Dem Grau ein Ende: Neukölln muss noch bunter werden!

Wer auf zwei gesunden Beinen unterwegs ist, nimmt sie gar nicht wahr: die beiden Stufen vor dem Eingang zum Friseur und die hohen Türschwellen innerhalb des Lieblings-Cafés oder -Restaurants. Sie werden schlichtweg übergangen statt als potenzielle Hürden Beachtung zu finden. Und über die äußerst beengten Verhältnisse im WC des Kinos um die Ecke ärgert man sich vielleicht kurz, tut sie dann aber mit der naturgemäßen bzw. architektonisch bedingten Endlichkeit von Räumen ab.

screenshot wheelmap berlin-neukölln

Nord-Neukölln (Screenshot von wheelmap.org)

Entschieden schwieriger ist die Sache für Men- schen, die mit einer Mo- bilitätseinschränkung le- ben müssen. Für die sich der Begriff No-go- Area nicht am Krimina-litätsatlas orientiert, son- dern daran, inwieweit ein Ort rollstuhlgerecht ist. Dieser Aspekt war Impulsgeber für den Ver- ein Sozialhelden, das  Projekt wheelmap.org  anzuschieben. Es könne doch nicht sein, dass Gastronomie-Webseiten zwar über die Speisen-Angebote informieren, nicht aber darüber, ob es für Rollstuhlfahrer wie ihn überhaupt möglich ist, durch die Tür zu raul krauthausen, foto: wheelmap.orgkommen, ärgerte sich Sozial-helden-Gründer Raul Krauthausen damals. Im September 2010 ging die Online-Karte wheelmap.org an den Start, die öffentliche Orte aufführt und Transparenz über deren bauliche Hindernisse verschafft. Ein Service, der nicht nur für die rund 1,6 Millionen Rolli-Fahrer in Deutschland von ho- hem Nutzwert ist, sondern auch den Alltag von Müttern oder Vätern mit Kinderwagen und Menschen mit Gehbehinderungen und Rollatoren planbarer macht.

Zugleich will das mehrfach ausgezeichnete Projekt Behörden, Gastronomen und Hotelliers, Einzelhändler und Kulturort-Betreiber sensibilisieren, ihre Einrichtungen auf die Rollstuhlgerechtigkeit hin abzuklopfen. Beim im Dezember letzten Jahres am U-/S-Bahnhof Neukölln er- öffneten 2A Hostel floss das Augenmerk auf die Zielgrup- pe der Menschen mit Behin- derungen bereits in das Konzept und die Planung ein: Alle öffentlichen Berei- che des Hauses sind bar- rierefrei. In der – selbstver- ständlich per Aufzug erreich- baren – 1. Etage wurden zudem zwei geräumige Zimmer mit Dusche und WC explizit für Gehandicapte und ihre Begleitpersonen ausgestattet. Grund genug, die Markierung des Hostels auf der wheelmap-Karte zu aktualisieren: Aus dem Grau wurde heute ein Grün.

Jeder kann – ohne vorherige Registrierung – dazu beitragen, dass Neukölln auf der wheelmap.org-Karte wesentlich bunter und die Orientierung für Menschen mit Mobilitätseinschränkung im Bezirk erleichtert wird: Einfach bekannte, noch grau markierte Örtlichkeiten anklicken und nach dem Ampel-System bewerten oder neue Lokalitäten in die Karte eintragen.

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Die Ruhe nach dem Ansturm

Florence und Jason sind bereits gestern wieder abgereist. Neukölln sei „fantastic and exciting“, werden sie ihren Freunden in Birmingham erzählen. Und von der wundervollen Party am Brandenburger Tor, wo die beiden britischen Studenten zusammen mit Hunderttausenden ins neue Jahr rutschten, werden sie selbst- verständlich auch schwärmen. Für Matteo, Pietro und Isabella geht es erst heute wieder zurück nach Bologna, und Friederike und Martin verlassen das ihnen bisher nur aus den Medien bekannte Neu- kölln mit dem Ziel Augsburg.

Voll war es im Norden des Bezirks über den Jahreswechsel 2011/12, den nicht nur die meisten Tou- risten, sondern auch die Akteure des lokalen Gastgewerbes als fantastisch in Erinnerung behalten werden. „Ausgebucht –  no vacancy on December 31st“, das galt für Hotels der gehobenen Kategorie ebenso wie für Pensionen und Hostels.

„Wir hätten anbauen müssen, um alle unterzubringen, die reservieren wollten. Aber das ist jedes Jahr so“, sagt die Chefin vom Gästehaus am Herrfurthplatz, das mit günstigen Preisen und  Kiez-Atmosphäre  begeistert und sich einer durchschnitt- lichen Auslastung von 87 Prozent erfreut. Auch in der HotelPension Karibuni galt „same procedure as last year“. Kurzentschlossene hatten keine Chance, die Silvester-Nacht unter dem Dach von Gabriele Schmitz in der Nähe des Neuköllner Rathauses zu verbringen: „Wir waren schon lange vorher wieder komplett aus- gebucht.“ Keinerlei Erfahrungswerte aus den Vorjahren hatte man hingegen im 2A Hostel am S- und U-Bahnhof Neukölln. Zur „größten Überraschung“ musste auch der erst Mitte Dezember eröffnete Beherbergungsbetrieb sehr spontanen potenziellen Gästen vermelden, dass alle Betten belegt sind. Insbesondere mit „ausländischen Gästen, die in Berlin ins neue Jahr feiern wollten.“ Der Bezirk habe für die kaum eine Rolle gespielt, wohl aber die verkehrsgünstige Lage. Das sieht im RIXPACK Hostel , das ebenfalls mit 100-prozentiger Auslastung  ins neue Jahr rutschte, entschieden anders aus: „Hier“, verriet Inhaber Stefan Richter kürzlich bei einer Veranstaltung, „wohnen inzwischen auch oft Langzeit-Touristen, die sich bewusst für Neukölln entscheiden und bei uns die Zeit überbrücken, bis sie in Neukölln eine Wohnung gefunden haben.“

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