Gedenken an die queeren Opfer der NS-Zeit

Aus Anlass der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau erinnert der Deutsche Bundestag heute mit einer Gedenkstunde an die Opfer des Nationalsozialismus. Erstmals stehen in diesem Jahr Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität Opfer der Verfolgung durch die Nazis wurden, im Mittelpunkt der seit 1996 stattfindenden Gedenkstunde. Der Helle Panke e.V. lud deshalb bereits am vergangenen Mittwochabend unter dem Titel „Die queeren Opfer der NS-Zeit – ein schwieriges Gedenken?“ zu einer Diskussion in den queeren Club Schwuz in der Neuköllner Rollbergstraße. Unterstützt wurde die Podiumsdiskussion, deren Panel exzellent besetzt war, von der Rosa- Luxemburg-Stiftung Berlin, dem Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung, dem August-Bebel-Institut und dem Zentrum für Antisemitismusforschung der TU-Berlin. „Ich freue mich, dass so viele in die Kathedrale gekommen sind“, sagte Schwuz-Geschäftsführer Florian Winkler-Schwarz zur Begrüßung und entschuldigte sich bei denen, die am Einlass stehen mussten, weil im Veranstaltungsraum alle Plätze besetzt waren.

Der Schriftsteller und Historiker Dr. Lutz van Dijk (r.), der der Initiator einer Petition zum Gedenken an queere Opfer der NS-Zeit im Deutschen Bundestag ist, gab zunächst einen Überblick über den Ablauf der Gedenkstunde am 27. Januar. Im Anschluss an die Zeitzeugin des Holocaust Rozette Kats, die eine Gedenkrede hält, wird Klaus Schirdewahn als Vertreter der queeren Community vor dem Plenum sprechen. Der Schauspieler Jannik Schümann liest einen Text über Karl Gorath, der als schwuler Mann die nationalsozialistische Gewaltherrschaft überlebte und 2003 im Alter von 91 Jahren in Bremerhaven starb. Die Schauspielerin Maren Kroymann trägt die Biografie der 1904 geborenen lesbischen Jüdin Mary Pünjer vor. Unter dem Vorwand der „Asozialität“ wurde die verheiratete Frau 1940 als „Lesbierin“ verhaftet und zwei Jahre später während der „Aktion 14f13“ in Bernburg an der Saale ermordet. Nach den vorgetragenen Lebensgeschichten wird Klaus Schirdewahn, der noch 1964 in der Bundesrepublik selbst nach dem alten Paragrafen 175 verhaftet worden war, über die Bedeutung des Gedenkens an die im Nationalsozialismus verfolgten sexuellen Minderheiten sprechen.

Die Geschichte der Moderne könne ohne die negativen Phänomene der Heteronormativität und der Homophobie nicht verstanden werden, spitzte Moderatorin Prof. Dr. Stefanie Schüler-Springorum (r.), Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU-Berlin, die Diskussion zu. Dr. Andrea Genest, Leiterin der Gedenkstätte Ravensbrück, berichtete unter anderem von der Kontroverse um eine Gedenkkugel für die lesbischen Frauen im KZ-Ravensbrück. In der Diskussion würden viele latente Ressentiments geäußert, kritisierte Genest und hob hervor, dass die Beschäftigung mit dem Schicksal lesbischer Frauen während der NS-Zeit in Deutschland grundsätzlich erst am Anfang stehe. Der Medizinhistoriker Dr. Rainer Herrn (l.) erinnerte schließlich daran, dass über die Verfolgung von Transpersonen bislang nur wenig bekannt sei und machte einen großen Forschungsbedarf geltend. „Der NS-Staat verfolgte und ermordete Menschen auch wegen mehrerer Merkmale und Kriterien, etwa schwule Roma, lesbische Jüdinnen oder sozialdemokratische Transmenschen“, waren sich alle Panelisten einig. Sie betonten, wie wichtig es künftig in der Diskussion sei, den Aspekt der Intersektionalität -also die Überschneidung verschiedener Formen von Diskriminierungen- zu beachten.

=Christian Kölling=

 

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