Weit hinter dem Original zurück

„Ihr Name ist Judith Kepler. Sie arbeitet bei einer Gebäudereinigungsfirma mit Namen Dombrowski Facility Management in Berlin-Neukölln.“ Schon in Elisabeth Herrmanns Krimi  „Zeugin der Toten“ spielt Neukölln nur eine unbedeutende Neben- rolle. Im gleichnamigen Film, der nach Herrmanns Romanvorlage entstand und gestern im ZDF gesendet  wurde, ist  Dombrowskis Firma irgendwo in Berlin und der

elisabeth herrmann_zeugin der toten

Plot auf eine Aneinanderreihung von Irgendwies zurechtgestutzt. Während die spannende Story um die Tatortreinigerin Judith Kepler, die bei einem ihrer Einsätze auf beängstigende Puzzleteile der eigenen Vita stößt, im Roman durch literarische Stilmittel noch funktioniert und den Leser mitnimmt, lässt der Film den Zuschauer streckenweise fragend und mit dem Eindruck des arg Konstruierten zurück. Das betrifft jedoch nicht nur die Handlung, die tief ins Netz von Stasi und BND und zu den Rosenholz-Dateien führt, sondern auch die Besetzung: Ob sich, wer vorher Elisabeth Herrmanns Buch las, dessen Protagonistin Judith Kepler wie Anna Loos vorgestellt hatte, ist eine rein subjektive Angelegenheit. Objektiv aber passte die Schauspielerin weder in die Rolle einer, die vor 25 Jahren eine Achtjährige war, noch zu anderen Hauptdarstellern, die vor einem Vierteljahrhundert die Stufe vom Kind zum Er- wachsenen längst übersprungen hatten. Fazit: Lieber  lesen  als gucken!

=ensa=

„Weihnachten ist warme Füße!“

8_obdachlosenfest 2012_estrel neuköllnJa, sie würde es wieder tun, sagt sie und unterstreicht das Ja verbal und hängt ihm einige Ausrufezeichen an. Elisabeth Herr- manns Antwort ist eindeutig. Die erfolg-reiche Krimiautorin war erstmals Helferin beim jährlichen Obdachlosenfest von Frank Zander im Neuköllner Estrel Hotel. Gefühl- te 30 Kilometer sei sie gelaufen, während sie unter anderem Bier verteilte und Tisch-decken zuschnitt. Die unfassbare Hilfs- bereitschaft aller hat sie fasziniert, und der Satz einer Frau, die mit Schuhen aus der Kleiderkammer beschenkt wurde, hat sich tief in Elisabeth Herrmanns Herz 4_obdachlosenfest 2012_estrel neuköllnge- graben: „Weihnachten ist warme Füße!“ Mit wie wenig man Menschen doch strahlen lassen kann.

Wobei wenig auch bei Frank Zanders 18. Weih- nachtsessen für Obdachlose definitiv nicht die Devise ist. Die Tische für die knapp 3.000 Gäste 11_obdachlosenfest 2012_estrel neuköllnsind nicht nur sehr schön gedeckt, son- dern zudem voll mit Getränken und diversen Weihnachtsleckereien.

Noch im letzten Jahr hatte Elisabeth Herrmann als rbb-Mitarbeiterin vom Fest berichtet, in diesem Jahr wollte sie selber mit anpacken: Als sie dann auf Frank Zanders Facebook-Seite das frank zander_obdachlosenfest 2012_estrel neuköllnHelfergesuch las, schrieb sie direkt eine Mail, bot ihre Unterstützung an, bekam eine Zusage – und nun ist sie heiser, total platt, aber glücklich.

Seit 8 Uhr sind die etwa 100 freiwilligen Helferinnen und Helfer in den roten und gelben Shirts im Estrel im Einsatz. Bis gegen 21 Uhr werden sie wohl bleiben. Das ist etwas länger als sonst, weil es zum ersten Mal auch Gänsebraten für die Helfer gibt, nach den Feierlichkeiten für die Wohnungslosen und Bedürftigen.

„Dass hier auch Alkohol ausgeschenkt wird, finde ich nicht gut, muss ich sagen“, erzählt mir eine freundliche Helferin im gelben Shirt. Aber ansonsten wäre es eine wirklich gute Sache hier. Sie ist Rentnerin und arbeitet ehrenamtlich bei der Bahn- hofsmission und bei Laib und Seele. Viele ihrer Kunden treffe sie hier, sagt sie, und alle freuen sich darüber und sind mehr als dankbar für das, was hier Gutes auf die Beine gestellt wird. Das Thema Alkohol ist neben der Tatsache, dass am Ende alle 1_obdachlosenfest 2012_estrel neuköllnwieder in die Kälte raus müssen, der einzige Punkt, der zu weniger Begeisterung beiträgt.

Immer wieder sind Gäste und Helfer zu sehen, denen die Tränen der Rührung über die Wan- gen laufen. Alles ist einfach überwältigend. Der Saal ist riesig und sehr schön weihnachtlich geschmückt und beschallt.

Unglaubliche Spendenmengen sind eingegan- gen. Die Tische, mit den liebevoll verpackten Geschenken für die Kleinsten, biegen sich 5_obdachlosenfest 2012_estrel neuköllnunter der Last. An alles ist gedacht. Es gibt einen Pfarrer, 25 im Akkord arbeitende Friseure vom bbw Bildungswerk, medizinische Versor- gung, einen Tierarzt, Hundefutter, Tabak und Geschenke für alle. Engel laufen von Tisch zu Tisch und verteilen 3_obdachlosenfest 2012_estrel neuköllnSchokolade und Zigaretten. Ein Clownspärchen verbrei- tet gute Laune und Seifenblasen, ein Leierkastenmann 2_obdachlosenfest 2012_estrel neuköllnleiert.

Natürlich fehlen auch die hochkarätigen Stars nicht. Als sie anfangen, Teller mit Rotkohl, Klößen und Gänse- keulen zu verteilen, schmet- tert Frank Schöbel gerade „Oh Tannenbaum, du trägst ein grünes Kleid“. Sehr ergreifend. Cem Özdemir, Wolfgang Bahro, Bürger Lars Dietrich, Graciano Rocchi- 9_obdachlosenfest 2012_estrel neuköllngiani, der inzwischen 91-jährige Herbert Köfer, Frank Kessler und Peer Kusmagk sind nur einige der Prominenten, die gut gefüllte Teller zu den Gästen bringen. Auch Neu- 10_obdachlosenfest 2012_estrel neuköllnköllner Polit-Prominenz betätigt sich kellnernd. Besonders sympathisch sind diejenigen, die nicht lange mit den Tellern für die Fotografen posen, sondern denen es tat- sächlich darum geht, etwas für andere zu tun.

Während die Kameras um die Promis und Frank Zander rummeln, füllen sich zusehends alle Tische mit Mahlzeiten – aufgetragen durch die fleißigen Helfer in Gelb und Rot, die unermüdlich zwischen den Tischen umherwuseln, um niemanden zu vergessen oder auch den ein oder 7_obdachlosenfest 2012_estrel neuköllnanderen Extrawunsch zu erfüllen.

Die Stimmung wird immer ausgelassener, und als dann das Liveprogramm auf der Bühne beginnt, stürzen einige der Gäste nach vorne um zu tanzen. Frank Schöbel, Jeanette Biedermann aber auch die Fahrer der BVG, die die Menschen in Sonderbussen aus allen Teilen der Stadt ins Estrel brachten, halten die Stimmung hoch, so dass am Ende niemand so wirklich gehen will.

Der Tag war auch für mich ein einmaliges, äu- ßerst beeindruckendes und rührendes Erlebnis, und ich hoffe sehr, dass den fleißigen Helfern die Gänsekeulen gemundet haben.

=Anna Sinnlos=

Tatort Blutwurstmanufaktur Neukölln

Seit gestern und noch bis morgen Abend hat das literarische Verbrechen in den Bezirken der Hauptstadt Hochkonjunktur. Schuld ist der  2. Berliner 2. berliner krimimarathon, blutwurstmanufaktur neuköllnKrimimarathon, der an diesem Wochenende 30 pas- sionierte Schreibtischtäterinnen und -täter zu 19 Tatorten  schickt.

Schon eine halbe Stunde bevor das Morden nach der Devise „Rache ist Blutwurst“ in der Produktionshalle der Blutwurstmanufaktur begann, trafen die ersten freiwilligen Zeugen in dem Neuköllner Hinterhof am Karl-Marx- Platz ein. Er sei zufällig mal wieder für einige Tage im Bezirk, sagt ein Mann, den es vor vielen Jahren nach Süd- deutschland verschlug. „Ich bin Ve- getarierin“, gesteht eine Frau, deren Stimme gewisse Bedenken erkennen lässt, wie sie das, was ihr bevorsteht, wohl durchhalten wird. Andere sind Krimi-Fans, die sich die Lesung in dieser doch sehr speziellen Location nicht entgehen lassen wollen, oder Stammkunden der Blutwurstmanufaktur, die bisher nur das Geschäft im 2. berliner krimimarathon, blutwurstmanufaktur neuköllnVorderhaus kannten.

Das gebe es bereits seit 1898, erzählt Geschäftsführer Mathias Helfert (l.), nachdem er zusätzlich Transportboxen als Sitzgelegenheiten gestapelt hat, weil die 30 Klappstühle 2. berliner krimimarathon, blutwurstmanufaktur neukölln, mathias helfert, peter godazgar, stephan hähnelnicht ausrei- chen.  Schon zum dritten Mal finde in der vor rund 40 Jahren er- richteten, weiß gekachelten Produk- tionshalle des Betriebs eine Krimi- lesung statt. „Wir sind hier so ver- ankert, dass wir den Leuten gerne was bieten“, erklärt Helfert das kulturelle Engagement: Diesmal sind es die Autoren Peter Godazgar (M.) und Stephan Hähnel, der zugleich Organisator des Berliner Krimimarathons ist.

Letzterer startet mit seiner Kurzgeschichte „Schweizer Krokodil“, in der ein pedan- tischer Modelleisenbahner seine zum Vegetarismus übergelaufene Ehefrau mit einer wertvollen Lok erschlägt. Die Geschichte habe einen wahren Kern, berichtet Hähnel 2. berliner krimimarathon, blutwurstmanufaktur neuköllnals der Applaus verstummt ist: Sein Schwager sei ein ebenso fanatischer Eisenbahner wie der Protagonist Henri Engelmann. „Zu Todesfällen ist es deshalb aber noch nicht gekommen“, versichert er.

Der Hallenser Peter Godazgar schließt sich mit einer Passage aus seinem Krimi „Unter schrägen Vö- geln“ an, dem dritten Band um den chaotischen Privatdetektiv Markus Waldo. Nicht nur die Geschichte sorgt für reichlich Lacher, sondern auch die Art und Weise, wie Godazgar sie vorträgt. Mit ihm und Stephan Hähnel sind eindeutig Krimi-Autoren am Werk, die nicht nur schreiben können.

Im Nebenraum springt ein Kühlaggregat an, das Brummen der Maschine untermalt den Beginn von Hähnels nächster Geschichte, die „Back dir einen Mann!“ heißt. Das Geräusch hätte perfekt zu Godazgars skurriler Shortstory namens „Latte Macchiato à la Knut“ gepasst, in der sich der Verfechter ordinären Filter- kaffees, der ein Caféhaus betreibt, an 184 Latte-Trinkern rächt. „Schade, dass es hier 2. berliner krimimarathon, blutwurstmanufaktur neuköllnnicht nach Kaffee riecht“, murmelt eine Frau. „Ja“, bestätigt die Freundin und wischt mit ihrem Ärmel einen Tau- wassertropfen weg, der sich von der Decke auf ihre Tasche fallen ließ, „der Geruch hier ist schon sehr eigenartig.“

Als Stephan Hähnel gerade zu seiner nächsten Geschichte ansetzen will, unter- bricht Mathias Helfert ihn. „Wir hatten doch gesagt, dass wir ’ne kurze Pause machen und unsere Gäste zu einem kleinen Imbiss einladen“, erinnert er.  Wenig später ist das Büffet mit Produkten aus der Blutwurstmanufaktur eröffnet, danach geht es literarisch blutig weiter.

Heute um 20 Uhr gehen zwei Ex-Neuköllner beim 2. Berliner Krimimarathon ins Rennen: Gunnar Kunz liest in Walthers Buchladen in Steglitz aus sei- nem historischen Krimi „Inflation“ und Elisabeth Herrmann im  Sony Store Berlin am Potsdamer Platz aus „Zeugin der Toten“. Der Eintritt ist frei!

=ensa=