Was kann der Bezirk gegen prekäre Lebenslagen tun? – Gastbeitrag von Roland Leppek

Und was hat ein uraltes Papier damit zu tun?

„Willst Du Neukölln oben sehen, musst Du die Tabelle drehen.“ So postete ich in den nicht immer sozialen Netzwerken, nachdem die Geschäftsführerin des Jobcenters Neukölln im Sozialausschuss der Neuköllner BVV berichtet hatte, dass Neukölln mit 24,6% die bundesweit höchste Hartz-IV-Quote aufweist. Nicht gerade ein neuer Befund. Seit Jahren, inzwischen sogar Jahrzehnten liegt Neukölln hier ganz oben – bzw. unten. Die Reaktion auf meinen Post kam zugleich in der Erwähnung des „Lambsdorff-Papiers“. Weiterlesen

„Der Handlungsauftrag heißt gute Sozialpolitik“ – Gastbeitrag von Hakan Demir

Knapp ein Viertel der Menschen in Neukölln erhalten Unterstützung nach dem 2. Sozialgesetzbuch (SGB II). Das ist bundesweit trauriger Spitzenwert. Doch vor allem ist es ein Handlungsauftrag an die Politik, unsere Gesellschaft besonders für diese Menschen mit wenig Geld und oft in prekären Verhältnissen lebend, besser zu machen.

Dafür lohnt ein Blick dahinter, wer die Menschen sind, die Hartz IV beziehen. Zum einen handelt es sich um Erwerbslose – die Quote liegt in Neukölln bei 13 % und damit deutlich über dem bundesweiten Schnitt. Weiterlesen

Jobcenter Neukölln verlängert Leistungen zum Lebensunterhalt vorerst automatisch

Gute Nachricht für alle, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Hartz-IV) beziehen und in nächster Zeit eigentlich einen Weiterbewilligungsantrag stellen müssten: „Für Bewilligungszeiträume, die in der Zeit vom 31. März 2020 bis vor dem 31. August 2020 enden (einschließlich 30. August 2020), werden die Leistungen auf Basis der Verhältnisse des bisherigen Bewilligungszeitraums automatisch weiter bewilligt. Sie brauchen in diesen Fällen keinen Weiterbewilligungsantrag zu stellen“, teilt die Arbeitsagentur auf ihrer Webseite zum Bezug des Weiterlesen

Industriearbeitsplätze in Neukölln auf Talfahrt: Die Linke bilanzierte Hartz IV im Bundestag

Zu einer politischen Bilanz „15 Jahre Hartz IV“ lud die Bundestagsfraktion der Partei Die Linke nur wenige Wochen nach dem Hartz IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes in den Deutschen Bundestag. Im ehemaligen Arbeiterbezirk Neukölln bewegt augenblicklich der Abbau gut bezahlter Industriearbeitsplätze die Menschen und hier sind – ebenso wie in Mitte – besonders viele Menschen auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts angewiesen. In vier Arbeitsgruppen diskutierten Aktive, Initiativen sowie Vertreter von Weiterlesen

„Die in Deutschland am weitesten verbreitete Form der Diskriminierung ist die Abwertung von Langzeitarbeitslosen“

In Deutschland entscheide vor allem die soziale Herkunft, über welche Zugänge zu Bildung und zu kulturellen und materiellen Ressourcen ein Kind verfügt, erklärt die Bundeskoordination Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage einleitend zu ihrem neuesten Themenheft „Klassismus – Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft“. In den vergangenen Jahren seien große Anstrengungen unternommen worden, um die Gesellschaft für unterschiedliche Formen der Diskriminierung zu sensibilisieren. „Während inzwischen viele Maßnahmen gegen Rassismus oder Homophobie ergriffen werden, wird der Klassismus, so der Fachbegriff für die Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft, nach wie vor stiefmütterlich behandelt“, beklagt die Weiterlesen

Welche Auswirkungen haben Sanktionen im SGB II?

In Neukölln sind aktuell rund 76.700 Menschen auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II angewiesen. Die sogenannte Hartz-IV-Quote des Bezirkes liegt damit bei 29 Prozent – im Vergleich zu 19 Prozent im Berliner Durchschnitt. Besondere Aufmerk-samkeit hat im einstigen Arbeiterbezirk Neukölln deshalb eine 11-seitige Übersicht qualitativer Studien über die Auswirkungen von Sanktionen im SGB II verdient, die der Fachbereich Arbeit und Soziales der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages kürzlich erstellte. Die letzte große Anhörung um SGB-II-Sanktionen fand Weiterlesen

Optimistische Zukunftsperspektiven mit Wermutstropfen: Bezirksamt Neukölln stellt Arbeitsschwerpunkte für 2017 vor

„Ein Jahrzehnt der Investitionen liegt vor uns“, frohlockte Neuköllns Bezirksbürger-meisterin, als sie und ihre Dezernenten gestern Mittag bei einer gemeinsamen eberenz_liecke_giffey_raemer_biedermann_bezirksamt-neukoellnPressekonferenz im Rathaus die Arbeitsschwer-punkte für das laufende Jahr vorstellten. Hinter Dr. Franziska Giffey und den Bezirksstadträten stand zur Veranschaulichung zwischen der Berliner und der Neuköllner Fahne eine Karte des Bezirkes mit vielen bunten Fähnchen, die die Orte der künftigen Investitionen markierten.

„Wir setzen uns für die direkte Anbindung des Hauptstadtflughafens BER an die U-Bahnlinie 7 mit einer Station am Liselotte-Berger-Platz im Frauenviertel ein. Wir brauchen die Verlängerung Weiterlesen

„Hartz IV ist ungerecht und demütigend“: Systemkritik eines Neuköllner Aufstockers als Novelle

thomas pregel_stadtbibliothek neuköllnEinen „sehr fleißigen Aufstocker“ konnte Bibliothe-kar Ralph Haack gestern Abend im dicht besetzten Veranstaltungsraum der Neuköllner Stadtbibliothek begrüßen: Thomas Pregel war gekommen, um aus seiner im letzten Jahr erschienenen und teils autobiographischen „Hartznovelle“ zu lesen.

Grundsituation der Erzählung: Die gelernten Histo-riker Dr. Heiko Rüdesheimer, Dr. Katharina Breiten-bach und der Magister Artium-Absolvent Sebastian Podbielski haben nie einen richtigen Einstieg ins Berufsleben gefunden. Sie treffen sich jetzt regelmäßig im Emser Eck, einer fiktiven Kneipe, für die es in Nord-Neukölln Weiterlesen

Hauptrollen für zwei Neuköllner Jungs in neuem Kinderkrimi

dorit linke_fett kohle_magellan-verlagNiklas könnte das Geld schon gut gebrauchen. Der Elfjährige lebt mit seiner Mutter, ihrem neuen Mann und seinen beiden Stiefgeschwistern in Neukölln, ganz in der Nähe vom Tempelhofer Feld. Und die Familie wiederum lebt von Hartz IV, ist also permanent knapp bei Kasse. Für Niklas gilt das plötzlich nicht mehr, als er eines Abends beobachtet, wie eine große Tasche aus dem offenen Fenster eines Transporters, den die Polizei verfolgt, geworfen wird und im Müllcontainer vor dem Haus landet.

Als draußen alles wieder ruhig ist, holt er sich die Tasche, öffnet sie und findet darin richtig fett Kohle. So viel, dass er seiner Mutter endlich eine neue Spülmaschine, den Stiefgeschwistern gleich mehrere neue Paar Schuhe und sich selber etliche Flugtickets Weiterlesen

Aus Papier: die Kondome des 21. Jahrhunderts

„Tinaaaaaa, wat kosten die Kondome?“ – wer er- innert sich nicht an diesen rund 20 Jahre alten Werbespot der Bundeszentrale für gesundheit- liche Aufklärung, in dem Hella von Sinnen eine Kassiererin und Ingolf Lück einen beim Kauf von Präservativen ertappten Kunden spielt?

„Manchmal komm ich mir vor wie der Ingolf Lück des 21. Jahrhunderts“, sagt Bernd. Im Leben des heute 38-jährigen Neuköllners ist vieles nicht eben glatt gelaufen. Innerhalb weniger Monate sei er alles los gewesen, was ihm wichtig war: die Frau, die er „abgöttisch geliebt“ hatte, die ge- meinsame uneheliche Tochter, den Job. Alkohol und Drogen wurden seine besten Freunde. Ohne die, meint er, hätte er sich wahrscheinlich einen Strick genommen, als seine Ex begann, Miss- brauchsvorwürfe zu lancieren, um einen Keil zwi- schen ihn und das Kind zu treiben. „Seit einem halben“, sagt Bernd, „bin ich aber völlig clean.“ Schließlich wolle er unbedingt irgendwann wieder Kontakt zu seiner Tochter haben und ein normales Leben führen – mit selber verdientem Geld. Im Gegensatz zu vielen anderen bemühe er sich wirklich um eine Stelle.

Momentan lebt Bernd von Hartz IV. In seinem Einkaufswagen liegen Obst, Gemüse, Milch, Brot, diverse Grundnahrungsmittel und eine 500 Blatt-Packung Schreibpapier. „25,11 Euro“, sagt die Kassiererin. Statt eines Portemonnaies zieht Bernd einen knallgelben Zettel aus seiner Hosentasche und faltet ihn zum DIN A4-Format auseinander. Das Logo des JobCenters prangt auf der oberen rechten Ecke. Die junge Frau an der Supermarkt-Kasse sieht sich das Blatt an und teilt Bernd mit, dass sie neu sei und nichts damit anzufangen wisse. Sie guckt sich Hilfe suchend um, bevor sie sich lautstark an die Kollegin wendet, die drei Kassen entfernt sitzt: „Janine, ick hab hier jemanden mit  so ‚m jelben Zettel. Wat mach ick denn damit?“ Nun wissen auch die Leute in der anderen Kassenschlange, dass Bernd keiner ist, der mit Geld bezahlt. Er guckt verlegen auf seine Einkäufe, biegt den Personalausweis, den er in seinen Händen hält.

Die Filialleiterin kommt und erklärt der neuen Mitarbeiterin im Flüsterton, wie die Zahlung per Lebensmittelgutschein zu handhaben ist. Der von Bernd hat einen Wert von 30 Euro, maximal 5 Euro Wechselgeld dürfen bar ausgezahlt werden. Er steckt die Münzen in seine vordere rechte Hosentasche und den Personalausweis nach der Überprüfung durch die Kassiererin wieder in die hintere linke. Die Erleichterung, dass es nun wohl endlich reibungslos weitergeht, ist denen, die hinter ihm in der Schlange stehen, deutlich anzusehen. Furchtbar peinlich und demütigend seien solche Situationen, sagt Bernd. Um sie zu vermeiden, gehe er am liebsten einkaufen, wenn es in den Läden leer ist – frühmorgens und nie samstags. Aber das klappe eben leider nicht immer.

=ensa=

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