Gedenk- und Aufbruchveranstaltung in Britz anlässlich der Pogromnacht 1938

Zur Erinnerung an den Jahrestag der Pogromnacht von 1938 fanden am vergangenen Dienstag in ganz Deutschland zahlreiche Veranstaltungen statt. Unter anderem wurden vor dem Jüdischen Gemeindehaus in der Fasanenstraße die Namen der 55.696 jüdischen Berlinerinnen und Berliner verlesen, die während der nazistischen Gewaltherrschaft ermordet wurden und in einem Gedenkbuch der Stadt verzeichnet sind. Die Initiative Hufeisern gegen Rechts, der DGB Kreisverband Neukölln sowie die Falken Neukölln riefen zu einer zweiteiligen Gedenk- und Aufbruchsveranstaltung in Britz am Abend des 9. Novembers auf. Rund 80 Familien jüdischer Herkunft lebten vor Beginn der Nazi-Herrschaft in der Großsiedlung Britz.

Der erste Teil der Veranstaltung fand vor dem ehemaligen Konfektionsgeschäft von Carl Baum in der Britzer Fritz-Reuter-Allee 50 statt. Am Morgen des 10. November 1938 zertrümmerten SA-Männer die Einrichtung des jüdischen Geschäftsinhabers und verprügelten ihn sowie seine Frau vor den Augen der Nachbarn. Unmittelbar am Tatort wurde das Geschehen 83 Jahre später mit kurzen Zeitzeugenberichten in Erinnerung gerufen. Ein weiterer Beitrag schilderte Hintergründe des Pogroms. Die Musikerin Isabel Neuenfeldt trug von ihr selbst vertonte Gedichte vor, die jüdische Frauen im Exil und in Konzentrationslagern geschrieben hatten.

Im zweiten Veranstaltungsteil begrüßte Mirjam Blumenthal, frisch gewählte Bezirksstadträtin für Jugend- und Gesundheit, in der Aula der Fritz-Karsen-Schule die Anwesenden zu einer Vorführung des Films „Stadt ohne Juden“. Der österreichische Stummfilm aus dem Jahr 1924 schildert, wie Juden in einem fiktiven Land zu Sündenböcken für eine wirtschaftliche Krise gemacht und schließlich aus dem Land vertrieben werden, um die rebellierenden Arbeiter zu beruhigen. Anders als in der grausamen Realität, die sich nur ein Jahrzehnt später zeigte, endet der Film jedoch mit einer Rückkehr der jüdischen Bevölkerung. Das fiktive Land hebt sein Gesetz über die Verbannung der jüdischen Bürgerinnen und Bürger auf, weil die mit der Ausweisung verbundenen wirtschaftlichen, kulturellen und menschlichen Verluste einfach zu groß sind. In der anschließenden Diskussion, die Michael Jänecke von der IG-Metall mit zwei Schülern und einer Lehrerin der Fritz-Karsen-Schule führte, wurde darüber gesprochen, wie dem heute existierenden Antisemitismus u. a. mit Mitteln der Jugendarbeit begegnet werden kann.

Während am Abend des 9. November nach Veranstalterangaben mehr als 150 Menschen – darunter auch Bezirksstadträtin Karin Korte – an den Terror des Jahres 1938 erinnerten, wurde nur wenige Stunden zuvor unweit der Hufeisensiedlung eine antisemitische Straftat begangen. „Wir gehen davon aus, dass das Hakenkreuz gezielt an die Fassade des Hauses in der Gielower Sraße gesprüht worden ist“, teilte am Mittwoch die Anwohner*inneninitiative Hufeisern gegen Rechts in einer Presseerklärung mit. Das in dem Haus lebende Ehepaar sei bereits zwei Wochen zuvor durch die Gartenhecke auf der Terrasse mit Tränengas besprüht worden. Anlass der Tat könne eine auf Hebräisch geführte Unterhaltung des Paares gewesen sein, vermutet die Britzer Initiative. „Wir befürchten, dass es zu weiteren Angriffen auf die beiden Personen und das Haus kommt.” Hier solle Angst geschürt werden, nicht nur bei den unmittelbar Betroffenen, sondern auch im Wohnumfeld. “Deshalb erwarten wir von der Polizei eine zügige Aufklärung der Straftaten“, fordert Hufeisern gegen Rechts. Die rechtsextreme Anschlagserie, die unter dem Begriff Neukölln-Komplex zusammengefasst wird, Ende nicht mit dem Jahr 2017, sondern fände bis zum heutigen Tag ihre Fortsetzung, schlussfolgert die Initiative.

=Christian Kölling=

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