Erstmal Händewaschen. Wie das richtig gemacht wird, steht auf einer illustrierten Beschreibung, die über dem Waschbecken hängt. Und saubere Hände sind wichtig, weil die gleich mit Lebensmitteln in Be- rührung kommen werden. Die Wartezeit in den Schlangen vor den beiden WC- Räumen vertreiben sich die Menschen mit noch dreckigen Händen mit Schilderungen, was sie schon bei diesem Langen Tag der Stadtnatur gemacht haben und noch machen wollen. Nun ist aber erstmal Brot- backen und eine Besichtigung der Bio-Bäckerei Märkisches Landbrot dran, die
sich im Neuköllner Industriegebiet südlich der Grenzallee angesiedelt hat.
„Die Kinder kriegen gleich T-Shirts und die Erwachsenen weiße Kittel“, kündigt Jürgen Baumann an, der in dem seit 1930 be- stehenden Unternehmen zuständig für die Führungen ist. Bei der Verteilung der weißen Klipphauben wird nicht zwischen klein oder groß unterschieden, die passen auf jeden Kopf. Baumann führt die fertig ausstaffierte Gruppe durch die Produktionshalle und übergibt sie an Bäckermeister Patrick Hannemann. „Den Dinkel-Rosinen-Teig ha- ben wir gestern schon angesetzt“, erklärt der, „und aus dem machen Sie nun Vier-Strang-Zöpfe, die Sie dann später mitnehmen können.“ Einen Prototyp hat er bereits vorbereitet. Besonders zuversichtlich, wenigstens etwas annähernd Ähnliches hinzukrie-
gen, ist niemand. „Ich zeig Ihnen, wie’s geht“, sagt Patrick Hannemann. Bei den Amateurbäckern keimt Hoffnung auf, dass der eigene Zopf am Ende nicht nur gut schmecken wird, sondern auch so aussehen könnte. Frauen seien beim Flechten im
Vorteil, weil die meis- ten das Prinzip ja schon mit drei Haarsträhnen kennen: „Aber mit vier Strängen ist es noch leichter.“ Man müsse die Teigrollen so anordnen, dass sie wie ein kopfloses Männchen aussehen. Und dann immer im Wechsel das – bei Draufsicht – rechte Bein über den linken Arm
und den rechten Arm über das linke Bein legen. Ruckzuck ist der Zopf fertig. „Das Wichtigste ist, dass man im Rhythmus bleibt“, verrät der Bäcker den staunenden Gästen. Ein Paar versucht sich mit
Hannemann im Syn- chronflechten, eine Frau verblüfft den Profi durch ihre Geschicklichkeit vollends, und eines der Kinder aus der Gruppe will lieber ein Dinkel-Rosinen-Gesicht als einen Zopf mit nach Hause nehmen. „Auf das werde ich später beim Backen besonders aufpassen, damit es nicht verbrennt“, verspricht Patrick Hannemann. Die Zöpfe würden etwa eine
Viertelstunde im Ofen bleiben müssen. „So lange“, sagt er, „dauert es auch ungefähr, mit vier bis fünf Bäckern 100 Zöpfe für Bestellungen unserer Ver- kaufsstellen zu flechten.“ Damit, dass die hier auch im Echtbetrieb in Handarbeit entstehen, hat nicht jeder
gerechnet.
Die Backzeit der noch in Sesam gewälzten und mit Namensschildern versehenen Rosinenzöpfe nutzt Jürgen Baumann, um zu zeigen, welche Stationen Getreidekörner bei Märkisches Landbrot durchlaufen, damit sie zu Broten werden. Durchschnittlich 8.000 Laiber in Demeter-Qualität produziert das Unternehmen täg- lich und liefert sie an Bioläden, Markthändler, Restaurants, Kantinen und Schulen in Berlin und dem Umland aus: „Unsere am weitesten entfernte Verkaufsstelle ist auf Rügen.“
Das Getreide bezieht die Firma von Bauern aus der Region, schon wegen der CO2-Belastung, die so niedrig wie möglich ausfallen soll. Gemahlen wird nur immer so viel wie für die Tagesproduktion gebraucht wird. Auch in anderer Hinsicht gilt das Augenmerk der Öko-Bilanz: Die Wasserversorgung laufe über einen eigenen Tiefbrunnen, die Energieversorgung werde demnächst endlich von Öl auf Gas umgestellt und bereits gebackene Brote, die der optischen Qualitätskontrolle nicht standhalten, werden wieder zerschreddert, geröstet und als Zutat für Röstteigbrote verwendet. „Das nenne ich einen sinn- vollen Umgang mit Bäckereiabfällen“, bemerkt Jürgen Baumann. 27 Tonnen Brot konnten im letzten Jahr auf diese Art und Weise recycelt werden.
Vom Trockenlager, in dem – gut geschützt vor Ungeziefer – Ingredienzien für die 35 verschiedenen Märkisches Landbrot-Sor- ten deponiert sind, geht es durch die Silohalle und den Mühlenraum weiter in die Produktionshalle. „Samstags passiert hier gar nichts, dann ist produktionsfrei“, sagt Baumann und überrascht gleich mit einer weiteren Information, die so gar nicht zum Klischee passt: „An allen anderen
Tagen fangen die Mitarbeiter zwischen 15 und 20 Uhr ihre Schichten an.“ Nicht jeder, der als Bäcker arbeitet, müsse sich also mitten in der Nacht aus den Federn quälen, um zur Arbeit zu gehen.
An einem der riesigen Öfen begegnet die Gruppe Patrick Hannemann wie- der, der gerade den Zustand der Rosinenzöpfe überprüft. Zum ersten Mal steigt der Duft von frischem Brot in die Nasen, vorher hatte es nach Mehl und Zutaten gerochen – nur nicht nach dem, was man in Bäcke- reien erwartet.
Nach einer Erklärung der computergesteuerten Kommissionierungsanlage bittet Jürgen Baumann in den Aufenthaltsraum des Verwaltungstrakts. Der etliche Quadratmeter große Tisch ist voller frischer Brote. Papiertüten zum Einpacken liegen auch bereit. Niemand lässt sich das Angebot entgehen. „Wer will“, sagt Baumann, „kann auch seine Haube als Andenken mitnehmen.“ Die Kittel und T-Shirts sollten aber bitte wieder in den Schrank gehängt werden. Mehr als für die inte- ressieren sich die Frauen, Männer und Kinder aber ohnehin für ihre Zöpfe und Fladen. Jürgen Bau-
mann erklärt, wel- cher Weg eingeschlagen werden muss, ohne vorher wieder in Kittel schlüpfen zu müssen, und ver- abschiedet sich nachdem alle Fragen beantwortet sind, um die ersten Gäste der nächsten Gruppe empfangen zu können.
„Das sind die Zöpfe, die wir gemacht haben?“ Damit, dass sie am Ende so gut aussehen würden, hatte kaum jemand gerechnet. „Für den Verkauf wäre mein Zopf garantiert nicht geeignet“, stellt eine Frau selbstkritisch fest und bricht ein Stück zum Probieren ab. „Hm, aber köstlich ist er! Den essen wir gleich hier an Ort und Stelle“, teilt sie ihrem Mann mit, „und deinen nehmen wir mit nach Hause.“ Ihr Zuhause sei in Pankow, erzählen sie. In Neukölln seien sie selten und in dieser Ecke bisher noch nie gewesen: „Dass das Brot, das wir seit Jahren nur noch kaufen, hier gemacht wird, hab ich wirklich nicht gewusst.“ Jetzt wissen beide sogar, wie es gemacht wird.
Führungen durch die Bio-Bäckerei Märkisches Landbrot sind nicht nur beim Langen Tag der Stadtnatur sondern auch sonst für Kinder- und Erwachsenen-Gruppen möglich. Für Einzelpersonen gibt es nach Ab- sprache die Möglichkeit, sich Gruppen anzuschließen.
=ensa=
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