„Passt ein Theaterstück über interreli- giöse Konflikte überhaupt in unsere Mo- schee? Das haben wir uns oft gefragt“, bekennt Ender Cetin. Der Vorstands- vorsitzende der Sehitlik-Moschee steht vor der kleinen Bühne im Keller der Moschee. Vom Prunk und der Farbenpracht des
Gebetssaals ist hier nichts ange- kommen. Über eine schmale, steile Treppe geht es hinab in den schmucklosen Veranstaltungsraum, der fast bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Den Großteil des Publikums machen Menschen aus, denen der Islam näher ist als das Christentum. Aber auch viele, bei denen es eher umgekehrt ist, sind der Einladung gefolgt. „Es ist das erste Mal überhaupt, dass wir hier ein Theaterstück zeigen“, sagt Ender Cetin und bietet an, alle Interessierten nach der Aufführung und der anschließenden Podiumsdiskussion noch durch die Moschee zu führen.
In sieben Berliner Schulen und einem Theater haben die vier Schauspieler mit Rolf Kemnitzers Stück „Was du nicht siehst“ bereits gastiert. Der Auftritt unter den Minaretten einer Moschee ist auch für sie eine Premiere: Claudia Mooz spielt die Rolle der Odette, Michael Gerlinger den Lehrer Lauer, der zugleich Odettes Vater ist, Korkmaz Arslan die des arabischen Jugendli-
chen Jamal und Gamze Alakus gibt Gülay, eine Schülerin mit türkischen Wurzeln.
Es ist die Liebesgeschichte zwischen zwei Teenagern, die in „Was du nicht siehst“ erzählt wird, quasi eine adaptierte, mit aktuellen Kon- flikten angereicherte Version von Shakespeares
„Romeo und Julia“: Denn Odette ist christlich und Jamal muslimisch sozialisiert. Die religiösen und kulturellen Unterschiede sind folglich groß, und entsprechend klischeebelastet versuchen sie sich am Miteinander. Aber die Auseinanderset- zung mit Tradiertem und dem Charakter von Religionen beschränkt sich nicht auf sie, sondern fördert außerdem Probleme unter den Freundinnen sowie zwischen Lehrer und Schüler zutage. Auch die Vater-Tochter-Konflikte spitzen sich zu, nicht zuletzt dadurch, dass Odette beschließt, Muslima zu werden. Das gehe schneller als Tütensuppe, kündigt sie an.

v. l.: Claudia Mooz, Gamze Alakus, Elisabeth Kruse, Rolf Kemnitzer, Ender Cetin, Korkmaz Arslan, Michael Gerlinger
Länger als bei den vorherigen Auf- führungen in Schulen dauert es, bis das Publikum die Eindrücke des knapp einstündigen Stücks verarbeitet und Fragen oder State- ments formulieren will. „Jugend- liche reagieren wesentlich spon- taner“, stellt Regisseur Rolf Kem- nitzer fest und wendet sich zu- nächst an Ender Cetin. Der gibt zu, dass er vorher durchaus Bedenken wegen dramaturgischer Zuspitzungen und Übertreibungen gehabt habe. Aber das sei alles in Ordnung gewesen – und „sogar die Knutsch-Szene war islamisch akzeptabel“, findet Cetin. Über die, erwidert Kemnitzer spürbar erleichtert, habe er vorher auch mit den Schauspielern diskutiert. Man sei schließlich überein gekommen, sie im Stück zu lassen. Anders als sonst sei Odette allerdings nicht im bauchfreien Bühnen-Outfit aufgetreten. „Ich hab zwar mehr Interesse an Differenz als an Toleranz und suche Reibung und Kommunikation“, stellt der Regisseur und Autor klar, „aber ich akzeptiere auch die Umgebung einer Moschee und damit verbundene Kompro- misse. Wir wollten hier ja unbedingt spielen.“
Im Grunde, sagt Ender Cetin, werde der Inhalt des Stücks in der Sehitlik-Gemeinde gelebt: „Es gibt bei uns diverse interreligiöse Beziehungen.“ Das widerspreche dem Koran nicht, der schließlich kein Ge- und Verbotskatalog sei. „Genauso wenig wie
die Bibel“, ergänzt er. Sie wisse leider nur wenig über bireligiöse Beziehung, muss Elisabeth Kruse zugeben. Die Pfarrerin der benachbarten Geneza- reth-Gemeinde, die ihren Platz im Zuschauerraum gegen einen auf der Bühne getauscht hat, ist tief beein- druckt von der vorherigen Stunde: „Das Stück hat mich sehr ergriffen, aber wegen der Darstellung der Klischees auch traurig gemacht.“ Religionen würden leider oft als Vorwand genutzt, um Mauern zwischen Menschen zu bauen, bestätigt Ender Cetin. Mit der enge Kooperation zwischen seiner und der protestantischen Gemeinde im Schillerkiez versuche man, dagegen an zu gehen. „Das Problem ist leider“, findet Elisabeth Kruse, „dass der interreligiöse Dialog, der durchaus stattfindet, nicht so viele Schlagzeilen macht wie die interreligiösen Konflikte.“
Jetzt haben auch viele Zuschauer aus dem Publikum ihre Zurückhaltung aufgegeben, erzählen von eigenen Erfahrung mit ihrem Glauben und von bestens funktionierenden bireligiösen Beziehungen. Ein Mann möchte von den Schauspielern wissen, wie die sich auf ihre Rollen vorbereitet und was diese in ihnen bewegt haben. „Die Beschäftigung mit der Rolle der Gülay hat auch im Privaten etwas geändert“, berichtet Gamze Alakus. Sie habe sogar mal ausprobiert, wie es ist, in der Öffentlichkeit ein Kopftuch zu tragen. Korkmaz Arslan, selber Alevit, orientierte sich bei der Vorbereitung stark an einem realen Vorbild: „Mein bester Freund ist Jamal sehr ähnlich.“ Die Beschäftigung mit der Rolle vom Lehrer Lauer habe ihn sehr stark mit seinem eigenen Verhalten konfrontiert, erinnert sich Michael Gerlinger. Er habe dadurch definitv erfahren, dass Toleranz Grenzen hat.
„Respekt“, ist eine Frau aus dem Publikum überzeugt, „ist das Wichtigste. Und das versuche ich auch meinem Sohn mitzugeben.“ Rolf Kemnitzer findet, dass es kein besseres Schlusswort für diesen ungewöhnlichen Theaterabend geben könne.
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