Wanderung zu Orten des Abschieds in Neukölln

gradwanderung neukoellnSchon über den Namen der Veranstaltung stolperten manche: „Gradwanderung“. Es hätten einige Leute angerufen, um  darauf hinzuweisen, dass zwischen a und w ein t und kein d  gehöre, sagt Sophia Trier vom Fachbereich Kultur des Bezirksamts Neu- kölln, der den „Spaziergang zu Orten des neuer luisenstädtischer friedhof neuköllnAbschieds“ veran-staltet. Eigentlich war ihre Telefonnummer nur angegeben worden, um Anmeldungen für die Tour zentral sammeln zu können. Nun ist bei ihr nicht nur zu erfahren, dass man ein BVG-Ticket bzw. Kleingeld dafür mitbringen sollte, sondern auch, dass der vermeintliche Schreibfehler keiner ist: Weiterlesen

Abschied von einem Kind, das nicht willkommen war

alter st. michael friedhof_neukölln„Lasst uns tun, was getan werden muss.“ Mit diesen Worten begann der evangelische Polizeiseelsorger Rein- hard Voigt gestern Nachmittag seine Trauerrede. Es war ein sehr kleiner, weißer Sarg, der vor ihm zwischen den Bankreihen portal alter st. michael friedhof neuköllnin der Kapelle des katholischen Alter St. Michael Friedhofs stand.

Welchen Namen die Eltern dem kleinen Mädchen ge- geben hatten, wie alt es werden durfte, wo und unter welchen Umständen es zur Welt kam, wer die Mutter ist. „Das Leben des Kindes“, sagte Voigt weiter, „gibt Fragen auf, sein Tod macht ratlos.“ Am 5. April war die stark verweste Leiche des Säuglings in einem Altkleider-Container in Neukölln entdeckt worden, als Mitarbeiter einer Recyclingfirma diesen leeren wollten. Irgendwann zwischen dem Fundtag und dem 27. März muss das Mädchen in den Container geworfen worden sein, nachdem es zuvor eines gewaltsamen Todes gestorben war: Mehr wollen die Beamten der Mordkommission, die dem Kind sara_alter st. michael friedhof_neuköllnden Namen Sara gaben und immer noch nach der Mutter suchen, aus ermittlungstaktischen Gründen nicht preisgeben.

Welche Gefühle mögen die Eltern bei der Geburt gehabt haben, leiden sie jetzt und sind traurig, haben sie womöglich Schuldgefühle? „Wir sind er- schrocken, erbost, traurig, wütend, hilflos und ohn- mächtig.“ Reinhard Voigt sprach aus, was wohl alle Anwesenden dachten: Menschen, die das Kind nie lebendig erlebt hatten und entweder durch die beisetzung sara_alter st. michael friedhof_neuköllnMe- dien von sei- nem Schicksal erfahren hatten oder nahe dem Fundort wohnen. Oder war vielleicht doch jemand unter ihnen, der manche Frage beantworten könnte, bisher geschwiegen hat und nun durch die berühren- den Abschiedsworte des Polizeiseelsorgers zum Reden gebracht wird?

Um 14.20 Uhr wurde der Sarg mit dem kleinen Mädchen, das nicht willkommen war und sterben musste, bevor es das Krabbeln, Laufen, Sprechen und Lachen lernen konnte, begleitet vom beisetzung sara_polizeiseelsorger reinhard voigt_alter st. michael friedhof_neuköllnGesang des United Gospel Choir und großer öffentlicher An- teilnahme in die Erde gelassen.

„Was wohl die Mutter jetzt macht, wäh- rend wir hier um ihr Baby weinen?“, fragt eine Frau flüsternd, nachdem sie Blumen und Sand ins Grab geworfen hat. Weshalb sie das Kind, mit dem sie sich offenbar überfordert fühlte, wie Müll behandelt hat statt es in einer der Berliner Babyklappen abzulegen, will der Rentnerin nicht in den Kopf. Und so geht es vielen, wenn nicht allen, die gekommen waren, um Sara einen würdigen Abschied zu bereiten.

=ensa=