Opfer-Grabanlage auf dem Böhmischen Gottesacker eingeweiht

Vor 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Obwohl sich nur noch wenige Zeitzeugen unmittelbar an den Krieg erinnern können, sind seine Spuren in Neukölln weiterhin gegenwärtig. Erst vorgestern weihten Pfarrerin Carolin Springer und Pfarrer Christoph Hartmann von der Brüdergemeine die neue Opfer-Grabanlage auf dem Böhmischen Gottesacker ein: Über 60 Opfer, die fast ausnahmslos während der letzten Kriegstage im April 1945 als Zivilisten oder Soldaten getötet wurden, sind hier nebeneinander begraben. Bisher lagen die Gräber der Kriegsopfer Weiterlesen

„Neukölln hat eine lebendige Zivilgesellschaft“

Immer im November lädt die Herrnhuter Brüdergemeine Berlin zu ihrer Veranstaltungsreihe „Reden in der Kirchgasse“. In diesem Jahr lautet die gemeinsame Überschrift der beiden Reden „Kirche in Neukölln. Chancen und Herausforderungen in einem sich rasant ändernden Umfeld“.

„Wie gut funktioniert die Ökumene der christlichen Kirchen im Bezirk?“ und „Gibt es nicht nur interkulturelle, sondern auch interreligiöse Begegnungen mit dem Islam?“, wollten Moderator Michael Barker (r.) und die Veranstaltungsgäste am Weiterlesen

Nicht aus Neuköllns Böhmischem Dorf wegzudenken

Weil drei evangelische Kirchengemeinden aus Rix-dorf tief in die Kassen griffen und die Finanzierung stemmten, konnte König Friedrich Wilhelm I. ein Denkmal im Böhmischen Dorf gesetzt werden. Heute vor 105 Jahren wurde es als Zeichen der Dankbarkeit darüber, dass böhmische Exulanten hier eine neue Heimat fanden, in der Kirchgasse enthüllt.
Geschaffen hat die Statue – mit Reliefs der Dar-stellung migrierender Böhmen im Sockel – der Bildhauer Alfred Reichel. Es wurde für den kunst-geschichtlich weitgehend vergessenen Künstler, der 1928 in Berlin starb, das bedeutendste Werk.

Rixdorfer Reigen erzählt Historie mit Mode und „ganz normalen Leuten jeden Alters und jeder Statur“

marion czyzykowski_mc-design neuköllnDie Wörter Muße oder Langeweile kramt Marion Czyzykowski nur selten bis nie aus ihrem Wortschatz. Muße ist bestenfalls etwas, was im Urlaub stattfinden kann. Im Alltag der Schneidermeisterin ist dafür zwischen der 32 Stunden-Stelle an der Werkschule Löwenherz, der Arbeit für ihr Label MC-Design und den Nähkursen, die sie an der Volkshochschule Schöneberg und in ihrem Atelier gibt, kein Platz: „Die historische Modenschau ‚Rixdorfer Reigen‘ ist für mich deshalb eine zeitliche, aber keine handwerk-liche Herausforderung.“ Früher, begründet sie, habe sie Roben und Kleider restauriert.

Im Organisieren ist Marion Czyzykowski ebenfalls geübt. Martina Rosenthal-Schöne, Chefin des Fuhrunternehmens Gustav Schöne am Richardplatz, sprach also genau die Richtige an, um sie für ihre Idee zu gewinnen. Damals, 2010, hatte Weiterlesen

„Das Böhmische Dorf ist die Keimzelle der deutsch-tschechischen Beziehungen“

neueröffnung böhmisches dorf neuköllnAutofahrer, die gestern Mittag vom Richardplatz in die Richardstraße abbiegen wollten, hatten Pech. Auch in gesperrte richardstraße_neueröffnung böhmisches dorf neuköllnumgekehrter Richtung gab es für sie kein Durch-kommen. Denn die Straße, die seit einiger Zeit keine Großbaustelle mit Schika- nen für Fußgänger und gesperrte richardstraße_neueröffnung böhmisches dorf neukoellnden rollenden Verkehr mehr ist, war gesperrt – um am 20. Jahrestag der Städtepartnerschaft von Prag und Berlin ihre Neu- eröffnung zu feiern. „Neueröffnung des Böhmischen Dorfes“ hieß es gar in den Einladungen. Außerdem war davon die Rede, dass die elfte Generation von Nachfahren böhmischer Einwanderer das Weiterlesen

Gottesdienst mal anders: unter freiem Himmel im Körnerpark

Es ist inzwischen Tradition, dass am Pfingstmontag ein ökumenischer Open Air-Gottesdienst im Körnerpark gefeiert wird. Morgen ab 11 Uhr steht er unter dem Motto „Neukölln im Zeichen des hussitischen Kelches – 600 Jahre nach dem Tod des Reformators Jan Hus“ und wird durch ein Wandertheater in acht Szenen an vier reli-

openair-pfingstgottesdienst_körnerpark neukölln

gionsgeschichtlich bedeutsamen Orten Rixdorfs ergänzt. Schon heute laden fast 100 Gemeinden in Berlin und Brandenburg bei der 15. Nacht der offenen Kirchen zu besonderen sakralen Erlebnissen ein: Auch drei Neuköllner Gemeinden sind dabei.

„Mein Vater verstand sich als Handwerker und nicht als Künstler“

böhmischer gottesacker, neuköllnAn den Grabsteinen im Bereich der Herrnhuter Brüder-gemeine auf dem Böhmischen Gottesacker ist nicht ablesbar, ob die Verstorbenen reich oder arm waren. Denn diese sind traditionell einheitlich in ihrer Größe und liegen fast flach auf dem Boden. Selbst grabstein eckart hachfeld_böhmischer gottesacker neuköllnbei der Grabgestaltung gilt ein einheitliches Prinzip. Auch Eckart Hachfeld sei dort begraben, erfuhr ich von Dr. Bernd Krebs, dem ehemaligen Pfarrer der reformierten Bethlehems-gemeinde in Neukölln.

Vielen wird vermutlich der Name Eckart Hachfeld nichts sagen, doch haben sicher fast alle einmal Texte von Hachfeld gelesen oder gehört. Tilman Hachfeld, einer seiner drei Söhne, war freund-licherweise bereit, von der künstlerischen Tätigkeit und dem Leben Weiterlesen

Gebaut als Schulhaus, genutzt als Wohnhaus

Für die, die in der Kirchgasse 5 wohnen, ist die Adresse ihr Zuhause. Für andere ist es da, wo das Museum im Böhmischen Dorf ist. Und für die Bezirksgeschichte ist es der Standort eines der ältesten Gebäude Neuköllns. Am  14. November 1753, nur ein

schulhaus der böhmischen brüdergemeine_neukölln

halbes Jahr nach der Grundsteinlegung, weihte hier die Herrnhuter Brüdergemeine ihr Schul- und Anstaltshaus ein, das auch bis 1909 noch als Schule genutzt wurde und seitdem als Wohnhaus dient. Anfang der 1980er Jahre erfolgte Weiterlesen

25-jähriges Jubiläum der Partnerschaft zwischen Neukölln und Ústí nad Orlicí

Stadtwappen_von_Ústí_nad_OrlicíDie Berliner Mauer stand noch, als am 6. November 1989 der erste Teil des Städtepartnerschaftsvertrages zwischen Neu- kölln und Ústí nad Orlicí in der böhmischen Kreisstadt unterzeichnet wurde. Keine drei Wochen später, am 24. No- vember, konnten Tschechen und Deutsche in Neukölln bei der Unterzeichnung des zweiten Teils der Partnerschaftsverein- F1_Petr Šilar mit Teilnehmern der Partnerschaftsreise und Begleitern aus Horní Čermnábarung gemeinsam den Fall der Mauer feiern.

Der Verein Freunde Neuköllns e. V. machte anlässlich dieses geschichtsträchtigen Er- eignisses vom 25. bis 29. Oktober eine Jubiläumsreise nach Horní Čermná, dem Ort, aus dem die ersten böhmischen Exu- lanten 1737 nach Rixdorf kamen. Besucht wurden ebenfalls die tschechische Kreis- stadt Ústí nad Orlicí und die Landeshauptstadt Prag. Am 28. Oktober, dem tschechischen Nationalfeiertag, der an die Staatsgründung der Weiterlesen

Zwischen Orgel und Trecker

jens amend_brüdergemeine berlin-neuköllnEin renommierter Musiker, ein Meister seines Fachs, gab am vergangenen Frei- tag ein Orgelkonzert in der Herrnhuter Brüdergemeine im Böhmischen Dorf.

Pfarrer Christoph Hartmann bat zu Be- ginn des Konzerts, keinen Zwischen- applaus nach den einzelnen Stücken zu geben. Den Beifall sollten sich die etwa 40 Besucher für den Schluss aufheben. Dieser, sagte Hartmann, dürfe dann aber genauso großzügig wie die Spende für das Konzert ausfallen, für das kein Eintritt erhoben wurde. Unter dem Titel „Auf Tasten und Pedalen durch die Jahrhunderte“ spielte er bei seinem Konzert im Böhmischen Dorf Orgelstücke, die vier Weiterlesen

Neuköllner Osterprozession im Schnee: misslungenes Zusammenspiel von Tradition und Aktualität

herrnhuter brüdergemeine_kirchgasse_neuköllnOstersonntag in Neukölln. Es ist kurz nach 7. Auf den Straßen sind über- wiegend Taxen, BVG-Busse und die Firmenwagen ambulanter Pflege-dienste unterwegs. Die Bürgersteige gehören fast ausschließlich Gassi-gängern und Leuten, denen das Schlafen nach durchfeierter Nacht noch bevorsteht.

Eine entschieden andere Art Leben regt sich in der Kirchgasse im Böh- 1_osterprozession herrnhuter brüdergemeine_neuköllnmischen Dorf: Gesang dringt aus dem Betsaal der Herrnhuter Brüdergemeine. So wie an jedem Oster- sonntag wird die Gemeinde danach – angeführt vom Bläserchorzum Böhmischen Gottesacker ziehen. Niemand kann sich daran erinnern, es je- mals bei einem Wetter wie diesem getan zu haben: Aus leichtem Schneegriesel sind inzwischen nasse, posaune_osterprozession neuköllnwirbelnde Flocken ge- worden. Manches Gemeindemitglied, das nicht mehr gut zu Fuß ist, verzichtet schweren Herzens auf die Teil- nahme an der Osterprozession. Seit 1754 findet die regelmäßig statt und zählt damit zu den ältesten Tra- ditionen, die in Berlin gepflegt werden. An der Liturgie der Feier hat sich seitdem kaum etwas geändert: Man versammelt sich schweigend, begrüßt sich lediglich mit Blicken und Gesten und verschiebt Osterwünsche und Gespräche auf später. Auch die Route ist seit jeher dieselbe. In der Kirchgasse geht es – vorbei am Denkmal des Preußenkönigs – bis zur Richardstraße, in der bis zum Richardplatz und von dem biegt die Prozession links in die Kirchhofstraße ab, wo sie

2_osterprozession_kirchgasse_neukölln3_osterprozession_richardplatz_neukölln4_osterprozession_bläserchor_richardplatz_neukölln

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ihr Ziel erreicht: den Böhmischen Gottes- acker, wo seit 1751 die Verstorbenen der Ge- meinde beerdigt wer- den.

Der Friedhof liegt unter einer dichten Schneedecke. Wenn die Bläser nicht gerade spielen, wärmen sie gemeinde_osterprozession_böhmischer gottesacker_neuköllnihre Hände und wischen die wei- ßen Flocken von ihren Instrumenten. Die Notenblätter stecken in Laminierfolien. Dass richtig gespielte Stücke bläserchor_osterprozession neukölln_böhmischer gottesackertrotzdem zu- weilen etwas schräg klin- gen, liegt an der Kälte. Die kommt den Bläsern ebenso unge- legen wie der Gemeinde samt Pfarrer Günther gemeinde_böhmischer gottesacker_osterprozession neuköllnKreusel. Eine knappe Vier- telstunde dauert die Zeremonie, bei der auch der seit dem letzten Osterfest Verstorbenen ge- dacht wird. Dann bittet Kreusel die Gläubigen zu Osterlesungen und -frühstück ins Gemeinde- gedenktafeln_böhmischer gottesacker_neuköllnhaus, wo es warm und tro- cken ist.

Durch die immer noch recht menschenleeren Straßen geht es zurück, plaudernd und ohne Rücksicht auf eine Liturgie nehmen zu müssen. „Was sind das denn für Vögel?“, fragt einer, der mit einer Bierflasche in der Hand am Straßenrand steht und das Treiben beobachtet. „Wird hier schon wieder ’n Film gedreht?“ Eine Erklärung will er nicht hören, sondern einfach nur so schnell wie möglich ins Bett. Da sei man doch morgens um 7 am besten aufgehoben, meint er nach einem Blick auf seine Armbanduhr, die offenbar noch auf Winter eingestellt ist. Wie das Wetter.

=ensa=

Herrenwitz

Auch wenn der offizielle Plan für die Umgestaltung der Karl-Marx-Straße anderes glauben machen will: Mit einem Herrenhut haben weder der  Herrnhuter Weg  noch die  Herrnhuter Brüdergemeine  oder der  Herrnhuter Stern  etwas am Hut.

Neue Heimat Böhmisch-Rixdorf

Heute, wirklich genau heute vor 275 Jahren, am 25. März 1737, erreichten die ersten böhmischen Zuwanderer Berlin. Sie wurden in der südlichen Friedrichsstadt und in Rixdorf untergebracht. Eingeladen waren sie vom preußischen König Friedrich Wilhelm I. höchstpersönlich.

Was war geschehen? Auf der einen Seite hatte sich in weiten Landstrichen Preußens die Bevölkerung vom Aderlass des 30-jährigen Krieges noch nicht erholt, als sie von der Pest weiterhin zahlenmäßig reduziert wurde. Auf der anderen Seite gab es nach der gewaltsamen Rekatholisierung in Böhmen in den nördlich angren- zenden Gebieten Hunderte von Glaubenflüchtlingen: Manch Böhme ward – das ist bekannt – dem Kelch zuliebe Exulant.

So war es weniger ein Akt der Huma- nität als vielmehr ein wirtschaftliches Kalkül, das den Soldatenkönig bewog, in Rixdorf neun Doppelhäuser für je zwei Familien und neun Scheunen mit Kammern für sogenannte Einlieger errichten zu lassen. Dazu erhielt jeder Ackerwirt zwei Pferde, zwei Kühe und das nötige Ackergerät.

Das Leben der Parallelgesellschaft in Böhmisch-Rixdorf begann, und die Ureinwohner in nunmehr Deutsch-Rixdorf waren über diese Entwicklung herzlich wenig begeistert. Die „Neuen“ – sie stammten übrigens fast alle aus Böhmisch-Rothwasser – wurden argwöhnisch beäugt, sprachen sie doch eine fremde Sprache (Tschechisch), brachten ihre Musik und Trachten mit und hatten auch sonst ganz andere Sitten und Gebräuche. Und sie dachten nicht im Traum daran, sich zu integrieren oder gar zu assimilieren.

Ihre Gottesdienste – es gab die der Evangelisch-reformierten Bethlehemsgemeinde, der Evangelisch-böhmisch-lutherischen Bethlehemsgemeinde und der Evangelischen (Herrnhuter) Brüdergemeine – wurden bis zum ersten Weltkrieg in ihrer Muttersprache gehalten. Jede der drei Gemeinden hatte ihre eigene böhmischer gottesacker, neuköllnKirche, bzw. ihren eigenen Betsaal. Sie hatten auch einen (dreigeteilten) eigenen Friedhof, den Böhmischen Gottesacker. Hier wurden die Grabsteine immerhin bis 1820 zweisprachig, danach erst in Deutsch beschriftet. Das Grundstück für den Friedhof wurde ihnen übrigens 1751 von den deutschstämmigen Rixdorfern zugewiesen, weil diese es für nicht „anständig“ hielten, dass auf dem ihrigen weiterhin die Fremden bestattet wurden.

Ein weiteres Sprachrelikt ist auf dem Straßenschild der Kirchgasse zu finden. Ein Zusatzhinweis soll belegen, dass diese Gasse bis 1909 Mala ulicka, also Enge Gasse hieß.

Wurde auch lange Zeit der Entscheid des Hohenzollern von den Deutsch-Rixdorfern missbilligt, so schmückt sich Neukölln inzwi- schen mit seinem Böhmischen Dorf, ge- rade weil sich hier viel von dem Besonderen der ehemaligen Exu- lanten erhalten hat und gepflegt wird. Auch das im September 2005 eröffnete Museum im Böhmischen Dorf ist aus dem Bezirk längst nicht mehr wegzudenken.

Anlässlich des heutigen Jubiläums findet um 11 Uhr in der Französischen Friedrichstadtkirche am Gendarmenmarkt ein Gottesdienst (u. a. mit Pfarrer Bernd Krebs von der Ev.-ref. Bethlehemsgemeinde) zum Gedenken an die böhmische Einwanderung statt. Teile davon werden in tschechischer Sprache gehalten.

=kiezkieker=