Sie schmieren Pausenbrote für Grundschüler, schließen Kirchentüren vor Gottes-diensten auf und danach wieder ab, betreuen Kinder bei Schulaufgaben und geben Nachhilfe, engagieren sich kommunalpolitisch für Parteien, halten Vereine durch ihren Einsatz am Leben, setzen sich für ihre Kieze ein, lesen in Pflegeheimen und Hospizen vor: Ohne Ehrenamt-
liche lägen nicht nur in Neu- kölln, sondern bundesweit etli- che Bereiche des kulturellen, politischen und sozialen Lebens brach.
Was motiviert Menschen, sich ehrenamtlich zu engagieren? Verdrängen sie durch ihren bür- gerschaftlichen Einsatz gar Ar- beitsplätze und nehmen dem Staat Verantwortung ab? Diese Fragen standen im Mittelpunkt des letzten Parkgesprächs, einer durch Soziale Stadt-Mittel finanzierten Talkreihe im Körnerpark. Flankiert vom Moderatoren-Duo Martin Steffens und Heidi Göbel nahmen Serkan Gülfirat (2. v. l.), Werner Roepke (M.) und Bertil Wewer (2. v. r.) auf dem Podium Platz, um etwa 30 Gästen im Publikum von den Erfahrungen als Ehrenamtliche zu erzählen.
Einen eher ungewöhnlichen Weg schlug Serkan Gülfirat ein. Statt sich in die Akti- vitäten eines bereits bestehenden Vereins einzuklinken, gründete der heute 28-Jäh- rige zusammen mit 11 anderen jungen Neuköllnern selber einen: den Buntes-republik e. V.. „Wir hatten einfach Lust, eigene Projekte im Bildungs- und Integra- tionsbereich zu kreieren und Neukölln so mitzubewegen“, sagt der Diplom-Polito- loge. Aktuell seien etwa 20 Leute ehrenamtlich für die Buntesrepublik aktiv; Gülfirat wendet als Vize-Vorsitzender zeitlich um die fünf Stunden pro Woche auf. Ließe man eine Stoppuhr mitlaufen, würde aber oft wesentlich mehr zusammen kommen, vermutet er: „Aber beim Ehrenamt guckt man
eben nicht so genau hin.“
Das tut auch Bertil Wewer nicht. Er sei einerseits ehrenamtlicher Über- zeugungs- und andererseits Mehr- fachtäter, bekennt der 53-Jährige, be- vor er einige der Tätigkeiten aufzählt, die es mit dem Brotjob als Diplom-Betriebswirt in einem Neuköllner Le- bensmittelwerk zu vereinbaren gilt. „Insgesamt sind meine ehrenamt- lichen Aufgaben wie ein zweiter Full- time-Job“, schätzt Wewer. Besonders zeitintensiv seien dabei das politische Engage- ment für die Grünen samt des Mandats als Bezirksverordneter in der Neuköllner BVV und der Einsatz für die Bürgerstiftung Neukölln. „Natürlich verflucht man das alles manchmal“, gibt er zu, „aber meistens macht es eben doch viel Spaß.“ Was Bertil Wewer als Spaß bezeichnet, nennt Werner Roepke „persönlichen Benefit“. Der sei neben dem Bedürfnis, etwas für die Gesellschaft zu tun, und der Möglichkeit des freiwilligen, selbstbestimmten Arbeitens eine der Haupttriebfedern, Ehrenämter zu über- nehmen. „Wenn nur eine davon ausfällt, verpufft das Interesse in der Regel schnell“, ist die Erfahrung des studierten Sozialarbeiters, der nun bei der Gewerk- schaft ver.di als Landesfachbereichsleiter Gemeinden für Berlin-Brandenburg zuständig ist. Ehrenamt sei gelebte Demokratie und unverzichtbar für eine Gesell- schaft. „Aber man muss eben auch sagen, dass mit diesem bürgerschaftlichen Engagement vor allem in so genannten weichen Bereichen wie Kultur, Bildung und Soziales Haushaltssanierung betrieben wird“, schränkt Werner Roepke ein. Einzig deshalb gebe es seitens der Politik die Strategie, das Ehrenamt zu fördern.
Wirklich marktschreierisch tut sie das allerdings nicht: Von der gesetzlichen Unfall- versicherung für Ehrenamtler wissen vermutlich nur wenige. Dass es vom Berliner Senat ein Bonbon namens FreiwilligenPass zur Würdigung derer gibt, die
sich bürgerschaftlich engagieren, über- raschte selbst Moderatorin Heidi Gö- bel und wird auch unter ehrenamtlich Aktiven alles andere als hinlänglich bekannt sein. Mit vergleichsweise großem Trara wurden dagegen die 15.000 Plätze feilgeboten, die im laufenden Jahr über den Bundesfrei- willigendienst auf den Markt kamen, um weggefallene Zivildienst-Stellen zu ersetzen. Mit Freiwilligkeit im Sinne von Ehrenamt und dessen Förderung oder Würdigung hat das Programm jedoch nichts zu tun. Häufig seien es Senioren, die sich mit dem Zuverdienst die Rente aufbessern, oder Ex-Schüler, die als Bufdis die Zeit bis zum Beginn des Studiums überbrücken. „Die wirklichen Profiteure sind aber die großen Wohlfahrtsverbände“, kritisiert Werner Roepke.
Bezüglich der Anerkennungskultur des Ehrenamts müsse noch viel getan werden, findet nicht nur Roepke, sondern meinen auch Serkan Gülfirat und Bertil Wewer. Schon die rechtliche Situation sei verheerend. „Als Vorstand eines Vereins haftet man mit dem Privatvermögen“, erklärt Wewer. Da seien Hauptamtliche viel besser abgesichert. Aber auch ohne einen Super-GAU müsse man es sich leisten können, Zeit für gesellschaftliches Engagement zu investieren, gibt Gülfirat zu bedenken. Daher habe er absolut nichts gegen die Zahlung von Aufwandsentschädigungen. Darüber, berichtet Bertil Wewer, sei auch innerhalb der Bürgerstiftung Neukölln schon wegen des Neuköllner Talente-Projekts diskutiert worden. Die Entscheidung fiel gegen eine Honorierung des Engagements der Paten aus; das Argument, dadurch würde das Ehrenamt abgewertet werden, gab den Ausschlag.
Beim nächsten Parkgespräch am 26. Oktober geht es ab 19 Uhr um das Thema „Altern in Neukölln“. Podiumsgäste sind Meltem Baskaya (Kom- petenz-Zentrum Interkulturelle Öffnung der Altenhilfe), Hedwig Rockel (Vita e.V. / Seniorentreffpunkt Neukölln), Dr. Jochen Ziegelmann (Deutsches Zent- rum für Altersfragen) und Neuköllns Sozialstadtrat Bernd Szczepanski. Der Eintritt ist frei; Platzreservierung unter tickets[at]parkgespraeche.de.
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