
Seit Jahrzehnten werden in Neukölln immer wieder rechtsextreme Anschläge auf Menschen, Projekträume und Läden verübt. Viele Betroffenen und über 25.000 Unterstützer forderten deshalb im Herbst 2019 mit einer
Unterschriftensammlung einen „Parlamentarischen Untersuchungsausschuss“ (PUA), der die Serie rechtsextremer Straftaten in Neukölln und die ausbleibenden Ermittlungserfolge beurteilen soll. Im Mai 2022 trat schließlich der
1. Untersuchungsausschuss („Neukölln“) des Berliner Abgeordnetenhauses zusammen. Er soll sich „mit dem Ermittlungsvorgehen im Zusammenhang mit der Aufklärung der im Zeitraum von 2009 bis 2021 erfolgten rechtsextremistischen Straftatenserie im Bezirk Neukölln“ befassen.
Insbesondere soll der Ausschuss 60 Sachverhalte prüfen, die in seinem Einsetzungsbeschluss festgehalten sind.
„Wie läuft der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zum Neukölln-Komplex?“, fragten nun wenige Tage vor der Berliner Wiederholungswahl die Grünen Abgeordneten André Schulze (r.), ordentliches Mitglied im Untersuchungsausschuss, und Dr. Susanna Kahlefeld (2.v.r.), die Stellvertreterin im PUA ist. Als kompetente Gesprächspartnerinnen hatten sie Claudia von Gélieu, Betroffene der Anschlagsserie, und Bianca Klose (2.v.l.), Projektleiterin der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR), in das Grüne Wahlkreisbüro in der Neuköllner Friedelstraße eingeladen, das am Mittwochabend mit über einem Dutzend Gästen gut besucht war.
Wie sind die Sitzungen des Parlamentarischen Untersuchungsausschuss bisher verlaufen und welche Auswirkungen hat die Wahlwiederholung auf die Arbeit des Gremiums? Welche Erkenntnisse hat die Arbeit des PUA bisher erbracht und was folgt aus ihnen? Während die Parlamentarier Kahlefeld und Schulze insbesondere für die Beantwortung der ersten beiden Punkte gefragt waren, beschäftigte die Expertinnen v. Gélieu und Klose insbesondere die zweite Frage. „Was können wir dagegen tun, dass Neonazis systematisch ‚Feindeslisten‘ führen, in denen sie personenbezogene Daten von Antifaschistinnen und Antifaschisten erheben?“, fragte Bianca Klose konkret, ohne eine befriedigende Antwort zu erhalten. Die MBR-Projektleiterin, die als Sachverständige bereits vor dem Untersuchungsausschuss aussagte, ist überzeugt, dass bessere polizeiliche Ermittlungen von Anbeginn spätere Taten verhindert hätten. Neben schlechter Ermittlungsarbeit hielt sie Teilen der Polizei einen arroganten Umgang mit den Anschlagsbetroffenen sowie eine mangelnde Qualifikation vor.

Claudia von Gélieu (l.), die
als Betroffenen ebenfalls schon vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss aussagen konnte, forderte einen möglichst barrierefreien Zugang der Öffentlichkeit zu den Sitzungen im Abgeordnetenhaus.
Zweitens insistierte sie, dass die Ermittlungsarbeiten des Ausschusses vor allem zu politischen Konsequenzen führen müssten. Aus dem Publikum wurde in der anschließenden Diskussion die Frage aufgeworfen, wie viel öffentlicher Druck aus der Bevölkerung für eine wirkungsvolle Ausschussarbeit notwendig sei.
Die Arbeit des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses werde nach der Wahlwiederholung so schnell wie möglich wieder aufgenommen, versicherten Kahlefeld und Schulze übereinstimmend. Die konstituierende Sitzung des neuen Abgeordnetenhauses finde voraussichtlich Mitte März statt. Es sei für die bündnisgrünen Mitglieder des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses allerdings ein wichtiges Anliegen gewesen, zum jetzigen Zeitpunkt aus ihrer Sicht den aktuellen Arbeitsstand, erste Erfolge, aber ebenso die noch vorhandene Leerstellen der parlamentarischen Arbeit zu dokumentieren. André Schulze und der Grüne-Innenpolitiker Vasili Franco informieren die Öffentlichkeit bereits regelmäßig in einem
Podcast, der inzwischen zehn Folgen umfasst, über die Sitzungen des PUA. „Wir haben in der Befragung der Betroffenen und der Zivilgesellschaft wichtige Erkenntnisse zu den Versäumnissen der Sicherheitsbehörden gewonnen“, fasste Schulze die Ergebnisse des ersten Treffens im Grünen-Wahlkreisbüro zusammen: „Fehlende Ermittlungen zu rechtsextremen Strukturen, Bagatellisierung und fehlende Einordnung rechter Gewalttaten sowie mangelnde Kommunikation und unklare Zuständigkeiten gegenüber den Betroffenen waren dort unter anderem Thema“, ergänzte er und versprach: „Auf dieser Basis wollen wir die Arbeit so schnell wie möglich nach der Wiederholungswahl fortsetzen.“
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