Aus der Zelle, in die Zelle

winterquartier bücherboxx luftbrücke_herrfurthplatz neuköllnTelefonzellen sind weitgehend aus dem Stadt- bild verschwunden. Seit fast jeder ein Telefon in der Tasche hat, werden sie nicht mehr ge- braucht. Auch die Telefonzelle, die jahrzehnte- lang auf dem Neuköllner Herrfurthplatz stand, wurde irgendwann abgebaut. Aber seit gestern steht nun wieder eine dort, nur wenige Schritte vom Standort ihrer Vorgängerin entfernt. Tele- fonieren kann man in ihr selbstverständlich auch bücherboxx luftbrücke_herrfurthplatz neukölln– so ein eigenes Telefon parat ist. Ihr eigentlicher Zweck ist allerdings ein anderer: Dank der Initiative des Instituts für Nachhaltigkeit in Bildung, Ar- beit und Kultur (INBAK), von der Berliner Stadtreinigung (BSR) und Schülern von Oberstufenzentren in Berlin wurde aus der Telefonzelle eine Kiez-Bibliothek namens BücherboXX Luftbrücke. „Die Schülerfirma der Marcel-Breuer-Schule in Weißensee hat im Rahmen eines Graffiti-Workshops die künstlerische Gestaltung übernommen, das OSZ TIEM aus Spandau hat die Solar- anlage eingerichtet und Azubis der BSR haben den kompletten Weiterlesen

Mahnendes Eingreifen, wo Menschenrechte verletzt sind

genezareth-kirche_neuköllnWenn alle anderen Möglichkeiten ausge-schöpft sind, ist er da: Vor über 30 Jahren nahm der ökumenische Verein Asyl in der Kirche, zunächst als Initiative, seine Arbeit auf und richtete das bundesweit erste Kirchenasyl in der Berliner Heilig-Kreuz-Kirche ein. Seitdem ist er für Menschen, die ihre Heimatländer verließen, als Flücht- linge nach Deutschland kamen, das Asyl- bewerber-Verfahren durchliefen, nicht aner- kannt wurden und nun abgeschoben wer- den sollen, die letzte Hoffnung. Ein Licht- blick in der dunklen Gegenwart, die eine noch finsterere Zukunft befürchten lässt.

Derzeit nehmen acht Gemeinden in Berlin Menschen ins Kirchenasyl auf. „Aktuell betreuen wir 14 Personen, darunter zwei Familien“, berichtete Peter Becker vom Vorstand des Asyl in der Kirche e. V. Berlin letzten Sonntag in der Weiterlesen

„Das werden auch Sie nicht verhindern können!“

ich schmeiß alles hin und werd prinzessin-shirtEin Abend zum Mitreden über das Thema „Aufwer- tung für alle – geht das?“ sollte es werden. Dazu hatte zumindest das Quartiersmanagement Schillerprome- nade vorgestern im Rahmen seiner Woche des Be- suchs in die Neuköllner Genezareth-Kirche eingeladen. Doch dann wurde schnell klar, dass das Mitreden fürs Gros der Besucher schwierig werden und ein Dialog zwischen Podium und Publikum ob der gegenläufigen Ambitionen einer Störer-Gruppe kaum zustandekom- men dürfte.

Bunter, jünger, im Großen und Ganzen besser und multikultureller sei der Schillerkiez seit der Öffnung des Tempelhofer Felds geworden. Es gebe mehr Läden, Gastronomie, Weiterlesen

Warme Getränke und warme Herzen: Tee- und Wärmestube Neukölln feiert ihr 30-jähriges Bestehen

kirchenfest genezareth-kirche neuköllnWährend draußen schon auf das Kirchenfest am kommenden Sonntag hingewiesen wurde, fei- erte man in der Genezareth-Kirche vorgestern Nachmittag erstmal einen runden Geburtstag: geburtstagskuchen_30 jahre tuw neuköllndas 30-jährige Be- stehen der Tee- und Wärmestube Neu- kölln.

Es war die Pfarrerin Annemarie Werner, die das Hilfs- projekt samt Kleiderkammer für Weiterlesen

Neues Spiel, endlich Glück?

cafe selig_neuköllnNomen est omen – im Falle des Café Selig gilt diese Redensart wahrlich nicht. 2004 wurde es in einem Seitentrakt der Neuköllner Genezareth-Kirche eröffnet, und morgen räumt mit der Ölbaum GmbH der inzwi- schen dritte Pächter das Feld. Während der zweijäh- rigen Vertragslaufzeit stellte sich weder bei Geschäfts- führerin Hansi-Mariann Bettgens ein tiefes Glücksge- fühl ein, noch empfand die Gemeinde als Vermieterin das Miteinander als seligmachend.

„Leider gab es auf Hansis Seite ein  paar Sachen, die nicht so gelaufen sind und nun in der Insolvenz en- den“, räumt Waldemar Schwienbacher Weiterlesen

Alles für die Toleranz: Diskussionen, Speed Dating und rote Nasen in einer Neuköllner Kirche

salsabil_derwisch-tanz_lange nacht der toleranz_izg neukölln„Wie macht der das?“ Viele Fragen wurden an diesem Abend im Zeichen der Toleranz gestellt und beantwortet. Die, wie Cihangir Böge, der Derwisch-Tänzer des Ensembles Salsabil, es schafft, sich minutenlang mit wehendem Rock und wechselnden Posen um die derwisch_salsabil_lange nacht der toleranz_izg neuköllneigene Achse zu drehen, ohne dabei oder hinterher ins Taumeln zu kommen, blieb offen. Er könne sich das auch nicht erklären, obwohl das Der- wischdrehen ja eine Tra- dition in dem Kulturkreis sei, aus dem er stamme, musste Moderator Kemal Hür der ebenfalls staunenden und ratlosen Pfarrerin Elisabeth Kruse gestehen. Bevor es für das Publikum in vier Gruppen mit gemächlicherem Kreisen beim Entdecken neuer Wege der Kommu-nikation weiterging.

Kugellager wird das spielerische Experiment vom Treffpunkt Religion und Gesell- schaft genannt, weil es nach eben diesem Prinzip funktioniert. In einem Innen- und einem Außenkreis saßen sich Gläubige jeglicher Couleur und Atheisten, Junge und Ältere, Frauen und Männer gegenüber, um sich nach dem Erklingen eines Gongs durch Fragen und Antworten ersten Eindrücke vom bis dato unbekannten Vis-à-Vis get together_lange nacht der toleranz_izg neuköllnverschaffen zu können. „Es war so span- nend wie ein  Speed Dating“, sagte eine junge Frau hinterher begeistert. Es sei ein großartiges System, um in kürzester Zeit Kontakt zu vielen Menschen zu be- kommen und sehr aufschlussreich, wenn man nicht nur die richtigen Fragen stellt, sondern auch aufmerksam zuhören kann, fand ein Mann.  Dass Moderator Kemal Hür anschließend mehrmals darum bitten musste, die Gruppenräume zu verlassen und zur Podiumsdiskussion zu kommen, spricht für den Erfolg der Methode und das Kommunikationsbedürfnis.

v. l.: Nilgün Hascelik (TDZ Türkisch-Deutsches Zentrum), Pfarrer Dr. Eckhard Zemmrich, Kemal Hür, Falko Liecke (CDU Neukölln), Pinar Cetin (DITIB)

v. l.: Nilgün Hascelik (TDZ Türkisch-Deutsches Zentrum), Pfarrer Dr. Eckhard Zemmrich, Kemal Hür, Falko Liecke (CDU Neukölln), Pinar Cetin (DITIB)

Die Gesprächsrunde auf dem Podium sollte nun wieder den Fokus auf das Kernthema Toleranz lenken und es aus verschiedenen religiösen und gesellschaftlichen Per- spektiven beleuchten. Schon bei Falko Lieckes Statement wurde dabei deutlich, welcher Graben zwischen Theorie und Praxis liegt bzw. wie unter-schiedlich dieser wahrgenommen und überwunden wird. Er halte es mit dem Alten Fritz und dessen Grundsatz, dass jeder nach seiner Fasson selig werden solle, meinte der Neuköllner Jugend- und Gesundheitsstadtrat. Wichtig sei eben zu beachten, dass die eigene Freiheit dort aufhört, wo die des anderen beginnt. Diese Grenze müsse in einer funktionierenden Gesellschaft anerkannt und ihr Übertreten sanktioniert werden. Er leite Toleranz von seinem Gottesverständnis ab, erklärte Pfarrer Dr. Eckhard Zemmrich: „Ich muss mich damit abfinden, dass Muslime Jesus anders sehen. Entscheidend ist dabei, dass wir einander zeigen, dass wir miteinander zu tun haben wollen.“ Als einen wahren GAU bezeichnete der theo- logische Grundsatzreferent es, „die eigene Religion mit den schlechten Beispielen der anderen Religion zu vergleichen.“ genezareth-kirche_neuköllnToleranz sei für ihn ein aktives Dulden, das bestenfalls auf Gegenseitigkeit beruht, oft aber nur einseitig ist.

„Bei der politschen Definition von Toleranz gibt es also Sanktionen, bei der theolo-gischen aber nicht“, stellte Kemal Hür fest.

Pinar Cetin verwies in ihrem Statement zunächst auf die Übersetzungen des Wor- tes Toleranz in die arabische und türkische Sprache. Im Arabischen sei vom Tragen einer Last, vom Aushalten und Annehmen die Rede, im Türkischen davon, mit positiven Gedanken auf etwas zu blicken. „Vielleicht“, vermutete sie, „ist die sprachliche Herkunft für das entscheidend, was wir unter Toleranz verstehen.“ Praktisch machte die stellvertretende Vorsitzende der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) e. V.  ihre begriffliche Definition an einem aktuellen Bei- spiel fest: Vor einigen Wochen hatten Aktivistinnen der Femen-Bewegung mit freien Oberkörpern vor einer Moschee gegen das Kopftuch von Musliminnen protestiert. Da sei für sie die Grenze des Tolerierbaren erreicht, sagte Pinar Cetin und empfahl, „dass die Femen-Frauen lernen sollten, dass Freiheit nicht immer das ist, was sie sich vorstellen.“ Für Nilgün Hascelik, die als Letzte an der Reihe war, blieb nicht mehr viel mehr übrig als eine Kritik an der Lesart des Wortes Toleranz. Es sei sehr negativ behaftet, weil es Passivität projiziert. „Besser gefällt es mir, wenn jemand liecke+cetin+eva-maria rastlos_lange nacht der toleranz_izg neuköllnoder etwas akzeptiert oder respektiert wird“, hielt sie fest.

Um all das, in gescheiterter Form oder Vollendung praktiziert, ging es auch beim humoristisch auf- bereiteten Punkt, den Eva-Maria Rastlos zwischen Diskussion und Büffet setzte. Die Komödiantin, die bürgerlich Dorothee Schaper heißt und Pfarrerin an der Melanchthon Akademie ist, sezierte in kölscher Mundart rastlos+zehden+kruse+cetin_lange nacht der toleranz_izg neuköllndie Vielzahl an kommunikativen und kulturellen Fallstricken, die zwischen Neukölln und Köln, zwischen Gläubigen der Weltreligionen und auf dem Weg zu Toleranz, Akzeptanz und Respekt lauern. Mit ihrem Rezept, miteinander zu streiten und zu lachen, kommt man schon einen Schritt weiter. Wie es um das fürs alltägliche Mitein- ander ebenfalls vorteilhafte Talent bestellt ist, über sich selber lachen zu können, testete sie sogleich mit karnevalesken Accessoires an den völlig überrumpelten Vertretern dreier Religionen: Ender Cetin von der Sehitlik-Moschee, Elisabeth Kruse von der Genezareth-Gemeinde und Maya Zehden vom Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus schlugen sich achtbar.

Wer sein Talent beim Derwisch-Drehen testen will, kann das jeden Sonntag ab 15 Uhr und mittwochs ab 18.30 Uhr im Sufi-Zentrum Berlin tun.

=ensa= 

„Sprich mit mir!“: Keine lange Nacht, aber ein unterhaltsamer Abend im Zeichen der Toleranz in Neukölln

Weshalb sind nur manche Dinge so schwierig? Die Sache mit der Toleranz zum Beispiel. Schon an diesem Auftakt des zwischenmenschlichen Triathlons, BMFSFJ_FuerDemokratie_Visual_Bild_ohneBreg_RGB_RZder sich über Akzeptanz zur Königsdisziplin Respekt steigert, scheitern viele. Am vergangenen Dienstag konnte bei der Aktion Tag und Nacht für Toleranz und ihren über 800 bun- desweiten Events Toleranz geübt werden. 15 Trainingscamps gab es in Berlin, eines davon, von Kemal Hür moderiert, in Neukölln – und das wurde bestens besucht.

Unter dem Motto „Sprich mit mir! zusammenkommen, auseinandersetzen, gemeinsam weitergehen“ hatte der DITIB Landesverband Berlin zusammen mit dem orhan senel_lange nacht der toleranz_izg neuköllnTreffpunkt Religion und Gesellschaft e. V. (TRG) ins Interkulturelle Zentrum Genezareth (IZG) zu einem doppeldeutig unterhaltsamen Abend eingeladen. Denn nach der Ouvertüre durch den Kanun-Spieler Orhan Şenel standen nicht nur Unterhaltung, sondern auch Unter-haltungen auf dem Programm. „Wie gestaltet sich in Berlin das Zusammenleben von Muslimen und Nichtmuslimen?“, das war die Frage, die im Zentrum der Veranstaltung stand.

elisabeth kruse_lange nacht der toleranz_izg neuköllnDer von Institutio- nen verschiedener Glaubensrichtungen gegründete TRG fasst sie noch ein Stück weiter. Er habe das Ziel, Begegnungen und Gespräche zwischen Menschen aller Religionen wie auch Nicht-Religiösen zu initiieren, erklärte Vorstandsmitglied Elisabeth Kruse. Toleranz wer- de hier im Sinne von Anerkennung der Gleichberech- tigung verstanden, so die Pfarrerin der Genezaender cetin_lange nacht der toleranz_izg neuköllnreth-Gemeinde: „Ein solcher de- mokratischer Prozess funk- tioniert nur übers Reden.“

Dieses Reden sei eine tägliche Herausforderung in der Sehitlik-Moschee, sagte deren Vorstandsvorsitzender Ender Cetin. Häufig würden die Moscheeführer „mit sehr harten Fragen“ zu allerlei Vorurteilen konfrontiert und müssten – um Geduld bemüht – Aufklärungsarbeit dahin- gehend betreiben, dass der Islam z. B. nicht gewalttätig ist, sondern der Koran zu Toleranz und Miteinander aufrufe. maya zehden_lange nacht der toleranz_izg neukölln„Brückenbauer wie der TRG“, meinte Cetin, „kön- nen einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Verstän- digung leisten.“

Das erhofft sich auch Maya Zehden vom Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA), das ebenfalls Gründungsmitglied des Treffpunkt Religion und Gesellschaft e. V. ist. Religion, sagte sie, müsse als positive Kraft wahrgenommen werden und Fremdes den Status des Gleichberechtigten bekommen. ehrhart körting_lange nacht der toleranz_izg neuköllnDas vom TRG geplante lokal verwurzelte, aber berlinweit aktive interreligiöse Zent- rum mit überregionaler Strahlkraft auf der Tempelhofer Freiheit könne ein Ort werden, wo die Toleranz zwischen Mehrheiten und Minderheiten gelebt wird.

Nicht in der Rolle des Senators a. D., sondern als institutionell unabhängiges TRG-Gründungsmitglied trat schließlich Ehrhart Körting hinter das Pult. „Religiöse Strömungen“, bemerkte er, „stellen doch in Berlin Min- derheiten dar.“ Wichtig sei, dass (Glaubens-)Wahr- heiten, die andere für sich finden, gleichberechtigt sind und die Diskussionen darüber auf Augenhöhe geführt werden.  Dass überhaupt salsabil_lange nacht der toleranz_izg neuköllnmiteinander geredet wird, dafür wolle er werben.

Nach dem Auftritt der Gruppe Salsabil könne das Miteinanderreden ausgie- big praktiziert werden, kündigte Kemal Hür den reichlich in die Genezareth-Kirche geströmten Besuchern an. „Danach“, versprach er, „erwartet Sie eine nicht sehr klassische Podiums-diskussion, bei der über die Bedeutung von Toleranz aus verschiedenen religiösen und gesellschaftlichen Perspektiven gesprochen wird.“ Und abschließend gebe es dann noch eine interreligiöse Comedy-Show mit der Pfarrerin Dorothee Schaper in ihrer Rolle als Eva-Maria Rastlos. (Fortsetzung: übermorgen)

=ensa=

Einfach mal die Klappe halten

3_tempelhofer feld_berlinEtwa 17.000 Wörter liegen statistisch gesehen zwischen dem Aufwachen und dem Einschlafen. Dass Frauen, wie früher vermutet, wesentlich mehr reden als Männer, hat sich längst als falsch heraus- gestellt. Erwiesen ist aber, zumindest nach den Erfahrungen von Elisabeth Kruse, dass Frauen das größere Bedürfnis haben, sich organisierte Aus- zeiten von der verbalen Kommunikation zu gön- nen. „Es sind überwiegend Frauen, die an unseren Leerläufen auf dem Tempelhofer Feld teilnehmen“, sagt die Vorsitzende (M.) des Vereins Treffpunkt Religion und Gesellschaft, 1_leerlauf_tempelhofer feld berlinder eben diese Leer- läufe initiiert hat und einmal monatlich durchführt.

Es ist kalt und fast windstill auf Ber- lins größter Freifläche. Die Sonne hat sich bereits unspektakulär in den Fei- erabend verabschiedet. Ganz anders als beim letzten Leerlauf, der in glü- hendem Abendrot – und bei Schauern und Sturm – stattfand. Die Erfahrung hinsichtlich der Frauenquote wird be- stätigt: Diesmal liegt sie sogar bei 100 Prozent, denn Männer kommen gar nicht zum Treffpunkt am Haupteingang Columbiadamm, von wo aus es zu einem der beiden ältesten Bäume auf dem Tempelhofer Feld geht. Noch nicht schweigend. „Die Platane“, sagt Elisabeth Kruse, „haben wir als Start für die Leerläufe ausgewählt, weil es hier auch im Sommer nicht so trubelig ist.“ Dass sie drei Stämme hat und damit perfekt zur Dreifaltigkeit in der christliche Theologie passt, sei ihr erst später 2_leerlauf_tempelhofer feld berlinaufgefallen.

Mit einem kurzen religiösen Gedicht als Textimpuls beginnt der Leerlauf – und das Schweigen. Diesmal würden 20 Mi- nuten reichen, schon wegen der Kälte, ha- ben die beiden Teilnehmerinnen entschie- den. Sonst ist es eine halbe Stunde, in der man stumm über den vorgetragenen Text, über etwas völlig ande2_tempelhofer feld_berlinres oder auch über nichts nachdenken und sich dem hin- geben kann, was passiert. Welchen Weg man dabei einschlägt und ob man ihn allein oder in stiller Gesellschaft zurücklegt, ist jedem selber überlassen.

Der Schnee und gefrorenes Laub, das auf dem Rasen liegt, knirrschen unter den Stiefeln. Das Rauschen der Stadtautobahn wabert über das Feld, irgendwo bellt ein Hund, Zweige knacken, es raschelt im Gebüsch,  in einem Baum krakeelen zwei Vögel. Es klingt 1_tempelhofer feld_berlinnach Streit. Das Handy in der Manteltasche vi- briert – bis der Anrufer aufgibt. Schweigen und telefonieren sind unvereinbar. Die Situation, ziel- los und alleine durch die Dämmerung zu stap- fen, ist gewöhnungsbedürftig. „Einmal ausstei- gen aus dem Zwang zur Produktivität. Einmal nichts schaffen, nicht effektiv und ergebnis- orientiert sein müssen“, nennt das der Leerlauf-Veranstalter auf seiner Webseite. An nichts den- ken, geht nicht. Nachher ein heißer Kakao. „… und spüren, dass man lebt.“ 3_leerlauf_tempelhofer feld berlinWollsocken in den Stiefeln wären sinnvoll gewe- sen. Ein Hundehalter ruft weit entfernt nach Bruno, und die 20 Minuten sind leider schon um. Zurück zur dreistämmigen Platane.

„Wer will, kann erzählen, was er unterwegs erlebt hat“, bietet Elisabeth Kruse an. Sie habe sich öfter an den Vorsatz erinnern müssen, nicht an Projekte oder die Verwendbarkeit von Gedanken in einer Predigt denken zu wollen, gesteht sie. Für die Pfarrerin der Neuköllner Genezareth-Gemeinde wird die Adventszeit von Stress und Unbesinnlichem beherrscht: „Aber hier auf dem Tempelhofer Feld wird mir immer wieder sehr bewusst, dass Leere eine Oase und Stille ein Überlebensmittel ist.“ Mit einem Segenswunsch beendet Elisabeth Kruse den Leer- lauf: Auch die Bitte, dass die zuständigen Instanzen kluge Entscheidungen für die Zukunft des Tempelhofer Feldes treffen mögen, kommt in dem vor.

Der nächste Leerlauf startet am 7. Januar um 16 Uhr am Haupteingang Columbiadamm.

=ensa=

An einem Tisch

tag der offenen moschee 2012, sehitlik-moschee neukölln„Wo ist bitte um 14 Uhr die Podiumsdiskussion?“, fragt die alte Dame und spricht dabei seeehr langsam und deutlich. Die junge Muslima, die neben der Tür zum Gebetssaal im tag der offenen moschee 2012, sehitlik-moschee neuköllnErdgeschoss der  Şehitlik-Moschee steht und zum Service-Team der Moschee gehört, hört ihr lächelnd zu. „Die ist oben in der 1. Etage. Gehen Sie einfach links oder rechts die Treppe hoch! Wenn es Sie interessiert, können Sie auch nach der Diskussion an einer Führung durch die Moschee teilnehmen. Die beginnt um 15 Uhr“, erklärt sie in tadellosem, akzentfreiem Deutsch. Irritation dominiert das Mienenspiel und die Stimme der Besucherin, als sie „Danke für die Auskunft“ stammelt und den Weg zur rechten Treppe einschlägt. Diese Art  der

tag der offenen moschee 2012, sehitlik-moschee neuköllntag der offenen moschee 2012, sehitlik-moschee neuköllntag der offenen moschee 2012, sehitlik-moschee neukölln

Ansprache sei gerade beim Tag der offenen Moschee keine Seltenheit, sagt die Frau mit dem Kopftuch verständnisvoll. Da merke man sehr deutlich, wie viele Leute in ihrem Alltag nie mit Muslimen im Speziellen oder Menschen mit Migrationshinter- grund im Allgemeinen zu tun haben und in Klischees festhängen.

Die breite Tür zum prächtigen Hauptsaal mutiert zum Nadelöhr. „Schuhe aus!“ gilt für die, die hinein wollen. Wer barfuß oder auf Socken heraus kommt, findet kaum Platz, um wieder ins Schuhwerk zu schlüpfen.

Am Tisch im Gebetsraum haben Elisabeth Kruse, die Pfar- rerin der benachbarten Genezareth-Gemeinde, Levi Salomon vom Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemi- tismus und Ron Weber von der Şehitlik-Moschee neben der Moderatorin Platz genommen. Das Thema, das sie in der kommenden Stunde diskutieren wollen, ist brandaktuell und heißt „Schmähung, Meinungsfreiheit, Religion – wie gehen wir als tag der offenen moschee 2012, sehitlik-moschee neuköllnGesellschaft damit um?“.

tag der offenen moschee 2012, sehitlik-moschee neuköllnMit der an die Christin in der Runde gerichtete Frage, wann die Grenzen der Mei- nungsfreiheit erreicht sind, eröffnete die Moderatorin das Gespräch. „Ich begrei- fe“, erklärte Elisabeth Kru- se, „wie sehr das so ge- nannte Mohammed-Video eine Zumutung für die Muslime sein muss,“ Aber sollte es nicht doch möglich sein, frage sie sich, Kritik, die unsachgemäß und beleidigend ist, einfach zu ignorieren?“ Leider, so die Pfarrerin, sei jedoch genau das Gegenteil passiert: Viele Muslime hätten sich aufstacheln und zu Gewalt verleiten lassen. „Mit Gewalt auf Schmähungen zu reagieren, gehört absolut nicht zu unserer Religion“, entgegnete Ron Weber. Schon die  Aufrufe zu Gewalt seien grundsätz- lich falsch und ein Zeichen dafür, dass „nicht alle Muslime repräsentieren, was unsere Religion von uns möchte.“ tag der offenen moschee 2012, sehitlik-moschee neuköllnWas man jedoch bedenken müsse, ist der hohe Stellenwert, den die Propheten bei den Gläubigen haben. Daher würde man sich für sie einsetzen, wie man es bei- spielsweise auch bei Beleidigungen gegenüber Familienmitgliedern tun würde. „Die Schmähungen sind ein Angriff auf die Demokratie“, stellte Levi Salomon klipp und klar fest.

Mit der Frage, wie man auf politische Ebene mit dem Problem umgehen solle, ging es in die nächste Runde. „Es kann nicht Aufgabe unseres Staates sein, Religionsgemeinschaften vor Kritik zu schüt- zen“, fand Elisabeth Kruse. In einer freien Gesellschaft, fuhr sie fort und erntete damit Applaus, müssten alle Religionen lernen, etwas auszuhalten: „Auch das Aus- halten von Verletzungen gehört zur Demokratie.“  Dem wollte Levi Salomon nur bedingt folgen. Trotzdem müssten irgendwo Grenzen gezogen werden, da „demokratiefeindliche Phänomene gesellschaftsver- nichtend sind und die gesamte gesellschaftliche Ord- nung infrage stellen.“ Nur wo ist die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und Beleidigung, griff Ron Weber, der von Hause aus Jurist ist, Salomons Argumentation auf. Letzteres sei definitiv ein Straftatbestand, ersteres ein Grundrecht. Grenzüberschreitungen seien oft fließend und müssten folglich tag der offenen moschee 2012, sehitlik-moschee neukölln, elisabeth kruse, levi salomon, ron weberimmer im Ein- zelfall geklärt werden.

Große Einigkeit herrschte indes in einem Punkt: Solidarität und der Zu- sammenhalt der Religionen seien das A und O. „Nur gemeinsam sind wir stark“, konstatierte Levi Salomon (2. v. l.) „Wichtig ist“, so Elisabeth Kruse (r.), „dass wir uns besser kennen lernen und das Vertrauen zueinander wachsen lassen.“ Dann könne es auch möglich sein, sich gegenseitig mit Dingen zu konfrontieren, die für den anderen etwas sperrig sind. Anlässe wie der Tag der offenen Moschee und eine grundsätzliche Öffnung in die Gesellschaft, wie sie von der Şehitlik-Moschee praktiziert werde, seien für das Verständnis unverzichtbar, betonte Ron Weber (l.): „Dass es hier so voll ist, beweist doch, dass sich die Gesellschaft für Muslime, den Islam und unsere Moschee interessiert.“ Und das erlebe man hier täglich bei den Führungen.

Auch die alte Dame hat sich entschieden, an einer teilzunehmen. „Obwohl ich nur ein paar Kilometer entfernt in Steglitz wohne“, erzählt sie, „kannte ich die Moschee bisher nur aus dem Fernsehen und der Zeitung.“ Aufgeschreckt durch die Vorfälle rund um den Film habe sie nun aber beschlossen, sich eingehender mit der Religion zu beschäftigen. Man könne ja auch mit 83 noch etwas dazulernen.

=ensa=

Premiere: Theater in der Sehitlik-Moschee

sehitlik-moschee neukölln„Passt ein Theaterstück über interreli- giöse Konflikte überhaupt in unsere Mo- schee? Das haben wir uns oft gefragt“, bekennt Ender Cetin. Der Vorstands- vorsitzende der Sehitlik-Moschee steht vor der kleinen Bühne im Keller der Moschee. Vom Prunk und der Farbenpracht des theaterstück "was du nicht siehst", sehitlik-moschee neuköllnGebetssaals ist hier nichts ange- kommen. Über eine schmale, steile Treppe geht es hinab in den schmucklosen Veranstaltungsraum, der fast bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Den Großteil des Publikums machen Menschen aus, denen der Islam näher ist als das Christentum. Aber auch viele, bei denen es eher umgekehrt ist, sind der Einladung gefolgt. „Es ist das erste Mal überhaupt, dass wir hier ein Theaterstück zeigen“, sagt Ender Cetin und bietet an, alle Interessierten nach der Aufführung und der anschließenden Podiumsdiskussion noch durch die Moschee zu führen.

theaterstück "was du nicht siehst", claudia mooz, korkmaz arslan, gamze alakus, sehitlik-moschee neuköllnIn sieben Berliner Schulen und einem Theater haben die vier Schauspieler mit Rolf Kemnitzers Stück  „Was du nicht siehst“  bereits gastiert. Der Auftritt unter den Minaretten einer Moschee ist auch für sie eine Premiere: Claudia Mooz spielt die Rolle der Odette, Michael Gerlinger  den Lehrer Lauer, der zugleich Odettes Vater ist, Korkmaz Arslan die des arabischen Jugendli- theaterstück "was du nicht siehst", korkmaz arslan, michael gerlinger, sehitlik-moschee neuköllnchen Jamal und  Gamze Alakus  gibt Gülay, eine Schülerin mit türkischen Wurzeln.

Es ist die Liebesgeschichte zwischen zwei Teenagern, die in „Was du nicht siehst“ erzählt wird, quasi eine adaptierte, mit aktuellen Kon- flikten angereicherte Version von Shakespeares theaterstück "was du nicht siehst", claudia mooz, korkmaz arslan, gamze alakus, michael gerlinger, sehitlik-moschee neukölln„Romeo und Julia“: Denn Odette ist christlich und Jamal muslimisch sozialisiert. Die religiösen und kulturellen Unterschiede sind folglich groß, und entsprechend klischeebelastet versuchen sie sich am Miteinander. Aber die Auseinanderset- zung mit Tradiertem und dem Charakter von Religionen beschränkt sich nicht auf sie, sondern fördert außerdem Probleme unter den Freundinnen sowie zwischen Lehrer und Schüler zutage. Auch die Vater-Tochter-Konflikte spitzen sich zu, nicht zuletzt dadurch, dass Odette beschließt, Muslima zu werden. Das gehe schneller als Tütensuppe, kündigt sie an.

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v. l.: Claudia Mooz, Gamze Alakus, Elisabeth Kruse, Rolf Kemnitzer, Ender Cetin, Korkmaz Arslan, Michael Gerlinger

Länger als bei den vorherigen Auf- führungen in Schulen dauert es, bis  das Publikum die Eindrücke des knapp einstündigen Stücks verarbeitet und Fragen oder State- ments formulieren will. „Jugend- liche reagieren wesentlich spon- taner“, stellt Regisseur Rolf Kem- nitzer fest und wendet sich zu- nächst an Ender Cetin. Der gibt zu, dass er vorher durchaus Bedenken wegen dramaturgischer Zuspitzungen und Übertreibungen gehabt habe. Aber das  sei alles in Ordnung gewesen – und „sogar die Knutsch-Szene war islamisch akzeptabel“, findet Cetin. Über die, erwidert Kemnitzer spürbar erleichtert, habe er vorher auch mit den Schauspielern diskutiert. Man sei schließlich überein gekommen, sie im Stück zu lassen. Anders als sonst sei Odette allerdings nicht im bauchfreien Bühnen-Outfit aufgetreten. „Ich hab zwar mehr Interesse an Differenz als an Toleranz und suche Reibung und Kommunikation“, stellt der Regisseur und Autor klar, „aber ich akzeptiere auch die Umgebung einer Moschee und damit verbundene Kompro- misse. Wir wollten hier ja unbedingt spielen.“

Im Grunde, sagt Ender Cetin, werde der Inhalt des Stücks in der Sehitlik-Gemeinde gelebt: „Es gibt bei uns diverse interreligiöse Beziehungen.“ Das widerspreche dem Koran nicht, der schließlich kein Ge- und Verbotskatalog sei. „Genauso wenig wie die Bibel“, ergänzt er. Sie wisse leider nur wenig über bireligiöse Beziehung, muss Elisabeth Kruse zugeben. Die Pfarrerin der benachbarten Geneza- reth-Gemeinde, die ihren Platz im Zuschauerraum gegen einen auf der Bühne getauscht hat, ist tief beein- druckt von der vorherigen Stunde: „Das Stück hat mich sehr ergriffen, aber wegen der Darstellung der Klischees auch traurig  gemacht.“ Religionen würden leider oft als Vorwand genutzt, um Mauern zwischen Menschen zu bauen, bestätigt Ender Cetin. Mit der  enge Kooperation zwischen seiner und der protestantischen Gemeinde im Schillerkiez versuche man, dagegen an zu gehen. „Das Problem ist leider“, findet Elisabeth Kruse, „dass der interreligiöse Dialog, der durchaus stattfindet, nicht so viele Schlagzeilen macht wie die interreligiösen Konflikte.“

Jetzt haben auch viele Zuschauer aus dem Publikum ihre Zurückhaltung aufgegeben, erzählen von eigenen Erfahrung mit ihrem Glauben und von bestens funktionierenden bireligiösen Beziehungen. Ein Mann möchte von den Schauspielern wissen, wie die sich auf ihre Rollen vorbereitet und was diese in ihnen bewegt haben. „Die Beschäftigung mit der Rolle der Gülay hat auch im Privaten etwas geändert“, berichtet Gamze Alakus. Sie habe sogar mal ausprobiert, wie es ist, in der Öffentlichkeit ein Kopftuch zu tragen. Korkmaz Arslan, selber Alevit, orientierte sich bei der Vorbereitung stark an einem realen Vorbild: „Mein bester Freund ist Jamal sehr ähnlich.“ Die Beschäftigung mit der Rolle vom Lehrer Lauer habe ihn sehr stark mit seinem eigenen Verhalten konfrontiert, erinnert sich Michael Gerlinger. Er habe dadurch definitv erfahren, dass Toleranz Grenzen hat.

„Respekt“, ist eine Frau aus dem Publikum überzeugt, „ist das Wichtigste. Und das versuche ich auch meinem Sohn mitzugeben.“ Rolf Kemnitzer findet, dass es kein besseres Schlusswort für diesen ungewöhnlichen Theaterabend geben könne.

=ensa=

Vom Pflegefall zum Aushängeschild

Wer heute die Genezareth-Kirche sieht, die seit 1905 Zentrum des Neuköllner Schillerkiezes ist, braucht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie es noch vor einigen Jahren um sie bestellt war: Der Innenraum war stark renovierungsbedürftig, das Dach undicht und Gottesdienste fan- den lediglich im Sommer statt, weil der Gemeinde das Geld zum Betreiben der Heizungsanla- ge fehlte. An den seinerzeit desola- ten Zustand des Bauwerks, das schon den einst 62 Meter hohen Glockenturm wegen des benachbarten Flughafens Tempelhof opfern musste, erinnern nur noch Erzählungen von Zeitzeugen.

Heute steht die Genezareth-Kirche proper da. Ihr Backsteingebäude wurde durch Anbauten für ein Café und das Gemeindebüro erweitert, das Innere wirkt dank Architekt Gerhard Schlotter freundlich und vereint Modernes mit Sakralem. Dass dieses möglich wurde, bedeutet jedoch nicht, dass die Gemeinde den Quantensprung von arm zu reich geschafft hat. Hinter der Umkehr vom Verfall zum Erhalt steckt in erster Linie eine kluge Überlegung: Die, sich in den Kiez und für die verschiedenen dort vorherrschenden Glaubensrichtungen zu öffnen und  ein interkulturelles Zentrum in die Kirche zu implantieren. So war der Weg frei für die Akquise öffentlicher Gelder zum Um- und Ausbau des Gotteshauses, die vor allem aus den Töpfen des Quartiersmanagements/Soziale Stadt, dem Umweltent- lastungsprogramm und der Deutschen Fernsehlotterie flossen.

Dieser Tage wurde das fünfjährige Bestehen des Interkulturellen Zentrums Gene- zareth gefeiert, das sich – obwohl im ständigen Werden begriffen, wie Pfarrerin heinz buschkowsky, elisabeth kruse, 5 jahre interkulturelles zentrum genezareth, neuköllnElisabeth Kruse betonte – längst als Ort der Be- gegnung im Kiez etabliert hat. Durch das IZG sei erreicht worden, dass Kirche neu wahrgenommen werde und eine Genussinsel zum Regenerieren schaffe. Dem stimmte auch Neuköllns Bezirksbür- germeister Heinz Buschkowsky gerne zu.

Er sei anfangs skeptisch gewesen, ob es den Verantwortlichen der Genezareth-Gemeinde gelingen würde, ihre Ideen und Visionen zur Realität werden zu lassen. Eine „unglaublich mutige Tat“ sei es gewesen, den Ort wiederbeleben und ihm eine erweiterte Ausrichtung geben zu wollen, die alle Menschen anspricht. Inzwischen sind Buschkowskys Zweifel gewichen. Das IZG habe den Kiez verändert. Konzerte, Theateraufführungen, tanzende junge Leute, die schon einen „recht routinierten Kontakt zur Justiz“ haben, Diskussionen, die Trauerfeier für die Jugendrichterin tanz rund um den globus, 5 jahre interkulturelles zentrum genezareth, neuköllnKirsten Heisig: „Man trifft sich hier, wenn es um etwas Besonderes geht. Das sind die Früchte der Arbeit von Pfarrerin“, so Buschkowsky. Es gebe keine zweite Kirche in Neukölln, durch deren Tür er so oft gehe.

Zu einer kleinen Tanzeinlage mit der Gruppe „Tanz um den Globus“, die auf Initiative der Gemeinde als Beitrag zum Interkulturellen Zentrum entstand, ließ sich Neuköllns Bezirksbürgermeister aber vor vollbesetzten Kirchenbänken nicht hinreißen. Dabei bargen die auf den Tanz sowie die Arbeit des IZG gemünzten Worte von Elisabeth Kruse auch für Buschkowsky einiges an Identifikationspotenzial: „Wir drehen uns im Kreis und kommen trotzdem voran.“

=ensa=

„Nachbarinneuköllnaward“: ein Pokal für beispielhafte nachbarschaftliche Leistungen in Neukölln

Ein Award hätte es nicht unbedingt sein müssen. Eine Auszeichnung oder Ehrung hätte es für Beate Hauke auch getan, denn sie findet es furchtbar, dass immer mehr englische Wörter im deutschen Sprachgebrauch zur Selbstverständlichkeit geworden sind. Trotzdem – gestern bekam sie einen Award: den Nachbarinneuköllnaward.

Alle zwei Jahre wird auf Initiative der Genezareth-Gemeinde jemand aus dem Schiller- oder Rollbergkiez für sein Engagement im Viertel und ein vorbildliches nachbar- schaftliches Verhalten mit dem Preis ausgezeichnet. „Dahinter“, sagt Elisabeth Kruse, die Pfarrerin der Gemeinde, „steckt die Idee, ganz gezielt positive Beispiele hervorzuheben.“  Dass Vorbilder zum Anfassen besonders in Problemkiezen wichtig nachbarinneuköllnaward,beate hauke,neuköllnsein können, sagt sie nicht, doch es würde das Ansinnen abrunden.

Beate Hauke (r.) kennt ihren Kiez rund um die Schillerpromenade seit dem Kindesalter. Und viele, die im Kiez wohnen oder arbeiten, kennen sie. „Bekannt wie ein bunter Hund“ sei sie, sagen die einen. Andere können aus dem Stand diverse Dinge auf- zählen, die Beate Hauke zusammen mit dem Pro Schillerkiez e. V., dessen Vorsitzende sie ist, für ihren Kiez getan hat und noch tut. Dr. Franziska Giffey (l.), Neuköllns Stadträtin für Bildung, Schule, Kultur, Sport und – neuerdings auch! – Europa-Angelegenheiten, die der Umtriebigen gestern beim Nachbarschaftsfest von der Genezareth-Gemeinde und der Stadt und Land Wohnbauten GmbH den Preis überreichte, musste zunächst zugeben, dass sie Beate Hauke bis dato nur namentlich kannte. Früher, sagte sie, habe sie immer E-Mails von ihr bekommen, die einen Überblick über etliche Veranstaltungen in Neukölln gaben: „Jetzt veröffentlicht sie die in ihrem Blog, der täglich beweist, dass Neukölln rockt.“

Doch den „Nachbarinneuköllnaward“ bekam sie, wie aus der Jury zu hören war, in erster Linie für etwas anderes:  für die  Hartnäckigkeit und ihre Bemühungen, dem Schillerkiez wieder zu einem Wochenmarkt zu verhelfen.  Gegen alle Zweifel, ob das klappen würde, entwickelte sie zusammen mit einigen Unterstützern das Projekt Schillermarkt. Im Mai letzten Jahres fand er erstmals auf dem Herrfurthplatz statt, seitdem gibt es ihn wöchentlich, Samstag für Samstag. „Er ist zwar immer noch nicht über die Stadtgrenzen Berlins hinaus bekannt“, sagt Elisabeth Kruse, die zur Jury gehörte, „aber es gibt ihn noch und er ist im Laufe der Zeit immer wichtiger für den Kiez geworden.“ Als Einkaufsort ebenso wie als Treffpunkt für die Anwohner.

Der Aufbau des Schillermarktes sei zweifellos ihr größtes Projekt gewesen, doch kleinere Sachen wie zum Beispiel die vier Kiez-Reinigungsaktionen, die sie 2005 und 2006 organisiert habe, waren für sie genauso wichtig, relativiert Beate Hauke. Den Preis – ein von der Rixdorfer Schmiede gespendeter Pokal, der von dem Auszubildenden Benjamin Hanf entworfen und geschmiedet wurde – sieht sie als „Dankeschön und Anerkennung für die viele ehrenamtliche Arbeit“ , die sie schon in den Kiez gesteckt hat. Er wird einen Platz in ihrem Wohnzimmer bekommen.

„Bisher“, sagt sie schmunzelnd und stolz, „hab ich bestenfalls mal Urkunden für sportliche Leistungen in der Schule bekommen. Das Sammeln von Pokalen war mehr das Hobby meines Sohnes, der Radrennen gefahren ist.“ Beim Einsatz für das nachbarschaftliche Miteinander hat sie die Nase vorn.

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