Neukölln im Quartett der Lucky Loser

Waren es vor 10 Jahren nur rund 302.000 Menschen, die in Neukölln lebten, sind es nun über 325.000 Einwohner, die sich auf der knapp 45 Quadratkilometer messen-den i love nk_neukoellnFläche des Bezirks mehr oder weniger gut verteilen. Im selben Zeitraum registrierte der über doppelt so große Bezirk Pankow ein Plus von rund 40.000 Einwohnern – und Berlin steuerte auf die 3,56 Millionen-Marke zu.

Im Jahr 2030 werde die Zahl der Hauptstädter bei mehr als 3,8 Millionen liegen, prognostizierte kürzlich der Berliner Senat. Das größte Wachstum (+ 16 Pro-zent) sieht er dabei in den nächsten 15 Jahren auf Pankow zukommen, für Neukölln wird lediglich mit einem Anstieg der Bevölkerungszahl um 4,5 Prozent gerechnet. Genauso sieht die Prognose für Charlot-tenburg-Wilmersdorf aus; nur für Tempelhof-Schöne-berg (+ 2,6 Prozent) und Steglitz-Zehlendorf (+ 3 Pro-zent) wird ein noch gebremsteres Wachstum erwartet.

Ungemütliche Aussichten

winterfester fahrradsattel_neuköllnBei Autos gehören Sitzheizungen zum Standard oder können problemlos nachgerüstet werden, wenn Rücken, Hintern und Oberschenkel nach Wär- me verlangen. Radfahrer können die- sem Bedürfnis nur sehr viel einge- schränkter nachkommen. Entspre- chend ungemütlich ist es in der kalten Jahreszeit für sie.

Ungemütlicher wird es auch in Neu- kölln, wenn nicht jetzt gehandelt wird. Denn: Bewahrheitet sich die Bevölkerungsprognose für Berlin und die Berliner Bezirke 2011 – 2030, die Stadtentwicklungssenator Michael Müller gestern in einer Sitzung des Senats vorstellte, wird die Zahl der Neuköllner  bis 2030 auf rund 338.000 (+ 6,5 %) angewachsen sein und etwa 20.000 Menschen mehr als aktuell werden Wohnraum brauchen. Andere Bezirke trifft es noch härter: Bei Spitzenreiter Pankow wird für die nächsten 18 Jahre sogar ein Wachstum von 16,3 % erwartet.

Ein Sturz und seine Folgen

Bisher war die Sache für Berlins Bezirke ganz einfach: Mutierte ein Gehweg immer mehr zur tückischen Stolperfalle, wurden 20 Euro in ein Schild und dessen Montage gehwegschäden neuköllninvestiert, um auf die Gefahr hinzuweisen – und die Angelegenheit war erledigt. Wenn trotzdem jemand ob einer Unebenheit auf dem Bür- gersteig strauchelte und auf juristischem Wege Schadensersatz und Schmerzensgeld einzu- klagen versuchte, wiesen die Gerichte das Ansinnen mit Hinweisen auf die leeren städ- tischen Kassen zurück. Diese würden es un- möglich machen, so die jahrelang praktizierte Argumentation, dass die Stadt bzw. die Bezirke ihrer  Pflicht zur Instandhaltung des Straßen- landes nachkommen können.

Diese Tradition gilt nun dank einer aufmüpfigen Rentnerin nicht mehr: Im September 2009 wurde gehwegschäden neuköllnsie von einem Pankower Bürgersteig zu Fall gebracht und zog sich beim Sturz schweren Verletzungen zu. Knapp drei Jahre später war ihr zunächst vom Land- gericht Berlin und in zweiter Instanz vom Kammergericht verhandelter Rechtsstreit am Bundesgerichtshof angekommen. Und das entschied unter dem Aktenzeichen III ZR 240/11 im Namen des Volkes, dass das Bezirksamt Pankow, indem es besagten Gehweg nicht reparieren ließ, eine „schuldhafte Amtspflichtverletzung“ begangen habe. Es reiche nicht, Gefahrenstellen durch Schilder kenntlich zu machen, entschieden die Richter, sondern gemäß Berliner Straßengesetz § 7 (2) müsse dem auch eine  „alsbaldige Wiederherstellung des verkehrssicheren  Zustands“  folgen.

Rund 3.500 Euro Schmerzensgeld und Scha- densersatz muss der Bezirk Pankow der Rentnerin nun zahlen. Und als Folge des BGH- Urteils sind die Leiter anderer Berliner Tief- bauämter in heller Aufruhr, berechtigterweise. Er sehe „erhebliche Konsequenzen“, sagte Wieland Voskamp, Chef des Neuköllner Tiefbauamts, in einem Gespräch mit dem Tagesspiegel. Bei den regelmäßigen Straßen- begehungen, sicherte er zu, werde man  „verstärkt darauf achten“  und  „bei Bedarf unverzüglich Abhilfe schaffen“. Stellen, an denen nun überprüft werden kann, was mit „unverzüglich“ gemeint ist, gibt es in Neukölln, wo manche Bürgersteig-Stolperfalle  längst  zum  Fahrradständer  taugt,  reichlich.

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