„Die Anreise mit der BVG hat’s ja echt in sich“, findet Kristin. Wer komme schon auf die Idee, dass er an der Bushaltestelle Dachdeckerweg aussteigen muss, wenn er zur Britzer Mühle will? „Weshalb heißt die Station nicht Britzer Mühle?“, fragt sie sich. Auch Michael Schillhaneck (r.), der 1. Vorsitzende des
Britzer Müller Vereins, weiß darauf keine Antwort.
Was er aber weiß, ist, dass es nicht am irreführenden Namen der Haltestelle liegt, dass Kristin (l.) als einzige künftige Aus- zubildende zu dieser Infoveranstaltung für angehende Hobby-Windmüller ge- kommen ist. Es gebe zwei weitere Teil- nehmer für den Kurs, sagt Schillhaneck, doch denen habe der heutige Termin nicht gepasst. Davon, dass weitere Frauen und Männer zum neuen Ausbildungslehrgang stoßen werden, ist er überzeugt. Solche Anlaufschwierigkeiten kämen immer wieder vor: „Die hatten wir auch beim letzten Kurs, und dann waren es 12, die ihn angefangen haben.“ Acht davon, vier
Männer und vier Frauen, hätten ihn letztlich erfolg- reich abgeschlossen, Die restlichen vier seien aber nicht etwa bei der Prüfung durchgefallen, sondern haben schon vor- her aus beruflichen oder privaten Gründen aufgehört, betont Schillhaneck, der die Ausbildungen leitet.
Einige Windmüller und eine Windmüllerin, die ihre Zertifikate in der Tasche, die zünf- tig-feierliche Freisprechung hinter sich ha- ben und sich nun um den Betrieb der Mühle kümmern, sitzen um den großen Tisch herum, um Kristin von ihren Beweggründen und dem Vereinsleben zu erzählen. „Bei mir war es die Affinität zur Technik einer Mühle“, sagt Thomas, der als Maschi- nenschlosser arbeitet und nun seit drei Wochen außer
dem Windmüller ist. Für Joachim (r.) indes, der dem Verein seit 2003 angehört, standen schon immer das Mahlen und der Spaß am gemeinsamen Machen im Vordergrund. Jürgen (l.), der seine Prüfung 2002 ablegte, erinnert sich, dass er die Mühle jahrelang nur vom Restaurant im ehemaligen Müllerhaus aus gesehen habe, aber nie drin gewesen sei. „In ihr zu arbeiten, bedeutet für mich auch immer, Kindheitserinnerungen aufzufri- schen“, sagt er. Er sei in einem landwirtschaftlichen Umfeld aufgewachsen. Bei Jan (M.), dem gebürtigen Niederländer, ist es ähnlich. Durch einen Zeitungsartikel sei er auf die Möglichkeit aufmerksam geworden, dass man sich in der Britzer Mühle zum Windmüller ausbilden lassen kann. Seit er das ist,
habe er auch schon andere Mühlen im Berliner Umland betreut. Daran, die Müllerei zum Beruf zu machen, denkt Corinna überhaupt nicht, die – wie auch Thomas – am Kurs 14 teilnahm. „Ich arbeite als Erzieherin“, erzählt sie, „und hatte einfach das Bedürfnis nach einem Hobby als Ausgleich, bei dem ich was mit den Händen tun kann.“ Das Müller-Handwerk sei schon insofern naheliegend gewesen, weil sie die Britzer Mühle früher immer von ihrem Kinderzimmerfenster
aus gesehen habe.
Kristins Motivation, die Ausbildung an- zugehen, ist ebenso naheliegend: „Mein Opa war Müller in der vor sechs Jahren abgebrannten Bockwindmühle Luckau. Deshalb beschäftige ich mich schon länger damit, was das für ein Beruf ist.“ Was man tun muss, um ihn zu erlernen, hat die Berlinerin, die im Bezirk Prenzlauer Berg lebt, inzwischen von Michael Schillhaneck erfahren: Zwei Jahre dauert der an die holländische Windmüller-Aus- bildung angelehnte Kursus, der einerseits praktisches Tun und andererseits Theorie beinhaltet und mit einem Prüfungsgespräch sowie einem Praxis-Test endet. Kristin guckt einigermaßen konsterniert auf den dicken Ordner, in dem das erforderliche theoretische Wissen versammelt ist. „Diese vielen Fachbegriffe muss man lernen?“, fragt sie. Das sei halb so wild, versichern alle aus der Windmüller-Runde, weil man sie ständig benutze. Dass man einzelne Bestandteile der Mühle aus Unkenntnis „das Ding“ nenne, lege sich sehr schnell. Kristins Vision „vielleicht mal Opas Mühle zu
übernehmen“ rückt wieder in den Bereich des Machbaren.
„Wir gucken uns jetzt erstmal die Mühle an“, schlägt ein Michael vor, der mit Nachnamen nicht Schillhaneck heißt, hauptberuflich als Verwaltungs-beamter tätig ist, über ein ausgepräg- tes Faible für alte Technik verfügt und ebenfalls einen Großvater hatte, der Müller war. Schnell hat er Kristin anhand zweier Modelle die wesent- lichen Unterschiede zwischen einer Bockwind– und einer Holländer-Mühle erklärt: Bei ersterer müsse die gesamte Mühle in den Wind gedreht werden, bei letzterer nur die
Kappe.
Bis in die, also unters Dach der Mühle, geht es nun über schmale, steile Holztreppen. „Macht eure Ja- cken zu und achtet darauf, dass ihr Abstand von beweglichen Teilen haltet!“, mahnt Michael. Sonst könne es ruckzuck passieren, dass man von den rotierenden Kammrädern, von Ketten oder Seilen mitgerissen werde und der Nothalt aktiviert werden
müsse, der die Flügel und so- mit das dynami- sche Innenle- ben der Mühle zum Stillstand bringt. Michael weiß inzwischen ganz genau, auf welchem Weg man sicher durch die 1865 erbaute Mühle kommt, welche Geräusche sie macht, wo man den Kopf einziehen muss und welche die besonders tückischen Treppenstufen sind. Königswelle, Obenkammrad, Windrose, Jalou-sieklappenflügel, Galerieboden – ganz nebenbei lernt Kristin das Fachvokabular für ihre Windmüller-Ausbildung und auch den aus
Flomen geschnitzten Mühlengeist kennen, der Unheil von der Mühle abwenden soll. Sie erfährt, dass die Mühle für den Betrieb mindestens Windstärke 4 braucht, dass jährlich etwa 5 Tonnen Getreide gemahlen werden und Brote und Mehl freitags sowie an Wochenenden und Feiertagen von den Müllern des Britzer Müller
Vereins im Container neben der Mühle verkauft werden. „Das ist ja wirklich eine komplett andere Welt hier“, findet sie fasziniert. „Es ist eine optimale Mischung aus kon- templativ und körperlicher Betätigung“, beschreibt Michael Schillhaneck das Wind- müller-Dasein.
„Jetzt gehen wir noch raus auf die Galerie“, kündigt sein Namensvetter das nahende Ende der Mühlenführung an. „Weshalb gibt es zwei gegenüberliegende Türen, die hinaus führen?“, testet er die Kollegin in spe. Richtig, bestätigt er, wegen der Flügel. Gäbe es nur eine und die würden aufgrund der
Windrichtung genau vor der Tür kreisen, hätte der Müller keine Chance, auf die Galerie zu kommen, ohne von einem der 12 Meter langen Flügel erwischt zu werden. Das leuchtet auch allen ein, die nicht mit „Glück zu!“ grüßen.
Wer sich für die Ausbildung zum diplomierten Hobby-Windmüller interessiert, melde sich telefo- nisch (030 – 722 41 32) oder per E-Mail (info[at]britzer-muellerverein.de) beim Britzer Müller Verein. Der Kursus beginnt am 22. September um 10 Uhr mit der ersten Praxis-Einheit.
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