Neuköllns schlechte Gehweg-Infrastruktur im Fokus der Aktion „Fuß hat Vortritt!“

gehwegschaeden richardplatz neukoellnOb in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Hamburg oder Berlin: Marode Gehwege sind bundesweit immer wieder ein großes Ärgernis. Eine Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Anja Kofbinger (Grüne) über den Zustand der Berliner Gehwege fand im Sommer in aktion fuß hat vortritt_karl-marx-platz neukoellnder lokalen Presse entsprechend viel Aufmerksamkeit. Gestern machten Kofbinger (2. v. l.) und ihre Kollegin Dr. Susanna Kahlefeld (2. v. r.) deshalb mit zwei Aktionen unter dem Motto „Fuß hat Vortritt!“ am Karl-Marx-Platz sowie an der Kreuzung Friedel-/Bürknerstraße/Maybach-ufer wieder auf die schlechte Infrastruktur für Fußgängerinnen und Weiterlesen

Sonntags nie

Sonnabends  auch nicht, und  an  Werktagen muss  zwischen 16 und 6 Uhr  ebenfalls

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auf manchem Neuköllner Bürgersteig auf die Begegnung mit Gehwegschäden ver- zichtet werden. Es lebe das gute Timing!

Flickwerk

Kleines Kopfsteinpflaster an den Seiten, Gehwegplatten und Asphalt im Mittelteil – bei der Gestaltung seiner Bürgersteige hat sich der Bezirk Neukölln offensichtlich dem Materialmix verschrieben. Genauso offen- sichtlich und durch dieses Bei- spiel in einer Straße im Westen Nord-Neuköllns dokumentiert: Die Kaltasphalt-Anteile gewinnen nach und nach die Oberhand beim Trottoir-Patchwork, das längst nicht mehr der Devise „Gleiches wird durch Gleiches ersetzt“ folgt. So wurden auch bei diesem Bürger- steig Gehweg- platten, die leicht gewackelt hatten und von Baumwurzeln zu kleinen Verwerfungen ge- zwungen worden waren, durch Misch- gut substituiert. Mit dem Ergebnis, dass der Fußweg nun durch alte und neue Kaltasphalt-Flicken noch unebener ist, son- dern auch  verschlechtbesserter als je zuvor aus- sieht: arm und unsexy. Es ist, als würde man ver- suchen, einen offenen Knochenbruch durch Pusten und Sprühpflaster zu heilen.

Ein Sturz und seine Folgen

Bisher war die Sache für Berlins Bezirke ganz einfach: Mutierte ein Gehweg immer mehr zur tückischen Stolperfalle, wurden 20 Euro in ein Schild und dessen Montage gehwegschäden neuköllninvestiert, um auf die Gefahr hinzuweisen – und die Angelegenheit war erledigt. Wenn trotzdem jemand ob einer Unebenheit auf dem Bür- gersteig strauchelte und auf juristischem Wege Schadensersatz und Schmerzensgeld einzu- klagen versuchte, wiesen die Gerichte das Ansinnen mit Hinweisen auf die leeren städ- tischen Kassen zurück. Diese würden es un- möglich machen, so die jahrelang praktizierte Argumentation, dass die Stadt bzw. die Bezirke ihrer  Pflicht zur Instandhaltung des Straßen- landes nachkommen können.

Diese Tradition gilt nun dank einer aufmüpfigen Rentnerin nicht mehr: Im September 2009 wurde gehwegschäden neuköllnsie von einem Pankower Bürgersteig zu Fall gebracht und zog sich beim Sturz schweren Verletzungen zu. Knapp drei Jahre später war ihr zunächst vom Land- gericht Berlin und in zweiter Instanz vom Kammergericht verhandelter Rechtsstreit am Bundesgerichtshof angekommen. Und das entschied unter dem Aktenzeichen III ZR 240/11 im Namen des Volkes, dass das Bezirksamt Pankow, indem es besagten Gehweg nicht reparieren ließ, eine „schuldhafte Amtspflichtverletzung“ begangen habe. Es reiche nicht, Gefahrenstellen durch Schilder kenntlich zu machen, entschieden die Richter, sondern gemäß Berliner Straßengesetz § 7 (2) müsse dem auch eine  „alsbaldige Wiederherstellung des verkehrssicheren  Zustands“  folgen.

Rund 3.500 Euro Schmerzensgeld und Scha- densersatz muss der Bezirk Pankow der Rentnerin nun zahlen. Und als Folge des BGH- Urteils sind die Leiter anderer Berliner Tief- bauämter in heller Aufruhr, berechtigterweise. Er sehe „erhebliche Konsequenzen“, sagte Wieland Voskamp, Chef des Neuköllner Tiefbauamts, in einem Gespräch mit dem Tagesspiegel. Bei den regelmäßigen Straßen- begehungen, sicherte er zu, werde man  „verstärkt darauf achten“  und  „bei Bedarf unverzüglich Abhilfe schaffen“. Stellen, an denen nun überprüft werden kann, was mit „unverzüglich“ gemeint ist, gibt es in Neukölln, wo manche Bürgersteig-Stolperfalle  längst  zum  Fahrradständer  taugt,  reichlich.

=ensa/ina=

Gefahrenquelle Mittelweg

Natürlich weisen auch im Mittelweg Schilder darauf hin, dass die Benutzung des Bür- gersteigs für Fußgänger nicht eben unge- fährlich ist. Doch wer beachtet die War- nungen vor Gehwegschäden angesichts ihrer in Neukölln nahezu standardmäßigen Präsenz an Straßenrändern überhaupt noch und nimmt sie ernst?

Im Mittelweg, der Beinahe-Verbindung von Hermann- und Karl-Marx-Straße, sollte man das aber der eigenen Gesundheit zuliebe tun. Denn die dort vorherrschenden Geh- wegschäden sind beträchtlicher als die üblichen Unebenheiten, die durch kleine Senken oder das obligatorische Ausfüllen fehlender Pflastersteine mit Asphalt ent- stehen. Verschärfend kommt hinzu, dass sich ob der suboptimalen Straßenbeleuchtung das Elend bei Dunkelheit oft erst offenbart wenn es zu spät ist. Die Wurzeln der Straßenbäume haben unter dem schmalen, asphaltierten Bürgersteigs des Mittelwegs wahrlich ganze Arbeit geleistet.

Das Stadium einer eher harmlosen Bodenwelle hat manche Erhebung längst verlassen und sich im Laufe der Jahre zu einer Stolperfalle mit Sprungschanzen-Potenzial entwickelt. Folglich sollten nicht nur Fußgänger auf dem Trottoir im Mittelweg auf ihre Schritte achten, sondern auch Radfahrern ist höchste Aufmerksamkeit empfohlen: Wer dort sein Rad schiebt, sollte unbedingt – um Kollisionen zu vermeiden – auf eine horizontale Stellung der Pedale achten. Wer verkehrswidrigerweise den Fußweg als Radweg benutzt, besser auch.

=ensa=