SPD-Landesparteitag grundsätzlich offen für Enteignungsgesetz gegen Wohnungskonzerne

„Das ist bestimmt nicht unsere letzte Aktion gewesen“, verabschiedete sich ein Aktivist der InitiativeDeutsche Wohnen & Co enteignen“, nachdem er am Sonntagmorgen ein Erinnerungsfoto mit seiner Gruppe vor dem Haupteingang des Neuköllner Estrel-Hotels gemacht hatte. Drinnen nahm der Landesparteitag der Berliner SPD mit über 260 Delegierten allmählich seine Arbeit auf. Schon eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn hatten sich die Aktiven mit ihren Fahnen und bunten Warnwesten vor dem Hotel in der Ziegrastraße aufgestellt, um die eintreffenden Parteitagsdelegierten an das gute Ergebnis ihres erfolgreichen Enteignungs-Volksentscheids aus dem September 2021 zu erinnern.

Niemand hätte allerdings zu dieser frühen Stunde wohl damit gerechnet, dass der Parteitags-Antrag „Transparenz und Ernsthaftigkeit: Deutsche Wohnen und Co enteignen darf nicht verschleppt werden“ am Ende des Tages eine deutliche Mehrheit finden würde. Der Antrag spricht sich für ein Gesetz zur Enteignung großer Wohnungskonzerne aus, sofern die nach dem Volksentscheid eingesetzte Expertenkommission zu einem positiven Votum kommt.

Wohnungspolitik sei in Berlin kein „linksradikales Nischenthema“, betonte Franziska Drohsel, Mitglied im Kreisvorstand der SPD Steglitz-Zehlendorf, zum Auftakt der kurzen Debatte und forderte Respekt vor dem Ergebnis des Volksentscheids. Wohnen sei nicht ohne Grund ein verfassungsrechtlich verbrieftes Grundrecht, bekräftigten die folgenden Redner. Der völlig aus dem Lot geratene Wohnungsmarkt müsse wieder gerichtet werden. Das gute Ergebnis, von dem die SPD nur träumen könne, beweise, dass der Volksentscheid in Berlin eine Mehrheit quer durch alle gesellschaftlichen Schichten und politischen Lager habe. Der Neuköllner Sozialdemokrat Timo Schramm unterstrich mit Nachdruck: „Die Wohnungspolitik ist eine der sozialpolitischen Fragen in unserer Zeit!“

Nur Andreas Geisel, Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, wies während der Debatte den Vorwurf der Intransparenz scharf zurück und kritisierte insbesondere die Schlusspassage des Antrags 44/I/2022. Dort heißt es wörtlich: Der Vorschlag der Expertenkommission zum Volksentscheid „muss innerhalb eines Jahres (im Frühjahr 2023) vorgelegt und im Falle eines positiven Votums für die Möglichkeit einer Vergesellschaftung soll schnellstmöglich ein Gesetz zur Umsetzung erarbeitet werden.“ Senator Geisel warnte vor einem Automatismus, der die Erarbeitung eines Gesetzes erzwinge, aber beispielsweise die Umsetzungskosten des Volksentscheides außer Acht lasse. An die Parteitagsdelegierten gewandt sagte Geisel: „Was immer ihr auch beschließt, ihr werdet die Wirklichkeit im nächsten Jahr nicht ausblenden können!“

Auch andere Abstimmungsergebnisse des SPD Landesparteitags nahmen Beobachter mit Überraschung auf: Eine deutliche Mehrheit von knapp 65 Prozent der Delegierten sprach sich für einen Planungsstopp des A100-Weiterbaus nach Friedrichshain und Pankow aus. Die alten und neuen SPD-Landesvorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh, die ohne Gegenkandidaten angetreten waren, wurden diesmal nur noch mit 58,9 Prozent bzw. 57,4 Prozent der Delegiertenstimmen in ihren Ämtern bestätigt.

Gute Stimmung herrschte auf dem Landesparteitag dessen ungeachtet als das Führungsduo Giffey und Saleh zum Auftakt alterfahrene Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ehrte. Allen voran erhielt Marianne Brinckmeier für ihre 65-jährige Parteizugehörigkeit (!) viel Applaus. Brinckmeier trat am 1. Januar 1957 in die SPD ein und begann ihre politische Karriere in der BVV Neukölln, wo sie von 1971 bis 1979 Bezirksverordnete war. 1979 wechselte sie in das Berliner Abgeordnetenhaus. 1989 wurde sie Vize-Präsidentin des Landesparlaments und blieb dies bis zu ihrem Ausscheiden im Jahr 2001. Heute ist Marianne Brinckmeier Mitglied der Schiedskommission in der SPD Neukölln.

=Christian Kölling=

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