Wenn man schon sehr lange in einem Kiez wohnt, der seit einiger Zeit zum Hotspot ausgerufen wird, sehnt man sich nach alten Zeiten. Ich würde von mir nicht behaupten, dass ich gegen Veränderung bin. Nur wenn Veränderungen für die Menschen, die hier wohnen, nicht zum Besten sind, würde ich gerne so manche Entwicklung stoppen wollen.
Als ich vor über 10 Jahren nach Neukölln in den Reuterkiez gezogen bin, wurde ich mit so manchem Unverständnis seitens meiner Freunde konfrontiert: Wie kannst Du nur?! Das ist ganz schrecklich da, dreckig und ungemütlich! 2006, zum großen Fußballfest in Deutschland, wurde Neukölln von so manchen Politikern zur No-go-Area erklärt. Dazu ein aufmüpfiger Neuköllner Bürgermeister, der immer wieder mit Statements über die Sozialschieflage, natürlich von den Menschen selbst verursacht, durch alle Talkshows getingelt ist. Der auch gerne über die Schwierigkeit mit den vorhandenen Migrationsmitbürgern schimpft.
Die Wirklichkeit war anders: Okay, die Berliner Stadtreinigung schaute nicht so oft vorbei, aber dafür hatten wir Menschen aller Art im Kiez. Es war weder gefährlich noch beängstigend!
Und heute, über sechs Jahre später: Unzählige Cafés und Bars haben so manchen Trödelladen verdrängt, Clubs und Restaurants viele ehemals Sozialvereine vereinnahmt. Billigere Supermärkte machen Platz für Bioläden. Türkische Kulturvereine mussten für Archi- tekturbüros und Sneakerläden weichen. So was nennt man Gentrifizierung! Die hat sich rasend schnell und unaufhaltsam ausgebreitet und unseren Kiez fest im Griff! Die Folgen sind exorbitante Mieten und die Ver- drängung von Menschen, die nicht in dieses junge, kreative, unglaublich hippe Stadtbild passen. Beun- ruhigend, beängstigend, fast gefährlich – so empfinde ich das heute!
Ich gehe immer noch gerne hier spazieren, staune über die Veränderung, wundere mich über das allgegen-wärtige englisch und französisch sprechende Volk. Gekleidet in einem Stil, der mich an meine Teenager-Zeit der 1980er Jahre erinnert. In ihrer Individualität wirken sie so gleichgeschaltet, dass man das Gefühl hat, der immer wieder gleichen Person zu begegnen! Sehr selten hört man Türkisch oder Arabisch.
Und dann findet man mitten auf der Thielenbrücke, die rüber nach Kreuzberg führt, eine Tafel auf dem Boden. Ein biss- chen im Schnee versteckt, blitzt da eine große schwarze Tafel mit der Inschrift So viel Hipster ist nicht zu fassen! Schön mit Hunde- pipi versehen! Da hat jemand auf subtile Weise mit richtig viel Aufwand seine Verwunderung kundgetan!
Danke, wer auch immer das war! Es tut gut zu wissen, dass es Gleich- gesinnte gibt. Auch wenn dieser stille Protest nichts ändern wird, ist es einfach nur schön, dass er da ist!
=mayarosa=
Filed under: berlin, neukölln | Tagged: gentrifizierung, kreuzberg, kreuzkölln, landwehrkanal, mayarosa, neukölln, reuterkiez, tafel "so viel hipster ist nicht zu fassen", thielenbrücke | Kommentare deaktiviert für Schönes zwischen Unschönem