Mit „Schalom Rollberg!“ gegen Berührungsängste

skulptur sonne_rollbergviertel neuköllnFranz Hessel, Kind einer großbürgerlichen jüdi- schen Familie und aufgewachsen im alten Wes- ten Berlins, erkundete die Stadt in den 1920er Jahren zu Fuß. Zwischen Hermannstraße und Bergstraße, wie damals die Karl-Marx-Straße hieß, fand der Schriftsteller einen Ort, wo das Elend sichtbarer wird, das sogenannte Bullenvier- tel: „Eine traurige Gegend“, notierte er kurz.

In diesem Quartier, das heute Rollbergkiez heißt, ist seit  2003 der Verein  Morus 14  mit  Projekten für soziale Integration durch Bildung und Gewalt- prävention engagiert. Er stellte gestern beim Jah- jahresempfang morus14_neuköllnresempfang seine Arbeit und insbe- sondere das neue Projekt „Schalom Rollberg!“ vor.

„Vor gar nicht allzu langer Zeit sind die Beziehungen zwischen Deutschen, Franzosen und Juden längst nicht so gut gewesen“, sagte Morus 14-Geschäfts- führer Gilles Duhem (2. v. r.), der seit gut einem Vier- teljahrhundert in Deutschland lebt. Es sei ihm deshalb eine besondere Weiterlesen

„Unser Leben in Neukölln“ lässt Zeitzeugen erzählen

„Das ganze Gebiet hatte etwas von den Trümmerwüsten, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg überall in Berlin zu finden waren“, erinnert sich Anna-Maria Fenske. wasserturm leykestraße kopfstraße_neuköllnUnheimlich sei es gewesen, von ganzen Häuser- blocks nur noch die Kellerfundamente sehen zu skulptur sonne_rollbergviertel neuköllnkönnen – und bewohnte Häuser drumherum. Le- diglich rund 40 Jahre liegen die Ereignisse zurück, die die Neuköll- nerin beschreibt. Auf dem, was damals Trüm- merwüste war, entstand das Rollbergviertel. Anna- Maria Fenske ist die jüngste von acht Zeitzeuginnen und -zeugen, die in ihren Erinnerungen nebst Foto- alben kramten und kleine, subjektive Kapitel der Alltagsgeschichte des Bezirks für die nun erschienene 36-seitige  Broschüre „Unser Leben in Neukölln …“ verfassten.

Im Mittelpunkt der Erzählungen stehen Erlebnisse und Eindrücke von den 1920er Jahren bis heute. Die Aspekte Wohnen, Freizeit und Einkaufen gaben das thematische Gerüst vor. Sie wurden zunächst im von Ursula Bach geleiteten Geschichtsgesprächskreis der Volkshochschule Neukölln behandelt, an dem auch die Zeitzeugen teilnahmen. Ihre Erinnerungen in Buchform zu veröffentlichen, war eine recht spontane Idee, die, so Bach, auf dem Anliegen fußt, „durch die selbst- erlebten konkreten Erfahrungen ein vhs-broschüre_ unser leben in neuköllnStück Bezirksgeschichte lebendig  zu machen.“

Zurück in die Nachkriegszeit führt das Kapitel Freizeit: „Das Leben fing an, wieder Freude zu machen“, resümiert Karl-Heinz Krause in seiner Erzählung. Erika Fehling erinnert u. a. an das mit finanzieller Hilfe der Amerikaner gebaute Columbiabad: „Dort gab es einen Sprungturm mit Zehn-Meter-Brett, damals (1951) eine Sensation!“

Ein Zeitfenster von rund 90 Jahren öffnet indes das Kapitel Wohnen. Die Bedin-gungen, unter denen man in den 1920er Jahren in den Neuköllner Kiezen lebte, werden ebenso thematisiert wie die Kahlschlagsanierung des Rollbergviertels, Hausbesetzungen im Reuterkiez und Umzüge, die etappenweise zur Verbesserung des eigenen Wohnstandards führten.

Die Vielzahl und Vielfalt der Einzelhandelsgeschäfte, wie sie zwischen 1960 und Mitte der 1980er Jahre in Nord-Neukölln noch anzutreffen waren, spiegeln die Erzählungen im Kapitel Einkaufen wider:  Helga Wirths vergleicht in ihrer das heutige Angebot in der Reuter- und Pflügerstraße mit dem der 1970er Jahre. Jürgen Schäfers Fokus liegt auf der Weser- und Elbestraße um 1960, richtet sich aber auch auf die Karl-Marx-Straße: „Ich habe heute noch den Geruch des gepflegten Holzparketts in der Nase ehemaliges hertie-haus neukölln,karl-marx-straßeund denke gerne an die dort verbrachten Stunden zurück. Am Haupteingang gab es einen Pförtner, bei dem man auch seinen Hund für die Zeit des Einkaufs abgeben konnte„, erinnert er an das vor sieben Jahren geschlossene Hertie-Kaufhaus, das nach Ent- kernung und Komplettumbau 2010 als Shop- pingcenter wiedereröffnet wurde.

Für alle, die erst seit wenigen Wochen, Mo- naten oder Jahren Neuköllner sind, ist die Broschüre eine gute Gelegenheit, mehr über den Bezirk und das Leben zwischen S-Bahn-Ring und Hermannplatz vor ihrer Zeit zu erfahren. Bei Alt-Neuköllnern dürfte die Lektüre zahlreiche verschüttete Erinnerungen wachrufen.

Am 28. Januar um 17 Uhr wird die Broschüre „Unser Leben in Neukölln“ in der  Stadtbibliothek  in den Neukölln Arcaden vorgestellt. Das Heft ist außer- dem kostenlos in der Geschäftsstelle der  VHS Neukölln  erhältlich.

Der nächste von Ursula Bach geleitete Geschichtsgesprächskreis behan- delt das Thema  „Von der Schule zum Beruf“, beginnt am 11. Februar und umfasst 10 Termine.

=ensa=

Eisbären im Rollbergkiez

winterraunen rollbergkiez neukölln, die eisbären sind los, gunhild kreuzerMancher, der gestern und vorgestern nachmit- tags durch den Neuköllner Rollbergkiez ging, rieb sich verwundert die Augen. Auf Konfron- tationen mit Hunden aller Größenordnungen und Gefahrenkategorien ist man hier gefasst, auf das Zusammentreffen mit Eisbären wahr- winterraunen rollbergkiez neukölln, die eisbären sind los, gunhild kreuzerlich nicht.

Die Aktionskünstle- rin Gunhild Kreuzer war es, die die unge- wöhnliche Begegnung für die vom Quartiersmanagement finanzierte Reihe „Winterraunen im Rollbergkiez“ inszenier- te. Mit dem Karneval habe ihr Event namens „Die Eisbären sind los!“ aber nichts zu tun, betont sie. winterraunen rollbergkiez neukölln, die eisbären sind los, gunhild kreuzerEbenso wenig sei es eine Gedenkveranstaltung für den vor 11 Monaten im Berliner Zoo verstorbenen Knut oder ein temporäres Mahnmal, das auf die sich stetig verschlechternden Lebensbedingungen für Eisbären in Freiheit aufmerk- winterraunen rollbergkiez neukölln, die eisbären sind los, gunhild kreuzersam machen soll.

„Einen tiefe- ren Sinn hatte die künstleri- sche Aktion nicht“, sagt Gunhild Kreuzer. Um die Asso- ziation Eisbären = Winter sei es gegangen. Und um Spaß. Wer wollte, konnte in einen Eisbär-Overall schlüpfen und sich Eisbären-Geschichten erzählen lassen oder Szenen aus denen nachspielen. Wirklich groß war der Andrang nicht: „Sind ja auch kaum Leute hier.“ Vor zwei Supermärkten in der Nachbarschaft hätte es mehr Publikum gegeben, aber die liegen beide auf den Straßenseiten jenseits der unsichtbaren Quartiersmanagement-Grenze.

=ensa=

„Nachbarinneuköllnaward“: ein Pokal für beispielhafte nachbarschaftliche Leistungen in Neukölln

Ein Award hätte es nicht unbedingt sein müssen. Eine Auszeichnung oder Ehrung hätte es für Beate Hauke auch getan, denn sie findet es furchtbar, dass immer mehr englische Wörter im deutschen Sprachgebrauch zur Selbstverständlichkeit geworden sind. Trotzdem – gestern bekam sie einen Award: den Nachbarinneuköllnaward.

Alle zwei Jahre wird auf Initiative der Genezareth-Gemeinde jemand aus dem Schiller- oder Rollbergkiez für sein Engagement im Viertel und ein vorbildliches nachbar- schaftliches Verhalten mit dem Preis ausgezeichnet. „Dahinter“, sagt Elisabeth Kruse, die Pfarrerin der Gemeinde, „steckt die Idee, ganz gezielt positive Beispiele hervorzuheben.“  Dass Vorbilder zum Anfassen besonders in Problemkiezen wichtig nachbarinneuköllnaward,beate hauke,neuköllnsein können, sagt sie nicht, doch es würde das Ansinnen abrunden.

Beate Hauke (r.) kennt ihren Kiez rund um die Schillerpromenade seit dem Kindesalter. Und viele, die im Kiez wohnen oder arbeiten, kennen sie. „Bekannt wie ein bunter Hund“ sei sie, sagen die einen. Andere können aus dem Stand diverse Dinge auf- zählen, die Beate Hauke zusammen mit dem Pro Schillerkiez e. V., dessen Vorsitzende sie ist, für ihren Kiez getan hat und noch tut. Dr. Franziska Giffey (l.), Neuköllns Stadträtin für Bildung, Schule, Kultur, Sport und – neuerdings auch! – Europa-Angelegenheiten, die der Umtriebigen gestern beim Nachbarschaftsfest von der Genezareth-Gemeinde und der Stadt und Land Wohnbauten GmbH den Preis überreichte, musste zunächst zugeben, dass sie Beate Hauke bis dato nur namentlich kannte. Früher, sagte sie, habe sie immer E-Mails von ihr bekommen, die einen Überblick über etliche Veranstaltungen in Neukölln gaben: „Jetzt veröffentlicht sie die in ihrem Blog, der täglich beweist, dass Neukölln rockt.“

Doch den „Nachbarinneuköllnaward“ bekam sie, wie aus der Jury zu hören war, in erster Linie für etwas anderes:  für die  Hartnäckigkeit und ihre Bemühungen, dem Schillerkiez wieder zu einem Wochenmarkt zu verhelfen.  Gegen alle Zweifel, ob das klappen würde, entwickelte sie zusammen mit einigen Unterstützern das Projekt Schillermarkt. Im Mai letzten Jahres fand er erstmals auf dem Herrfurthplatz statt, seitdem gibt es ihn wöchentlich, Samstag für Samstag. „Er ist zwar immer noch nicht über die Stadtgrenzen Berlins hinaus bekannt“, sagt Elisabeth Kruse, die zur Jury gehörte, „aber es gibt ihn noch und er ist im Laufe der Zeit immer wichtiger für den Kiez geworden.“ Als Einkaufsort ebenso wie als Treffpunkt für die Anwohner.

Der Aufbau des Schillermarktes sei zweifellos ihr größtes Projekt gewesen, doch kleinere Sachen wie zum Beispiel die vier Kiez-Reinigungsaktionen, die sie 2005 und 2006 organisiert habe, waren für sie genauso wichtig, relativiert Beate Hauke. Den Preis – ein von der Rixdorfer Schmiede gespendeter Pokal, der von dem Auszubildenden Benjamin Hanf entworfen und geschmiedet wurde – sieht sie als „Dankeschön und Anerkennung für die viele ehrenamtliche Arbeit“ , die sie schon in den Kiez gesteckt hat. Er wird einen Platz in ihrem Wohnzimmer bekommen.

„Bisher“, sagt sie schmunzelnd und stolz, „hab ich bestenfalls mal Urkunden für sportliche Leistungen in der Schule bekommen. Das Sammeln von Pokalen war mehr das Hobby meines Sohnes, der Radrennen gefahren ist.“ Beim Einsatz für das nachbarschaftliche Miteinander hat sie die Nase vorn.

_ensa_