Lange schlafen, gemütlich frühstücken, den Sonntag ruhig angehen lassen: Darauf mussten gestern alle verzichten, die beim Bio-Brotboxen-Packen mithelfen und so dazu beitragen wollten, dass rund 52.000 Erstklässler ihre Schulkarriere heute mit
einem gesunden Frühstück begin- nen konnten.
In der Leergut- halle des Neuköllner Bio-Großhändlers Terra Naturkost sind Dutzende Tischreihen aufgebaut, neben dem Eingang steht eine kleine Bühne. Die Komponenten für die Frühstücksboxen – von 1 wie
Teebeutel bis 10 wie Möhrchen – lagern auf Paletten am Rand der Halle. Das von verschiedenen Berliner Bio-Bäckereien produzierte Voll-
kornbrot wird auf der Empore ein- getütet – Schei- be für Scheibe, gut 52.000mal.
Etwa 500 Helfer sind es, die sich fürs Packen der Bio-Brotboxen für die Erstklässler von knapp 1.000 Berliner und Brandenburger Grundschulen angemeldet haben. Den Großteil machen Beschäftigte der an der Bio-Brotboxen-Aktion beteiligten Firmen
aus. Für die Parteien sei das Thema der gesunden Ernährung von Kindern verbunden mit tatkräftiger Unterstützung offenbar nur in Wahlkampfjahren interessant, kritisiert mancher. Immerhin: Berlins Verbraucherschutzsenator Thomas Heilmann, die grüne Bundestagsabgeordnete Cornelia Behm, Brandesburgs Staatssekretär für Verbraucherschutz Dr. Daniel Rühmkorf und der Neuköllner Bezirks-
bürgermeister Heinz Buschkowsky stehen am Promi-Packtisch statt am heimischen Frühstückstisch zu sitzen. Wer die Gesichter kennt, kann einige Meter entfernt Neuköllns Jugend- und Gesundheitsstadtrat Falko Liecke sowie den Bezirkssozialstadtrat Bernd Szczepanski entdecken. Ansonsten glänzt auch die Neuköllner Kommunalpolitik vor allem durch Abwesenheit – einzig den Grünen des Bezirks gelingt es, außer ihrem
Stadtrat noch drei weitere Fraktionsmitglieder fürs Bio-Brotboxen-Packen zu begeistern. Die Linke – Fehl- anzeige, die Piraten ebenso.
„20.000 Boxen sind schon gepackt!“, ruft Projektinitiator Dr. Burkhardt Sonnenstuhl durch die Halle. Es ist gerade
mal viertel vor 11. Eine Viertelstunde da- nach kann er vermel- den, dass nun alle Brotscheiben einge- tütet seien.
Womit seine Pausen- brote belegt waren, könne er gar nicht mehr erinnern, sagt Buschkowsky. „Ich weiß aber noch, dass ein Klassenkamerad immer bessere Stullen dabei hatte.“ Das habe man dann, weil die Geschmäcker eben schon damals unterschiedlich waren, durch Tauschaktionen behoben. „Tauschen“, grübelt Bernd Szczepanski, „nee, das gab’s bei uns nicht.“ Leberwurst habe er gerne auf seiner Schulstulle gehabt; inzwischen sind die Vorlieben andere. „Gutes Brot mit Butter und Kohl- rabischeiben, das schmeckt köstlich“, schwärmt er. Auf gutes Brot, ergänzt er, sei bei ihnen zuhause schon Wert gelegt worden, als er ein Kind war: „Damals nannte man
das aber noch nicht Vollkornbrot.“ Auch am Packtisch der Neuköllner Grünen in der Terra-Halle, an dem sich einige Bio Com- pany-Mitarbeiter eingereiht haben, ist der Sozialstadtrat dem guten Brot ganz nah. Seine Position ist am Ende des Tisches, wo die Biobrotschnitte als letzte Kompo- nente in die Box gelegt und diese ver-
schlossen und in Kartons ver- packt wird.
Aus den Hallenlautsprechern schallt eine weitere Er- folgsmeldung: Die vor 11 Jahren ins Leben gerufene Bio-Brotboxen-Aktion wurde von der Standortinitiative „Deutschland – Land der Ideen“ gemeinsam mit der Deutschen Bank zum herausragenden Projekt ernannt. An die 2.000 Bewerber für die Auszeichnung „Aus- gewählter Ort 2012“ habe es gegeben, berichtet Manu- ela Saager, als sie den Pokal des Kreditinstituts an den Terra-Geschäftsführer Meinrad Schmitt überreicht. Die
Bio-Brotboxen-Aktion ha- be ob ihres nachhaltigen Grund- gedankens und der Idee, den Umgang mit gesunder Ernährung schon früh zu schulen, ge- wonnen.
Genau das war es auch, was die Schauspielerin Marion Kracht davon überzeugte, sich als Botschaf- terin für das Projekt zu engagieren. Das tut die Mutter zweier Söhne inzwischen seit vielen Jahren und mit ungebremstem Elan. „Früher habe sie Sauerteig- brot mit Teewurst geliebt“, sagt sie, „aber jetzt bin ich schon seit 22 Jahren Vegetarierin und lege mir lieber Tomaten aufs Vollkornbrot.“ Und selbstverständlich achte sie auch bei ihren Kindern auf eine gesunde Ernährung, das sei das A und O für eine gute Entwicklung.
Je später es wird, desto mehr schmerzen die Rücken der Helfer und leeren sich die Packtische. An einem fehlen Gutscheinkarten für einen Liter Biomilch, an anderen Müslibeutel oder Brotaufstrich-Portionsdosen. „Das ist jedes Jahr so“, wissen die, die schon oft dabei waren. „Auch das mit dem Ziepen im Rücken, aber Spaß macht es
trotzdem.“ Im Vorraum der Halle hat der Vollwert-Caterer Luna seinen Eintopf-Stand aufgebaut und kredenzt Deftiges mit und ohne Fleischeinlage. Nur wenige Schritte entfernt
werden vier UPS- Hänger mit Bio- Brotboxen bela- den.
In Neukölln waren es 2.654 Mädchen und Jungen, die heute Morgen zum ersten Schultag eine solche gelbe Box überreicht bekommen haben, zusammen mit einem Zahnputzbeutel. An der Schule am Fliederbusch in Rudow übernahmen das Schulstadträtin Franziska Giffey und Gesundheitsstadtrat Falko Liecke. „Viele Kinder“, meint der, „ahnen ja gar nicht, welche leckeren Frühstücks-Alternativen es zu Toastbrot mit Nutella gibt.“ Heute haben sie schon einige kennen gelernt.
=ensa=
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