogramm erlebt es seit Mitte August und noch bis zum kommenden Wochen- werkstatt für veränderung weckt den weißen riesen, kulturbunker neubritz, seraphina lenz, neuköllnende: Vormittags wird der Platz unter und um den weißen Riesen häufig von Klassen der vier Neuköllner Schulen genutzt, die Kooperationspartner des Projekts sind. Auch die Young Arts NK, Neuköllns Jugend-kunstschule, ist mit im Boot. Und nachmittags sind es nicht nur Kinder aus dem Kiez, die sich hier die Zeit vertreiben, sondern Frauen aus der Nachbarschaft werkstatt für veränderung weckt den weißen riesen, kulturbunker neubritz, seraphina lenz, neuköllnhaben den  Ort als Treffpunkt entdeckt, wo sich sogar bei Regen draußen kaffeesieren lässt.

Inzwischen sind einige Kinder mehr da.  Die Lust der Jungs auf kreative Beschäftigung scheint ebenso abwesend wie die Kinder, die heute vorlesen wollten: Statt etwas zu bauen, zu basteln oder zu schreiben, sitzen sie auf der aus Paletten gestapelten Bühne und futtern frischgebackene Waffeln. Indes sind die Mädchen in hellblaue Malerkittel geschlüpft, um – angeleitet von Caroline Reichardt – Postkarten zu bedrucken. „Die Wörter, die ihr schreibt“, erklärt sie, „sollten etwas mit dem Ort zu tun haben.“ Ob die Buchstaben in Reih‘ und Glied oder nach dem Chaos-Prinzip auf die Pappe ge- werkstatt für veränderung weckt den weißen riesen, kulturbunker neubritz, seraphina lenz, neuköllnstempelt werden, ist egal.

Ob die Postkarten beim Abschlussfest am 8. September verschenkt, verkauft oder ausgestellt werden, ist noch unklar. Sicher ist hingegen, dass es ein großes Bühnen-programm mit allen Beteiligten geben und Footwork Orange tanzen wird. Eine Veran- staltung, die sich vor allem an die Eltern der Kinder sowie Erwachsene aus der Nachbarschaft richtet, findet bereits  am Vortag statt: Ab 16 Uhr liest der Autor  Murat Ham  unter dem weißen Riesen aus seinem Buch „Fremde Heimat Deutsch- land – Leben zwischen Ankommen und Abschied“. Die Lesung sei ein Experiment, sagt Seraphina Lenz: „Nicht nur die Kinder in das Projekt einzubinden, ist uns jedenfalls sehr wichtig.“

Im letzten Jahr habe sich der Platz unter dem Zeltdach als Ort zum Feiern bewährt, in diesem Jahr werde es bei der Erwachsenen-Veranstaltung ruhiger zugehen. Für das Zeltdach über dem Kulturbunker ist es eine gute Gelegenheit, seine ganze Band- breite als kultureller Möglichkeitsraum zu zeigen und der Nachbarschaft so Anstöße für weitere Nutzungsideen zu geben.

=ensa=

Mit 2 PS durch Neubritz

Hufgetrappel, Kutschen, Pferdeäpfel auf der Straße, schnaufende Gäule – was im Richardkiez zum Alltag gehört, führt im einige Minuten entfernten Neubritz zu jeder Menge Aufsehen. sanierungsgebiet wederstraße, neukölln,kutschenfahrtHunde bellen die Verursacher der ungewohn- ten Geräusche irritiert an. Passanten bleiben stehen, win- ken, fotografieren. Kleine Mäd- chen bestaunen mit großen Augen, was sie sonst nur in Büchern oder im Fernsehen zu sehen kriegen. Autofahrer mit Streetfighter-Attitüde reagieren genervt auf die lebendigen Ver- kehrsentschleuniger, verzichten dann aber doch lieber aufs Hupen und versuchen sie zu überholen.

An eine neue optische, akustische und olfaktorische Facette muss in Neubritz nun sanierungsgebiet wederstraße, neukölln,thomas blesing,wolf schulgenaber niemand gewöhnen: Die beiden Kutschen mit den Kaltblütern aus der Schorfheide rumpelten nur gestern durch das Gebiet. Sie waren Ab- schiedstouren für das Sanierungs- gebiet Wederstraße, das nun durch rechtskräftigen Beschluss keines mehr ist. Rund 39 Mio. Euro wurden aus verschiedenen Fördertöpfen in den letzten 15 Jahren in zahlreiche große und kleine Projekte auf dem etwa 24 Hektar großen Areal gepumpt.

„Einschließlich der Vorbereitungszeit waren es sogar 17 Jahre“, sagt Bertil Wewer, der Vorsitzende der Betroffenenvertretung, die sich aus Anwohnern und Ge- werbetreibenden formierte und den gesamten Prozess aktiv begleitete. Ende 2009 wurde er mit der Neuköllner Ehrennadel  für seinen unermüdlichen Einsatz ausgezeichnet, den er sich in einem Impuls aufgehalst hatte: „Als für die Betrof- fenenvertretung ein Kassenwart gesucht wurde, sagte ich spontan, dass ich das schon mal gemacht habe.“ Beim Posten des Kassenwarts blieb es nicht, aber Bedauern darüber lässt der omnipräsente Macher nicht erkennen.

sanierungsgebiet wederstraße, neukölln,thomas blesing,wolf schulgenEine „tolle Entwicklung“ sei es, die das Gebiet rund um den Deckel der Autobahn gemacht habe, findet Neu- köllns Baustadtrat Thomas Blesing (2. v. l.).  Insbesondere für Familien habe die Gegend durch neue Ein- richtungen für Kinder und Jugendliche deutlich an Attraktivität gewonnen, der Bau von Townhouses solle die weiter steigern. „Doch schon jetzt lässt sich sagen, dass es hier alles für ein angenehmes urbanes Leben gibt“, sagte Blesing gestern Mittag bei der Abschiedsrede vor der Abschiedstour im Carl-Weder-Park. Und er muss es als jemand, der „in fußläufiger Entfernung“ wohnt, wissen. Was er auch weiß – dass es durch den A 100-Bau, der die Grundlage für die Ernennung zum Sanierungsgebiet lieferte, „viele Opfer“ gab: Anwohner hätten umgesiedelt und Gewerbetrieben der Wegzug auch durch finanzielle Bonbons schmackhaft gemacht sanierungsgebiet wederstraße, neukölln,autobahndeckel,wederparkwerden müssen. 75 Gebäude ent- lang der Wederstraße wurden daraufhin abgerissen.

Auch um die ging es, im Vordergrund stand jedoch das Entwicklungs- potenzial, das in Neubritz erkannt und beackert wurde. Von „großen Fortschritten, die erreicht wurden“ spricht dann auch Wolf Schulgen (l.), der Projektverantwortliche des Senats für Stadtentwicklung. Grün- und Freiflächen habe man angelegt, Spielplätze entstanden und das neue Gewerbegebiet Juliushof erfreue sich so großer Beliebtheit, dass innerhalb weniger Monate alle Parzellen verkauft waren. Straßen wurden frisch asphaltiert und verkehrsberuhigt, Kitas, Freizeit- und Kulturorte geschaffen. Noch gearbeitet werde indes am Erweiterungsbau der Zürich-Schule; am 3. November werde dieser eingeweiht und die rundum erneuerte Grundschule dann fit  für den Ganztagsbetrieb.  Darüber hinaus  würden  nur noch einige Folgemaßnah-

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men im Gebiet ausgeführt werden: Schulwegsicherungen, Straßen- und Gehweg- erneuerungen und andere Kleinigkeiten. Der Berliner Senat habe mit denen nichts mehr zu tun. „Die Verwaltungshoheit und Verantwortung für das ehemalige Sanierungsgebiet“, so Schulgen, „liegt jetzt komplett beim Bezirk Neukölln.“

Montag wird Baustadtrat Blesing bereits wieder in Neubritz sein. Dann eröffnet er zusammen mit Jugendstadträtin Gabriele Vonnekold die Spiel- und Bewegungs- fläche für Hortkinder am Jugendberatungshaus Neubritz sowie dessen Kellerge- schoss, das für die Jugendarbeit hergerichtet wurde. Und auch Bertil Wewer wird es sich vermutlich nicht nehmen lassen, dieses Ereignis mitzuerleben – obwohl das Ende der Sanierungsgebiet-Ära auch das der Betroffenenvertretung bedeutete.

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