Tücken von Schlussfolgerungen und ihre Auswirkungen

Um auf die Bedeutung des Tourismus für Urlaubsregionen und Metropolen sowie seine vielfältigen Varianten aufmerksam zu machen, erklärten die Vereinten Nationen 1980 den 27. September zum Welttourismustag. Bis Neukölln die positiven wie wildtiere_u8 hermannstr neukoellnauch negativen Auswirkungen einer Attrak-tivität für Globetrotter zu spüren bekam, sollte allerdings noch mehr als ein Viertel-jahrhundert vergehen.
Längst kommen nicht mehr nur besonders Mutige in den lange verrufenen Bezirk, der Standort von Deutschlands größtem Hotel ist. Und auch die Zeiten, als Touristen bei der Erkundung Neuköllns den Schutz einer Gruppe suchten, sind passé. Ihr Beliebt-heitsgrad hält sich aber weiterhin oft in Grenzen. Das wird spätestens Weiterlesen

Knapp daneben

Ein Mädchen aus Köln verbringt die erste Woche ihrer ersten Sommerferien bei ihrer Tante in Neukölln. Als die beiden nach einer Dampferfahrt auf dem Wochenmarkt am Maybachufer sind, ruft die Mutter der Sechsjährigen an. Das Kind übernimmt das Telefon, um zu erzählen, wo sie gerade waren, sind und noch hingehen werden. „Und

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zum Frühstück haben wir Beagles aufgebacken“, berichtet es weiter, im nächsten Moment irritiert zur Tante guckend, die sich vor Lachen biegt. Es dauert eine Weile, bis sie wieder sprechen und klarstellen kann, dass Bagels in den Ofen geschoben wur- den. Tierschützer waren offenbar glücklicherweise nicht unter den Ohrenzeugen.

Wenn Touristen Neukölln erkunden

Ein Touristenpaar, beide schätzungsweise zwischen 70 und 80, bei der stadtplan- unterstützten Erkundung der Gegend um den Neuköllner Richardplatz: Vor einer Tor- einfahrt  in der Kirchhofstraße bleibt die Frau stehen, um den offenbar  etwas schwer-

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hörigen Mann auf ein Firmenschild hinzuweisen. „Nun guck doch mal, Weiterlesen

Wegen geschlossen zu

2a hostel_berlin-neukölln„Wir sitzen auf einem Klumpen Gold“, wird Burk- hard Kieker vom IHK-Magazin „Berliner Wirtschaft“ zitiert. Fast 27 Millionen Übernachtungen konnte die Berlin Tourismus & Kongress GmbH, deren Geschäftsführer Kieker seit 2009 ist, im vergange- nen Jahr in der Hauptstadt verbuchen. Schon jetzt werden mit dem Tourismus in der Stadt über 11 Milliarden Euro Umsatz erzielt; deutlich über 200 Euro lägen inzwischen, schätzt Burkhard Kieker, die Ausgaben pro Gast und Tag.

Auch in Neukölln hat der Stellenwert des Tou- rismus deutlich zugelegt. 22 Hotelleriebetriebe, die mindestens 10 Gäste gleichzeitig aufnehmen können und somit vom Amt für Statistik erfasst werden, gibt es im Bezirk. „Die Zahl der Ferienhäuser und -wohnungen ist in allen Jahren zu gering, dass das Amt für Statistik aus Datenschutzgründen Weiterlesen

Auch der Neukölln-Hype braucht mal Urlaub

Arme Berlin-Touristen. Da reisen sie zum Jahreswechsel in die Hauptstadt, besu- chen bei der Gelegenheit auch den zuvor gemiedenen Bezirk Neukölln, um dessen medial weithin kolportierten Boom nebst der blühenden Gastronomie- und Kreativ-Landschaft selber zu erleben – und dann das: Überall geschlossene Türen und Roll-

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läden, egal durch welches Viertel man sich bewegt. Im Richardkiez herrscht dörfliche Ruhe. In den Straßen des Schiller- und Körnerkiezes sind wesentlich Weiterlesen

Tautes Heim mit dem Europa Nostra Award ausgezeichnet

G43_WZ_vorher_BB_Tautes Heim_Neukölln-Britz65 abgerockte Quadratmeter, verteilt auf zwei Etagen, mit 200 Quadratmetern Gar- ten drumherum. Zum Objekt der Begierde war das kleine Haus in der Neuköllner Hufeisensiedlung wahrlich nicht prädesti-niert. Katrin Lesser und Ben Buschfeld verliebten sich trotzdem spontan in die zum Verkauf stehende Immobilie zwischen Fritz-Reuter-Allee und Paster-Behrens-Straße, als sie sie im Frühjahr 2010 zum ersten Mal betraten und besichtigten. Dabei entging ihnen der desolate Zustand des Hauses zwar durchaus nicht, aber sie Weiterlesen

Potenziale einer Mittelinsel

Wer die Bauten mitten auf der Neuköllner Hermannstraße nur flüchtig beachtet, könnte fast auf die Idee kommen, dass hier die Vorbereitungen für ein Modellprojekt „Wohnen in verkehrsgünstigster Lage“ in vollem Gange sind. Auch der Eindruck, es

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werde hier begonnen, ein neues urbanes Tourismuskonzept umzusetzen, könnte sich aufdrängen. Doch mitten auf der Hermannstraße soll weder den Engpässen auf u-bahnhof boddinstraße neuköllndem Neuköllner Wohnungsmarkt begegnet werden, noch dienen die Baumaßnahmen dazu, die Betten- kapazitäten für Touristen im Bezirk zu erweitern. Nein, hier passiert, was ebenso überfällig ist wie effiziente Maßnahmen zur Entspannung des Wohnungsmark- tes: Der lange Zeit versiffteste, trostloseste und vielleicht hässlichste U-Bahnhof Berlins  bekommt endlich eine Grundinstandsetzung nebst barrierefreiem Ausbau.

Gewusst wie!

Was beim Hightech-Kaffeeautomaten zu beachten ist, welche Zugangsdaten für die Nutzung des WLAN-Netzes gebraucht werden, wie die Gas-Therme eingeschaltet wird, an welche in der Nachbarschaft wohnenden Freunde sie sich in Notfällen wenden können … Alles mögliche hatte das Paar aus Seattle bereits per E-Mail erfahren, bevor es für zwei Wochen nach Berlin kam und das Urlaubsdomizil mitten in

durchsteckschloss, berliner schlüssel

Neukölln bezog. Nur über die Prozedur, wie man überhaupt ins Haus kommt, hatten die Gastgeber kein Wort verloren. Bestimmt eine halbe Stunde hätten sie durch Drehen, Ziehen, Ruckeln, Fingerspitzengefühl und sanfte Gewalt versucht, den eigen- artigen Schlüssel wieder aus dem ungewöhnlichen Schloss der offenen Haustür zu kriegen, erzählen die beiden Amerikaner kichernd. Dann sei endlich eine Nachbarin gekommen und habe sie in das Geheimnis des  Berliner Schlüssels  eingeweiht.

Nachtragend – im besten Sinne

„Zurückbleim!!!“ brüllen und ihre Züge über die unterirdischen Berliner Schienen steuern – weitere Kompetenzen trauen viele Hauptstädter und Touristen den U-Bahn-Chauffeuren der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) nicht zu.

Anders ging es auch Ulrike K. bisher nicht. Die Frankfurterin kommt etwa alle zwei Mo- nate vom Main an die Spree, um ihre Eltern zu besuchen, die in Neukölln wohnen. Er- fahrungen mit Berlins ÖPNV hat sie also reichlich, gestern kam eine neue dazu:

Sie sei auf dem Weg zum Ostbahnhof und sehr knapp dran gewesen, um ihren Zug noch zu erwischen. „Mit einer U-Bahn spä- ter“, schildert die 27-Jährige uns in einer E-Mail, „hätte ich von meinem ICE nur noch die Rücklichter gesehen.“ Immer wieder habe sie – während sie darauf wartete, dass der Fahrkartenautomat das Ticket ausspuckt – mit dem U-Bahn-Fahrer Blickkontakt aufgenommen. Dann ging es schnurstracks zum Entwerter und mit der nun gültigen Fahrkarte in den U-Bahn-Waggon: „Das Wechselgeld habe ich kurzerhand abge- schrieben.“ Der Preis, zwar mit 7,70 Euro Wechselgeld in der Hand, aber vor ver- schlossener U-Bahn-Tür zu stehen, wäre zu hoch gewesen, habe sie entschieden.

Doch dann gingen nicht die Waggontüren zu, sondern die der Fahrerkabine auf. „Wollten Sie das Geld verschenken?“, wurde Ulrike K. wenig später von einer berli- nernden Männerstimme gefragt. Völlig perplex sei sie gewesen, dass der U-Bahn-Fahrer es nicht beim Beobachten der Situation am Fahrkartenautomat belassen, sondern auch noch beispielhaft serviceorientiert darauf reagiert und ihr die 7,70 € nachgetragen hat. Das müsse man doch auch mal öffentlich machen, meint sie.

=ensa=

Die Ruhe nach dem Ansturm

Florence und Jason sind bereits gestern wieder abgereist. Neukölln sei „fantastic and exciting“, werden sie ihren Freunden in Birmingham erzählen. Und von der wundervollen Party am Brandenburger Tor, wo die beiden britischen Studenten zusammen mit Hunderttausenden ins neue Jahr rutschten, werden sie selbst- verständlich auch schwärmen. Für Matteo, Pietro und Isabella geht es erst heute wieder zurück nach Bologna, und Friederike und Martin verlassen das ihnen bisher nur aus den Medien bekannte Neu- kölln mit dem Ziel Augsburg.

Voll war es im Norden des Bezirks über den Jahreswechsel 2011/12, den nicht nur die meisten Tou- risten, sondern auch die Akteure des lokalen Gastgewerbes als fantastisch in Erinnerung behalten werden. „Ausgebucht –  no vacancy on December 31st“, das galt für Hotels der gehobenen Kategorie ebenso wie für Pensionen und Hostels.

„Wir hätten anbauen müssen, um alle unterzubringen, die reservieren wollten. Aber das ist jedes Jahr so“, sagt die Chefin vom Gästehaus am Herrfurthplatz, das mit günstigen Preisen und  Kiez-Atmosphäre  begeistert und sich einer durchschnitt- lichen Auslastung von 87 Prozent erfreut. Auch in der HotelPension Karibuni galt „same procedure as last year“. Kurzentschlossene hatten keine Chance, die Silvester-Nacht unter dem Dach von Gabriele Schmitz in der Nähe des Neuköllner Rathauses zu verbringen: „Wir waren schon lange vorher wieder komplett aus- gebucht.“ Keinerlei Erfahrungswerte aus den Vorjahren hatte man hingegen im 2A Hostel am S- und U-Bahnhof Neukölln. Zur „größten Überraschung“ musste auch der erst Mitte Dezember eröffnete Beherbergungsbetrieb sehr spontanen potenziellen Gästen vermelden, dass alle Betten belegt sind. Insbesondere mit „ausländischen Gästen, die in Berlin ins neue Jahr feiern wollten.“ Der Bezirk habe für die kaum eine Rolle gespielt, wohl aber die verkehrsgünstige Lage. Das sieht im RIXPACK Hostel , das ebenfalls mit 100-prozentiger Auslastung  ins neue Jahr rutschte, entschieden anders aus: „Hier“, verriet Inhaber Stefan Richter kürzlich bei einer Veranstaltung, „wohnen inzwischen auch oft Langzeit-Touristen, die sich bewusst für Neukölln entscheiden und bei uns die Zeit überbrücken, bis sie in Neukölln eine Wohnung gefunden haben.“

=ensa=