Wirbel um die Präsenz eines Bezirksstadtrats im Untergrund

karla bareiss+beate dittrich+falko liecke_kjgd-begrüßungspaket neuköllnWenn Politiker in die Öffentlichkeit gehen, um Bürgernähe zu beweisen und für ihre Arbeit zu werben, ist nie so ganz genau zu unter-scheiden, ob die Sache an sich oder der Wunsch nach Selbstdarstellung ihr Motiv dafür ist. Als im Februar 2013 Falko Liecke höchstpersönlich mit dem Begrüßungspaket für Neugeborene zum ersten Hausbesuch bei den jungen Eltern erschien, um medien-wirksam auf die Neuköllner Präventions-strategie hinzuweisen, blieb Kritik an der Aktion aus. Bei der jüngsten Öffentlich-keitskampagne des Stadtrats für Jugend und Gesundheit (CDU) platzte nun aber dem SPD-Bezirksverordneten Marko Preuß der sprichwörtliche Weiterlesen

Zeit ist Hirn!

franziska taffelt_knk_rts_1Jeden kann es treffen, immer und überall. Die Kollegin am Schreibtisch gegenüber, die eben noch sehr munter war,  klagt plötzlich über Sehstörungen und ein starkes Schwin-delgefühl. Der Mann, der gerade im Begriff war, in den U-Bahn-Waggon zu steigen, sackt auf dem Bahnsteig zusammen, ist zwar ansprechbar, aber kaum zu verstehen, hält sich mit einer Hand den Kopf und wimmert vor Schmerzen. Wer mit solchen Vorfällen konfrontiert ist, die Symptome eines Schlag-anfalls sein können, sollte keine Sekunde zögern, einen FAST-Test zu machen und über die Notrufnummer 112 Hilfe zu rufen. Denn angesichts der Tatsache, dass ohne medizinisches Eingreifen pro Minute 2 Millio- nen Nervenzellen absterben, gilt: Zeit ist Hirn!

Fast 12.000 Menschen erleiden in Berlin jährlich einen Gehirninfarkt, rund 2.000 davon in Neukölln. Ursache ist in der Regel die Gemengelage aus Lebensstilfak- toren wie Rauchen oder Bewegungsmangel und Risikofaktoren Weiterlesen

Mütze, Lätzchen, Rauchmelder und vieles mehr: Geschenke für alle neugeborenen Neuköllner

karla bareiss+beate dittrich+falko liecke_kjgd-begrüßungspaket neuköllnHoher Besuch für Charlotte. Neuköllns Ge- sundheitsstadtrat Falko Liecke (r.) kam ges- tern höchstselbst vorbei, um der Mutter des sieben Wochen alten Mädchens das Begrü-ßungspaket für Neugeborene zu überreichen.

Künftig werden das Beate Dittrich (M.) und ihre Kolleginnen vom Kinder- und Jugendgesund-heitsdienst (KJGD) des Bezirks tun. „Acht bis 10 Hausbesuche mache ich schon pro Woche“, erzählt die Sozialarbeiterin. Mit leeren Händen stand sie bei denen auch bisher nicht vor der kjgd-begrüßungspaket neuköllnTür. Neu ist, dass die umfangreichen Informationsbroschüren für junge Eltern nun in einem Stoffbeutel übergeben werden und der außer Waren- proben auch kleine Willkommenspräsen- te des Bezirks beinhaltet: ein Lätzchen, eine Mütze und einen Rauchmelder.

„Sehr sinnvoll“, findet Karla Bareiss, Charlottes Mutter, als sie den Rauchmel- der aus der Tasche gezogen hat: „Daran haben wir bisher noch gar nicht gedacht.“ Aber schließlich könne ja auch in einem Nichtraucherhaushalt passieren, was sich niemand vorstellen mag. Ob die Mütze noch über Charlottes Kopf passt, muss später probiert werden, denn das Kind will sich durch den Pressetermin nicht in seinem Mittagsschlaf stören lassen. „Dafür ist sie schon morgens um 5 munter“, sagt die 32-jährige Erstgebärende, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin für eine Europa-Abgeordnete tätig ist und den Eltern- charlotte_kjgd-begrüßungspaket neuköllnzeit-Staffelstab im Sommer an Charlottes Vater, einen Landschaftsplaner, weitergeben will.

Baby statt Beruf, das sei wirklich ein völlig neues und äußerst spannendes Erlebnis. Routine wie im Job gebe es nicht: „Gerade beim ersten Kind ist man ja noch sehr unsicher und hat eigentlich ständig Fragen.“ Vor allem die Broschüren mit lokalen Informationen und Beratungsgespräche mit Mitarbeitern vom Bezirk seien da ausgesprochen hilfreich. Sollte für Charlotte wirklich schon jetzt ein Kita-Platz gesucht werden? Wo wird Rückbildungsgymnastik angeboten? Welche Kinderärzte in der Nähe sind beate dittrich+karla bareiss_kjgd-begrüßungspaket neuköllnempfehlenswert?

Beate Dittrich erkundigt sich nach dem Ergebnis der U3, erfährt, dass alles bestens sei und erklärt, dass der KJGD beim Versäumen einer Vorsorgeuntersuchung sofort infor- miert werde und die Eltern kon- taktiere. Der Erstbesuch mit der Übergabe des Begrüßungspakets gehöre zur Neuköllner Präventions-strategie und sei vor allem als Tür- öffner gedacht, um auch die jungen Mütter und Väter über bestehende Unter- stützungsmöglichkeiten beraten zu können, die sonst nicht erreicht würden.

Rund 5.000 Euro, so Falko Liecke, habe der Bezirk investiert, um Baumwolltaschen, Mützen und Lätzchen anschaffen und bedrucken zu lassen, Rauchmelder zu kaufen und die Aktion „Begrüßungspakete für Neugeborene“ als akzeptanzsteigernde Maßnahme für die Arbeit des KJGD starten zu können. Die Warenproben steuerten Sponsoren bei. Etwa 3.500 neugeborene Neuköllner verzeichnete der Bezirk durchschnittlich in den letzten Jahren. „Die Kurve war leicht abflachend, dürfte aber durch die vielen Zuzüge nun wieder ansteigen“, ist Liecke optimistisch. Dass junge Eltern bei den ersten Schritten unterstützt werden, ist ihm ein wichtiges Anliegen – nicht nur qua Amt, sondern auch weil er selber Vater von zwei kleinen Kindern ist.

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Vom Schlag getroffen

Die ärztliche Versorgung war perfekt gestern Nachmittag im Köln-Zimmer des Neuköllner Rathauses. „In diesem Raum kann Ihnen heute nichts passieren“, versicherte Gesundheitsstadtrat Falko Liecke. Ein Chefarzt und zwei Oberärzte des Vivantes Klinikums Neukölln saßen sechs Frauen und einem Mann gegenüber, die stroke unit vivantes klinikum neukölln, tag des schlaganfalls, bezirksinitiative gesundes neuköllnsich über das Thema Schlaganfall informieren wollten.

„Ein Ziel haben wir ja schon erreicht“, stellt Prof. Dr. med. Darius G. Nabavi schmunzelnd fest. „Es sind mehr Gäste als Dozenten hier.“ Unumwun- den gibt der Oberarzt des Schlag- anfall-Zentrums (Stroke Unit) im Neu- köllner Vivantes Klinikum zu, dass es gerne noch mehr hätten sein dürfen, weil wirklich jeder von einer Sekunde auf die andere mit dem Thema Schlaganfall konfrontiert werden könne – sei es als Patient, als Familienangehöriger oder als zufälliger Augenzeuge. „Jährlich werden bundesweit etwa 250.000 neue Schlaganfälle diagnostiziert“, sagt Nabavi. Und bei denen gehe es vor allem um eines: um  schnelles Erkennen und Handeln. Denn pro Minute gehen ohne therapeutische Maßnahmen 2 Millionen Nervenzellen zugrunde.

Um Panikmache geht es dem Mediziner wahrlich nicht: „Nicht jedes Schwindelgefühl ist ein Schlaganfall, also auf eine Minderversorgung des Gehirns zurückzuführen!“ Plötzlich  auftretende  Ausfälle von Kraft, Gefühl, Sehen, Sprache und Gleichge- wicht  seien hingegen dringende Verdachtsmomente. „Selbst wenn die nur Minuten oder Sekunden dauern“, ermahnt Nabavi, „sofort die 112 wählen! Denn solchen Warnschlägen folgen meist schwere Schlaganfälle.“ Die Sepp Herberger-Weisheit „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“ lasse sich somit 1:1 auf den Schlaganfall über- tragen.

Auch Nabavis Mitarbeiter Dr. med. Olaf Crome, Facharzt für Neurologie, untermauert den Hinweis seines Chefs, unbedingt die Notrufnummer zu kontaktieren: „Nur über die wird die Schlaganfall-Rettungskette in Gang gesetzt und der Patient umgehend in eine Stroke Unit eingeliefert.“ Von denen gebe es 14 in Berlin, die im Vivantes Klinikum Neukölln sei eine der bundesweit größten. 36 Betten stünden dort für Schlaganfall-Patienten bereit, um die sich ein rund 40-köpfiges Team aus Ärzten und Pflegekräften kümmert, das eng vernetzt  alle Bereiche von Diagnostik über Akut- therapie bis zur Sekundär-Prophylaxe  abdeckt. „Damit“, so Crome, „bieten wir bestmögliche Bedingungen, dass alles gut ausgehen kann.“ Bedenklich sei allerdings, ergänzt Darius G. Nabavi, dass nur etwa 30 Prozent aller Schlaganfall-Patienten innerhalb von drei Stunden nach dem Auftreten der Symptome kämen. Trotz vermehrter Aufklärung hänge der Faktor in Deutschland seit Jahren in diesem Wert- bereich fest.

Doch wie lässt sich die Gefahr, einen oder einen weiteren Schlaganfall zu erleiden, reduzieren? Vor allem darüber referierte Dr. med. Boris Dimitrijeski, der als Funk- tionsoberarzt in der Stroke Unit Neukölln tagtäglich das alte Herberger-Bonmot zu durchbrechen versucht. Wohlwis- send, dass statistisch ein Drittel aller Schlaganfall-Patienten innerhalb von fünf Jahren den nächsten hat. Ge- schuldet sei das insbesondere der Tatsache, dass nicht jeder Genesene den Warnschuss als solchen ver- stehen will und ihn als Auftakt zu einem gesünderen Lebensabschnitt nimmt. „Natürlich“, sagt Dimitrijeski, „gibt es unveränderbare Risikofak- toren wie Geschlecht, Alter oder eine genetische Disposition.“ Aber es gebe eben auch die Kriterien, die jeder selber beeinflussen kann. Man müsse einfach auf optimale Blutdruck- und Blutfettwerte sowie eine gesunde Ernährung achten, Übergewicht verhindern, den Alkoholkonsum einschränken, aufs Rauchen verzichten und sich ausreichend Bewegung verordnen. „Die Motivation des Patienten ist bei der Schlaganfall-Reha de facto das A und O“, weiß der Mediziner. Das gelte auch für alle, die das Risiko eines Infarkts des Gehirns von vornherein minimieren möchten.

In Neukölln scheint das Bedürfnis, auf diese lebensbeeinträchtigende oder gar -bedrohende Erfahrung verzichten zu wollen, nicht wirklich stark ausgeprägt. „Wir stellen hier  erschreckend viele jüngere Schlaganfall-Patienten und eine deutlich höhere Schlaganfall-Häufigkeit fest“, konstatiert Chefarzt Darius G. Nabavi. Derzeit werde eine vom Vivantes Klinikum und der Berliner Charité erstellte Studie ausgewertet, die die Interaktion zwischen Migrationshintergrund und Schlaganfall-Frequenz untersucht hat. Mit dieser Neuköllner Schlaganfall-Studie (NESS) habe man totales Neuland betreten, da es bisher in Deutschland keinerlei spezifisches Datenmaterial gab. Längst erforscht war indes das höhere Schlaganfall-Risiko bei Lateinamerikanern und Afrikanern.

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