Finsteres Erbe von Berliner Gemeinden in Neukölln freigelegt

st. thomas friedhof_neuköllnRechts neben dem ehemaligen Blumenladen in der Hermannstraße durch das Portal, vorbei an der neo-gotischen Kirche, die seit inzwischen 10 Jahren von der Bulgarischen Orthodoxen Ge- meinde bulgarische orthodoxe gemeinde_jerusalem-kirchhof neuköllngenutzt wird, und dann über 300 Me- ter immer geradeaus. Wer diesen Weg hinter sich hat, steht dort, wo 39 evangelische und drei katholische Gemeinden während der NS- Zeit das einzige kirchliche Zwangsarbeiter- lager betrieben.

Für über 100 aus der damaligen Weiterlesen

Feiertag für eine Schrift

Wer sich durch Neukölln bewegt, trifft im Straßenbild auf sehr unterschiedliche Schriftzeichen, mit denen zumeist an Ladenlokalen auf das entsprechende Gewerbe blömkensamt einschlägiger Informationen aufmerk- sam gemacht werden soll. Das erfolgt überwiegend durch lateinische Schriftzei- chen mit serifenloser aufrechter Schrift, oft meltin pot_neuköllnklar und deutlich, manchmal allerdings auch verspielt oder gewollt undeutlich, wie im Beispiel rechts.

Ab und an gibt es – wie in nachstehendem Fall – den missglückten Versuch, eine Frakturschrift zu zum stammtisch_neuköllnverwenden. Denn man muss nicht Schriftsetzer sein, um zu wissen, dass hier in allen drei Fällen das Lang-s anstelle des Rund-s hingehört. Schließlich wird letzteres nicht von ungefähr im Volksmund als Schluss-s bezeichnet. Außerdem müsste so- puppenklinikwohl das „st“ als auch das „ch“ als Ligatur dargestellt werden. Wie es richtig geht, ist in der Richard-straße an der Fassade der Puppenklinik Neu- kölln zu bewundern.

Aber es gibt ja noch viel Interessanteres zu entdecken. Um auf kleinem Raum viele Infor-mationen unterzubringen, bedient sich z. B. die szenekneipe filou_neuköllnSzene- und Kiez- Kneipe Filou an der Schillerpromenade des Quick Response Codes: Allerdings benötigt man zum Lesen des QR-Codes ein Smartphone oder entsprechenden Scanner mit geeigneter Software.

zahnarztAuch bei folgendem Schild erschließt sich nicht jedem sofort der dargestellte Begriff. Doch dann erinnert man sich an insbe-sondere zu Schulzeiten verwendete Fremd-sprachen-Wörterbücher, ihrer phonetischen Umschrift und dem IPA. Und schließlich wird klar: Hier macht in Lautschrift eine Zahnarztpraxis auf sich aufmerksam.

Natürlich spiegelt sich die ethnische Vielfalt unseres Bezirks auch in den ver- wendeten Schriften güloglu_neuköllnwieder. Allgegenwärtig ist Türkisch. Obwohl die klassische Latein-schrift verwendet wird, gibt es hier einige besondere diakritische Zeichen, das heißt an einzelnen Buchstaben angebrachte Punkte, Striche oder Häkchen, aber auch den Wegfall eines Punktes, wie beim „ı“, wenn der „ungerundete geschlossene Hinterzungenvokal“ gemeint ist. Für Unkundige immer wieder erstaunlich, dass mit den kalligraphischen Kunstwerken des Arabischen, Chinesischen oder Japanischen coiffeur bagdadlongjapanisch_2– um nur drei zu nennen – auch ganz profane Botschaften vermittelt werden können.

Neben anderen Schriften, die schon nicht mehr ganz so häufig in unseren Straßen anzutreffen sind, muss am heutigen Tage die kyrillische erwähnt werden. Ist sie doch bulgarische orthodoxe kirche_neuköllnwohl die einzige, der ein Gedenktag gewidmet ist: Der 24. Mai ist der Tag der kyrillischen Schrift – und der steht in Bulgarien und Mazedonien sogar als Nationalfeiertag im Kalen- der. Benannt ist sie nach Kyrill von Saloniki, der aber gar nicht Kyrillisch, sondern die ihr vorausgehende gla- golitische Schrift entworfen hat.

Na, das wär’s doch, wenn die 1941 von den Nazis verbotene deutsche Kurrentschrift (rauf, runter rauf, Pünktchen drauf) bei uns wieder eingeführt würde – selbst- verständlich mit der Maßgabe, dass der Einführungstag gesetzlicher Feiertag wird. Oder vielleicht besser doch nicht?

=kiezkieker=

Nur ein Maschendrahtzaun zwischen Leben und Tod

jerusalems-friedhof hermannstraße neuköllnjerusalems-friedhof hermannstraße neuköllnHeute ist Volkstrauertag und die Chancen stehen gut, dass man in Berlin ohne Schal und Hand- schuhe der Kriegstoten und Opfer von Ge- waltherrschaft gedenken kann, denn es soll bis zu 18 ° warm werden. Ergo: Optimale Bedingungen, um beispielsweise den Friedhof V der Jerusa- lems- und Neuen Kirche zu erkunden, der 1872 an der Hermannstraße in Neukölln angelegt wurde – 20 Jahre nachdem Friedhof IV an der Kreuzberger Bergmannstraße eingeweiht worden war.

Fast bis ans Tempelhofer Feld zieht sich die hunderte Meter lange Allee zwischen den Grabfeldern. Einzig ein neo-gotisches, back- steinernes Kirchengebäude, das seit 2003 von der Bulgarischen Orthodoxen Kirche Berlin genutzt wird, jerusalems-friedhof 5 hermannstraße neuköllnhindert am Durchblick bis zum Horizont. Was der Fried- hof an Länge reichlich hat, fehlt ihm jedoch in der Breite: In nördlicher Richtung begrenzt ihn eine hohe Mauer vom Grünen Weg, in jerusalems-kirchhof 5 hermannstraße neuköllnsüd- licher stößt er an die Hinterhäuser  und -gärten der War- thestraße. Nur durch luftige Maschendrahtzäune sind Leben und Tod voneinander getrennt. Aber Anzeichen dafür, dass letzterer sich immer weiter zurückzieht und weitaus weniger Platz benötigt als das früher der Fall war,  sind hier allgegenwärtig: Die Zeiten, als sich eine Grabstelle an die nächste reihte, sind vorbei.  In  äußerst drastischer  Form zeigt sich das am  Ende des Grund-

jerusalems-friedhof hermannstraße neuköllnjerusalems-friedhof hermannstraße neuköllnjerusalems-friedhof hermannstraße neukölln

stücks, wo die Zeugnisse des Friedhofssterbens hüfthohe, makaber-pittoreske Wälle jerusalems-friedhof 5 hermannstraße neukölln,gedenkort zwangsarbeiterlagerbilden. Nur wenige Schritte von einer Gedenktafel an das Ba- rackenlager kirchlicher Zwangs- arbeiter, das ab August 1942 existierte und im April 1945 von der Roten Armee befreit wurde.

=ensa=