Mit Zeitzeugen durch Neukölln- und Weltgeschichte

hufeisensiedlung-ausstellung_museum neuköllnUnd jetzt? Das fragen sich wohl viele, die aus der Ausstellung  „Das Ende der Idylle?“ kommen und nun vor dem Museum Neu- museum neuköllnkölln stehen.  Wer sich den 400-seiti- gen Katalog zur Ausstellung zuge- legt hat, will viel- leicht umgehend in dem schmökern, um die noch frischen Eindrücke vom Wandel, der in der Britzer Großsiedlung mit der Machtübernahme der Nazis einherging, zu vertiefen. Andere werden eher das Bedürfnis verspüren, sich sofort in der Hufeisen- und Krugpfuhlsiedlung Weiterlesen

Von A wie Ablenkungen bis Ü wie Überleben

Schön ist die Karl-Marx-Straße nicht. „Lebendig und laut, geschäftig und entspannt, grässlich und grau, bunt und voller Leben, gastfreundlich und anonym, unfassbar günstig und teuer zugleich“, das sind die Gebrauchsanleitung Karl-Marx-Straße_Roos VersteegAttribute, die Roos Versteeg Neuköllns Magistrale zuschreibt. Um deren Nutzung zu erleich- tern, hat die Künstlerin nun eine Gebrauchsanleitung für die Karl-Marx-Straße heraus- gegeben. In 17 Rubriken von A wie Ablenkungen bis Ü wie Überleben wird in dem 44- seitigen Heft voller subjek- tiver Wahrheiten (und mit 10 freien Seiten für eigene Noti- zen) das sichere Navigieren zu Geschäften entlang der Nord- Süd-Achse ermöglicht und auf die Begegnung mit „Menschen jeden Schlags und jeder Gemütsver- fassung“, die sich hier antreffen lassen, vor- bereitet. „Lesen Sie diese Anleitung gründlich durch, bevor Sie Ihre Begehung der Karl-Marx-Straße starten. Auf diese Weise vermeiden Sie unnötige Irritationen und Stress“, empfiehlt Versteeg in den Sicherheitshinweisen. Eine Gewähr für den reibungslosen Ablauf jedweder Unter- nehmungen will die Gebrauchsanleitung aber nicht geben. Schließlich handele es sich bei der Karl-Marx-Straße um einen „Ort der Extreme“, was wiederum bedeute, dass es zu Unregelmäßigkeiten kommen könne.

Erinnerungen für die Zukunft

Eigentlich sind sie zu zwölft, doch diesmal sind nur neun Frauen und Männer ge- kommen. Nun ja, es ist Fußball-EM, da mischen viele vorübergehend ihre Prioritäten neu. Gut möglich, dass die drei Fehlenden nach den Sommerferien auch wieder am workshop-reihe "geteilte erinnerungen", hufeisensiedlung britz, museum neuköllngroßen Tisch unter dem Dach des Museums Neukölln sitzen und mit dem  Workshop „Ge- teilte Erinnerungen“  weitermachen.

Noch bis Oktober läuft er. Zweimal pro Monat trifft sich die Gruppe, die von der Ethnologin Barbara Lenz und der Künstlerin Roos Versteeg geleitet wird. Zentrales Thema der Gesprächs- und Erin- nerungswerkstatt ist die aus Hufeisensiedlung und Krugpfuhlsiedlung bestehende  Großsied- lung Britz. Um ihre Architekturgeschichte und um zeitgeschichtliche Ereignisse geht es, aber auch um die Menschen, die früher dort gelebt haben und heute dort wohnen. Auf eine Frau aus der Gruppe trifft beides zu; sie ist vor vielen Jahrzehnten in diesen Kiez im Ortsteil Britz gezogen. Andere nehmen an dem Workshop teil, weil sie eine Beziehung zu Britz haben und/oder ihr bezirkshis- torisches Wissen erweitern wollen.

Alte Fotos, Literatur über die Hufeisensiedlung und Arbeitsbögen, die die Aspekte ankündigen, die an diesem Abend diskutiert werden sollen, liegen auf dem Tisch: Gemeinschaft und Gesellschaft. Für welchen dieser Begriffe ist die von Bruno Taut nach dem Alle-wohnen-gleich-Prinzip entworfene Siedlung Beispiel? Führt(e) die geschlossen anmutende Bauweise dazu, dass die Bewohner workshop-reihe "geteilte erinnerungen", hufeisensiedlung britz, museum neuköllnsich als Teil einer Gemeinschaft  fühl(t)en? Nein, ist ein Mann überzeugt, die Bauweise an sich spiele für das Gemeinschafts- gefühl keine Rolle, das werde eher durch die Mietwirtschaft bzw. bei- spielsweise Genossenschaftswoh- nungen initiiert. Die Rentnerin aus der Hufeisensiedlung stimmt ihm zu. Sie habe den Gemeinschaftsgedanken dort zumindest nicht erlebt, sagt sie. Wohl aber habe es  Orte gegeben, an denen Gemeinschaft im Sinne von Kommunikation entstand: Die Männer aus der Siedlung hätten sich am Kiosk Berta getroffen, die Frauen am Bolle-Milchwagen, beim Teppichklopfen in den Höfen oder auch in den Waschküchen, die jedes Mehrfamilienhaus hatte. Eine Frau, die vor einigen Jahren aus Polen nach Berlin kam, erzählt, dass sich solche gemeinsamen Waschküchen in ihrer Heimat eben- falls durchgesetzt hätten und es sie noch heute oft dort gebe.

Die  Brücke von der Historie in die Gegenwart ist geschlagen. Auch das gehört zu  den An- liegen von Barbara Lenz und Roos Versteeg, die dem Erzählen durch ihren Input einen roten Faden geben und es moderieren. Eines der Ergebnisse des „Geteilte Erinnerungen“-Work- shops soll  Audio-Material für einen Hörspa- ziergang  durch die Großsiedlung Britz sein. Doch, ja, ein bisschen von Tauts Ambition, Raum für gemeinschaftliches Wohnen zu schaf- fen, sei schon umgesetzt worden: Für mehr als den kleinsten gemeinsamen Nenner reicht es nach Meinung der Workshop-Teilnehmer nicht. Die Siedlung sei ja ob der Aus- stattung ihrer Wohnungen schnell auch für Mieter attraktiv geworden, die mehr als all jene verdienten, für die sie ursprünglich konzipiert worden war. Vor allem an den Gärten sei das deutlich geworden: „Die Mieter der ersten Stunde haben sie als Nutzgärten angelegt, später wurden sie immer öfter als Ziergärten zweckenfremdet.“ Inzwi- schen, berichtet einer aus der Gruppe, werde die Rückkehr zur Anlage eines klassischen Gartens sogar vom Landesdenkmalamt gefördert.

Auch nach den Sommerferien ist für Interessierte noch ein Einstieg in den  Workshop „Geteilte Erinnerungen“  möglich; weitere Infos hier.

=ensa=