Staatsanwalt für den Ort in ganz Berlin: Neuköllns Jugendstadtrat begrüßt Ausbau des Erfolgsmodells

Der rot-rot-grüne Senat hat auf seiner Klausurtagung am Dienstag ein neues Sicherheitskonzept für Berlin beraten. Es sieht unter anderem vor, das in Neukölln seit 2015 bestehende, erfolgreiche Modell „Staatsanwaltschaft für den Ort“ auf ganz Berlin auszuweiten. Durch die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft für einen Bezirk sind bessere Absprachen mit der Polizei, eine stärkere Vernetzung und bessere Kenntnisse der Lage vor Ort möglich.

„Mit der Ausweitung des Erfolgsmodells geht der Senat einen richtigen Weg“, untermauert Jugendstadtrat Falko Liecke. „Es ist aber nur ein Baustein einer Strategie gegen Jugend-kriminalität. In Neukölln haben wir seit 2017 auch eine AG Kinder- und Jugendkriminalität im Jugendamt. Wenn sie sich Weiterlesen

Optimistische Zukunftsperspektiven mit Wermutstropfen: Bezirksamt Neukölln stellt Arbeitsschwerpunkte für 2017 vor

„Ein Jahrzehnt der Investitionen liegt vor uns“, frohlockte Neuköllns Bezirksbürger-meisterin, als sie und ihre Dezernenten gestern Mittag bei einer gemeinsamen eberenz_liecke_giffey_raemer_biedermann_bezirksamt-neukoellnPressekonferenz im Rathaus die Arbeitsschwer-punkte für das laufende Jahr vorstellten. Hinter Dr. Franziska Giffey und den Bezirksstadträten stand zur Veranschaulichung zwischen der Berliner und der Neuköllner Fahne eine Karte des Bezirkes mit vielen bunten Fähnchen, die die Orte der künftigen Investitionen markierten.

„Wir setzen uns für die direkte Anbindung des Hauptstadtflughafens BER an die U-Bahnlinie 7 mit einer Station am Liselotte-Berger-Platz im Frauenviertel ein. Wir brauchen die Verlängerung Weiterlesen

„Wir standen uns extrem selber im Weg“

plakat lesung yigit muk_stadtbibliothek neukoellnAutorenlesungen finden in der Stadtbibliothek Neukölln normalerweise abends statt. Nicht so am vergangenen Donnerstag. „Es ist eine ungewöhnliche Zeit, aber wir haben auch einen ungewöhnlichen Autor zu Gast“, haack_muk_raemer_stadtbibliothek neukoellnbegrüßte Bibliothekar Ralph Haack (l.) das Publikum, bevor er Yiğit Muk (M.) vor-stellte, der seine Karriere vom Hauptschulproll zum Einser-Abiturienten in dem Buch „Muksmäuschenschlau“ veröffentlicht hat. Was weder Haack und Ehrengast Jan-Christopher Rämer (r.), noch die Schulklassen im vollbesetzten Saal der Bücherei ahnen konnten: Es wurde auch eine Weiterlesen

„Nicht aufgeben und mit den Kindern reden, reden, reden!“

piekara_uensal_hoops_daz-fachabend jugend-delinquenz_neuköllnWenn Kinder und Jugendliche straffällig werden, spüren die am Strafverfahren beteiligten Fach-kräfte von Justiz, Polizei und Jugendhilfe immer wieder, wie wichtig das familiäre Umfeld ist. Welche Rolle spielt aber tatsächlich die Familie bei der Straffälligkeit? Wie gehen Eltern mit dem delinquenten Verhalten ihrer Kinder um? Gibt es Unterschiede bei Familien mit Migra-tionsgeschichte? Über diese Fragen tauschten sich am vergangenen Mittwoch beim Fachabend „(Mit)Schuldige oder Ressource – Familien- und Angehörigenarbeit bei straffälligen Jugendlichen“ gut 60 Gäste im Deutsch-Arabischen Zentrum in Neukölln aus. Eingeleitet wurde Weiterlesen

Potpourri für Neuköllns Bezirkspolitiker

Natürlich steht übermorgen, bei der ersten BVV-Sitzung nach dem Volksentscheid und der vorletzten vor der Sommerpause, auch das Tempelhofer Feld auf der Tagesord- nung. Behandelt werden sollen auf der aber auch diverse vertagte Drucksachen: Mit der Großen Anfrage  „Neukölln verstaubt“  erkundigte sich die Piraten-Fraktion bereits

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Ende April nach Bekanntwerden der Messung wiederholt hoher Feinstaubwerte u. a. in der Silbersteinstraße, welche Maßnahmen zur Senkung der Weiterlesen

Kunst und Handwerk statt Knast

1_jugendwerkstatt statt knast_neuköllnSchon vor der Schwelle zum Ladenlokal in der Nogatstraße wird man begrüßt und auf originelle Art auf das hingewiesen, was sich hinter der Tür tut. Wer etwas hinter der Tür tut, macht das – abgesehen von Karin Fritz-Moreira und Alberto Cri- villes-Villanueva, den beiden sozialpäda- gogischen Betreuern – nicht ganz frei- willig: Es sind straffällig gewordene Ju- gendliche und Heranwachsende, die hier ihre richterlich verordneten Arbeitsstunden ableisten. Daraus macht auch der Name der Einrichtung kein Geheimnis: Statt Knast heißt das Projekt unter der Trägerschaft des  Nachbarschaftsheims Neukölln  bezeichnenderweise.

Seit über einem Vierteljahrhundert gibt es die Jugendwerkstatt, in der in drei Bereichen mit Delinquenten gearbeitet wird, um ihnen neue Handlungsoptionen und Tätigkeitsabläufe aufzuzeigen: In der Siebdruckwerkstatt werden Druckaufträge für Textilien oder Papier erledigt und in der Fahrradwerkstatt Drahtesel repariert. All- 2_jugendwerkstatt statt knast_neuköllngegenwärtig ist in dem Ladenlokal in der Nogatstraße 31 jedoch das, was in der Metall- werkstatt hergestellt wird.

3_jugendwerkstatt statt knast_neuköllnGleich nach dem Betreten des La- dens fällt die Gar- derobe ins Auge, einen Moment später die aus Fahrradteilen kreierte Wanduhr. Ist der Blick erst für das geschärft, was hier an dekorativen und so schmückenden wie praktischen Kunstwerken darauf wartet, entdeckt zu werden, nimmt das Staunen seinen Lauf. Die  Regalbretter wurden mit  Fahrradketten an der  Wand befestigt, ein

4_jugendwerkstatt statt knast_neukölln5_jugendwerkstatt statt knast_neukölln

Gewichtheber hindert eine Lexikon-Reihe am Umfallen, aus schwerem Metall ist ein Kerzenhalter mit filigraner Blüte entstanden, daneben eine Skulptur, deren Deutung dem Betrachter überlassen ist.

Zweifellos zeigt sich jedoch bei allen Statt Knast-Exponaten, welches Potenzial in vermeintlichem Schrott steckt und welche handwerklichen und kreativen Talente aus den Jugendlichen herausgekitzelt werden können.

=ensa=

Lebhafte Diskussion um die „Kampfzone Straße“

karlheinz gaertner, fadi saad, buchpräsentation "kampfzone straße" (herder-verlag), campus rütli neuköllnDafür, dass ein Buch vorgestellt wurde, ist  vor- gestern Nachmittag recht wenig gelesen wor- den. Das war mein erstes Fazit, als ich aus der Buchpremiere „Kampfzone Straße – Jugend- liche Gewalttäter jetzt stoppen“ kam. Aber nicht, dass die Präsentation des ersten Werks des Autoren-Duos Fadi Saad und Karlheinz Gaertner deshalb langweilig gewesen wäre.

Fadi Saad, hauptberuflich als Quartiersmana- ger tätig, rannte bis zum Beginn der Ver- anstaltung gestresst hin und her, um Freunde und Familie auf ihre Plätze zu geleiten und dem ein oder anderen Reporter schon mal auf Fragen zu antworten. Karlheinz Gaertner,  Hauptkommissar und Dienstgruppenleiter des Polizeiabschnitts 55 in Neukölln, sah dem Treiben vom Rand aus zu. Die Mensa vom Campus Rütli war mit rund 200 buchpräsentation "kampfzone straße" (herder-verlag), campus rütli neuköllnZuschauern sehr gut gefüllt und dem- entsprechend warm. Jugendlich wa- ren nur wenige, das Bild war haupt- sächlich von älteren Herrschaften geprägt, die größtenteils verdächtig nach Lehrern aussahen.

Das musikalische Opening eines Ney-Spielers ließ kurz das Drumherum vergessen, die Begrüßung von Herder-Verlagsleiter Stephan Meyer holte alle ins Thema zurück und leitete zur Ansprache unseres Neuköllner Bürgermeisters Heinz Buschkowsky über.

fadi saad, gerd nowakowski (tagesspiegel), karlheinz gaertner, heinz buschkowsky, buchpräsentation "kampfzone straße" (herder-verlag), campus rütli neukölln

(v. l.: Fadi Saad, Gerd Nowakowski (Tagesspiegel), Karlheinz Gaertner, Heinz Buschkowsky)

Der ließ sich mal wieder eingehend über den glorrei- chen Werdegang der Rütli-Schule aus, prangerte an, dass das Hauptproblem der Jugendgewalt darin liege, dass niemand zugeben wolle, dass es ein Problem gibt. Denn dann müsse man sich ja unweigerlich der Folgefrage stellen, wie das Problem zu lösen sei. Auch sein schon oft bemühtes Rechenexempel hatte Buschkowsky wieder parat: Mit 220.000 Euro pro Jahr könne man fünf Knackies durchfüttern oder aber 650 Schüler durchs Abi bringen. Die Gesellschaft müsse sich entscheiden. So recht Buschkowsky mit solchen Thesen immer noch haben mag, langsam klingen sie wie eine Platte mit Sprung, die ebenso wenig Veränderung bewirkt. Am Ende verschwand der Bezirksbürgermeister umgehend und hinterließ das Gefühl seiner Unwissenheit über das Buch und die Autoren. Nunja.

Gerd Nowakowski vom Tagesspiegel, der die Veranstaltung moderierte, tat der Stimmung im Saal um einiges besser und sorgte immer wieder für Gelächter – auch mit einer kleinen Aufzählung des nicht unerheblichen Strafregisters, das Fadi Saad als fadi saad, buchpräsentation "kampfzone straße" (herder-verlag), campus rütli neuköllnMitglied einer Jugendgang angesammelt hatte. Saad wiederum lockerte das Publikum auf, indem er sich nicht eisern an Absprachen hielt, sondern ein wenig vor sich hin improvisierte. So kam es denn wohl auch, dass mehr erzählt als gelesen wurde. Dass mehr diskutiert als zitiert wurde und die Veranstaltung so sehr lebendig blieb.

Immer wieder ging es dabei um die Erziehungs- frage und den Punkt, wer wieviel Verantwortung dafür trägt. Auch unter den Autoren gibt es hier Kontroversen: Während Fadi Saad die Lehrer im Boot sieht, ist Karlheinz Gaertner der Meinung, dass karlheinz gaertner, buchpräsentation "kampfzone straße" (herder-verlag), campus rütli neukölln– insbesondere vor dem Hintergrund der perso- nellen und finanziellen Schieflage in den Schulen – die Zuständigkeit eindeutig bei den Eltern liegt.

Am Ende sprachen alle angeregt miteinander und es blieb die Hoffnung, dass Menschen wie Fadi Saad und Karlheinz Gaertner wirklich etwas verändern können. Viel Lob bekamen die beiden für das, was sie in ihren Brotjobs machen, allemal: Einige Sozialarbeiter und Gewaltpräventions- experten von der Polizei berichteten kurz von ihrem Arbeitsalltag mit Jugendlichen und  untermauerten so das vorher Gesagte. Patentrezepte mit Erfolgsgarantie zum Stoppen der Jugendgewalt wollte niemand geben, aber Empfehlungen wie zum Beispiel die, das Waffengesetz zu ändern und ein generelles Messerverbot zu erheben. Wie das praktisch umgesetzt werden könnte, erfuhr ich leider nicht.

=Anna Sinnlos=

Heinz Buschkowsky: „Ich will lauter Hüseyins hier haben!“

gedenkveranstaltung für kirsten heisig, heimathafen neuköllnNur noch wenige Plätze waren im großen Saal des Heimathafen Neukölln frei, als Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky die Gedenkveranstaltung für Kirsten Heisig eröffnete. Schon kurz nach deren Tod vor  gut zwei Monaten sei klar gewesen: „Es muss einen Tag geben, an dem wir uns den Inhalten widmen, die sie hinterlässt.“ Gestern war er gekommen.

Im Publikum viele Kollegen, Mitstreiter, Freunde und Angehörige der Jugend- richterin, außerdem Sympathisanten, die durch Sticker am Revers an sie erinnerten, und Menschen, die mehr darüber erfahren wollten, wer diese Frau war, was sie ausmachte und antrieb – bis zur Verzweiflung. Auf dem Podium außer Heinz Buschkowsky die Schriftstellerin Monika Maron, der Schauspieler Hüseyin Ekici, der leitende Oberstaatsanwalt Dr. Andreas Behm, der Jugendrichter Dr. Günter Räcke und Tagesspiegel-Chefkorrespondentin Tissy Bruns, die die Gesprächsrunde moderierte.

Als „nett, sympathisch und dynamisch“ habe er Kirsten Heisig kennen gelernt, aber auch als eine, die „nicht sehr bequem“ war, beschrieb Buschkowksy sie. Hüseyin Ekici widersprach dem nicht, obwohl seine Begegnungen mit der Juristin unter gänzlich anderen Vorzeichen gestanden hatten: Der heute fast 20-Jährige, der es „von der Straße auf die Bühne“ schaffte und nicht türkischer sondern zazaischer Herkunft ist, hatte als jugendlicher Delinquent mit Heisig zu tun. „Aber auch für mich als Täter war ihr Tod ein Schock.“

Einen Schock heilsamer Natur hatte ihm lange vorher bereits seine Mutter versetzt. Wenn er auf Hartz IV machen würde, kündigte sie an, würde sie ihn aus der Wohnung schmeißen. Der in Neukölln Aufgewachsene bekam die Kurve, wurde „vom Opfer zum Schauspieler“ und wird nun von Buschkowsky „Sprachrohr der Neuköllner Jugendgesprächsrunde, hüseyin ekici, monika maron,andreas brehm,tissy bruns,günter räcke,gedenkveranstaltung kirsten heisiggenannt.

Von solchen Müttern müsse es mehr geben, waren sich alle einig. Doch die traurige Wahrheit sei eher, dass Kinder in Verhältnissen aufwachsen, die sie direkt in ein gescheitertes Leben katapultieren. Erzieherische Defizite der Eltern im Zusammenspiel mit einem zu laxen, trägen Umgang mit Schulschwänzern oder -verweigerern und dem, was Recht ist, schaufeln immer neue Jugendliche auf die schiefe Bahn. „Die Hälfte aller Neuköllner Grundschüler ist davon betroffen“, prognostizierte Heinz Buschkowsky, der als Lokalmatador die anderen Diskutanten in puncto Redezeit und Szenenapplaus weit hinter sich ließ.

Bei der Frage, was Kirsten Heisig durch ihre Arbeit erreicht habe, gingen die Meinungen aufgrund unterschiedlicher Perspektiven jedoch stark auseinander. „Sie hat beim Umgang mit Jugendkriminalität besonders viel bewegt“, erkannte Günter Räcke an. Der Jugendrichter hatte seinerzeit zusammen mit Heisig das Neuköllner Modell, das inzwischen für ganz Berlin gilt, angeschoben. Wohlwissend, dass dabei vieles gesagt werden müsse, was andere nicht hören wollen: „Wir hatten ja bis dahin kein Denk-, aber ein Sprech-Tabu.“ Kirsten Heisigs schonungslose Offenheit war es auch, die Monika Maron und einer Gruppe von Kreativen die Augen für das Thema öffnete. Die Schriftstellerin lud die Richterin ein, den Künstlern von ihrem Arbeitsalltag zu erzählen. „Die waren“, so Maron, „von den Tatsachen zuerst regelrecht scho-ckiert.“ Für die Zukunft fordert sie vor allem eine Veränderung des Diskussions-klimas, damit eine Bereitschaft entstehen kann, das Problem als gesamtgesell-schaftliches zu sehen. „Durch Heisig“, bilanzierte Oberstaatsanwalt Andreas Behm, „ist die Wichtigkeit der Vernetzung unterschiedlicher Ebenen erkannt worden.“ Hüseyin Ekici nickte zustimmend, Heinz Buschkowsky bestätigte, dass die „Versäulung der Behörden“ wirklich ein riesiges Problem sei.

„Warum aber muss sich ganz Deutschland dafür interessieren, was in Neukölln los ist?“, schickte Tissy Bruns als Frage in die Schlussrunde. Weil Jugendkriminalität ein anschwellendes Problem sei, entgegnete Monika Maron. „Machen wir uns doch nichts vor!“, mahnte Andreas Behm. „Das Problem gibt’s überall, nur ist die Kriminalität in einer Kleinstadt in Schleswig-Holstein eben eine andere als in Berlin.“ Ausgerechnet Neuköllns Bezirksbürgermeister war es, der dann doch noch einen ins Gespräch brachte, dessen Name während der gesamten Diskussion nicht gefallen war. Auch Buschkowsky verschwieg ihn, stellte lediglich fest, dass momentan große Aufregung über ein anderes Buch herrsche. Er verurteilte die „Politik by Helicopter„, das Abheben mit großem Getöse, bei dem eine Menge Staub aufgewirbelt werde, und danach sei wieder alles wie vorher: „Wenn nicht schnell erkannt wird, dass es in erster Linie die Schwachen sind, die einen starken Staat brauchen, bricht das ganze gesellschaftliche System Deutschlands in sich zusammen.“

Für einen Schlusspunkt mit mehr Optimismus sorgte Hüseyin Ekici. Befragt, was Neukölln und den Jugendlichen im Bezirk helfen würde, musste er nicht lange überlegen: „So was wie die Naunynritze in Kreuzberg, einen Ort für Kinder und Jugendliche wirklich aller Altersgruppen, Kulturen und Religionen.“ Einen Versuch wäre es wert.

Kirsten Heisigs Buch „Das Ende der Geduld“ (208 S., 14,95 €) kann man versandkostenfrei direkt beim Herder Verlag bestellen.

=ensa=