Alltag im Nationalsozialismus: Jennifer Holleis liest Tagebuchnotizen von Anna Haag

„13. 11. 40. Molotow ist in Berlin! Welch ein Gepränge! O wirre Welt! Wenn ich doch endlich das wahre russische Gesicht sähe!“ Die Stuttgarter Journalistin und Schriftstellerin Anna Haag, die diese Notiz schrieb, führte von Mai 1940 bis zum Kriegsende 1945 ein schonungslos offenes und regimekritisches Tagebuch, das sie über Jahre im Kohlenkeller versteckte und später im Garten vergrub. Sie zeichnete darin nicht nur politische Ereignisse auf, die sie manchmal zusätzlich mit Zeitungsausschnitten dokumentierte, sondern beobachtete ihre Mitmenschen im Alltag genau und hörte ihnen aufmerksam zu. Gleich zu Beginn ihres Tagebuches vermerkte sie etwa: „Mai 1940. In der Straßenbahn: ‚Da weint man nicht, da ist man stolz!‘ (Eine Weiterlesen