Eigentlich sind sie zu zwölft, doch diesmal sind nur neun Frauen und Männer ge- kommen. Nun ja, es ist Fußball-EM, da mischen viele vorübergehend ihre Prioritäten neu. Gut möglich, dass die drei Fehlenden nach den Sommerferien auch wieder am
großen Tisch unter dem Dach des Museums Neukölln sitzen und mit dem Workshop „Ge- teilte Erinnerungen“ weitermachen.
Noch bis Oktober läuft er. Zweimal pro Monat trifft sich die Gruppe, die von der Ethnologin Barbara Lenz und der Künstlerin Roos Versteeg geleitet wird. Zentrales Thema der Gesprächs- und Erin- nerungswerkstatt ist die aus Hufeisensiedlung und Krugpfuhlsiedlung bestehende Großsied- lung Britz. Um ihre Architekturgeschichte und um zeitgeschichtliche Ereignisse geht es, aber auch um die Menschen, die früher dort gelebt haben
und heute dort wohnen. Auf eine Frau aus der Gruppe trifft beides zu; sie ist vor vielen Jahrzehnten in diesen Kiez im Ortsteil Britz gezogen. Andere nehmen an dem Workshop teil, weil sie eine Beziehung zu Britz haben und/oder ihr bezirkshis- torisches Wissen erweitern wollen.
Alte Fotos, Literatur über die Hufeisensiedlung und Arbeitsbögen, die die Aspekte ankündigen, die an diesem Abend diskutiert werden sollen, liegen auf dem Tisch: Gemeinschaft und Gesellschaft. Für welchen dieser Begriffe ist die von Bruno Taut nach dem Alle-wohnen-gleich-Prinzip entworfene Siedlung Beispiel? Führt(e) die geschlossen anmutende Bauweise dazu, dass die Bewohner
sich als Teil einer Gemeinschaft fühl(t)en? Nein, ist ein Mann überzeugt, die Bauweise an sich spiele für das Gemeinschafts- gefühl keine Rolle, das werde eher durch die Mietwirtschaft bzw. bei- spielsweise Genossenschaftswoh- nungen initiiert. Die Rentnerin aus der Hufeisensiedlung stimmt ihm zu. Sie habe den Gemeinschaftsgedanken dort zumindest nicht erlebt, sagt sie. Wohl aber habe es Orte gegeben, an denen Gemeinschaft im Sinne von Kommunikation entstand: Die Männer aus der Siedlung hätten sich am Kiosk Berta getroffen, die Frauen am Bolle-Milchwagen, beim Teppichklopfen in den Höfen oder auch in den Waschküchen, die jedes Mehrfamilienhaus hatte. Eine Frau, die vor einigen Jahren aus Polen nach Berlin kam, erzählt, dass sich solche gemeinsamen Waschküchen in ihrer Heimat eben-
falls durchgesetzt hätten und es sie noch heute oft dort gebe.
Die Brücke von der Historie in die Gegenwart ist geschlagen. Auch das gehört zu den An- liegen von Barbara Lenz und Roos Versteeg, die dem Erzählen durch ihren Input einen roten Faden geben und es moderieren. Eines der Ergebnisse des „Geteilte Erinnerungen“-Work- shops soll Audio-Material für einen Hörspa- ziergang durch die Großsiedlung Britz sein. Doch, ja, ein bisschen von Tauts Ambition, Raum für gemeinschaftliches Wohnen zu schaf- fen, sei schon umgesetzt worden: Für mehr als den kleinsten gemeinsamen Nenner reicht es nach Meinung der Workshop-Teilnehmer nicht. Die Siedlung sei ja ob der Aus- stattung ihrer Wohnungen schnell auch für Mieter attraktiv geworden, die mehr als all jene verdienten, für die sie ursprünglich konzipiert worden war. Vor allem an den Gärten sei das deutlich geworden: „Die Mieter der ersten Stunde haben sie als Nutzgärten angelegt, später wurden sie immer öfter als Ziergärten zweckenfremdet.“ Inzwi- schen, berichtet einer aus der Gruppe, werde die Rückkehr zur Anlage eines klassischen Gartens sogar vom Landesdenkmalamt gefördert.
Auch nach den Sommerferien ist für Interessierte noch ein Einstieg in den Workshop „Geteilte Erinnerungen“ möglich; weitere Infos hier.
=ensa=
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